meinen zweiten Rundbrief möchte ich etwas anders beginnen als den letzten. Ich möchte euch ein bisschen von Fettnäpfchen und alltäglichen Dingen erzählen, bevor ich den Bericht über mein Projekt fortsetze.
Die Nutzung der Toilette:
In Bolivien ist es so, dass der Wasserdruck oft gering ist und so wirft man das Klopapier nicht in die Toilette, sondern in einen Mülleimer. In La Paz habe ich das allerdings am Anfang noch nicht gewusst. Als ich von dieser „Methode“ erfahren habe, war ich erst verdutzt, habe aber dann wirklich in den ersten Tagen versucht, darauf zu achten, anfangs allerdings vergeblich. Eine Routinebewegung kann man halt nicht einfach so schnell ablegen.
Waschen und Spülen:
Das ist nun jetzt kein wirkliches Fettnäpfchen, aber trotzdem etwas, woran ich mich gewöhnen musste. Handwäsche, ihr könnt euch nicht vorstellen, was eine Waschmaschine für eine Wahnsinns- Erfindung ist! Oder gar eine Spülmaschine! Wie genervt ich war, wenn ich mal die Wäsche in Deutschland aufhängen sollte, unvorstellbar , so einfache, leichte Handgriffe. Aber ich muss sagen, es macht mittlerweile sogar Spaß. Mit einem Hörbuch oder guter Musikbegleitung hat man Zeit für sich und etwas Beruhigendes hat es auch an sich. Na ja, es sei denn, man hat eine Woche nicht gewaschen, dann kann man sich schon mal 2 bis 3 Stündchen lang die Finger blasig schrubben. Man muss dazu sagen, dass in der Stadt die meisten Familien eine Waschmaschine besitzen (wir gehören nun leider nicht dazu), aber sie wird dennoch nicht oft benutzt.
Tienda:
Wenn man kurz mal etwas braucht, wie Zucker, Eier oder Toilettenpapierpapier, kann man in die nächstgelegene Tienda gehen, die kann man sich wie einen Tante Emma Laden vorstellen, und dort alles kaufen, was man zum Leben braucht.
Taxi:
Na, seid ihr schon mal für 50 Cent Taxi gefahren? Tja, hier ist das möglich, obwohl wir doch das Laufen bevorzugen oder mit einem Micro (Minibus) fahren, der gerade mal 20 Cent kostet. Außerdem kann es sein, dass, wenn man zu zehnt unterwegs ist, auch zu zehnt ins Auto steigt. Das wird dann so verteilt: Zwei in den Kofferraum, andere werden auf den Schoß genommen, und dann wird schon mal der Preis für alle verringert.
Flotta:
Die Flotta ist ein Nachtbus, mit dem man über Nacht in die verschiedenen Städte Boliviens fährt, in ihm kann man sogar fast liegen. Und das Ganze für gerade mal 10€. Da können sich Flix-Bus und die Deutsche Bahn mal ein Beispiel dran nehmen. (Dauerwerbesendung beendet)
Meine Wirkung auf die Einheimischen:
Man fällt einfach auf, mal mehr, mal weniger, es kommt darauf an, wo man sich aufhält. In Sucre sind sehr viele Touristen unterwegs und so fallen wir nicht wirklich auf. Außerhalb der Städte ist das schon anders, insbesondere auf den Dörfern. Ich lebe nun in diesem Jahr hier in Bolivien und möchte eigentlich nicht anders sein, sondern dazu gehören. Das fällt oft mit Leuten, die mich nicht kennen, schwer. Vor meiner Abreise wurde ich häufig gefragt, ob ich nicht meine Haare dunkler färben möchte. Nein, wollte ich nicht und ich bereue es auch nicht. Mir wurde oft erzählt, wie gefährlich Bolivien für Weiße, vor allem Frauen, ist, dass man als Weiße ausgeraubt und misshandelt wird. Ja, das KANN passieren, aber wenn man sich angemessen verhält (nachts nicht alleine herumlaufen, nicht mit dem Handy oder dem Portemonnaie herumwedeln und einfach mit offenen Augen durch die Straßen gehen), dann ist man so sicher unterwegs, wie man im Leben halt sicher unterwegs sein kann.
Außerdem habe ich für jeden, der mich wegen meiner Größe etwas aufgezogen hat, eine wichtige Nachricht: Hier bin ich groß, ja richtig gelesen, unter den Mädchen bin ich mit meinen 1,56m eine der Größten und auch den Jungs und Männern kann ich geradewegs ins Gesicht schauen, ohne eine Nackenstarre zu bekommen.
