In meinem letzten Brief habe ich schon angedeutet, dass ich Ococia über die Weihnachtsferien verlassen und diese in einem Waisenhaus in der Nähe von Kampala verbringen werde.

Das Waisenhaus war für mich kein unbekannter Ort. Denn ich war mit Truus, Lilli und Julianne in meiner ersten Woche schon mal zu Besuch. Der Heimleiter ist nämlich ein Freund von Truus, der zu dem Orden der „Weißen Väter“ gehört.
Morgens habe ich mit den Kindern die Tiere (Schweine, Hasen und Hühner) gefüttert und danach die meiste Zeit Hasenställe repariert, Hasenhäuser gebaut oder dem Hausmeister bei kleineren Reparaturen geholfen. Nach dem Mittagsschlaf habe ich den Schlüssel für den Spielraum bekommen, damit die Kinder dort malen oder Fußball spielen konnten. Das war manchmal schwierig, weil ich auch dafür zuständig war, dass die ausgeliehenen Dinge wieder zurückgegeben wurden:

Meine Augen mussten stets überall sein, damit nichts in den Taschen der Kinder landete – immer hat das nicht geklappt.
Vor allem aber habe ich die Weihnachtstage in St. Noa´s Family genossen: Ich bin mit offenen Armen aufgenommen worden und habe mich wie in einer „kleinen“ Familie gefühlt.
Gerade die Feiertage, die ich normalerweise immer mit meiner Familie verbringe, waren bis jetzt die Tage, an denen ich am meisten Heimweh hatte. Daher war die Nähe zu Kampala nicht schlecht, denn ich konnte an den Wochenende zum Skypen rüberfahren und mich dort auch mit Freunden treffen.

Außerdem waren die strahlenden Kinderaugen eine gute Ablenkung. Kinderaugen, die sich – anders als in Deutschland – nicht über Geschenke, sondern über ein festliches Essen und eine Cola an Weihnachten freuen.
Sehr anders als Weihnachten in Deutschland war auch, dass es gefühlt keinen Feiertags-Stress gab. Die Arbeit mit den Kindern, Weihnachten und auch die Liebe und Harmonie, die an den Feiertagen in St. Noa´s Family in der Luft lagen, waren ein sehr schönes Gefühl und ich habe die Zeit dort sehr genossen.
Der Abschied nach sechs Wochen ist mir schwer gefallen aber ich denke, dass ich die Kinder und St. Noa´s Family bald wiedersehen werde.
Das 3. Semester der Truusanne School und die erste Absolventin
Nachdem ich den Ort, die Freunde und Menschen hier in Ocacia doch sehr vermisst hatte, ging es nach den Ferien wieder hinein in den Arbeitsalltag.

Wir haben mit den Kindern Osterlieder einstudiert, die wir Ostersonntag in der Kirche aufgeführt haben. Gemeinsam mit den Eltern der Kinder haben wir nach der Messe einen kleinen Markt veranstaltet und gemeinsam Ostern gefeiert.
Eine Woche lang hatten wir Besuch von Nadine, einer Sonderschullehrerin aus Trier, die den Lehrern und mir gute Tipps gab. Sie hatte zum Beispiel Ideen für Therapien und dazu, wie wir die Kinder besser unterrichten und dem Unterricht und der Schule mehr Struktur geben können. Aber Nadine war nicht nur zum Arbeiten da: Sie ist nebenberuflich Clown und hat den Kindern eine unvergessliche Privatvorführung gegeben.

Danke für die schönen Momente und neuen Ideen, Nadine. Ich hoffe, wir treffen uns mal wieder.
Bei mir war es schon länger her, dass ich Ostern „richtig“ gefeiert habe. Ich bin den Kreuzweg mitgegangen, habe Palmsonntag miterlebt, das Osterfeuer und die Abendmesse besucht. Das waren alles schöne Momente, die ich hier erleben durfte. Ich habe noch nie eine so volle Kirche gesehen und eine so lang andauernde Messe besucht, wie an diesen Tagen in Ococia. Das gemeinsame Betten und Zusammenkommen hat hier eine so starke Bedeutung. Es ist schön, das zu erleben und Teil dieser Gemeinschaft geworden zu sein.

Zum Ende des Semesters haben Betti, eine Lehrerin der Truusanne School, und ich ein kleines Examen für die Kinder vorbereitet, bei dem sie spielerisch, mündlich und an der Tafel einen kleinen Teil dessen wieder geben sollten, was sie im vergangenen Jahr gelernt haben. Nicht nur die Kinder, sondern auch wir hatten an diesem Tag eine Menge Spaß und es war ein tolles Gefühl, dass bei den Kindern „was hängen bleibt“ und sie aus der Schule etwas mitnehmen.
An dem folgenden Freitag war das Semester dann „schwuppdiwupp“ schon wieder zu Ende. Wie die Zeit hier vergeht. Aber es war kein normales Semesterende, denn die Truusanne School hat zudem ihr einjähriges Bestehen gefeiert und für Gloria, unsere älteste Schülerin, ist die Zeit gekommen, die Schule zu verlassen. Für alle Kinder gab es ein kleines Zeugnis, für Gloria ein Zertifikat, wir haben Einzelgespräche mit den Eltern geführt und den letzten Tag des Semesters gemeinsam gefeiert.

