Uganda: 3. Rundbrief von Lilli Baumhauer

Manchmal kommt alles anders (besser) als erwartet…

In den letzten zwei Monaten habe ich unglaublich viel erlebt und gelernt, über das Leben hier, den Glauben und über mich selbst.

Youth Conference

Begonnen hat die Zeit nach meinem letzten Rundbrief mit der „Youth Conference“ der Diözese Soroti, zu der auch Ococia zählt. In Usuk knapp zwei Stunden mit dem Transporter entfernt, wurde fünf Tage lang unter freiem Himmel gebetet, getanzt und Vorträgen zugehört. Ohne jegliche Ahnung von dem genauen thematischen Inhalt oder Ablauf der Konferenz zu haben, entschied ich mich einfach mitzufahren und zu sehen wie es wohl ist. Das erste, das mir direkt auffiel, war die endlos erscheinende Masse an Teilnehmern. Nicht wie mir angekündigt maximal 1.000 Jugendliche, sondern ganze 6.000 – 7.000 versammelten sich während dieser Woche jeden Tag auf dem sandigen Feld.

Einer der Transporter mit denen wir alle an- und abgereist sind

Grundsätzlich war jeder Tag gleich aufgebaut: Der Tag wurde eingeläutet mit einer Messe und bis zum Abend mit Vorträgen gefüllt. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde entweder (religiöse) Musik gespielt und getanzt oder eine „Adoration“ (dazu später mehr) abgehalten. Es fällt mir sehr schwer die Atmosphäre während der Konferenz anschaulich zu beschreiben, aber es war wirklich beeindruckend mit welcher Überzeugung die meisten Jugendlichen gebetet haben und sich teilweise wie in Trance mit dem Blick in den Himmel zu der Musik bewegten. So beeindruckend ich die Atmosphäre und die spirituellen „Sessions“ bei Sonnenuntergang fand, so sehr haben mich andere Dinge auch verunsichert, überfordert, verärgert oder überrascht. Angefangen mit der anfänglichen Verunsicherung und der Tatsache, dass neben mir nur eine andere „Weiße“ unter der riesigen Menge an Teilnehmern war (eine Freiwillige aus einer anderen Stadt, die ich auf der Konferenz kennengelernt habe). Die ersten zwei Tage habe ich mich von den Blicken und dem Geflüster der anderen Jugendlichen stark verunsichern lassen und nicht so wohl gefühlt einfach frei über das Gelände zu laufen. Die Blicke wurden zwar im Laufe der Tage nicht weniger, jedoch ist es mir immer besser gelungen mich nicht einschüchtern zu lassen und es wie im normalen Alltag und bei Fahrten in Städte erst einmal hinzunehmen. Umso schöner fand ich deshalb aber auch die Messen, bei denen ich auf einmal nicht mehr die Ausländerin war, sondern mich wie ein Teil dieser großen Gemeinschaft fühlen konnte.

Meine zeitweise Überforderung spielte sich bei der ersten so genannten Adoration ab, bei der abends in der Dunkelheit gesungen und gebetet wurde, um Jesus nahe zu sein, beziehungsweise ihn in die Mitte der Versammlung zu rufen. Auch wenn ich vielleicht ehrlich gesagt nicht ganz an die erhoffte Wirkung des Gesangs geglaubt habe, war es doch wunderschön mit tausenden anderen Menschen in der Dunkelheit zu stehen oder zu knien und zu singen oder einfach mal ganz still zu sein und nachzudenken. Die Adoration wurde jedoch schnell unruhig, da einige Jugendliche anfingen zu schreien und sich wie fremdgesteuert einen Weg zum Altar durch die Menschenmenge bahnten. Auch direkt neben mir brach ein Mädchen in Tränen aus und rollte zuckend über den Boden bevor sie plötzlich aufsprang und wild um sich schlagend in Richtung des Altars rannte. Später wurde mir erklärt, dass dieses Verhalten aufgrund von einer Art Dämonen in den betroffenen Menschen auftritt und durch die Gebete und das Heilige Sakrament auf dem Altar ausgelöst wird. Gänzlich überfordert war ich jedoch, als auf einmal Panik in der Menge ausbrach und Leute anfingen wegzulaufen, da sie angeblich ein Licht am Himmel gesehen hatten… Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, was ich von diesen Dingen halten soll, aber ich bin froh die Adoration miterlebt zu haben, da ich so die Geschichten über von Dämonen besessene Menschen etc. zumindest besser nachvollziehen, wenn auch noch nicht wirklich glauben kann.