Wie die Einheimischen auf mich wirken:
Also ehrlich gesagt, kann ich das nicht genau beschreiben. Die Menschen sind viel offener als in Deutschland und einfach oft sympathischer, allerdings sind sie sehr unzuverlässig und unpünktlich. Der ein oder andere wird jetzt schmunzeln, ja auch ich bin nicht zu 100% zuverlässig und pünktlich, aber hier bin sogar ich manchmal genervt. Ich habe mir geschworen, eindeutig pünktlicher und zuverlässiger zu werden, weil das auf Dauer recht anstrengend werden kann. Die Mädchen auf dem Land sind oft sehr schüchtern und so dauert das seine Zeit, um mit ihnen warm zu werden. Allgemein kommt man aber mit vielen Menschen in Kontakt, weil man öfter angesprochen wird, woher man kommt und was man hier so macht.
Hier hat fast jede Stadt oder departemento ( kann man sich wie Bundesländer in Deutschland vorstellen, nur viel größer) einen eigenen traditionellen Tanz. Dies ist wahnsinnig schön anzusehen und wenn man versucht mitzutanzen, kann das schon mal in einem Lachanfall enden. Das Tanzen ist eine der interessantesten Dinge an der hiesigen Kultur und Lara und ich möchten dieses Jahr, wenn es möglich ist, auch noch an einem Umzug mittanzen.
So, aber jetzt möchte ich mit meiner Erzählung über mein Leben hier weitermachen.
Projektfindung
Am 04.10. ging es für mich nach Padilla. Ich sollte dort in einem Internat der Fundación ungefähr einen Monat verbringen. Mir ist es in der ersten und zweiten Woche in dem Internat wahnsinnig schwer gefallen mit den Mädchen in Kontakt zu treten, meine Sprachkenntnisse waren einfach echt nicht gut. Ich habe mich geschämt, wenn ich etwas Falsches gesagt habe, zu oft haben mich fragende Gesichter angeschaut, weil sie mich nicht verstanden haben. Die Folge war, dass ich mich in mein Zimmer zurückgezogen habe, um Gitarre zu spielen und zu lesen, dabei ging es mir jedoch immer schlechter. Wie sollte ich den Menschen um mich herum sagen, dass es mir nicht gut geht, wenn ich mich nicht ausdrücken konnte? Was meinen Zustand auch nicht gerade verbessert hat, war, dass ich keine ernstzunehmende Arbeit hatte. Ich wurde mit der Aufgabe in das Internat geschickt Spanisch zu lernen. Ich habe mich zu der Zeit echt gefragt, was ich hier mache, warum ich keine Aufgabe habe, weil ich doch herkam, um gemeinsam mit Menschen zu arbeiten. Ich habe mich gefühlt, als wüssten die Verantwortlichen nicht, was sie mit mir anfangen sollen. Dann habe ich auch an mir gezweifelt, weil ich dachte, dass es an mir liegt, dass sie mir keine wirkliche Aufgabe geben. Die zweite Woche in Padilla verstrich wie die erste und ich zog mich leider immer mehr zurück. Am Ende der zweiten Woche bin ich allerdings auf ein Projekt der Fundación gestoßen, das mir dann den Freiwilligen-Dienst wieder attraktiv gemacht hat.
Projekt in Padilla
In diesem Projekt haben wir uns nachmittags mit Menschen mit Behinderung getroffen und mit ihnen Schmuck und Schlüsselanhänger angefertigt. Sonia ist die Leiterin meines Projektes und hat zwei Kinder, Danna (9) und Alejandro Gabriel (12), mit den beiden verstehe ich mich richtig gut, obwohl Danna einen manchmal auf die Palme bringen kann, aber ich habe in den letzten Wochen selten so viel gelacht wie mit der kleinen Familie und der Gruppe. Unter anderem stellen wir auch die Schlüsselanhänger her, die nach der Bolivienkleidersammlung verteilt werden. Was ich in Deutschland damals nicht wusste, ist, wie viel Arbeit und Liebe fürs Detail in den Anhängern steckt. Sie werden aus alten Plastikflaschen und Altpapier hergestellt. Allgemein stellen wir Vieles aus Abfall her, Bolivien hat ein großes Problem, de
n Müll richtig zu vernichten. Die Straßen sind zwar relativ sauber, das kommt aber auch daher, dass die Müllabfuhr jede Woche drei Mal kommt. Auf dem Land sieht das allerdings anders aus, da wird der Müll morgens verbrannt, egal ob Plastik, Papier oder Essensreste. Besonders der Plastikmüll kann nicht richtig beseitigt werden, da es keine Mülltrennung gibt. So werden in Schulen und anderen Projekten aus alten Plastikflaschen Dinge hergestellt, wie zum Beispiel Ziehtöpfe für Erdbeeren oder eben unsere Anhänger. Außerdem wird den Menschen die Mülltrennung beigebracht, was allerdings nicht viel bringt, da der Müll am Ende wieder auf einem Haufen landet.
