Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Familie,
liebe Unterstützerinnen und Unterstützer!
Seit meinem ersten Rundbrief sind nun etwa zwei Monate vergangen. Es wird Zeit, dass ich mich wieder aus dem immer noch heißen und vor allem trockenen Pedro II bei euch melde. Mittlerweile habe ich hier meinen festen Alltag und fühle mich nicht mehr so fremd, wie in den ersten Wochen.
Meine Gastfamilie
Anfang November bin ich zu meiner Gastfamilie umgezogen. Diese wohnt nur etwa zwei Straßen von meinem vorherigen Wohnsitz entfernt. Ich kann glücklicherweise immer noch zu Fuß ins Stadtzentrum gehen, wodurch ich mobil und selbstständig bleibe. Meine Gastfamilie, das sind Valmir und sein sechzehnjähriger Sohn Bruno (Schüler der Ökoschule.) Valmir arbeitet vormittags als Lehrer an einer Schule hier in der Stadt und nachmittags als pädagogischer Leiter des Kindergartens „Asa Branca“ von Mandacaru. Parallel dazu hat er in den letzten Monaten ein Pädagogikstudium abgeschlossen. Ich verstehe mich mit den beiden gut und fühle mich bei ihnen wohl.
Wasser bleibt ein Problem
Die Problematik des Wassermangels hier in der Stadt dauert an. Mittlerweile entnimmt das Wasserwerk dem Stausee vor der Stadt kein Wasser mehr, sondern bezieht das Wasser ausschließlich aus Brunnen. Diese fördern jedoch nicht genug Wasser zutage, um die ganze Stadt zu versorgen. Es gibt weiterhin Stadtteile, die kein Leitungswasser bekommen, mittlerweile seit über vier Monaten.
Den Wassermangel bekomme ich in meiner Gastfamilie stärker zu spüren, denn wir gehören zu den Familien die kein Leitungswasser bekommen. Wir holen das Wasser mit großen Kanistern an einer öffentlichen Wasserentnahmestelle. Da es tagsüber zu heiß ist, holen wir das Wasser früh morgens oder abends. Manchmal müssen wir bis zu 15 Minuten anstehen, bis wir dran sind.
Die Demonstrationen, von denen ich im ersten Rundbrief berichtet habe, finden nicht weiter statt. Die Menschen haben sich an die Situation gewöhnt. Eine Lösung ist nach wie vor nicht in Sicht. Die Menschen hoffen auf einen regenreichen Winter. Viel Niederschlag im Winter dürfte das Problem aber höchstens mittelfristig verbessern.
Der Wassermangel macht deutlich, wie wichtig Zisternenbauprogramme sind. Die Landwirte sind auf Zisternen angewiesen, um auch während des Sommers etwas anbauen zu können und die unregelmäßigen Niederschläge, insbesondere zu Beginn der Regenzeit, zu kompensieren. Aufgrund der anhaltenden politischen Krise des Landes ist jedoch nicht klar, ob und wie lange die Zisternenbauprogramme weitergeführt werden können.

Capoeira – Kampf, Tanz und Musik
Im Oktober habe ich mit dem Kampfsport Capoeira angefangen. Es ist ziemlich anstrengend und macht mir sehr viel Spaß. Der Kampfsport wurde während der Kolonialzeit, von aus Afrika verschleppten Sklaven, entwickelt und praktiziert. Capoeira ist durch drei Grundelemente geprägt: Kampf, Musik und die „Roda“ („Kreis“) als Rahmen, in dem der Kampf stattfindet. Die Kampftechniken selbst zeichnen sich durch viel Akrobatik aus. Die beiden Gegner versuchen sich während des Kampfes möglichst wenig zu berühren. Traditionell wird zu den Kämpfen Musik gespielt, diese folgt einem Endlos-Rhythmus in verschiedenen Variationen, dazu werden Lieder gesungen, diese stammen häufig noch aus der Zeit der Sklaverei.
Ein Beispielvideo zu einer „Roda“ gibt es hier und weitere Informationen zur Geschichte der Capoeira hier.
Reis mit Bohnen oder Bohnen mit Reis
Vor meine Ausreise wurde ich vor der brasilianischen Küche gewarnt. Jeden Tag, so hieß es, würde es ausschließlich Reis mit Bohnen geben, nur Reis mit Bohnen. Tatsächlich stellen Reis und Bohnen hier die Grundlage jedes Mittag- und in der Regel auch Abendessens dar. Dazu gibt es meistens Hühnchen oder eine andere Fleischbeilage. So monoton wie sich das anhört, ist es aber nicht. Außerdem ist das Essen echt lecker. Es fiel mir überraschend leicht, mich daran zu gewöhnen. Daneben gibt es natürlich noch eine weitere Vielzahl an leckeren lokalen Gerichten sowie Gemüse und heimischen Früchten.
Hier in meiner Gastfamilie kann ich nun auch öfter selber kochen. Dadurch lerne ich zum einen, wie man brasilianische Gerichte zubereitet und zum anderen kann ich auch mal etwas mir aus Deutschland bekanntes kochen, was eine schöne Abwechslung ist. Bisher haben Valmir und Bruno auch alles gegessen, was ich zubereitet habe.

