Liebe Freundinnen und Freunde, 18.04.2018
liebe Familie,
liebe Unterstützerinnen und Unterstützer!
Ich hoffe es geht euch allen so gut wie mir. Nun ist schon April und die letzten Wochen waren vor allem durch eines geprägt: Alltag. Daher fällt mein Brief dieses Mal etwas kürzer aus, was nicht heißen soll, das die letzte Zeit weniger spannend oder wertvoll für mich gewesen ist.
Ökoschule
Nach der Rückkehr vom Zwischenseminar, fing das neue Schuljahr wieder langsam an. Es war schön, die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Schülerinnen und Schüler wiederzusehen und neue kennen zu lernen. Ich kümmere mich seit Schuljahresbeginn in den praktischen Unterrichtsstunden des Landwirtschafsunterrichts um den Bereich der Hühner- und Schweinehaltung. Wir haben drei Schweine und sechsundachtzig Hühner. Ich leite die Schülerinnen und Schüler bei den dort anstehenden Aufgaben an, was mir viel Spaß macht. Manche bringen mir noch neue Sachen bei, während ich anderen selber einiges erklären und beibringen kann. Wenn es ein Problem gibt oder ich Fragen habe, spreche ich mich mit den anderen Lehrerinnen und Lehrern ab. Daneben gebe ich hauptsächlich Vertretungsstunden und helfe bei Arbeiten auf dem Schulgelände, wie Unkraut jäten, mähen, Instandsetzung der Zäune, Austauschen zerbrochener Dachziegel, Reparatur von Wasserleitungen und vielem mehr.

Bau eines Halbschattengartens
Nach Karneval kam meine Mitfreiwillige Angela für einen Monat nach Pedro II. Es war ihr Wunsch, die Arbeit von Mandacaru kennenzulernen. Mit ihr, und einigen Schülerinnen und Schülern der Ökoschule, durfte ich beim Bau eines Halbschattengartens helfen. Mandacaru unterstützt Bauernfamilien mit dem Bau solcher Gärten. Dabei handelt es sich um ein Holzgerüst, über das ein schwarzes Kunststoffnetz gespannt wird. Dieses verringert die Sonneneinstrahlung um 50%. Dadurch werden die Verdunstung und der Wasserverbrauch für den Gemüseanbau darunter verringert. Zudem werden die Pflanzen, vor allem Koriander, Frühlingszwiebeln, Rote Beete und Kopfsalat, vor der teils schädlichen Sonneneinstrahlung geschützt. Etwa zwanzig dieser Gärten hat Mandacaru in den vergangenen Jahren als Reaktion auf die andauernde Trockenheit bereits gebaut. Dieses Jahr kommen fünf weitere hinzu. Mit einem solchen Garten können die Familien ökologisch Gemüse anbauen und auf dem Markt der Stadt verkaufen.

Es war schön, mit den Schülerinnen und Schülern auch außerhalb der Schule zu arbeiten. Man merkte der Familie die Freude über den Garten und unsere Mitarbeit an. Ursprünglich waren zwei Tage für den Bau vorgesehen aber wir wurden schon am ersten Tag fertig.
„Eleição sem Lula é fraude“
Mit meinen Rundbriefen möchte ich nicht nur zu einem kulturellen Austausch beitragen. Es ist mir auch ein Anliegen, etwas über die aktuelle politische Situation in Brasilien zu berichten. Am 6. April bekam der ehemalige Präsident Brasiliens, Lula da Silva, einen Haftbefehl ausgesprochen, nachdem er bereits im Januar in zweiter Instanz zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden war. Ihm wird vorgeworfen, im Zusammenhang mit dem Lava-Jato Korruptionsskandal die kostenlose Renovierung eines Luxusapartments durch einen großen Baukonzern angenommen zu haben. Richtige Beweise dazu gibt es nicht. Nichtregierungsorganisationen und die linksgerichteten politischen Kräfte halten den Prozess für politisch inszeniert: „Die Wahl ohne Lula ist ein Betrug!“ Die politische Rechte möchte eine Kandidatur Lulas bei den Präsidentschaftswahlen Ende des Jahres verhindern. In Umfragen liegt dieser weit vor anderen Herausforderern. In seiner Amtszeit als Präsident hat Lula zahlreiche Sozialleistungen eingeführt und effektive Maßnahmen zur Armutsbekämpfung ergriffen, wie beispielsweise die „Bolsa Familiar“ (Finanzielle Unterstützung für einkommensschwache Familien), die Landreform, die Kampagne „Fome Zero“ (Null Hunger) und Zisternenbau. Bis heute hat er großen Rückhalt in der ärmeren Bevölkerung des Landes. Es ist mir unverständlich, wie die Justiz in diesem Fall urteilt, während andere nachweislich korrupte Politiker weiterhin in ihren Positionen verbleiben.
Mit anderen Mitarbeitern von Mandacaru bin ich zu einer Protestaktion gegen die Inhaftierung Lulas in die Nachbarstadt Piripiri gefahren. Organisiert wurde die spontane Aktion von der örtlichen sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT, der Partei Lulas. Etwa dreihundert Teilnehmer blockierten drei Stunden lang die Hauptstraße von Parnaiba nach Teresina, über die der Verkehr zwischen Küste und Landesinneren verläuft.