Tagesablauf
Mein Tagesablauf sah ungefähr so aus, dass ich morgens um sieben aufgestanden bin, dann gab es im Internat Frühstück, danach sind wir (eine Praktikantin aus Bolivien arbeitet und lebt mit mir im Internat) ins Projekt gegangen und haben bis Mittags Dinge vorbereitet oder fertiggestellt. Im Internat gab es dann wieder Mittagessen und bis um halb drei konnten wir eine Mittagspause machen. Dann sind die Menschen mit Behinderung gekommen, mit denen wir dann Karten, Schmuck und Schlüsselanhänger hergestellt haben. Außerdem arbeiten wir auch in einem selbstangelegten Garten. Gegen sechs Uhr sind sie dann wieder nach Hause gegangen und wir haben bis zehn Uhr noch Dinge fertiggestellt. Also, wie ihr seht, war mein Tag ziemlich vollgepackt, aber es war einfach nur noch schön zu arbeiten und so macht mir die Arbeit Spaß. Wenn ich ehrlich bin, dann wusste ich nicht, ob mir das liegt, mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten, aber du gibst so wenig und bekommst einfach so viel Liebe zurück. Allein, wenn sie dich nur angrinsen, musst du einfach mitgrinsen oder wenn irgend etwas total Verrücktes passiert und alle einfach nur noch am Lachen sind oder wenn du umarmt wirst, was besonders oft bei Menschen mit Down-Syndrom vorkommt, dann vergisst du, dass dein Spanisch nicht das beste ist oder dass du deine Familie und Freunde vermisst. An den Wochenenden kann ich nach Sucre in Laras und meine Wohnung fahren und das Wochenende in der Stadt verbringen.
Festival Intercultural Inclusivo de Personas con Discapacidad
Das Highlight allerdings war dann das Festival Intercultural Inclusivo de Personas con Discapacidad, das am 20./21. Oktober stattfand. In dem Bereich Arbeit mit Behinderung wird in sechs Dörfern rund um Chuquisaca (vergleichbar mit einem Bundesland) gearbeitet, dazu gehören: Sopachuy, Redención Pampa, Villa Serrano, Villa Alcalá, Azurduy und Padilla. Anfang des Jahres kam noch das Dorf Tomina dazu. Das Festival wird jedes Jahr in einem anderen Dorf ausgetragen, dieses Jahr in Alcalá. Am 20. Oktober ging es dann in zwei Minibussen ab nach Alcalá und Sonia ist vor Nervosität ziemlich hibbelig gewesen. Nachdem wir angekommen waren, bauten wir unseren Stand auf und präsentierten die Schlüsselanhänger, Ohrringe, Ketten und einiges mehr
, was in dem Projekt hergestellt wird. Die verschiedenen Dörfer stellen alle etwas anderes her, wie Kleidung oder Schuhe und Haushaltswaren aus Holz. Abends wurde dann getanzt, jedes Dorf hat zwei Tänze aufgeführt, einen traditionellen und einen außergewöhnlicheren. Wir haben für beide Tänze zwei Wochen vorher ordentlich viel geprobt und Utensilien hergestellt. Und das hat sich auch ausgezahlt, der traditionelle Tanz ist nicht so gut angekommen, aber mit dem zweiten Tanz konnten wir den ersten Platz „abräumen“ und auch am nächsten Tag beim Fußballturnier konnten wir uns den ersten Platz sichern.
Sommerferien
Bis zu den Sommerferien (dadurch, dass Bolivien auf der Südhalbkugel liegt, ist der Sommer hier, wenn auf der Nordhalbkugel Winter ist), im November, kam Mara, eine Freiwillige, uns besuchen. Wir haben in Sucre eine wunderschöne Wanderung gemacht und die Tage zusammen genossen. Außerdem wurde beschlossen, dass ich das ganze folgende Jahr mit Menschen mit Behinderung arbeiten kann, also dass ich nicht mehr in dem Bereich Produktion arbeite, wie es eigentlich ursprünglich geplant war, sondern in dem Bereich Rehabilitation.
