Rumänien: 2. Rundbrief von Lena Jahn

Hallo zusammen,

In manchen Momenten fühlt es sich so an, als ob die Zeit hier still stehen würde und als ob mich der Alltag in seiner Normalität eingeholt hat. Manchmal fühlt es sich sogar so an,
als sei ich gerade gar nicht in Rumänien. Doch dazu später mehr.
Denn wiederum in solchen Momenten, in welchen ich meinen Rundbrief schreibe, stelle ich fest, dass ich doch schon seit sechs Monaten woanders bin, und mein Freiwilligendienst jetzt schon fast zur Hälfte vorbei ist. Einfach verrückt.  Wiedermal freue ich mich zu berichten. 🙂

Weihnachten

Starten will ich mit den Erlebnissen, die sich um und an Weihnachten ereigneten. Aufgrund sehr üppig geschmückter Straßen, kleinen Weihnachtsmärkten und häufigen Schneefällen war weihnachtliche Stimmung bei mir mehr als vorhanden.
Ich durfte zudem bei vielen vorweihnachtlichen Caritas-Aktionen dabei sein.
Am 6. Dezember zum Beispiel kam auch hier der Nikolaus zur Caritas und brachte den Kindern kleine Pakete mit Süßigkeiten und Schulutensilien.
Eine weitere Aktion, die ich miterleben durfte, war die Geschenkaktion
,,Weihnachten im Schuhkarton‘‘, die euch vielleicht bekannt ist.
Es ist eine der weltweit größten Geschenkaktionen, bei der zu Weihnachten Päckchenspenden an Kinder in aller Welt versendet werden.
Auch die Caritas in Târgu Mureş beteiligt sich an dieser Aktion und erhält gespendete Boxen aus Deutschland.
Und so konnte man im gesamten Dezember beobachten, wie sich nach und nach in jeder freien Ecke der Caritas-Büroräume Schuhkarton über Schuhkarton türmte, bis diese dann kurz vor den Winterferien an die Kinder verteilt wurden.

Nikolausbesuch im Kulturhaus in Marosszentgyörgy, einer meiner Einsatzstellen. Der Nikolaus konnte Ungarisch, Rumänisch und sogar Deutsch sprechen. Ist das denn zu fassen? 😀

Ich weiß, das sagt jeder, der so etwas einmal miterlebt hat, aber: Es war wirklich schön zu sehen, dass
die Hilfe auch vor Ort ankommt, und das bewirkt, was sie soll: Freude.
Ich habe als kleines Kind auch bei dieser Aktion mitgemacht, aber sich vorzustellen, dass Hilfe ankommt und dass sich da irgendwo auf der Welt vielleicht jemand freut und
das in Realität mitzuerleben, ist doch nochmal ein Unterschied.
Die Kinder waren natürlich total aus dem Häuschen.

 


Weihhnachtslieder singen

Die Weihnachtsfeiertage verbrachte ich in einem kleinen Szekler-Dorf namens ,,Udvárhely‘‘, und zwar bei einer ehemaligen Caritas-Freiwilligen Emma, die ich bei einer Caritas-Gala kennengelernt habe. Zusammen mit ihrer Schwester Dalma und ihrer Familie durfte ich somit ein rumänisch-ungarisches Weihnachten erleben.
Das ungarische und somit römisch-katholische Weihnachtsfest wird auch hier traditionell mit geschmücktem Weihnachtsbaum, Adventskranz und deftigem Essen gefeiert. Der Brauch eines Adventskalenders mit 24 Türchen ist ihnen jedoch fremd.
An Heiligabend und am ersten Weihnachtsfeiertag ging ich mit der Familie zusammen in die Messe und wir besuchten deren Verwandte im Dorf.
Ein besonderes Highlight an den Weihnachtstagen war für mich ein Ball, auf dem viele junge Menschen traditionelle ungarische Volkstänze aufführten.  Ich habe nun auf jeden Fall Lust, in Târgu Mureş einen Volkstanzkurs zu besuchen!

Und nun für alle Hungrigen und Essensliebhaber,
eine kleine Zusammenstellung des Weihnachtsmenüs:

Als Vorspeise gibt es bei Ungarn meist immer erst einen richtig großen
Teller Suppe.  Von heißer Bohnensuppe bis kalte Sauerkirsch-Suppe habe ich mittlerweile alles durch probiert. 🙂

(v.l.) Emma, ich und Dalma

Danach folgte Polenta mit Käse überbacken, eingelegtes Gemüse sowie Kohlwickel mit Hackfleisch, die ich als Vegetarierin dankend abgelehnt habe (was schon des Öfteren hier in Rumänien für verwirrte Blicke gesorgt hat).
Ansonsten wird leckerer Cozonac gebacken (rumänischer Feiertags-Kuchen), und Pogatschen  (salzige Gebäckstücke) auf den Tisch gestellt.
Und natürlich durfte der heiß geliebte Pflaumenschnaps Pálinka nicht fehlen.
Angestoßen wird hier mit dem Wort ‘‘Egészségedre‘‘ , (‘‘Ägehschehgädrä‘‘ ausgesprochen).
Übersetzt heißt das ,,Auf dein Wohl‘‘.

