Malawi: 5. Rundbrief von Paul Heck

Das Leben ist so reich an Erfahrungen. Überall begegnen uns Menschen und machen aus einfachen Orten besondere Plätze in unserer Erinnerung. Das durfte ich in den vergangenen Monaten noch einmal besonders intensiv erleben.

Zwischenseminar

Ausblick vom Berg Carmel in Kasungu

Begonnen hat das alles mit dem Zwischenseminar. Es ist verrückt, aber das ganze kommt mir unglaublich weit weg vor.

Der Input war immens. Das Seminar fand nördlich der Hauptstadt Lilongwe in Kasungu statt. Dort wurden wir, 20 Freiwillige und 4 Teamerinnen, in einem Besinnungszentrum untergebracht. Daher hatten wir das Gelände weitgehend für uns, was sehr gut war, da wir uns auf uns selbst konzentrieren konnten.

Die Mitfreiwilligen waren mir größtenteils schon bekannt. Acht von ihnen sind Freiwillige der Franziskanerschwestern aus Salzkotten (Paderborn), welche das Seminar auch veranstalteten.

Vier Freiwillige aus Mozambique hatte ich bereits am Vormittag zufällig in Lilongwe getroffen, daher war es für mich eine Mischung aus Wiedersehen und neu Kennenlernen. Und ich muss sagen: ich finde unter meinen Mitfreiwilligen stets besondere Menschen, immerhin haben wir ähnliche Ideale und Ziele, die uns dazu gebracht haben, diesen Freiwilligendienst zu machen.

Die Seminartage waren für mich eine Mischung aus intensivem und meist sehr nachdenklichem Input und lockerer Ausgeglichenheit im Umgang miteinander.

Es tat mir unheimlich gut, mal wieder für eine Woche deutsch zu sprechen, meinen Humor auszuleben und Erfahrungen zu teilen.

Und natürlich waren die Inhalte des Seminars auch sehr gewinnbringend. So haben wir unter anderem die Themen Rassismus, Freundschaften und Heimkehr bzw. Abschied besprochen. Viele dieser Besprechungen haben in den nachfolgenden Wochen und Monaten schon ihre Wirkung gezeigt.

Ich könnte noch seitenlang vom Seminar berichten, doch das würde den Rahmen dieses Rundbriefs sprengen. Also nur so viel: Es war eine unheimlich intensive Woche.

Die Mitfreiwilligen vom Zwischenseminar

Deutsche Wochen

Das ich nicht in melancholische Einsamkeit abgerutscht bin, nachdem ich wieder in Maldeco war, verdanke ich Bernd. Ihr fragt euch bestimmt: Wer ist Bernd?

Bernd ist ein ehemaliger Freiwilliger, der vor drei Jahren in einem Projekt in Malawi war. Im Februar ist er, im Rahmen seines Studiums, ins MOET gekommen und hat daher bei mir gewohnt.

Bernd ist ein echt toller Kerl. An ihm konnte ich beobachten, wie sich ein ehemaliger Freiwilliger ein paar Jahre nach dem Freiwilligenjahr potentiell entwickelt haben kann. Wir haben viele Gespräche geführt und er hat mir einige neue Gedankengänge gezeigt.

So habe ich zum Beispiel seit meiner Ankunft hier bewusst immer mit meinem Schulenglisch gesprochen, da ich meinen guten Akzent nicht verlieren wollte. Bernd hat sich hingegen in Akzent, Sprachmelodie und Grammatik komplett an die Malawier angepasst. Er erklärte, dass ihm das sprechen mit einem britischen Akzent sehr neokolonial vorkäme. Immerhin seien wir in Malawi und nicht in Großbritannien, also mache es mehr Sinn, den lokalen Sprachgebrauch zu adaptieren.

Mittlerweile habe ich meinen Sprachgebrauch auch dementsprechend angepasst.

Bernds Anwesenheit brachte auch Unangenehmes. So fühlte ich mich auf einmal wie ein schlechter Freiwilliger, da Bernd sich mit allen so gut verstand, alles so einfach adaptierte und einfach insgesamt viel besser in dieses Land zu passen schien.