Nun zu meiner Verärgerung: Grund dafür war ein deutscher Arzt, der einen Vortrag gehalten hat. Wir zwei Freiwilligen waren zwar die einzigen nicht-ugandischen Jugendlichen auf der Konferenz, jedoch kamen drei Redner aus Deutschland, Großbritannien und den USA, die als „große Experten“ angekündigt wurden. Sie hielten Vorträge über ein christliches Familienbild, das ihrer Auffassung nach in Europa  vollständig verloren gegangen ist und über die Evolution. Über die Evolution hat der besagte deutsche Arzt aus Stuttgart referiert und Beweise aufgezählt, warum der Mensch nicht vom Affen abstammt und die Evolution schlichtweg nicht möglich ist. Seinen Vortrag abgeschlossen hat er mit der Aussage „There is no proof for evolution, because evolution simply doesn’t exist“. Nach dem Vortrag war ich unglaublich verärgert darüber, dass ein so genannter Experte seine Meinung mit Hilfe teilweise nicht ganz wahrer Beweise kundtun kann ohne fundiert auf die Argumente der Gegenposition einzugehen (anstatt einfach zu sagen „they are simply wrong“). Besonders weil seine Zuhörer junge Menschen waren, die teilweise noch sehr leicht zu beeinflussen sind.

Zuletzt zu meiner Überraschung, die am Tag der Abreise aufkam. Während der Fahrt und der knapp siebenstündigen Wartezeit auf unser Fahrzeug, habe ich mich mit einigen Leuten über die Konferenz unterhalten und festgestellt, dass viele tatsächlich fest an alles glauben, was ihnen erzählt wurde und was sie gesehen haben, dass eine nicht geringe Anzahl anderer Jugendlicher aber weder an die Hölle glaubt (teilweise auch nicht an den Himmel), noch Zweifel an der Evolution hat. Auf der Rückfahrt wurde sich dann auch groß und breit über die „Fire“-Rufe während der Adoration (sollen Energie zur Bekämpfung der Dämonen bündeln) lustig gemacht…

Mein absolutes, nicht wirklich religiöses Highlight der Konferenz war übrigens das Blutspenden im Schatten eines Mangobaums. Dies ist etwas, das ich auf jeden Fall noch öfter tun möchte!

Weihnachten

Nach meiner Rückkehr von der Youth Conference war dann auch nur noch eine Woche Zeit bis Weihnachten. Vorher stand jedoch erst einmal der Sanct Peter Canisius  Day an, an dem zu Ehren des Heiligen, nachdem die Kirche hier benannt ist, gefeiert wurde. An diesem Tag habe ich auch meine erste Hochzeit miterlebt. Weihnachten wurde dann am 25. und 26. Dezember mit zwei großen Partys gefeiert, bei denen es nicht nur viel zu essen gab, sondern auch sehr lange getanzt wurde… Nachdem mit einer Messe ins neue Jahr hineingefeiert wurde, folgte die nächste Party dann gleich schon am 1. Januar und ich glaube, dass dies einer meiner bisher schönsten Abende in Ococia war. Viele Leute, die in der Nähe des Konvents wohnen, wurden eingeladen und ich konnte mit einigen von ihnen wirklich schöne Gespräche führen und ja, es wurde wieder bis spät in die Nacht getanzt. Doch zurück zum Jahresende. Am 31. Dezember wurde eine Messe abgehalten, die um kurz nach Mitternacht endete. Für mich eine neue Erfahrung. Auch, dass es kein Feuerwerk in der gesamten Umgebung gab, war neu für mich, aber da ich ohnehin kein Fan von Feuerwerken bin, fand ich das sehr angenehm.