Ja doch, so ein kurzes deutsches ,,Prost‘‘ ist für mich dann doch einfacher auszusprechen, aber das sollte man hier lieber nicht zu laut ausrufen, denn ich habe mir sagen lassen, dass das auf Rumänisch ,,Idiot‘‘ heißt. 🙂

Von orthodoxen Rumänen ließ ich mir über das Weihnachtsfest erzählen, dass es bei Ihnen neben Weihnachtsbaumschmücken und rumänischen Spezialitäten zusätzlich die ,,Colindatori‘‘ gibt, also Mädchen und Jungen, die singend von Haus zu Haus ziehen und dafür meist von den Menschen Brezeln, Obst oder Pfefferkuchen bekommen.

Abschließend habe ich für mich festgestellt: Das Weihnachtsfest unterscheidet sich gar nicht so sehr von dem, was ich aus Deutschland kenne.
Bei leckerem Essen gemeinsam Zeit mit Familie und Freunden verbringen.
Der Weihnachtsgeist scheint hiert der Gleiche zu sein. 🙂

           

Impressionen: (v.l.)  Emma und ich in traditioneller Szekler-Tracht; unser Weihnachtsbaum

Familienbesuch und neue Erkenntnisse

Über Silvester habe ich für ein paar Tage meine Familie in Deutschland besucht. Dies hat mir nochmal richtig gut getan, weil ich meine Liebsten doch recht vermisst habe.
Zusätzlich ist mir noch etwas sehr Interessantes passiert, von dem ich euch erzählen möchte:
Ich hatte einen Kontrollbesuch beim Arzt und vor mir an der Rezeption befand sich eine Mutter mit ihrem Sohn. Die Mutter konnte nicht so gut Deutsch sprechen und der Sohn hatte daraufhin versucht, das Kommunikationsproblem mit den Arzthelfern zu lösen. Während mir früher in Deutschland „Ausländer“ öfter aufgefallen sind oder ich sie als „besonders“ empfand (wegen z.B. der Hautfarbe oder der fremden Sprache) war diese Situation für mich in diesem Moment gar nicht mehr so neu, und ich konnte mich sehr gut in die Beiden hineinversetzen, da ich selbst hier in Rumänien ,,der Ausländer‘‘ bin und solche Szenen mir hier tagtäglich passieren. Ich kenne jedenfalls mittlerweile das Gefühl sehr gut, nicht richtig verstanden zu werden, sich durch fehlende Sprachkenntnisse nicht integriert zu fühlen, oft auch hilflos und unwohl zu fühlen, wenn Menschen aus der Umgebung dann noch darauf aufmerksam werden und dich nicht immer mit wohlwollenden Blick ansehen, weil du im Bus, an der Kasse, auf der Bank und an der Rezeption den ganzen Verkehr aufhältst, da jedes Gespräch mit dir 5 Minuten länger dauert, als normal . Umso dankbarer ist man für jeden Einzelnen, der sich bemüht, dich zu verstehen!

Gewöhnlicher Alltag…

Ich habe zwar im letzten Rundbrief schon ein bisschen von meinem Alltag hier erzählt, aber da dieser sich in den letzten drei Monaten noch ein bisschen verändert hat und ich endlich ein paar Bilder habe, wollte ich euch gerne nochmal kurz ein Update schildern, wie so aktuell eine gewöhnliche Woche bei mir aussieht:
Montags und samstags nehme ich erneut Ungarisch-Unterricht bei Réka, meiner Sprachlehrerin, von der ich euch im ersten Brief bereits erzählt habe. Ich habe mittlerweile echt das Gefühl, Fortschritte im Sprechen und Verstehen zu machen, für Smalltalk reicht es auf jeden Fall schon aus!
Danach bin ich montags nach wie vor von 11-14 Uhr bei der Deutsch-Nachhilfe für Senioren tätig. Neben dem Fortgeschrittenen-Kurs darf ich jetzt noch einen Anfängerkurs begleiten, was mir nach wie vor viel Spaß macht.
An den anderen vier Tagen der Woche bin ich in Romakinder-Projekten in verschiedenen Dörfern in der Umgebung eingesetzt. Je nach Einsatzstelle und Kindern, sind manche Tage  einfacher und mal weniger einfach zu meistern. Ich muss für mich  manchmal noch herausfinden, welche Rolle ich für die Kinder einnehmen möchte und kann und wie ich mir trotz sprachlicher Hemmnisse eine gewisse Autorität verschaffe. Aber dennoch sind gewisse Tage auch super schön und zufriedenstellend für mich, wenn die Kinder beispielsweise Fortschritte im Lesen und Schreiben machen, wenn sie Bilder für mich malen oder sich in der Tages-Abschlussrunde bedanken, dass ich heute da war.

