Ruanda: 2. Rundbrief von Adrian Wirtz

Mögen Engel dich begleiten auf dem Weg, der vor dir liegt…

In den vergangenen Monaten seit meinem ersten Rundbrief musste ich immer wieder an das Lied „Mögen Engel dich begleiten“ denken. Ich weiß selber gar nicht mehr genau, was der Auslöser dafür war. Was ich aber weiß, ist, dass in den letzten drei Monaten sehr viel passiert ist und ich begleitet wurde.

…ihre Worte wolln erhellen, jeden Tag und jede Nacht…

Direkt nach dem Erscheinen meines ersten Rundbriefs wurde ich von meiner Organisation mit dem Thema „Rückflug buchen“ konfrontiert. Gar nicht so einfach wenn man bedenkt, dass man gerade erst drei Monate da ist, sich eigentlich noch mitten im Einleben befindet und dann schon seinen Rückflug buchen soll.

Ich kam aber auch sehr schnell wieder auf andere Gedanken. Das lag vor allem daran, dass die Delegation um den rheinlandpfälzischen Innenminister für eine Woche nach Ruanda kam. Mit dabei war auch ein Bekannter von mir, der als Personenschützer des Ministers fungierte. Diese brachten mir, von meinem Fußballverein in Deutschland gesponsorte, Trikotsätze für die von mir trainierten Mannschaften mit. Die Freude der Kinder darüber war riesengroß und die neuen Trikots wurden während eines extra dafür organisierten Freundschaftsspiels feierlich eingewiehen.

Trikotübergabe
Warmmachen wie die Profis

 

 

 

Aber auch das Training klappt immer besser und macht mir auch immer mehr Freude. Das liegt zum einen daran, dass mich die Kinder jetzt kennen und sich an mich gewöhnt haben. Zum anderen aber auch daran, dass ich mittlerweile ein wenig mehr Kinyarwanda, die Sprache der Einwohner Ruandas, verstehe. Das Sprechen hingegen fällt mir nach wie vor eher schwer. Eine Besonderheit vor jedem Fußballspiel hier ist, dass  die Spieler dem Schiedsrichter die Fingernägel zeigen müssen. Falls diese zu lang sind und der Schiedsrichter der Meinung ist, dass ein Verletzungsrisiko bestehe, müssen diese umgehend geschnitten werden. Im Moment aber befinden wir uns mit den Mannschaften in der Vorbereitung auf die neue Saison, die am 03.02.18 beginnt.

…ihre Füße wirst du sehen in den Spuren neben dir….

Der Versuch eines Handstands

Mitte Oktober nutzte ich dann zum ersten mal die Chance um eine ganze Woche zu verreisen. Es ging nach Nyarurema, den Nord-Osten Ruandas. Dort besuchte ich meinen Mitfreiwilligen Lukas und traf auch auf Claire, deren Geburtstag wir dort feierten. Außerdem machten wir eine tolle Wanderung mit traumhaftem Ausblick über das sehr hügelige

Wanderung mit Lukas

und vor allem grüne Ruanda. Ich lernte das teils sehr einfache Leben auf dem Land noch besser kennen und genoss es abends der Natur zu lauschen und keine Motorengeräuche zu hören.

 

 

Als ich nach einer Woche zurückkam, neigte sich das Schuljahr dann endgültig dem Ende zu. Alle Schüler verließen die Schule für zwei bis vier Wochen, um ihre verpflichtenden Praktika zu absolvieren. Dies hieß für mich, dass ich, bis die Schüler zurückkommen um ihre Examina zu schreiben, viel Zeit hatte. Dies hieß aber auch, dass es viel Chaos gab, da keiner so genau wusste, wann wer jetzt eigentlich in der Schule ist oder nicht. Manchmal standen Schüler vor einem Klassenraum aber der Lehrer kam nicht. Andersherum passierte dies genauso. Diese Zeit nutzte ich zum gelegentlichen Helfen in der Schreinerei, um keine zu große Langeweile aufkommen zu lassen.

