Indien: 2. Rundbrief von Judith Weißenfels

வணககம(vanakam)- Guten Tag,

Es ist Halbzeit, etwas mehr als 6 Monate sind seit meiner Ausreise vergangen und für mich scheint die Zeit hier in Indien zu rennen. Manchmal habe ich das Gefühl, gerade erst in Indien angekommen zu sein, weil ich immer noch so unglaublich viel nicht verstehe. Gleichzeitig habe ich aber auch schon so viel erlebt, geschafft und begriffen. Es ist ein bisschen paradox. Cowdalli, das Pfarrhaus und mein Zimmer sind für mich mein zweites zu Hause geworden. In den letzten drei Monaten ist unglaublich viel passiert, viel zu viel um es in einen Rundbrief zu packen.


Vom Käsebrot zu Reis mit Curry

Das Essen hier in Indien ist unglaublich lecker, aber auch ziemlich scharf. Damit hatte ich am Anfang so meine Probleme, aber (wie fast alles) wurde es mit der Zeit besser. Inzwischen habe ich nur noch manchmal das Gefühl, mein Mund würde in Flammen stehen.

Bei mir gibt es sehr viel Reis, vergleichbar mit unserem Brotkonsum in Deutschland. Dazu gibt es immer eine Art Soße, genannt „Sambaru“, die aus den unterschiedlichsten Gemüsesorten,Knoblauch, Chili, vielen Gewürzen und Wasser besteht. Am Wochenende oder Feiertagen gibt es auch mal Fleisch. Bernadette (die Köchin des Fathers) kocht jeden Tag frisch ein anderes Sambaru. Das ist im Grunde genommen mein Mittag- und Abendessen.

Morgens gibt es auch warmes Frühstück, aber andere Dinge. Zum Beispiel Iddli (besteht aus Reismehl und ist ein wenig mit einem sehr dicken Pancake vergleichbar) oder Chapatie (eine Art Pfannkuchen). Dazu gibt es dann oft ein Chutney, sehr gerne mag ich Tomaten- oder Kokosnusschutney. Generell wird bei uns sehr viel mit Kokosnuss gewürzt, was ich inzwischen sehr lecker finde.

Chapatie mit Chutney, Sambaru und Spinat

Typisch für meinen Bundesstaat Karnataka gibt es bei uns einen ,,Ball“ zum Essen. Er besteht aus einer speziellen Art Mehl und Wasser. Das Aussehen hat mich zunächst etwas abgeschreckt, aber es schmeckt sehr lecker und soll gesund sein. Grade Feldarbeiter essen das sehr häufig, weil es wohl viel Kraft gibt.
Mit Bernadette als Köchin habe ich großes Glück, weil sie sehr gut kochen kann und sich lieb um mich kümmert.

Der ‚Ball‘ mit einem Hühnchen Curry

Wenn wir dann (sehr selten) doch etwas in einem nahegelegenen Restaurant holen, schmeckt es mir nicht so sonderlich gut, weil Bernadettes Essen einfach viel frischer und leckerer ist.

Entgegen des weitläufigen Gerüchts in Indien wäre Daal ein Hauptnahrungsmittel, gibt es bei mir sehr wenig Daal. Es gibt bei mir nur ein Daal-Sambaru, und das ist auch nicht breiartig, sondern eher wie eine klare Soße. Im Norden habe ich das aber anders erlebt, da gab es immer zum Abendessen das gleiche Daal-Sambaru, was aber nicht mit unseren Sambarus im Süden vergleichbar ist, da es viel dickflüssiger und, meiner Meinung nach, nicht so lecker und abwechslungsreich ist.

Ein Spiel für die Schüler am Childrens Day

Und noch ein kleines bisschen mehr von indischen Feiertagen..

Wie ich in meinem ersten Rundbrief schon erzählt habe, gibt es in Indien sehr viele Feiertage. Zu viele, um von jedem zu berichten, ich möchte euch aber vom Childrens day erzählen. Dieser wird in Indien am 14. November gefeiert, dem Geburtstag des ersten indischen Prime Ministers nach der Unabhängigkeit. Er hat sich sehr für Kinder und ihre Bildung eingesetzt und deshalb wurde der Tag auf seinen Geburtstag gelegt.
Für die Kinder gab es ein Programm in der Schule mit Spielen, ein paar Tänzen und für jedes Kind gab es Süßigkeiten. Es war eine ausgelassene Feier und danach haben alle zusammen, Lehrer und Schüler, auf dem Schulhof gegessen.

