Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Familie,
liebe Unterstützerinnen und Unterstützer!
Kaum zu glauben, dass seit meinem letzten Rundbrief schon zwei Monate vergangen sind. Im Dezember und Januar ist viel passiert und die Zeit ist schneller vergangen, als ich es mir gewünscht hätte. In Pedro II war Pfarrfest, ich habe Weihnachten und Sylvester in Brasilien erlebt, bin mit meinem Gastvater nach Rio de Janeiro gereist und war in Salvador beim Zwischenseminar. Außerdem waren Schulferien und im Januar hat die Regenzeit angefangen.
Bevor ich anfange meine Erfahrungen und Eindrücke der letzten Zeit aufzuschreiben, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich hier nur meine subjektive Sicht wiedergeben kann und meine Erfahrungen und Eindrücke nicht verallgemeinert werden dürfen. Beim Schreiben dieses Rundbriefes ist es mir wieder besonders aufgefallen, wie schwierig es ist, so zu formulieren, dass keine falschen oder unvollständigen Bilder entstehen.
Meine Arbeit während der Schulferien
In den letzten beiden Monaten waren sowohl im Kindergarten, als auch in der Ökoschule Ferien. Daher sahen meine Tätigkeit für Mandacaru anders, aber nicht weniger vielseitig, aus. Ich habe die Abschlussfeiern im Kindergarten und in der Ökoschule begleitet, bei der jährlichen Evaluations- und Planungswoche von Mandacaru mitgeholfen, mich zusammen mit den Landwirtschaftslehrern um den Garten der Ökoschule gekümmert (in den Ferien fehlt dort spürbar die Hilfe der Schülerinnen und Schüler), beim Umzug des Kindergartens geholfen und verschiedene Briefe und andere Texte für Mandacaru übersetzt.

Regenzeit und Regenpropheten
Mittlerweile hat auch hier in Pedro II die Regenzeit begonnen. Die Bäume und Sträucher, die in den vergangenen Monaten kein Laub hatten und mir trocken und tot erschienen, sind jetzt grün und lebendig. Die Natur scheint aufgewacht zu sein. Bei jedem Regen sehe ich meinen Freunden und Kollegen die Freude darüber an.
Mitte Januar fand ein von Mandacaru initiiertes Treffen von sogenannten Regenpropheten statt. Regenpropheten sind in der Regel Landwirtinnen und Landwirte, die sich darin verstehen, anhand von Zeichen in der Natur darüber Vorhersagen zu treffen, wann und wie viel es regnen wird. Das Treffen soll zum einen den Erfahrungsschatz dieser Menschen wertschätzen und durch den Austausch bewahren helfen und zum anderen einen Ausblick auf die beginnende Regenzeit geben. Aus moderner wissenschaftlicher Sicht kann die Genauigkeit und Aussagekräftigkeit solcher Wettervorhersagen angezweifelt werden. Es hat sich in der Vergangenheit jedoch gezeigt, dass die Vorhersagen oft zutrafen, wie mir erzählt wurde. Ich halte es für wichtig, dass der Erfahrungsschatz der Menschen bewahrt wird. Besonders junge Menschen haben, selbst wenn sie vom Land kommen, oft keinen großen Naturbezug mehr. Es besteht die Gefahr, dass Jahrhunderte altes und stets mündlich weitergegebenes Erfahrungswissen über die Natur der Region verlorengeht.

