2. Rundbrief aus Uganda von Michael Stadler

Ich habe euch erzählt, dass ich in den letzten Ferien in Zigoti gearbeitet habe. Dort gibt es zwei Schulen für beeinträchtigte Kinder. Zwar hat auch diese Schule Ferien, aber in der Ferienzeit werden in der Schule, die gleichzeitig auch ein kleines Therapiezentrum für Physiotherapie und Krankengymnastik ist, Therapien für Kinder aus der Umgebung angeboten. Dort habe ich eine Menge über verschiedene Therapiemöglichkeiten mit einfachsten Hilfsmitteln gelernt. Die kann ich auch bei den Kindern der Truusanne Schule anwenden.

Leider habe ich mir in der Zeit in Zigoti einen Magenvirus eingefangen, weswegen ich eine von den drei Wochen Aufenthalt fast nur gelegen oder auf dem Klo verbracht habe. Welche Ironie, dass ich momentan eine Verstopfung habe. Ich habe zwar in dem Haus der Therapeuten gewohnt, aber richtigen Anschluss zu ihnen habe ich nicht gefunden. Wenn es Gespräche gab, dann eigentlich nur über die Therapien oder über die Arbeit. Das war sehr schade, denn ich hatte mich schon sehr auf neue Begegnungen außerhalb von Ococia gefreut.
In dem Projekt („A Chance for Children“ www.kinderneinechance.at) haben noch zwei andere Freiwillige aus Österreich gearbeitet. Da wir uns erst recht spät über den Weg gelaufen sind, weil es zwei Schul- und ein extra Verwaltungsgebäude gibt, gab es „nur“ zwei abendliche Treffen, mit Pizza backen und Essen gehen. Seitdem haben wir uns noch ein paar Mal getroffen und sehr schöne, lustige und witzige Zeit miteinander verbracht. (Danke an Johanna und Katja. Hoffentlich sieht man sich mal wieder in Österreich, in Deutschland oder ganz woanders.)
Leider habe ich auf den Weg von Zigoti zurück nach Ococia mein Handy im Taxi liegen lassen, deswegen gibt es leider keine Fotos aus Zigoti. Dafür ein schickes olles Landschaftsbild: Teeplantage mit Baum.

Das 2. Semester der Truusanne Ride-Up School

Etwa zwei Wochen vor Beginn des zweiten Semesters – also noch in Zigoti – ist Joschka zu uns gestoßen. Joschka ist ein Freiwilliger aus der Nähe von Freiburg, ausgelernter Heil-Erziehungspfleger und Weltenbummler und hat für drei Monate in der Truusanne School gearbeitet. In der gemeinsamen Zeit waren wir Hochzeits-Crasher, haben mit den Kindern und den Lehrern gemeinsam ein Christmas Drama auf die Beine gestellt und ein Muster für individuelle Hilfepläne erstellt. Diese werden für jedes Kind der Schule ausgefüllt, damit jedes Kind eine individuelle Förderung erhalten kann. Wir haben aber nicht nur gearbeitet, sondern hatten auch jede Menge Spaß: die Slackline-Aktion, die Abende bei Richard, und das viele Lachen mit den Kindern. (Ich hoffe auch Dich wiederzusehen, Joschka – und ein digges Danke für die gemeinsame Zeit.)