Bei der Arbeit: (oben) Mit Kuchen feiern wir den Geburtstag der ,,Herbst-Kinder‘‘; (unten) Bildergalerie im Klassenzimmer

Nachmittags  vertreibe ich mir meine freie Zeit mit dem Ausprobieren der lokalen Sportmöglichkeiten (z.B. Schwimmen oder Fitnesskurse). Nachdem Renate und ich beim Büro des Nationaltheaters nachgefragt haben, dürfen wir nun manchmal  abends im dort an der Garderobe oder am Einlass aushelfen. Im Gegenzug dafür dürfen wir dann die Aufführungen des ungarischen oder rumänischen Ensembles anschauen, was ziemlich cool ist. Und so lernen wir neben der Sprache auch andere Theater-interessierte Menschen kennen.
Irgendwo dazwischen gibt es dann Gespräche auf Ungarisch, Englisch, Deutsch, manchmal auch Französisch und Rumänisch, mit all den Menschen, mit denen ich tagtäglich zu tun habe.
Irgendwo dazwischen dann noch Einkaufen, Kochen, Putzen, Bücher lesen, Gitarre spielen und Filme schauen. Also mir wird auf jeden Fall nicht langweilig hier :-).

…und doch so anders

Manchmal, wenn ich routiniert meinen Alltag in der Stadt bestreite, kommt es vor, dass ich tatsächlich vergesse, dass ich mich gerade in Rumänien befinde. Dies liegt sicher daran, dass ich mich inzwischen doch recht gut an die städtische Umgebung hier gewöhnt habe, und all die Dinge, die mir anfangs neu erschienen (z.B. Gasherde, Mini-LKWs als Busse), sind inzwischen für mich alltäglich geworden. Wenn ich früher an rumänische Städte dachte, habe ich klischeehaft erwartet, dass hier augenscheinlich total viel anders sein müsse. Sicher weniger kulturelles Angebot, bestimmt kaum Geschäfte.
Es hat mich anfangs überrascht, dass dem hier in Targu Mures gar nicht so ist.
Und ja, ich habe mich auch im Nachhinein ein wenig schlecht gefühlt, dass ich davon ausgegangen war, in rumänischen Städten sei nichts los. Aber ganz im Gegenteil: Besonders hier in Targu Mures wimmelt es durch die Medizin-Universität in der Innenstadt von Studenten aus aller Welt. Es gibt Bauern-Märkte, viele Cafés, Bars, Parks und fast jedes Wochenende Konzerte, zu denen ich sehr gerne hingehe.

Doch dann, in den kleinen Momenten des Alltags, in denen ich nicht damit rechne, fällt es mir dann doch wieder auf, dass ich mich gerade in einem anderen Land befinde.
Zum Beispiel wenn ich in Lebensmittelläden die größtenteils importierte Ware sehe, allgemein das andere (und im Winter geringere) Angebot an Lebensmitteln, oder dass Süßigkeiten von ,,großen‘‘ Marken hier total anders schmecken.
Außerdem bemerke ich, dass hier noch sehr viel mehr in Plastik verpackt wird als in Deutschland. Dieses Plastik-Problem, was ich natürlich auch in Deutschland hatte und haben werde, kann für jemanden wie mich, die versucht, auf Nachhaltigkeit zu achten, echt eine frustrierende Angelegenheit sein!
Oder wenn ich drei Monate auf mein Weihnachtspaket aus Deutschland warten muss, weil es logistische Probleme beim Lieferanten gibt. Na ja, Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude :-).
Oder wenn mich ein Bankier erstaunt anschaut, als ich 150 Euro in Lei wechseln will, weil er nicht damit rechnet, dass ein junges Mädchen in meinem Alter schon so viel Geld besitzt.
Wenn ich dann noch genauer hinsehe, wirkt es manchmal so, als seien die meisten Autos, Straßenschilder, Werbereklamen und öffentlichen Ämter seit gefühlt 30 Jahren unverändert im Einsatz und ich fühle mich manchmal, als sei ich in einem früheren Jahrzehnt unterwegs oder befinde mich an einer Filmkulisse eines 80er-Jahre-Films :-).
Wenn aus dem nächstgelegenen Café ,,Despacito‘‘ aus dem Radio ertönt, merke ich doch wieder schnell, dass wir bereits 2018 haben.
Oder auch, wenn ich auf Landstraßen unterwegs bin und dann die dörflichere Seite Rumäniens kennenlernen darf, die nochmal viel naturverbundener ist.

Also alles in allem: wieder drei aufwühlende, mich nachdenklich stimmende Monate.
Ich bin gespannt, was die kommenden Monate noch so für mich bereithalten.
Bald ist auch schon das Zwischenseminar, wo ich mich nochmal mit anderen deutschen Freiwilligen austauschen kann.
Ich hoffe, euch hat mein erneuter kleiner Einblick in mein Leben hier in Rumänien gefallen.
Von spannenden Trips in die Natur und von Traditionen der Roma-Kultur erzähle ich euch dann in meinem nächsten Rundbrief.  Bis dahin!

Liebste Grüße aus Rumänien wünscht    

 

Lena 🙂