Ergänzung zur Religion

Auch wenn das an dieser Stelle nicht ganz hineinpasst, ist es mir wichtig es einmal zu beschreiben: Ich lebe hier in einer vorwiegend christlichen, beziehungsweise katholischen Umgebung und es wird hier nicht viel über andere Religionen gesprochen. Ehrlich gesagt ist es auch schon öfter vorgekommen, dass Leute abfällig vorwiegend vom Islam geredet haben, da diese Religion angeblich Gewalt fördere und Muslime schlechte Charaktereigenschaften hätten. Dies hat mich schon oft auf eine gewisse Weise verärgert, da diese Urteile meist auf Erzählungen aus dem Radio beruhen oder durch nur sehr oberflächliches Wissen über andere Religionen hervorgerufen werden. Nach einer Weile habe ich dann auch fälschlicherweise eine Art Pauschalurteil gefällt und abgespeichert, dass die Christen hier alle islamophob sind. Doch immer wieder sehe ich dann Dörfer, in denen ohne Probleme eine Moschee direkt neben einer Kirche steht oder lerne Menschen kennen, die sehr wohl tolerant sind gegenüber anderen Einstellungen und Religionen (und mit ihren Ansichten vielen Deutschen aus meiner Sicht einiges voraus haben). So lernte ich letztens einen jungen „Seminarian“ (in der Ausbildung zum Priester) kennen, der zu meiner Verwunderung sagte: „The religion doesn´t matter, the heart does“.

Ferienprogramm

Der letzte Monat des Jahres 2017 war also geprägt von Religion und spirituellen Erlebnissen. Der erste Monat des Jahres 2018 jedoch wurde ausgefüllt von schönen Besuchen von Bekannten in ihren Dörfern und Unterricht. Wie bereits am Ende meines letzten Rundbriefs erwähnt, hatte ich die Idee in den Schulferien ein Programm für Schüler aus der Primary School anzubieten, die dieses Jahr in den Examen sehr schlechte Noten hatten.

Da ich den Kindern meine Idee bereits Anfang Dezember vorgestellt hatte und es ganz klar auf freiwilliger Basis stattfinden sollte, habe ich stark bezweifelt, dass am ersten Tag überhaupt Schüler auftauchen würden. Aber da habe ich mich getäuscht. Bereits eine halbe Stunde vor dem angekündigten Beginn warteten fünf Jungs auf mich, im Laufe des Vormittags füllte sich die Klasse auf 17 Schüler. Wir durften freundlicherweise den Klassenraum der Schule für geistig beeinträchtigte Kinder von Truus benutzen, was auch materialtechnisch sehr hilfreich war, da dort Buntstifte und ein Fußball vorhanden sind. Jedoch erschien mir dieser Raum schon am zweiten Tag ziemlich klein, da zu den 17 Schülern vom ersten Tag noch einige hinzukamen, so dass jeden Tag um die 25 bis 29 Kinder anwesend waren.

Aber was haben wir eigentlich die ganze Zeit gemacht?