Tische und Stühle für den Kindergarten

Vor allem aber nutzten Dominique Poly, einer der Schuldirektoren, und ich die Zeit um zwei anstehende Projekte endgültig ans Laufen zu bringen. Im ersten Projekt geht es um die Erweiterung des Computerlabors. Dort soll jetzt die Anzahl der Schülercomputer von neun auf 20 aufgestockt werden, da wir ab dem neuen Schuljahr, welches am 21.01.18 begonnen hat, eine neue Computerklasse haben. Zudem ist es der Produktivität der anderen Klassen zuträglich, da bisher meist drei Schüler an einem Computer sitzen mussten. Dieses Projekt ist mittlerweile fortgeschritten und wir alle hoffen, dass die beauftragte Firma die Installation im Laufe der nächsten Woche abschließen kann. Das andere Projekt bezieht sich auf den Brandschutz. Es sollen Feuerlöscher für alle Gebäude des Centres angeschafft werden, da es bisher leider keinerlei Brandschutzmaßnahmen gibt. Die Ausführung des Projektes soll sich an die Fertigstellung des Computerlabor-Projekts anschließen. Um Gelder für diese Projekte zu aquirieren, mussten wir Angebote einholen und Projektbeschreibungen schreiben. Das alles war für mich eine ganz neue Erfahrung, die mir aber sehr viel Freude bereitet hat.

…Flügel müssen sie nicht haben, nur ein freundliches Gesicht…

Eines Mittags Ende Oktober herrschte dann auf einmal bei allen in der Gemeinschaft des Centres sehr gute Laune. Grund: Vilko war wieder da. Wer sich noch an meinen ersten Rundbrief erinnert weiß noch, dass Vilko alias Karabaye ein slovenischer Schreiner ist, der seit mehr als 30 Jahren in Afrika lebt. Da es ihm in Slovenien zu langweilig war, kam er nach eineinhalb Monaten wieder zurück nach Kigali.

Bevor ich zu der eher nicht so schönen Phase meines Freiwilligendienstes komme, möchte ich noch über zwei Themen sprechen:

Als Weißer (umuzungu) kommt es sehr oft vor, dass man auf der Straße, meist von Kindern, angebettelt wird. Das ist ein komisches Gefühl, denn insgeheim weiß ich, dass ich eigentlich genug Geld habe. Nur zum Vergleich: Ich bekomme im Monat 100Euro Taschengeld. Ein Lehrer auf dem Land verdient circa 80Euro im Monat und muss damit seine Familie versorgen. Manchmal laufen die Kinder mir mehrere 100 Meter hinterher und fragen immer wieder. Was soll ich machen? Soll ich ihnen 100Ruandafranc (10 cent) geben? Diese Frage ist, wie ich finde, sehr schwer zu beantworten. Das liegt vor allem daran, dass ich weiß, dass viele Kinder von ihren Eltern losgeschickt werden, um zu betteln. Wenn sie dann das Geld nach Hause bringen, wird dieses allerdings oft nicht zum Kauf von Nahrungsmitteln verwendet, sondern für Dinge von denen die Kinder garnicht haben. Andererseits möchte ich das Klischee des reichen Weißen nicht raushängen lassen. Ihr seht, man befindet sich sehr schnell in einem Zwiespalt, wie man mit dem Geld, welches einem zur Verfügung gestellt wird umgehen soll und wie man auf die Menschen, die einen anbetteln, reagiert. Ich bin dazu übergegangen, den Kindern die mich hartnäckig anbetteln, im nächsten kleinen Laden ein „Amandazi“, kleines Hefegebäck, zu kaufen und mit ihnen zusammen zu essen. Denn so weiß ich wenigstens, dass das Kind auch wirklich was davon hat.

Das zweite Thema ist die Umstellung meiner Essgewohnheiten. Wenn ich in Deutschland zwischendurch Hunger hatte, habe ich einen Apfel, ein Stück Brot oder ein Stück Käse gegessen. Das habe ich mir hier mitlerweile komplett abgewöhnt und esse nur noch zu fest geregelten Zeiten drei mal am Tag. Morgens um 6:45 Uhr Frühstück, mittags um 12:15 Uhr Mittagessen und abends um 19:00 Uhr Abendbrot. Dazu muss man allerdings sagen, dass bei den Priestern mittags und abends warm gegessen wird und es immer reichlich Kohlenhydrate sowie eine Suppe als Vorspeise gibt. Alles in allem hat diese Umstellung gut und schnell geklappt. Das hat aber auch viel damit zu tun, dass ich durch die Versorgung der Priester, in Sachen Essen zu den Priviligierten gehöre.

