Liebe Rundbriefleser/-innen,
das Wichtigste zuerst: Ich habe nun endlich eine feste Projektstelle und einen festen Wohnort!
Und das kam so: Anfang Dezember kam es zu einem Gespräch zwischen dem Chef der Fundación, unserer Freiwilligenbeauftragten Gabriela und mir. Aufgrund der anstehenden Sommerferien, die in Bolivien den kompletten Dezember und Januar andauern, wurde entschieden, dass ich erst einmal in einer anderen Einsatzstelle in der Stadt arbeiten sollte. Schließlich haben die meisten Projekte der Fundación in diesem Zeitraum sowieso geschlossen. Dieses Projekt hat mir mehr und mehr zugesagt. Das liegt vor allem daran, dass ich dort eine richtige Aufgabe und feste Arbeitszeiten habe. Außerdem kann ich an einem Ort bleiben und mir somit endlich einen Alltag aufbauen. Daher wurde mir nach langem Hin und Her der Wechsel in dieses Projekt genehmigt.
Mein neues Projekt
Mein neues Projekt ist das Instituto Psicopedagógico, eine Einrichtung für Kinder mit Behinderung. Ich arbeite in der sogenannten Pediatría (Pädiatrie). Diese ist ein Internat für circa 40 null- bis zehnjährige Kinder mit den verschiedensten Beeinträchtigungen.
Die bereits erwähnten Ferien haben allerdings viele Kinder in ihren Familien verbracht.
Nur Bigmar und Juliana (siehe Foto) und noch neun weitere Kinder waren in diesen zwei Monaten im Internat. Vor allem diese Kinder kenne ich so langsam immer besser und schließe sie immer mehr ins Herz.
Mittlerweile hat sich die Anzahl der Kinder verdrei-, wenn nicht sogar vervierfacht und mit ihnen auch die Arbeit, die Lautstärke und die vollen Windeln. Und somit spielt sich hier immer mehr der gewöhnliche Arbeitsalltag ein, von dem ich allerdings erst in meinem nächsten Rundbrief berichten werde.
Aber so viel schon einmal vorab:
Mein Arbeitstag beginnt um 7 Uhr und endet circa um 14 Uhr.
Um 7 Uhr wecken wir die Kinder, waschen sie und ziehen sie an. Das kann manchmal ganz schön anstrengend sein, denn nicht jedes Kind lässt sich gerne duschen oder anziehen, geschweige denn frisieren. Danach gibt es etwa um 8:30 Uhr Frühstück, dabei füttere ich meistens das gleiche Kind. Viele Kinder brauchen Unterstützung beim Essen, daher gibt es während der Mahlzeiten immer alle Hände voll zu tun.
Zwischen dem Frühstück und dem Mittagessen war in den Ferien Zeit zur freien Verfügung. Wir sind daher häufig mit den Kindern raus auf den Spielplatz gegangen oder haben uns auch mal einen Film angeschaut. Jetzt, außerhalb der Ferien, sieht das allerdings ein wenig anders aus.
Um 11:15 gibt es auch schon wieder Mittagessen, welches hier ganz typisch aus Sopa (Suppe), Segundo (Hauptspeise), Postre (Nachtisch) und einem Refresco (süßer Fruchtsaft) besteht. Wie fast überall in Bolivien wird auch hier gut und vor allem ausgiebig gegessen. Doch wie die kleinen Kinder all das essen können, bleibt mir nach wie vor ein Rätsel.
Nach dem Mittagessen werden alle Kinder frisch gemacht und einige halten daraufhin einen Mittagsschlaf, schließlich sind die meisten von ihnen noch recht jung. Nach einer gemeinsamen Putz- und Aufräumaktion findet auch das Personal Zeit zum Essen. Ich esse also sowohl am Morgen, als auch am Mittag in meinem Projekt. Das Essen ist recht lecker. Trotzdem genieße ich es, am Wochenende auch mal etwas anderes zu essen.
Obwohl auch hier von Anfang an nicht alles rund gelaufen ist, fühle ich mich immer besser dort aufgehoben. Mehr und mehr finde ich meine persönlichen Aufgaben und verstehe mich immer besser mit meinen Arbeitskolleginnen und –kollegen.
Außerdem lerne ich immer mehr die Stärken und Schwächen der einzelnen Kinder kennen. Mittlerweile weiß ich zum Beispiel, dass Bigmar sich nur vor dem Mittagessen drücken möchte, wenn er sagt, dass er auf Toilette müsse. Oder dass Silvia nur einen kleinen Finger als Unterstützung braucht und ansonsten alleine laufen kann. Oder dass Dalmiro gerne wegläuft, sobald eine Tür offen steht.
Das Internat ist mit keiner anderen Einrichtung landesweit zu vergleichen. Teilweise leben dort sogar Kinder aus den benachbarten Ländern. Das liegt vor allen Dingen daran, dass dort Ärzte und Psychologen, sowie Sprach- und Physiotherapeuten arbeiten, die die Kinder individuell fördern. Zudem werden die Kinder dort ausreichend ver- und gepflegt und es gibt immer genug Essen und Kleidung. Sie sind also in diesem Internat gut aufgehoben. Es gibt dort aber auch Kinder, die eine so starke Beeinträchtigung haben, dass es schwierig ist, für sie eine sinnvolle und dauerhafte Beschäftigung zu finden. Manche von ihnen wirken daher häufig unausgeglichen. Denn obwohl die Einrichtung personell recht gut aufgestellt ist, reicht es leider nicht aus, um jedes Kind ausreichend und vor allem individuell betreuen zu können.