Ein Spiel für die Schüler am Childrens Day

Einen Tag vorher hat es sich irgendwie ergeben, dass ich mit ein paar Lehrerinnen einen Tanz aufführen würde, was mich in leichten Stress versetzt hat. In der letzten Unterrichtsstunde des Tages habe ich versucht die Schritte zu lernen, wobei ich natürlich ziemlich gescheitert bin und nach der Schule wurde noch schnell ein Sari gekauft, weil alle den gleichen tragen sollten. Ein Video von unserem Auftritt möchte ich euch gerne ersparen, denn ich war wirklich schlecht. Die Kinder und auch die anderen Lehrer haben sich aber total gefreut, dass ich es versucht habe und ich habe ziemlich viele Komplimente fürs Tanzen bekommen, die ich aber nicht mehr so ganz ernst nehmen konnte, nachdem ich das Video gesehen hatte. Nichts desto trotz hatte ich total Spaß, auch wenn ich so schnell nicht mehr tanzen werde, denn ein wenig peinlich war es schon.

Zwei Lehrerinnen und ich vor unserem Tanz

,,Wish you happy Christmas 2017“

Ich muss gestehen, ich hatte ein wenig Angst vor Weihnachten in Indien, denn ich fürchtete, in dieser Zeit Heimweh zu bekommen, aber davon blieb ich glücklicherweise verschont und hatte wirkliche schöne Feiertage. Weihnachtsstimmung kam bei mir lange nicht auf, das verhinderten 30 Grad und die fehlende kitischige Vorweihnachtsbeleuchtung, die man in Deutschland so oft sieht. Ein paar Tage vor Weihnachten wurde dann aber die Kirche und der Glockenturm geschmückt und dann begann ich erst richtig an Weihnachten zu denken. Der 24. war erstmal ein normaler Tag, bis es dann um Mitternacht eine Messe gab, ich habe danach noch ewig lange mit zwei Lehrern der Schule und dem Sohn der Köchin zusammengesessen und gequatscht. Das würde ich eigentlich als mein schönstes Weihnachtserlebnis beschreiben, denn ich merke immer mehr, wie integriert ich bin. Am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag habe ich zwei Lehrerinnen besucht und Weihnachten einfach mal so ganz anders gefeiert als in Deutschland.

Die geschmückte Kirche

Das Zwischenseminar – Einmal quer durch Indien

Ein paar Tage nach Weihnachten stand für mich schon die Reise zum Zwischenseminar in den Norden an. Silvester verbrachte ich mit meinen Mitfreiwilligen in Chennai (einer Großstadt an der Ostküste Thamil Nadus), von wo aus auch unser Zug abfahren sollte. Silvester war wirklich ein sehr schönes Erlebnis und gar nicht sehr anders als in Deutschland. Um Mitternacht wurden viele Feuerwerkskörper gezündet und wir konnten von einem Berg aus über die ganze Stadt schauen und das Feuerwerk bewundern.
Am Tag der Abreise wurde bei einer meiner Mitfreiwilligen, Klara, Dengue-Fieber diagnostiziert und wir verpassten unseren Zug. Da das der einzig mögliche Zug war, bin ich dann, zusammen mit meiner Mitfreiwilligen Madita, geflogen. Es war ein komisches Gefühl wieder zusammen an einem Flughafen zu stehen, da wir auch zusammen angereist sind und erst zur Abreise wieder an einem Flughafen stehen wollten.

Das Zwischenseminar in Udaipur hat mir gut getan. Es war schön, Freiwillige aus ganz anderen Teilen Indiens kennen zu lernen (zum Beispiel aus dem Himalaya) und sich über unsere Erfahrungen und Probleme auszutauschen. Im Norden war es für mich sonnenverwöhnte Südinderin recht kalt und ich habe mir teilweise meine Deutsche Winterjacke hergesehnt. Auch die Landschaft ist nicht mit Südindien zu vergleichen, es ist nicht so grün, es gibt weniger Palmen und ich würde die Landschaft eher mit Deutschland vergleichen. Auch die Menschen wirkten ganz anders, was natürlich zum Einen an der Hautfarbe liegt, denn Nordinder sind heller, aber zum Anderen war es auch einfach ihre Ausstrahlung. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich bemerke ja auch in Europa Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Länder, nur dass es hier ein riesiges Land ist.

Den Rückweg haben wir im Zug bestritten und unsere Rückreise würde ich schon als kleines Abenteuer bezeichnen. Zwischen 2 Zügen hatten wir einen Tag Aufenthalt in Jaipur, einer anderen Stadt im Norden, und sind dort früh morgens angekommen. Wir sind an einem Platz mit vielen obdachlosen Menschen gelandet und wurden direkt umringt und um Geld gebeten. Ich kann es keinem Menschen verübeln, aber ich habe mich in der Situation sehr unwohl und ein wenig bedrängt gefühlt. Wir sind direkt wieder in eine Rikscha gestiegen und haben uns in ein Viertel mit schicken Malls, Cafés und Hotels fahren lassen. Weil noch alle Geschäfte zu hatten, mussten wir in einem schicken Luxushotel frühstücken und waren komplett überfordert mit der Situation, direkt hintereinander Armut und Reichtum zu sehen und zu wissen, dass beides ein Teil von Indien ist. Trotzdem möchte ich auch diese Erfahrung nicht missen, auch wenn es unsere Stimmung ein wenig gedrückt hat und es immer noch schwer zu verstehen ist. Viele Gegensätze existieren, oft direkt nebeneinander, und immer wieder muss ich feststellen, dass das Indien, wie ich es kennen lerne, nur ein ganz kleiner Teil Indiens ist und das Leben in anderen Teilen Indiens ganz anders sein kann.