…ihre Hände werden halten, wenn ins Stolpern du gerätst…

Jetzt aber zu dem wie angekündigt nicht so schönen Teil meines Freiwilligendienstes: Wenn man diese Zeit also mit dem Wort Krise beschreibt, hat man damit sowohl Recht als auch Unrecht.                                                                                                                                                       Anfang November wachte ich morgens auf und hatte extreme Rückenschmerzen. Dies führte teilweise dazu, dass ich mich nachmittags eine Stunde mit dem Rücken auf den Boden legen musste, damit die Schmerzen wieder nachließen. Nach eineinhalb Wochen Rückenschmerzen besuchte ich dann einen Arzt. Ich wurde geröntgt und mir wurde mit strahlendem Gesicht mitgeteilt, dass ich mich freuen solle, da man auf dem Röntenbild nichts sehe und ich somit auch nichts hätte. In den folgenden Tagen und Wochen bis nach Weihnachten besuchte ich insgesamt 6 verschiedene Ärzte, machte Physiotherapie und probierte Diverses. Doch nichts half, niemand konnte mir sagen, was ich hatte und was meine Schmerzen verusachte. Langsam verlor ich den Glauben an die Ärzte. Nach einiger Zeit wurde es zwar ein wenig besser. Sobald ich aber über einen längeren Zeitraum aktiv war kamen die Schmerzen zurück. Als dann direkt zu Beginn des neuen Jahres noch starke Zahnschmerzen durch meine Weisheitszähne hinzukamen, nahm ich zu meiner Organisation und meiner Versicherung Kontakt auf. Dann ging alles ganz schnell. Zwei Tage nach meinem Anruf war ich auch schon in Deutschland, da die Versicherung der Meinung war, dass man jetzt schnell eine Lösung finde müsse.  Insgesamt zweieinhalb Wochen verbrachte ich in Deutschland. In der ersten Woche eilte ich von Arzt zu Arzt. Meinem Rücken konnte durch Einrenken geholfen werden, da sich ein Muskel und ein Nerv eingeklemmt hatten. Meine Weisheitszähne wurden gezogen und so bin ich mittlerweile wieder in Ruanda. Seitdem ich wieder hier bin, mache jeden Tag Übungen um meine Rückenmuskulatur zu stärken, damit mir mein Rücken nicht nochmal Probleme bereitet.

…Du sollst nicht alleine gehen, wir sind alle für dich da…

Bei meiner erneuten Ankunft im „Centre des jeunes“ wurde ich genauso herzlich und freundlich von allen Lehrern, Priestern, Trainern und Schülern empfangen, wie im Juli als ich hier angefangen habe.

Mensch ärger dich nicht spielen mit den Internatsschülern
Hier keine Seltenheit: Kühe als Zuschauer während des  Fußballtrainings

Trotz meiner gesundheitlichen Probleme war die Zeit von November bis Januar nicht nur schlimm. Es gab auch viele schöne Tage und Momente, mit denen ich mich ablenkte. Vor allem das Fußballtraining, was ich weiterhin leitete, half mir sehr. Auch die vielen lachenden Gesichter und kurzen Unterhaltungen auf der Straße. Andere schöne Erfahrungen waren der Geburtstag von Claudine, einer Freundin in Ruanda, das Plätzchenbacken mit anderen Freiwilligen, das Tischtennisspielen mit den Internatsschülern, die Freiwilligenparty, welche von der deutschen Botschaft organisiert wurde, und und und…

Mehlschlacht beim Plätzchen backen
Geburtstag von Claudine

Besonders beeindruckend war der Besuch in einem Physiotherapiezentrum für Kinder. In diesem Zentrum arbeiteten Lea und Laura, zwei Physiotherapeutinnen aus Deutschland, für sechs Wochen. Gegründet wurde das Zentrum 2009 von Christine, die das Zentrum bis heute ehrenamtlich leitet. Die Kinder, die meist durch den Alkoholkonsum ihrer Mütter während der Schwangerschaft behindert sind, werden von Christine dreimal pro Woche umsonst behandelt. Christine erzählte uns, dass die meisten Mütter während der Schwangerschaft Alkohol tranken, da sie versuchten das ungeborene Kind zu töten. Meist lag und liegt das bis heute daran, dass das Kind unehelich ist und die Mütter danach gesellschaftlich gar keine Chancen mehr haben.

