La Paz: “ Palliri“ 7. Rundbrief von Gizem Günes

Diesen Monat kreist mir immer wieder diese eine Frage im Kopf herum. „Was wird anders sein?!“ Welche großen Veränderungen wird es geben?! Wie werde ich damit umgehen?! Die Antworten auf diese Fragen stehen noch in den Wolken geschrieben, da es noch vier Monate bis zu meiner Rückkehr sind. Ich meine, ich war jetzt fast ein Jahr lang weg von Zuhause, Freunden und Familie. Natürlich wird es einige Veränderungen geben. Wenn wir es genau betrachten verändern wir uns ja jeden Tag ein wenig. Mich verfolgt nur die Angst, dass ich mich vielleicht so sehr verändert habe, dass ich mich nicht mehr so einleben kann wie vor einem Jahr, dass ich mich fremd und fehl am Platz fühle, nicht wieder ankommen kann.Dass ich eine anderes Denk- und Sichtweise auf alles habe. Von meiner Rückkehr überfordert bin oder gar enttäuscht werde. Trotzdem versuche ich mir nichts Schlimmes einzureden und nicht den Pessimismus überwiegen zu lassen. Wie es wirklich wird, wenn ich zurück bin, weiß nur Gott und ich lasse es auf mich zukommen.

Diese dauernden Vergleiche, die man automatisch in seinem Kopf hat. Wahrscheinlich werde ich diese Vergleiche in Deutschland auch haben. Ich werde an die große Gasflasche denken, ohne die wir kein warmes Wasser haben, um uns zu duschen. An die Kleine in der Küche, die immer ausgewechselt werden muss, um kochen zu können, oder unser Internetrouter der jeden zweiten Tag streikt und nicht funktionieren will, weshalb wir tagelang kein Internet haben. Die Demonstrationen die in La Paz stattfinden und aufgrund dessen ich zwei Stunden später zur Arbeit komme. Die Grundnahrungsmittel, die wir im Haus benötigen und die wir in einem winzig kleinen Laden gegenüber besorgen. Falls es kein Trinkwasser gibt, können wir nicht einfach zum nächsten Supermarkt fahren. Denn den gibt es nur in El Alto und das ist nicht gerade in der Nähe. So heißt es einfach, Wasser abkochen. Was nicht zu vergessen ist, das wechselnde Klima von El Alto, mit dem wir jeden Tag zu kämpfen haben. Wer in El Alto haust, sollte immer als Begleiter in seinem Rucksack eine Filzjacke und einen Schal für den Morgen und den Abend, aber auch Sonnencreme und Sonnenbrille für die Mittagssonne verstaut haben. All diese Sachen, die man als „negativ“ bewerten könnte, werde ich in Deutschland höchstwahrscheinlich nicht erleben. Das heißt aber nicht, dass ich in Deutschland ein besseres Leben haben oder glücklicher sein werde. Eins steht fest, Bolivien hat uns zu Kämpfern gemacht. Wir lernen, Lösungen zu finden, anstatt die Probleme zu vergrößern. Eins steht auch fest, ich werde den Wert der Dinge mehr schätzen und mich über eine warme Dusche freuen, ohne das Wasser vorher kochen zu müssen aber mehr auch nicht. Vielleicht sollte man sich auch nicht so viele Gedanken machen über etwas, was man noch nicht wissen kann. Manchmal ist es auch besser, wenn man nicht immer auf alles eine Antwort hat.

Von der Arbeit

gibt es auch einiges zu berichten. Die „Workshops“ in Achocalla von unserem Bauernhof nehmen kein Ende. Diesen Monat hatten wir zwei „Workshops“. Vom ersten ist zu berichten, dass wir Schafe geschoren haben, Schafsfell dann mit Blumenblätter gekocht und zum Trocknen auf die Wiese gelegt haben. Das Resultat: wir hatten bunte Schafswolle in den jeweiligen Farben der Blüten und das alles ohne Chemie. Unser zweiter „Workshop“ bestand daraus, mit den Kindern Tannenbäume und Blumen zu pflanzen. Auf mich wirkt das wie eine Therapie, wenn ich mit den Kindern aus dem Projekt Zeit auf dem Bauernhof verbringe.
Eine ganze anstrengende Woche habe ich auch in der Fabrik gearbeitet um die Jute Beutel für die Boutiquen herzustellen. Zuerst musste der Stoff verarbeitet werden, das heißt zurecht geschnitten. Danach der Aufdruck, somit die Marke „coconut“ und die Adresse der Boutique auf die Beutel gedruckt werden, dann alles trocknen lassen und zu guter Letzt wird alles zusammengenäht. Wir haben insgesamt über 1000 Beutel hervor gezaubert. Keine leichte Arbeit! Man muss viel Geduld, Hingabe und Interesse zeigen. Gegen Mittag muss ich die Jutebeutel dann auf die drei Boutiquen verteilen. Ich habe diesen Monat auch viele Kleidung verkauft. Mittlerweile funktioniert das fehlerfreie Unterhalten mit den Kunden ohne Probleme, da ich meinen Wortschatz erweitert habe . Es freut mich jedes Mal sehr, wenn ich einen erfolgreichen Tag hinter mir habe, da unser ganzes Einkommen an die Kinder des Projektes geht. Diese Woche haben wir uns Gedanken über die Dekoration der Boutique gemacht. Für den anstehenden Muttertag will ich mir was Besonderes einfallen lassen. Ich bin mal gespannt was im nächsten Monat so auf mich zukommt.