Außerdem wurden wir verglichen. Insbesondere der neue Headteacher (mit dem ich mich in der kurzen Zeit seit seiner Ankunft noch nicht angefreundet hatte) wurde nicht müde, mich darauf hinzuweisen, wie viel schlechter als Bernd ich sei.

Das hat mich zwischenzeitlich wütend, traurig und frustriert gemacht. Bernd war das sehr unangenehm, er wollte genau das vermeiden.

Nun, ich musste mich also von Bernd emanzipieren. Erneut musste ich mir sagen, dass ich meinen Freiwilligendienst individuell gestalte und ich ich bin und niemand sonst sein muss.

Nebenbei: beim Besuch meiner Familie zwei Wochen später wurde ich ähnlich über den grünen Klee gelobt wie zuvor Bernd. Da wurde mir klar, dass in meinem Projekt gerne verglichen und noch lieber übertrieben wird.

Familie

We are family

Und eine knappe Woche nach Bernds Abreise war es dann soweit: Nach fast acht Monaten durfte ich meine Eltern und meine Schwester am Flughafen abholen! Eine solche Vereinigung nach so langer Trennung ist unheimlich emotional. Aber positiv emotional! Ich freute mich, ihnen alles zu zeigen, was ich schon kennengelernt hatte. Schon die Rückfahrt vom Flughafen nach Maldeco war spannend: ich konnte meine Familie beobachten, wie sie Malawi zum ersten Mal zu Gesicht bekamen. Ich fühlte mich plötzlich an meine eigene Ankunft erinnert, als alles neu und unbekannt war. Wie weit das zurückliegt!

In meinem Projekt wollte ich zunächst zeigen, wo und wie ich jetzt lebe. Der Besuch des MOET war ein wahnsinniges Gefühl. Ich war unheimlich stolz darauf, ihnen alles zu zeigen. Außerdem konnte ich meiner Familie all die Menschen vorstellen, mit denen ich seit 8 Monaten zusammenlebte und noch 4 Monate zusammenleben würde. Meine Freunde und Kollegen konnten hingegen meine Familie kennenlernen, und Familie ist hier wichtig. Sie fühlten sich durch den Besuch meiner Familie geehrt und wertgeschätzt, was mich sehr glücklich machte.

Es war also sehr ereignisreich! Es tat gut, zu hören, wie meine Kollegen mich beschrieben und meinen Eltern zu zeigen, wie ich mir hier selbstständig ein Leben aufgebaut habe.

Natürlich haben wir auch den ein oder anderen typisch touristischen Ausflug gemacht. So die obligatorische „Afrika-Urlaub-Safari“. Es ist etwas Besonderes, diese uns so fremden Wesen in ihrem natürlichen Umfeld betrachten zu können. Warenschweine, Gazellen, Nilpferde, Krokodile und Elefanten; es ist ein Wunder, was diese Welt an Vielfalt beherbergt.

Bei all der Begeisterung wurde ich nachdenklich. In meinem Projekt bin ich einer der wenigen, die jemals die Gelegenheit hatten, eine Safari zu machen. Ich lerne mehr von ihrer Heimat kennen als sie selbst.

Ich möchte mich dafür aber nicht schuldig fühle. Nein, ich fühle mich gesegnet. Diese Welt hat unendlich viele Wunder und ich habe das Glück, so viele davon bewundern zu dürfen. Es ist ein Privileg, das mir eigentlich nicht zusteht.

Zomba Plateau

Anschließend machten wir noch halt in Zomba, um das dortige Plateau zu besuchen. Eine ganz besondere Erfahrung für mich, dort ist es wie in einem deutschen Wald. Die Luft, die Atmosphäre, die Temperatur. Es war wunderbar für ich, immerhin hatte ich diese Atmosphäre zuvor 8 Monate lang vermisst.

Ostern war relativ unspektakulär. Wir waren wieder im Projekt, gingen in die Messe und luden meinen Projektleiter und seine Frau zum Abendessen ein. Für mich eine schöne Zusammenführung meiner Familie und derer, die hier in Malawi gewissermaßen die Verantwortung für mich übernommen haben.