Zum Thema Wasser gibt es noch eine gute Nachricht: Das Wasserwerk hat neue Brunnen in Betrieb genommen, so dass es wieder mehr Leitungswasser in der Stadt gibt. Seit Mitte Januar bekommt auch das Haus meiner Gastfamilie wieder Wasser. Ich habe schnell gemerkt, dass dies dazu verführt, mehr Wasser zu verbrauchen. Ich bemühe mich trotzdem weiterhin, sparsam mit dem Wasser umzugehen und nicht zu vergessen, wie es war, jeden Tag Wasser von Hand holen zu müssen.
Landflucht
Binnenmigration gab es in der Geschichte Brasiliens häufig. Zurzeit ist ein beliebtes Migrationsziel vieler Menschen aus dem ländlichen Nordosten die Millionenstadt São Paulo im Süden des Landes. Viele Jugendliche wandern nach Beendigung der Schule dorthin aus, um in Restaurants oder Hotels zu arbeiten und Geld zu verdienen. Sie hoffen dort ein besseres Leben führen zu können. Das kann ich auch in Pedro II beobachten. Viele junge Menschen sind arbeitslos. Da entsprechend hoch die Nachfrage nach Arbeitsplätzen ist, sind die Löhne sehr niedrig. Oft steht zwar auf dem Papier der Mindestlohn (aktuell 954,- Reais pro Monat, umgerechnet etwa 240 Euro) aber ausgezahlt wird häufig deutlich weniger.
Ein Ziel der Arbeit von Mandacaru ist es, diesem Migrationsprozess entgegenzuwirken und das Leben auf dem Land hier im Nordosten lebenswerter zu machen. Die Schülerinnen und Schüler der Ökoschule sollen lernen, sich und ihre ländliche Herkunft wertzuschätzen und nicht dem Gedanken zu verfallen, ein Leben in der Stadt sei an sich mehr wert, als auf dem Land. Auch der Bereich „Agricultura Familiar“ unterstützt dieses Ziel. Die Kleinbauernfamilien werden darin unterstützt, mit ökologischen Anbaumethoden, wie Halbschattengärten oder Dauerfeldern, ihr Einkommen zu verbessern. Mandacaru will den Menschen ein gutes Leben in der Halbtrockenzone ermöglichen und verhindern, dass sie in Großstädte wie Rio de Janeiro, São Paulo oder Brasília auswandern müssen.
Rio de Janeiro – ein anderes Brasilien
Ende Dezember hatte ich die Möglichkeit, mit meinem Gastvater Valmir zusammen nach Rio de Janeiro zu reisen. Ich empfand es als eine sehr schöne Möglichkeit, zusammen mit ihm unterwegs zu sein. Vor allem da er mit seinem kulturellen Hintergrund vieles anders wahrnahm, als ich, und ihm Dinge auffielen, die mir sonst anders oder gar nicht aufgefallen wären.

Valmir stammt aus der kleinen comunidade „Palmeiras dos Soares“, etwa eine Stunde Autofahrt von Pedro II entfernt. Viele Menschen sind von dort im Laufe der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nach Rio de Janeiro ausgewandert. Unter den Auswanderern sind auch zahlreiche Freunde/Freundinnen und Verwandte von Valmir. Da die Reise nach Rio de Janeiro beziehungsweise von dort nach Piauí, ob mit Fernbus oder Flugzeug sehr teuer ist, sehen sich die Menschen nur sehr selten. Viele seiner Cousins und die Söhne seines Bruders hat Valmir bei dieser Reise sogar zum ersten Mal getroffen. Es war auch seine erste Reise nach Rio de Janeiro.
Wir haben viele Verwandte besucht aber auch den touristischen Teil der Stadt kennengelernt. Wir waren unter anderem im Museum do Amanhã, im Stadtzentrum, an der Copa Cabana und im Tijuka-Nationalpark. Mir hat die Stadt gefallen, landschaftlich liegt sie wunderschön im tropischen Klima eingebettet und umgeben von hohen Bergen am Meer.
Andererseits sind soziale, wirtschaftliche und politische Probleme nicht zu übersehen. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind sehr groß. Viele Menschen leben unter schwierigen Bedingungen, besonders in den ärmeren Stadtteilen, den sogenannten Favelas.
Favelas
Es ist schwierig, allgemein von Favelas in Rio de Janeiro zu reden, denn davon gibt es sehr viele und diese sind in sich sehr verschieden. Sie entwickelten und entwickeln sich sehr unterschiedlich.