In de n Sommerferien sind wir (Lara, Mara und ich) dann nach Tarija gefahren, es gibt das Bundesland Tarija und die dazugehörige Hauptstadt heißt auch Tarija. Das Bundesland liegt im Süden Boliviens und ist bekannt für einen sehr guten Wein und den Schnaps Singani. Wir haben dort Wasserfälle besichtigt und natürlich haben wir uns auch an eine Weinprobe gewagt. Allerdings muss ich sagen, dass der deutsche (vor allem der Moselwein 😉 ) etwas besser ist. Die Stadt ist ein eher sehr ruhiger Ort, da zum Beispiel viele ihre Rentenzeit in Tarija verbringen. Auch Weihnachten haben wir hier verbracht, nur leider konnten wir nicht so viel von der Kultur erleben, da wir in keiner bolivianischen Familie gefeiert haben. Weihnachten wird hier am 25. gefeiert, nicht am 24. wie bei uns. Außerdem fiel es uns sehr schwer bei 25 Grad in Weihnachtsstimmung zu verfallen, trotz zwanghafter Plätzchenbackerei und selbst gemachtem Glühpunsch. Und zum ersten Mal habe ich meine Familie wirklich schmerzlich vermisst. Ich bin einfach ein Weihnachtsmensch, mit den Kerzen, der mehr oder weniger besinnlichen Stimmung und das Einkuscheln in eine Decke während der Kamin am Knistern ist. Dieses Jahr war es eher am Wasserfall sonnen, mit T-Shirt unterm kristall- blauen Himmel schlendern und die Wärme genießen.
Gefühlsschwankungen
Von Oktober bis Dezember hatte ich Gefühlsschwankungen von: nicht mehr aus dem Grinsen Herauskommen, bis zu nicht mehr mit Weinen aufhören. Bis ich an das Projekt mit Menschen mit Behinderung kam und bis es dann feststand, dass ich dort bleiben kann, hatte ich viele Zweifel am Freiwilligendienst hinter mir. Bei Vielen lief das Projekt, Viele konnten schon deutlich besser Spanisch sprechen als ich und ich hatte gerade mal Anfang Oktober mit einem Projekt begonnen, bei dem es dann auch noch unsicher war, ob ich dort bleiben konnte. Bei Lara ist es im Endeffekt sogar noch schlechter gelaufen, falls ihr an der Geschichte meiner liebsten Mitbewohnerin interessiert seid, dann schaut mal auf dem sofia-blog.de vorbei. Ohne Lara hätte ich auch niemals den Mut gehabt, meinem Chef zu erklären, dass es mir nicht gut geht und dass ich gerne für das ganze Jahr in dem Projekt mit Menschen mit Behinderung arbeiten möchte.
Ich hoffe, ich konnte euch all das Chaos irgendwie nachvollziehbar darstellen. Im Moment bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich sage, dass ich deutlich an meinen Herausforderungen gewachsen bin, es gab einfach einige Situationen, da hätte ich das Jahr am liebsten aufgegeben, aber ich habe durchgehalten und weitergemacht und bin stärker geworden und jeder Tag bringt neue Herausforderungen, die ich zu meistern versuche, um daran zu wachsen. Niemals hätte ich gedacht, dass das Leben so kompliziert sein kann. Mittlerweile wünsche ich mir einen gewöhnlichen Alltag, einen festen Arbeitsablauf und einfach einen richtigen Plan, was als nächstes geschieht, einen Plan, an den sich auch gehalten wird, denn so langsam bin ich einfach sehr erschöpft durch den ständigen Wechsel von emotionalen Hochs und Tiefs.
Wow-Momente
Das Land Bolivien fasziniert mich immer wieder aufs Neue: So viele verschiedene Vegetationen; so viele verschiedene Klimazonen; so viele verschiedene Kulturen, die doch irgendwie eine sind; so viele Menschen mit mitreißenden Geschichten; so viele Sterne, die man in Deutschland nicht sehen kann; so viele Berge; so viele Höhenmeterunterschied, obwohl man nur zwei/drei Stunden gefahren ist; so viele Autos in den Straßen; so viele Menschen, so viel Lachen; so viel Essen; so viele schöne Wolken; so viel Grün; so viel, dass ich mindestens ein Mal einen Wow-Moment in der Woche habe, in dem ich mir nur denke: “Wow, guck dir das an, du bist gerade in Bolivien, wie soll ich das bitte jemals begreifen?“ Ich habe mich einfach in dieses Land verliebt, egal wie chaotisch und unstrukturiert es manchmal ist.
Vielleicht fragt ihr euch, warum ich über das Projekt in Padilla im Präteritum geschrieben habe, es gab in den letzten Monaten nochmals ein paar Veränderungen, von denen ich allerdings in meinem nächsten Rundbrief berichten werde.
Ich sende euch warme und liebe Grüße aus Bolivien und falls ihr etwas genauer wissen wollt oder Fragen habt, dann scheut euch nicht, mir zu schreiben,
Eure Franzi