Jeden Tag von 8.30 bis 11.30 oder 12 Uhr habe ich mit den Kindern sowohl im Klassenraum als auch draußen Zeit verbracht und grundsätzlich versucht mit ihnen einerseits ihr schulisches Wissen zu verbessern und andererseits ihnen Spaß am Lernen zu vermitteln und ihre Kreativität zu entfalten. Das hört sich jetzt alles viel pädagogischer an, als es tatsächlich abgelaufen ist, da ich mir viele Dinge einfach spontan überlegt habe und nicht zu groß darüber nachgedacht habe. Am ersten Tag waren viele Kinder noch sehr zurückhaltend und haben sich nicht getraut mir in die Augen zu schauen, aber im Laufe der Tage haben sie sich sichtlich entspannt und waren weniger zurückhaltend. Zum Glück haben sie dennoch auf das gehört, was ich gesagt habe, da ich schließlich mit den Kindern alleine war. In den zwei Wochen konnte ich tatsächlich auch Lernerfolge feststellen. Von Tag zu Tag wurde bei kreativen Aufgaben mehr gemalt und nach noch mehr Zeit auch Fragen gestellt. Englische Begriffe wurden nach ein paar Mal wiederholen tatsächlich die gesamte Zeit über im Gedächtnis behalten und generell schien es so, als sei das Interesse am Lernen grundsätzlich gestiegen. Inhaltlich haben wir gebastelt (z.B. Papierflieger aus Altpapier um Transportmittel und Maßeinheiten zu verstehen), rechnen geübt, englische Worte nach Themen sortiert und gelernt (Körperteile, Farben, Lebensmittel…), viel aufgeschrieben und buchstabiert und auch Dinge behandelt, die nicht explizit auf dem Schullehrplan stehen wie Planeten oder Kinderrechte (die Planeten oder Kontinente zu lernen hört sich vielleicht nicht unbedingt sinnvoll an, aber bis auf ein Kind hatte noch niemand vorher eine Weltkarte gesehen oder von Astronauten gehört und sie waren einfach sehr interessiert und wollten noch mehr lernen, was ja gerade das ist, was sie im Schulalltag häufig nicht wollen). Das Ganze haben wir durch das Malen von Bildern, Spielen von Memorys, Bewegungsspiele und Lieder (am Ende musste jeden Tag als Abschluss das Lied „head and shoulders, knees and toes“ gesungen werden, sonst wollten die Kinder nicht nach Hause gehen) versucht zu verinnerlichen. Aber auch die klassische Tafel habe ich verwendet.

Lesen üben in der Pause

Insgesamt war ich sehr zufrieden mit den zwei Wochen, da ich nicht nur das Gefühl hatte, dass die Kinder Spaß hatten und etwas gelernt haben, sondern da auch ich selbst total viel Spaß dabei hatte mir immer neue Spiele und Methoden zu überlegen und festgestellt habe, dass unterrichten etwas ist, das mir unglaublich viel Freude bereitet (auch wenn ich immer noch keine Lehrerin werden möchte). Dennoch finde ich es immer noch irgendwie traurig Schüler zu sehen, die so alt sind wie ich oder nur wenige Jahre jünger und die immer noch zur Grundschule gehen und häufig gar nicht lesen können. Wie ich durch dieses Programm ein weiteres Mal feststellen musste, ist Lesen etwas, mit dem viele Leute hier große Probleme haben. In der Gruppe von 29 Schülern, die ich „auf ihre Lesefähigkeiten getestet habe“, konnten nur 9 halbwegs flüssig oder wenigstens gut verständlich lesen, 7 weitere konnten buchstabieren und alle anderen waren gar nicht in der Lage zu lesen (darunter nur zwei Erstklässler, die nach Lehrplan noch gar nicht lesen können müssen). Jedoch frage ich mich auch, wie die Kinder hier lesen lernen sollen, wenn viele Eltern es ihnen nicht zeigen können und noch nicht einmal die Hälfte von ihnen Bücher oder eine Zeitung zu Hause hat. In der Schule in den großen Klassen von bis zu 200 Schülern ist es vermutlich beinahe unmöglich lesen beizubringen.

Die nächsten Wochen

„Fahrradtour“ nach Orungo, um Erdnüsse mahlen zu lassen (nach der Kurve geht es bergauf)

Zurzeit helfe ich wieder jeden Tag im Health Center aus und war bereits einmal im neuen Jahr in CoRSU, da noch Ferien sind. Wenn die Ferien enden, werde ich jedoch nicht in Ococia sein, sondern auf einem Seminar…

Es gäbe wirklich noch unglaublich viele Dinge aus den letzten zwei Monaten zu erzählen, aber ich muss mich an die maximale Seitenanzahl des Rundbriefes halten!

Von daher alles Gute für das nicht mehr ganz so neue Jahr 2018 und bis zum nächsten Mal.

Lilli