Die Hochzeits-Crasher

Eines Tages fragte mich Father Joseph, ob ich mit ihm gemeinsam auf „Priester-Safari“ gehen möchte. Priester-Safari? Davon hatte ich in meiner Zeit in Ococia zwar schon gehört, aber immer wenn ich nachgefragt habe, was das genau sein soll, kam die Antwort: „Die Priester fahren raus in die Dörfer und arbeiten.“ „Priester-Arbeit halt.“ Den darauf folgenden Sonntag ging es dann für Joschka und mich auf unsere erste „Priester-Safari“. Wir fuhren gemeinsam mit Michael, dem Fahrer, aus Verwechselungsgefahr haben wir ihn im Parish auf „Michael Uganda“ getauft, und Father Daniel. Father Daniel statt Father Joseph? Eine für Uganda so typische kurzfristige Planänderung, an die ich mich mittlerweile gewöhnt habe. Im Auto durch den Busch rasend fragten wir, was denn heute auf dem Arbeitsplan stehen würde. „Hochzeit und Taufe.“ Ungeladen auf einer Hochzeit auftauchen … Zum Glück sind hier ja alle sehr gastfreundlich und die Vorfreude war riesengroß: meine erste Hochzeit in Uganda, welche Unterschiede es da wohl geben würde? Von der „Hauptstraße“ ab auf einem Trampelpfad kamen uns eine Hand voll Damen mit weißen Fahnen in der Hand und einem ziemlich lauten „WUHUHUHUHUHU!!!!!“ entgegen und eskortierten uns zur Kirche. Dort angekommen standen gefühlt 1.000 Menschen um das Auto herum. Ich spürte eine riesige Anspannung und ein beklemmendes Gefühl, da wir von 2.000 Augen angeschaut wurden, als wir aus dem Auto stiegen –  dazu kam ein ohrenbetäubender Lärm. Noch einmal tief durchatmen und raus aus dem Auto.  Ein Mann kam auf uns zu, begrüßte uns. Auf dem Weg zur Kirche habe ich 100 Hände geschüttelt. Die Kirche, ein rechtwinkliger Lehmbau mit einer viel zu kleinen Eingangstür, war bis zum letzten Platz besetzt und der Chor hatte sich schon eingestimmt. Wir saßen direkt links hinter dem Altar und hatten so die ganze Kirche im Blick, aber uns konnte auch jeder sehen und schon wieder wurde man angestarrt, ich hatte zeitweise das Gefühl, dem Brautpaar ungewollt die Show zu stehlen. Die Abläufe in der Kirche waren eigentlich so wie bei uns.
Die kulturellen Unterschiede waren, dass der Bräutigam von seinem Vater zum Altar geführt wurde und dabei von sechs tanzenden Mädchen und den fahnenschwingenden „WUHUHU“-Frauen begleitet wurde. Die Mutter saß mit dem Vater hinter dem Bräutigam. Die Braut wurde auch von den Mädchen und den Frauen herein begleitet, aber nur bis zur Hälfte der Kirche und musste dort Platz nehmen. Erst nach der halben Zeremonie kam sie nach vorne und nahm neben ihrem zukünftigen Gatten Platz. Nachdem das Ja-Wort gesagt wurde, haben die beiden sich sehr aufgeregt und schwunghaft umarmt. In der Öffentlichkeit küsst man sich in Uganda nicht, auch nicht bei seiner Hochzeit. Der Hochzeitskuchen wurde von beiden zusammen angeschnitten, dann nahm der Bräutigam auf einem Stuhl Platz und die Braut kniete vor ihm und fütterte ihn. Dann kniete er sich vor seine Braut und reichte ihr auch ein Stück Kuchen. Ein sehr ereignisreicher und ein sehr schöner, aber doch auch langer und anstrengender Tag. Und die Vorfreude auf eine traditionelle Hochzeit ist jetzt noch größer.

Enayu Erc und der gezogene Zahn

Um euch die Kinder der Truusanne School näherzubringen, werde ich in den nächsten Briefen immer einen oder zwei Schüler vorstellen.

Darf ich vorstellen: Das ist Mr. Enayu Eric, ein Schüler der Truusanne School. Eric ist sieben Jahre alt. Es ist das erste Mal, dass er eine Schule besucht und es fällt es ihm schwer, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Er ist unser Klassen-Clown.
Er ist aber auch super hilfsbereit, z.B. hilft er seinem besten Freund Noel sich anzuziehen oder sorgt dafür, dass die Betreuer genug Sport machen: Er liebt es, Schuhe, Handys oder andere Gegenstande zu stibitzen, um damit wegzulaufen.
Als er in die Truusanne Schule kam, hat er nicht gesprochen, in dem letzten halben Jahr hat er eine rasante Entwicklung gemacht: Er fängt an zu sprechen, liebt es zu tanzen, zu toben und saugt alles wie ein Schwamm auf. Es macht Spaß zu sehen, wie Eric sich jede Woche weiterentwickelt und Fortschritte macht.