Im Nachtzug durch Indien, mit meinen Mitfreiwilligen Madita und Helena

Insgesamt habe ich für die Rückreise fünf Tage gebraucht und war froh, als ich endlich wieder in Cowdalli war, denn zu Hause ist es doch am schönsten.

…Und sonst so?

Ich weiß in meinem zweiten Rundbrief nicht so ganz, was und wie ich erzählen soll. In meinem ersten Rundbrief war alles noch neu und es gab viel zu berichten. Inzwischen ist es für mich Alltag und nicht mehr erzählenswert. In den letzten Monaten gab es viele schöne kleine Momente, wenn ich zum Beispiel doch mal etwas auf Tamil verstanden habe, oder auch einfach nette Gespräche. Ich habe so viele herzliche Menschen kennengelernt, die mich so bereitwillig aufgenommen haben, aber denen würde ich in einem Rundbrief niemals gerecht werden können und an viele kleine Dinge denke ich schon gar nicht mehr. Aber es führt dazu, dass ich mich hier rundherum wohl fühle. Das wohl Schönste für mich ist, dass inzwischen auch Witze über mich gemacht werden, das zeigt mir, dass langsam Freundschaften entsehen und macht einfach alles entspannter. Am meisten habe ich mit den jüngeren Lehrern der Schule zu tun, aber auch mit ein paar Menschen aus der christlichen Gemeinde.

Langsam aber sicher werde ich besser in Tamil, und solange Leute langsam mit mir sprechen, verstehe ich oft, was sie von mir wollen. Meine täglichen Tamilstunden sind inzwischen richtig gemütlich geworden, meine Lehrerin erklärt mir meine Fragen, wir lachen viel und manchmal driften wir auch einfach in ein kleines Schwätzchen ab. Meine gelegentlichen Verwirrungen, denn manchmal gibt es mehrere Wörter, die für mich genau gleich klingen, findet sie echt witzig, aber erklärt es mir natürlich auch bereitwillig 20 Mal.

Nach einem halben Jahr ist nicht mehr jeder Tag neu und aufregend, sondern Alltag, wie ich ihn auch in Deutschland hatte, nur eben ein wenig anders. Nach wie vor bin ich mit meinem Tagesablauf zufrieden und deswegen möchte ich mich über den Alltag auch gar nicht beschweren, denn er macht mir Freude. Mein Tag hat sich nicht sonderlich verändert seit dem letzten Rundbrief. Nur im Kindergarten habe ich jetzt mehr Arbeit, weil die eigentliche Lehrerin hochschwanger ist und ich ihr immer mehr Arbeit abnehme. Zusätzlich bereiten wir die Kinder auch auf die Abschlusstests im März vor und viele Kinder haben immer noch Lücken, die wir natürlich versuchen zu schließen, damit sie nächstes Jahr die nächste Klassenstufe besuchen können. Inzwischen kenne ich die Schüler immer besser und weiß ihre Namen, das ist sehr hilfreich dabei sich Respekt zu verschaffen. Denn wenn man Kinder bei ihrem Namen nennt, fühlen sie ich viel eher ertappt und hören zum Beispiel damit auf, auf den Boden zu malen.

Zusätzlich unterrichte ich zwei Kinder der Klasse, während die anderen Kinder ihre Schreibaufgaben erledigen. Diese beiden Kinder können das ABC / die Zahlen von eins bis 20 immer noch nicht und die Lehrerin hat bei mehr als 50 Kindern keine Zeit dazu sich nochmals einzeln mit den Beiden hinzusetzen. Langsam sehe ich Fortschritte bei den Beiden, denn ich lasse sie viel schreiben und wiederhole mit ihnen immer wieder die Buchstaben und die Zahlen. Es macht mir Freude, weil ich weiß, dass ich den Kindern damit sehr helfe und gleichzeitig die Lehrerin entlasten kann.

Da ich ’nur‘ Abends Freizeit habe, freue ich mich auch oft am Wochenende ein bisschen Ruhe zu bekommen, manchmal ist aber auch irgendein Programm in der Gemeinde, es kommt spontan jemand vorbei und wir quatschen ein bisschen oder ich besuche jemanden. Wirklich langweilig wird es in Cowdalli also nie! Ich habe eher das Gefühl, dass die Zeit rennt und ich am Wochenende vielleicht noch viel mehr machen sollte, aber ich brauche auch Ruhe, denn die Tage im Kindergarten sind auch anstrengend. Wie ihr hört geht es mir hier sehr gut und ich freue mich einfach nur auf das restliche halbe Jahr hier in Indien

Mit der Schulleiterin der High School an Weihnachten

 

 

 

 

 

 

 

 

Bis bald und liebe Grüße aus Cowdalli, Judith