Viele von Valmirs Verwandten leben in der Favela „Rio das Pedras“. Wir haben dort viel Zeit verbracht und so durfte ich diesen Stadtteil und seine Menschen kennenlernen. Dort leben nahezu ausschließlich Menschen aus dem Nordosten Brasiliens. Dies wirkt sich auch auf die Kultur aus. Zum Beispiel spielen die Bars dort viel „Forró“, eine beliebte Musikrichtung aus dem Nordosten.
Es ist laut – überall scheint Musik gespielt zu werden. Viele Menschen sind in Rio das Pedras in den Straßen unterwegs. Die Wohnungen sind oft sehr klein und im Sommer zudem sehr heiß, so dass sich ein Großteil des Lebens draußen abspielt, also unten in den engen Straßen und Gassen. Es gibt dort Restaurants, Bäckereien, Supermärkte, Klamottenläden, Banken und alles was man sonst braucht. Die Menschen sind zu Fuß unterwegs. Nur wenige besitzen ein Auto oder einen Motorroller. Um aus dem Stadtteil herauszukommen kann man den Bus nehmen, der etwa eine Stunde bis ins Zentrum der Stadt braucht. Erholung finden die Menschen auf den Dachterrassen ihrer schmalen aber oft umso höher gebauten Häuser. Besonders schön fand ich es, am Neujahrstag auf einer Dachterrasse gemeinsam mit Valmirs Verwandten zu grillen und zu feiern. Die Menschen dort haben mir gezeigt, dass in Rio das Pedras trotz zahlreicher sozialer Probleme ein gutes Leben möglich ist.
Salvador
Nach meiner Rückkehr aus Rio de Janeiro, war ich etwa zwei Wochen in Pedro II. In dieser Zeit habe ich hauptsächlich Übersetzungsarbeiten für Mandacaru gemacht (Dankschreiben und Berichte für Spenderinnen und Spender aus Deutschland). Danach ging es auch schon los, zum Zwischenseminar nach Salvador.
Gemeinsam mit den anderen beiden SoFiA-Freiwilligen in Brasilien, Angela und Kim, verbrachte ich vor Seminarbeginn schon eine Woche in Salvador. Trotz der 3 Millionen Einwohner kam mir die Stadt nach den Eindrücken aus Rio de Janeiro fast klein und überschaubar vor. Als ehemaliges Zentrum des Sklavenhandels, lebt die größte afrikanisch-stämmige Stadtbevölkerung außerhalb Afrikas in Salvador. Diesen kulturellen Hintergrund konnte man in der Stadt wahrnehmen. Salvador hat eine ganz besondere Atmosphäre.
Mit insgesamt zehn Freiwilligen und zwei Teamerinnen aus Deutschland fing Ende Januar das einwöchige Zwischenseminar in Salvador an. Das Haus, in dem wir untergebracht waren, lag direkt am Meer, so dass wir neben den inhaltlichen Einheiten viel unserer freien Zeit am Strand verbringen konnten. Die sieben anderen Freiwilligen kamen aus anderen Teilen Brasiliens, den Staaten Pará und Espírito Santo. Gerade dadurch war es besonders spannend, sich auszutauschen. Das Programm durften wir selber erstellen, wodurch wir Themen behandelten, mit denen ich mich auch viel in meinem Alltag beschäftige. So gab es beispielsweise eine Auffrischung aus der Vorbereitung zu Interkultureller Kommunikation, Rassismus („Schwarz sein/Weiß sein“) und Kolonialisierung. Auch haben wir das erste halbe Jahr reflektiert und uns Vorsätze für die zweite Hälfte unseres Dienstes gemacht. Gemeinsam stellten wir fest, dass wir bisher zum einen viele ähnliche, aber auch viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben.

Halbzeit
Nun befinde ich mich schon in der zweiten Hälfte meines Freiwilligendienstes und habe Angst, dass diese zweite Hälfte noch schneller vergeht, als die erste. Der Gedanke, dass ich schon in sechs Monaten wieder zurück nach Deutschland fliegen soll, erscheint mir sehr befremdlich. Daran merke ich, wie wohl ich mich hier mittlerweile fühle.
Ich freue mich auf den Beginn des neuen Schuljahres und die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern. Bis zu den Ferien im Juli bekomme ich in der Ökoschule einen Bereich des praktischen Landwirtschaftsunterrichts fest zugeteilt – voraussichtlich die Hühnerhaltung. Damit habe ich dort eine feste Aufgabe für die kommenden Monate, was ich mir gewünscht hatte.
Viele Grüße aus Pedro II
Max