Abendessen mit MOET-Direktor Patterson und seiner Frau Rose
Schnorcheln in Cape Maclear

Der letzte Stopp war in Cape Maclear, eine schöne Feriensituation, um nach all den Eindrücken etwas zur Ruhe zu kommen. Auch für mich, immerhin habe ich zwei Wochen lang die Leitung und Verantwortung für die Familie übernommen. Für mich war das relativ stressig. Mir wurde plötzlich klar, wie es für meine Eltern früher im Urlaub mit der Familie gewesen sein muss!

Der Abschied war dann erfreulich locker und unemotional. Immerhin sehen wir uns ja bald wieder.

Begegnungen

In der folgenden Woche hatte ich Urlaub und eine weitere Mitbewohnerin: Esther aus den Niederlanden, die für zwei Wochen das Projekt kennenlernte, um zu überprüfen, ob es für Freiwillige ihrer Organisation geeignet ist.

Die Gesellschaft tat mir gut, andernfalls hätte mich der Abschied meiner Familie doch bestimmt ein wenig traurig gemacht. Doch so ging es mir gut. Immerhin konnte ich diverse (kulinarische) Geschenke meiner Familie genießen: Tortellini, Nutella, Haribo, Tee… Essen macht wirklich viel unserer Identität aus. Auch wenn ich mich hier mit dem Essen wohlfühle, Käse, Joghurt oder Olivenöl sind seltene Güter hier und fehlen mir.

Auch dadurch wird mir bewusst, welches Glück wir haben, in Deutschland eine dermaßen große Vielfalt genießen zu können. Und wie feiern wir diese Vielfalt? Bei McDonalds. Irgendwie ambivalent, oder?

Eines möchte ich noch berichten: letztes Wochenende hatten zwei Mitfreiwillige aus Deutschland und aus den USA Geburtstag. Aus diesem Grund haben sich mehrere größere Gruppen von Freiwilligen in der Hauptstadt Lilongwe getroffen. Und es war wunderschön! Viele kannte ich noch nicht, doch wir haben uns alle sofort gut verstanden. Das erlebe ich hier andauernd: Trifft man andere Weiße, stellt sich meist sofort eine lockere Verbundenheit ein. Zum einen, weil viele von ihnen Freiwillige sind und daher auch Einstellungen und Werte teilen. Aber es entwickelt sich auch eine, wie eine Leserin der Rundbriefe es ausdrückte, Diasporagemeinde, in der sich die Menschen gleicher und ähnlicher Herkunft im Ausland vernetzen und schnell einen Draht zueinander finden.

Ich genieße das, da es schön ist, neue Menschen kennenzulernen und sich gelegentlich mit Menschen über eigene Erfahrungen auszutauschen, die diese genau nachvollziehen können, da sie ähnliche erleben und wahrnehmen. Darin zeigt sich für mich: in unserer westlichen Hemisphäre haben wir ähnliche Grundlagen, eine gemeinsame Basis, durch die wir einander hier vertraut sind.

Da war noch was

In Reaktion auf meinen letzten Rundbrief, in dem ich von einer deutschen Auswandererin erzählt habe, wurde ich gefragt: Paul, warum sollte bei all den Problemen mit Strom, Wasser, Hygiene und Armut eine Deutsche oder ein Deutscher dauerhaft in Malawi leben wollen?

Die Antwort ist relativ einfach: die Entschleunigung. Die Menschen, die Atmosphäre, das ganze Alltagsleben sind so entspannt. Versteht mich nicht falsch: die meisten gehen sehr fleißig und gewissenhaft ihrer Arbeit nach. Aber die Grundatmosphäre ist immer locker. Nie gehetzt. So hat man immer Zeit für ein Gespräch mit Freunden und Bekannten. Wer später kommt, kommt eben später. Diese Entspanntheit ist unheimlich wohltuend, wenn man aus einem stressigen Land wie Deutschland kommt.

In diesem Sinne: macht euch locker, gönnt euch immer mal wieder einen Moment der Ruhe. Denn das Leben ist so viel schöner, wenn man es nicht so ernst nimmt!

Liebe Grüße,

euer Paul