Vielfältige Arbeit in der Ökoschule
In den letzten zwei Monaten habe ich hauptsächlich in der Ökoschule gearbeitet und jeweils eine Woche einen der Mitarbeiter dort begleitet und unterstützt. Dadurch war meine Tätigkeit sehr vielfältig und es gab jeden Tag etwas anderes zu tun. Die Schule hatte unter anderem eine Projektwoche, die Schüler des 3. Oberstufenjahrgangs haben ihre Abschlussprüfung geschrieben, die Bewerber um einen Schulplatz für das kommende Schuljahr wurden zu Hause besucht, die Schüler nahmen an einem gemeinsamen Sportturnier aller Schulen von Pedro II teil und in der letzten Woche vor den Ferien schrieben alle Klassen die abschließenden Prüfungen in allen Fächern. Das brasilianische Schuljahr beginnt im Februar und endet im Dezember.

Imkerei – Apicultur
Neben Gartenbau und Kleintierhaltung ist auch das Thema Imkerei Teil des Lehrkonzepts der Ökoschule. Die Schule hat auf ihrem Gelände Bienenstöcke mit einheimischen Bienen. Im Zuge der Kolonialisierung und des wirtschaftlichen Einflusses anderer Länder auf Brasilien, sind auch Bienenarten aus anderen Kontinenten, wie Afrika und Europa, in das Land gekommen und werden seitdem ebenfalls kultiviert. Die einheimischen Bienen unterscheiden sich von der europäischen Honigbiene. Die Tiere sind kleiner, haben einen schwarzen Körper und keinen Stachel, produzieren aber ebenfalls Honig.
Ende Oktober fand in Pedro II eine Versammlung zahlreicher Imker aus dem Nordosten Piauís statt („SENA – Segundo Encontro de Negócios da Apicultura“). Piauí ist der größte Honigproduzent Brasiliens. Ein großer Teil des Honigs wird exportiert, vor allem nach Deutschland. Mit einigen Lehrern und Schülern der Ökoschule durfte auch ich an der Veranstaltung teilnehmen. Die Fülle an Informationen, über die sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer austauschten, war beeindruckend. Es ging um die internationale Situation der Imkerei, Möglichkeiten der besseren Vermarktung und speziellere Formen der Bienennutzung, wie beispielsweise den Gewinn von Bienengift für die Pharmazie- und Kosmetikindustrie. Für die Landwirte ist die Imkerei eine interessante zusätzliche Einnahmequelle. Außerdem können sie damit zum Erhalt der für die Bestäubung wichtigen Tiere beitragen.

Schulzisternenprojekt – cisternas nas escolas
In der zweiten Hälfte dieses Jahres hat Mandacaru ein Schulzisternenprojekt durchgeführt. 48 Schulen aus vier verschiedenen Munizipien haben daran teilgenommen. Die Besonderheit bei diesen Schulzisternen, die 52.000 Liter Regenwasser auffangen können, ist der ganzheitliche Ansatz des Projekts. So wurden neben den SchülerInnen und LehrerInnen auch die Schulbehörde und die Familien der Schüler aktiv miteinbezogen. Lehrer und Lehrerinnen der teilnehmenden Schulen besuchten Vortragsveranstaltungen und Workshops von Mandacaru. Thematisch ging es bei diesem um Kultur, Identität des Nordostens von Brasilien, aktuelle Politik, kontext- und realitätsorientierten Unterricht sowie Möglichkeiten ökologischer Landwirtschaft in der Halbtrockenzone. Mit den Zisternen sollen diese Themen in die teilnehmenden Schulen getragen werden. Das Projekt wurde von ASA („Articulação no Semiárido Brasileiro“) unterstützt. ASA ist ein Netzwerk von über 3.000 Nichtregierungsorganisationen, die in der Halbtrockenzone im Bereich Zisternen tätig sind. Das Schulzisternenprojekt endet diesen Monat mit der Auswertung und Nachbearbeitung.
Ein normales Leben
Wieder konnte ich nur einen Bruchteil dessen berichten, was ich in den letzten beiden Monaten hier erleben und erfahren durfte. Am schönsten bei all den spannenden Erlebnissen, Begegnungen und Informationen finde ich jedoch die Normalität, die sich hier immer mehr in meinem Leben einstellt.
Die Kanadierin Jamie Zeppa berichtet in ihrem Buch „Mein Leben in Bhutan. Als Frau im Land der Götter“ von ihren Erlebnissen als Lehrerin in Bhutan. Sie schreibt von der Erfahrung, dass jeder Mensch, egal unter welchen Bedingungen, überall leben kann, wo auch andere Menschen leben. Ich bin hier bei weitem nicht solchen extremen Bedingungen ausgesetzt, wie die Autorin es war. Dennoch kann ich diesem Gedanken nach meinen bisherigen Erfahrungen voll und ganz zustimmen. Der Mensch braucht nicht viel, um glücklich zu leben. Wir brauchen viel weniger, als wir denken.
Bis zum nächsten Mal wünsche ich euch allen einen schönen Advent, ein Frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Herzliche Grüße aus Pedro II
Max