Es wurde gesungen, getanzt und gebetet. Die Aktion verlief sehr friedlich. Es war ein beeindruckendes Erlebnis. Ich habe bereits in Deutschland an politischen Demonstrationen teilgenommen. Dort nahm habe ich nie eine solche Stimmung und Kraft wahrgenommen wie an diesem Tag. Auch erlebte ich zum ersten Mal, wie die Menschen hier, aus einer politischen Motivation heraus, eine solche Energie entfalten können.
Brasilien kommt mir manchmal wie eine Spiegelung der gesamten Welt vor. Es gibt große soziale und finanzielle Unterschiede zwischen den Menschen. Brasilien ist ein reiches Land, reich an Natur, an Wasser, an Bodenschätzen, an Landwirtschaft, reich an Menschen und an Kultur. Brasilien ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Aber es herrscht eine ungleiche Verteilung des Wohlstands. Es gibt viele sehr wohlhabende Menschen, die einen Großteil des Reichtums besitzen und sich vielfach von dem Leid der Armen abwenden. Zum Teil leben sie auch auf Kosten ärmerer Bevölkerungsteile. Die Menschen, die in gesellschaftlichen Machtpositionen sind, die etwas an der bestehenden, ungerechten Situation ändern könnten, wenden den Blick ab und nutzen ihre Einflussmöglichkeiten für eigene Interessen aus. Ich kann verstehen, dass viele Menschen hier von dieser Nicht-Beachtung frustriert sind und sich nicht für das politische Geschehen des Landes interessieren.
Belém
Ende März bin ich zusammen mit Jónas, einem Freund hier aus der Stadt, nach Belém do Pará gereist. Mit dem Bus waren wir etwa zwanzig Stunden unterwegs, um „das Tor zum Amazonas“ zu erreichen. Wir haben dort im Haus seiner Tante gewohnt. Sie und ihre drei Kinder haben uns bei sich aufgenommen und ihr Haus, Essen und Freizeit mit uns geteilt.
Statt jeden Tag schon morgens früh zur nächsten Touristenattraktion zu hetzen, passte ich mich dem Rhythmus meiner Gastgeber an. Wir ließen uns genug Zeit zum Ausruhen, reden und faulenzen und machten dennoch einige Ausflüge in der Stadt. Wie man hier sagt: „O tempo é nosso“ („Die Zeit gehört uns). Im Endeffekt habe ich nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Dadurch, dass wir uns mehr Zeit ließen, konnte ich die Eindrücke viel intensiver aufnehmen. Es waren sehr schöne Tage.

Mich berührt und beschämt es, wie viel mir die Menschen hier geben und wie wenig ich zurückgeben kann. Das wurde mir bei dieser Reise immer wieder bewusst. Es fällt mir schwer, solche Geschenke anzunehmen ohne eine Gegenleistung erbringen zu wollen, auch wenn dies nicht erwartet wird. Teilen und Geben sind hier viel selbstverständlicher als in Deutschland. Vielleicht wird auch deshalb seltener „Obrigado“ und „Por Favor“ (Danke und Bitte) gesagt.
Bei der Reise ist mir auch nochmal deutlich geworden, wie heimisch ich mich hier mittlerweile fühle. Ich bin nicht mehr fremd in diesem Land. Ich genieße es sehr, mit den Menschen zu reden und Zeit mit ihnen zu verbringen. Ich erlebe, dass die Menschen hier sehr offen sind und einen nah an sich heran lassen. So entsteht, ohne aufgesetzt zu wirken, schnell ein freundschaftliches Verhältnis. Das schätze ich hier sehr.
Herzliche Grüße aus Brasilien
Max