Außerdem gibt es dort einige Kinder, die keine Familie haben. In dem Internat können sie leben, bis sie 18 werden, doch wo sie danach wohnen ist häufig ungewiss. Denn nicht immer erfährt ein Kind mit Behinderung die Unterstützung seiner Familie. Ein Mädchen wurde beispielsweise nach ihrer Geburt einfach im Krankenhaus zurück gelassen. Teilweise ist hier in Bolivien die Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung recht negativ, vor allem auf dem Land. Natürlich gibt es auch Eltern, die sich hingebungsvoll um ihr Kind kümmern. Diese Kinder sind meist nur tagsüber oder unterhalb der Woche da, während die Eltern am Arbeiten sind.
Meine Arbeitszeiten haben den Vorteil, dass ich den gesamten Nachmittag frei habe, auch wenn ich dafür recht früh aufstehen muss. Momentan bin ich noch auf der Suche nach einem festen Hobby. Das ist hier gar nicht so einfach, denn außer in Fitnessstudios oder in Tanzvereinen gibt es wenige Möglichkeiten, Sport zu betreiben. Aber auch so ist fast immer etwas los. Beispielsweise treffe ich mich mit meiner Gastfamilie, gehe mit Arbeitskollegen Volleyball spielen oder koche gemeinsam mit Freunden.
Und auch das Reisen ist in diesen zwei Monaten nicht zu kurz gekommen…
Über Weihnachten bin ich mit Franzi und Mara nach Tarija verreist – eine kleinere Stadt im Süden Boliviens, die vor allem für ihren guten Wein bekannt ist. Dort haben wir zum einen das bekannteste Weinhaus Boliviens besucht, das Casa Vieja, und zum anderen haben wir einen Ausflug zu atemberaubenden Wasserfällen gemacht. Weihnachten hat sich dieses Jahr allerdings, trotz gutem Essen, nicht richtig wie Weihnachten angefühlt. Und das lag definitiv nicht nur an den annährend 30 Grad…
In Bolivien ist es Brauch, an Heiligabend um 23 Uhr in die Kirche zu gehen, daraufhin gibt es Abendessen und erst nach Mitternacht dürfen die Geschenke ausgepackt werden.

Silvester habe ich gemeinsam mit den anderen Freiwilligen aus Hildesheim und Trier in Franzis und meiner Wohnung in Sucre gefeiert. Kurz darauf sind wir dann gemeinsam nach Cochabamba aufgebrochen, eine größere Stadt im Zentrum Boliviens, denn hier fand bereits unser Zwischenseminar statt.
Das Seminar hat in mir gemischte Gefühl geweckt. Einerseits habe ich mich natürlich darauf gefreut, alle wieder zu sehen, aber andererseits habe ich mit diesem Seminar immer die Hälfte meiner Zeit in Bolivien assoziiert. Dabei hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch das Gefühl, dass mein Jahr noch gar nicht richtig begonnen hatte.

Doch wie auch die meisten Seminare in der Vorbereitung war dieses sehr interessant und aufschlussreich und hat mir erneut viele Denkanstöße gegeben, denn wir haben viel über die ersten fünf Monate unseres Freiwilligendienstes gesprochen. Darüber hinaus haben wir die Themen Rassismus, Geschlechterrollen, Machismo und Gewalt behandelt.
Über die Karnevalstage bin ich erneut verreist. Diesmal nach Oruro – die Stadt des Karnevals. Ähnlich wie schon bei dem Fest der Virgen de Guadalupe in Sucre, von dem ich in meinem ersten Rundbrief erzählt habe, gibt es hier eine Entrada. Das ist eine Art Umzug, bei dem die verschiedensten Tänze aus ganz Bolivien aufgeführt werden. Jeder Tanz hat seine eigene Geschichte und Musik. Vor allem die kreativen und wunderschönen Kostüme, die sehr aufwendig anzufertigen sind, haben mich erneut sehr beeindruckt. Zwei komplette Tage dauert der Umzug an, welcher zu Ehren der Virgen del Socavón (Jungfrau der Bergwerkstollen) stattfindet. Auch im tanzenden Publikum ist die Stimmung meist sehr ausgelassen, schließlich kommen jährlich über 300 Tausend Besucher zu diesem Spektakel. In diesem Jahr waren es sogar 450 Tausend. Bei dem Fest werden christliche und indigene Traditionen miteinander vermischt. Nicht zum ersten Mal durfte ich über den kulturellen Reichtum dieses Landes staunen!
Und so gerne ich auch durch Bolivien reise, so sehr ich mich freue mehr von der Vielfältigkeit dieses Landes zu entdecken, genau so sehr freue ich mich auch immer wieder auf Sucre – auf mein Zuhause. Wie es scheint, bin ich endlich angekommen.
Zu guter Letz möchte ich euch noch mein Lieblingsgericht vorstellen: Es heißt Piqué Macho und ist ein Gemisch aus Pommes, Tomaten, Paprika, Zwiebeln, Würstchen, Schweinefleisch, Eiern und ganz viel Ketchup und Mayonnaise. Und – man mag es kaum glauben – es schmeckt unglaublich gut!
Liebe Grüße, Lara
Noch eine kleine Anmerkung: Vielleicht hat der ein oder andere von euch Interesse daran, sich mal über die politische Situation Boliviens zu informieren. Hier ist momentan einiges los. Der Präsident möchte eine Wiederwahl erreichen, obwohl das der Verfassung widerspricht und er in den letzten Jahren viele seiner Befürworter verloren hat.