Vor ein paar Wochen waren frisch gebackene Zahnärzte in Ococia zu Besuch. Sie haben den umliegenden Bewohnern und Bewohnerinnen des Parish und den Schülern und Schülerinnen in den Mund geschaut und mussten leider auch den einen oder anderen Zahn ziehen. Auch Eric musste einen Zahn im Health Center lassen. Zum Glück nur einen Milchzahn, aber das Geschrei war riesengroß. Aber keine vier Minuten später war Eric schon wieder voll dabei und hat Hilfsarzt gespielt. Wir mussten ihn fast aus dem OP-Saal herausziehen. Er hat den meisten Menschen im Warteraum und im OP-Saal an diesem – für die meisten doch schmerzhaften Tag – ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Danke an die griechisch-deutsche Zahnärzte-Truppe, die auf eigene Kosten und ohne Lohn durch Uganda zieht. Auch ein großes Lob an unsere Caretakerin Christine. Denn die Zahnärzte haben festgestellt, dass die Truusanne Schüler insgesamt gute Zähne haben.

Das Christmas Drama und der Christkindlmarkt

Zum Semesterende haben die Kinder und die Lehrer der Truusanne Schule ein verfrühtes Krippenspiel in der Kirche von Ococia uraufgeführt (im nächsten Brief gibt es evtl. einen YouTube-Link).
Da das Semester schon am ersten Dezember zu Ende war, mussten wir die die Weihnachtsgeschichte schon Anfang Dezember aufführen, damit weder Kinder noch Eltern später extra nochmal nach Ococia fahren muss. Da wir also eigentlich einen Monat zu früh waren, durften wir das Lied „Gloria – In Excelsis Deo“ leider nicht mit der ganzen Kirche während des Stückes singen. Das war sehr schade, denn dies hätte der ganzen Sache noch mehr Glanz verliehen. Ococia ist nun mal sehr konservativ. (Komisch, wenn man in der Zeitung liest, dass der Papst Mütter dazu aufruft, in der Kirche zu stillen: Das ist hier ganz normal.)

Für die Kinder war es das erste Mal, ein Theaterstück auf einer großen Bühne zu spielen. Das bedeutete, dass wir viel üben mussten. Da jeder Anfang nicht leicht ist, mussten auch schon mal die Lehrer als Esel oder Ochse Modell stehen (Bild oben). Den Kindern hat das Spielen richtig viel Spaß gemacht, auch wenn die meisten im ersten Moment sehr aufgeregt waren, hat man ihnen das Lampenfieber nicht angemerkt. Das Stück war als Integrationsprojekt geplant und das ist uns glaube ich auch gelungen. Denn nun wissen die Menschen aus der Umgebung, dass wir mehr können, als es auf den ersten Blick aussieht, und haben so konnten wir hoffentlich einen Beitrag zur Akzeptanz von beeinträchtigten Menschen in Ococia leisten.
Im Anschluss an die Messe haben die Kinder einen Weihnachtsmarkt veranstaltet. Bei dem sie die Sachen verkauft haben, die sie in dem letzten halben Jahr im Werkraum hergestellt haben: von Perlenketten für Hals und Handgelenk, Handytaschen bis hin zu handgestrickten Schals. Auf Wunsch werden auch Bestellungen ins Ausland verschickt ;-). Wie man auf dem Foto sehen kann, war der Marktstand gut besucht und es wurde allerhand gekauft und gehandelt. Nachdem sich der Besucherstrom gelegt hatte, gab es zum Semesterabschluss noch ein gemeinsames Essen mit den Eltern, den Kindern, den Lehrern, Truus und den Mitarbeitern. Natürlich auch für Joschka und mich. Dies war auch ein trauriger Tag, denn für Joschka war es das letzte Mal Poscho essen gemeinsam mit den Kindern und er musste sich verabschieden. Auch für mich hieß es für die nächsten zwei Monate „Goodbye“ sagen, denn die Winter-/Trockenzeit-Ferien dauern hier doch was länger. Diese werde ich in einem Kinderheim nahe Kampala verbringen. Seit dem letzten Brief gab es doch einige Höhen und tiefe Tiefen, die ich aber gemeinsam mit den Menschen, die ich kennengelernt habe, und meinen Freunden zuhause über Telefon meistern konnte. Und dennoch kann ich immer noch sagen, dass dieses Jahr für mich die richtige Entscheidung war und ich die letzten fünf Monate nicht missen möchte.

Ich wünsche allen ein glückliches neues Jahr, viel Erfolg bei allem was ihr so angeht, Gesundheit und Frieden.
Danke fürs Lesen.

Euer Opio Michi