Hoppe hoppe Reiter… spielen mit Kindern im Physiotherapiezentrum

Außerdem ist Abtreibung in Ruanda verboten, sodass die meisten Frauen keine andere Möglichkeit mehr sahen und sehen. Aber auch Kinder, die nicht durch die Schwangerschaft behindert sind, werden von Christine behandelt. Klumpfüße, Kinder die durch Unfälle beeinträchtigt sind und viele andere Beeinträchtigungen werden ebenso behandelt. Den ganzen Tag über spielten wir mit den Kindern, die gerade nicht behandelt wurden, machten Stockbrot mit ihnen (Abschiedsgeschenk von Laura und Lea), lachten und sangen.                                                                                                                                                                                    Auch Weihnachten, welches ich mit drei anderen Freiwilligen bei mir zuhause verbrachte, war sehr schön. Wir kochten typisch deutsch (Käsespätzle, Rothkohl, Braten mit Kräuterkruste und selbstgemachtes Eis), sangen, spielten und hatten sogar einen Laubbaum als Weihnachtsbaum. Dieser stank allerdings leider nach zwei Tagen so entsätzlich, dass wir ihn rauswerfen mussten.

Feli, Neele und Merle unterm Weihnachtsbaum

Weihnachten in Ruanda wird anders gefeiert als in Deutschland. Hier ist nur der 25.12. ein richtiger Feiertag und es wird nur klein gefeiert. Die Plastikindustrie boomt allerdings zu dieser Jahreszeit in Ruanda, obwohl Plastik in Ruanda eigentlich verboten ist. Egal wie klein das Geschäft war, dass ich betreten habe, überall Weihnachtsdekoration aus Plastik. Es gab sogar 5 Meter hohe Plastiktannenbäume, die man für umgerechnet 500 Euro erwerben konnte. Besonders aufgefallen ist mir, dass wir in Deutschland/Europa versuchen unsere eigene Kultur zu bewahren, während man in Ruanda versucht sich der europäischen Kultur anzunähern.

Silvester
Supermärkte in der Adventszeit

Silvester verbrachte ich in meiner Einsatzstelle zusammen mit den Priestern, Vilko und Rita. Rita ist Belgierin, seit über 25 Jahren in Ruanda und sowas wie die gute Seele des Hauses. Nach einem Essen mit allen Mitgliedern der ruandischen Don Bosco-Einrichtungen, verbrachten wir den Abend bei Knabberzeug, Spielen und Unterhaltungen. Pünktlich um Mitternacht konnten wir dann vom Centre aus das Feuerwerk am Conventioncenter sehen. Pünktlich um zwölf Uhr ruandische Zeit sendete ich dann auch Neujahrswünsche nach Deutschland. Von dort bekam ich unter anderem zu hören, dass man ja hier noch eine Stunde warten müsse oder dass ich mal wieder meiner Zeit voraus sei;).

Mittlerweile erfreue ich mich wieder des ziemlich guten Wetters in Ruanda und genieße die Zeit hier. Die Schule läuft jetzt auch wieder an, sodass ich wieder mehr eingespannt bin. Besonders begeistert sind die Priester davon, dass ich meine Trompete jetzt mitgebracht habe, da dieses Instrument den Meisten nicht bekannt war und sie den Klang sehr mögen.

Da ich nun wieder weitestgehend hergestellt bin, freue ich mich sehr auf die zweite Hälfte meines Freiwilligendienstes und kann nur sagen:                                                                                 Mögen Engel dich begleiten auf dem Weg, der vor dir liegt.                                                          Mögen sie dir immer zeigen, dass dich Gott unendlich liebt.