Gloria ist 22 Jahre jung und war ein Jahr Schülerin der Truusanne School. In diesem Jahr hat sie durch ihre guten Englisch- und Mathematikkenntnisse viel zum Unterricht beitragen können.
Ihr Schwerpunkt in der Schule lag aber nicht im „normalen“ Unterricht, sondern in den Fächern von Emma, also „Vocationaltraining“. Emma hat ihr gezeigt, wie man Schmuck herstellt, Schlüsselhalter aus alten Reifen designt und verschiedene Woll-Arbeiten. Nach diesem Jahr hat sie so viele verschiedene Arbeiten gelernt, dass wir hoffen, dass sie ihre Familie durch den Verkauf der Dinge etwas unterstützen kann. Zum Glück ist ihr Vater sehr engagiert und hat sich mit Emma in Soroti getroffen, um sie zu unterstützen: Er hat ihr gezeigt, in welchen Geschäften man welche Materialien bekommt.

Auszeit im Village
Im letzten halben Jahr war ich ein paar Wochenenden und zweimal je eine Woche bei der Familie von Emma, die ich sehr lieb gewonnen und schätzen gelernt habe. Dort bin ich immer ein gerngesehener Gast und ich freue mich, wenn Emma mich fragt, ob wir Tata und Toto (Mama & Oma) besuchen fahren wollen.
Dort habe ich das richtige Dorfleben der Atesos kennengelernt. Ich habe einen Teil von Emmas Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen und Freunde von ihm aus Kindertagen kennenlernen dürfen. Ich konnte nochmal tiefer in die Kultur der Ateso eintauchen. Ich half bei allen Arbeiten, die so anfielen. Das ist normalerweise für Gäste nicht üblich, aber so ist das, wenn man Tata und Toto besucht: Man ist kein Gast. Wir kochen und spülen zusammen, gehen Wasser holen, Schlangen jagen, Mangos pflücken, nachts weiße Termiten fangen (sehr lecker), gehen einkaufen, das Vieh zum Grasen bringen und wieder einfangen, wenn es sich losgerissen hat, Felder pflügen und bestellen.

Zudem haben Emma und ich Steine gemacht, um ein Haus zu bauen, wir haben Baumaterial für den Hausbau im Busch besorgt und am Schluss auch das Haus gebaut.

Abends am Feuer werden die Aufgaben für den nächsten Tag von den Älteren an die Kinder übergeben – es wird zum Beispiel besprochen, wer Wasser holt oder wer auf das Vieh aufpasst. Währenddessen erzählen die Älteren Geschichten, unterrichten, erklären den Kindern die Kultur oder wie sie sich Älteren und Respektpersonen gegenüber zu verhalten haben. Das waren so schöne Momente im Village, die ich nie wieder vergessen werde und auch die Begegnungen dort waren so herzlich, dass sie in meinem Herzen immer einen Platz haben werden.
Urlaub und Reisen, zu Gast bei Freunden
Im letzten halben Jahr habe ich mir auch mal etwas Zeit gegönnt, um die „Perle Afrikas“ zu erkunden, Besuch aus Deutschland zu bekommen und um selber Freunde zu besuchen. Bei den meisten Personen in Ococia fällt es mir schwer, zu erzählen, was ich hier alles gesehen und gemacht habe. Ich habe zum Beispiel nicht allen erzählt, dass ich eine Woche in Ruanda war, denn das Privileg zu reisen und Urlaub machen zu können, hat hier kaum jemand. Die meisten haben sich aber für mich gefreut, dass ich viel vom Land gesehen habe und haben über meine Geschichten, Bilder und Eindrücke gestaunt. Ein wenig zwiegespalten bin ich jedoch noch immer.

Zuerst war ich für zehn Tage auf dem Weltwärts-Zwischenseminar, das verpflichtend für alle Freiwilligen ist, die hier im Programm einen Dienst absolvieren. Dieses Seminar fand in Jinja statt, einer recht modernen Stadt direkt am Viktoria See an der Viktoria Niel Quelle. Dort habe ich SoFiA-Freiwillige wieder getroffen, die ich schon aus den Vorbereitungsseminaren kannte, aber auch neue Freiwillige zum Beispiel aus Uganda, Ruanda und Sambia kennengelernt. Auf dem Seminar hatten wir die Möglichkeit, über unseren bisherigen Freiwilligendienst zu sprechen und zu reflektieren, uns mit den anderen Freiwilligen über die verschiedenen Länder, Kulturen, Projekte und Probleme auszutauschen. Kurz nach dem Seminar haben mich meine Eltern für zwei Wochen besucht. Es war schön, meinen Eltern das Land, die Menschen und die Kultur näher zu bringen, ihnen meine Freunde in Ococia vorzustellen, meinen Arbeitsplatz und mein Zuhause zu zeigen.

Neben dem Standard-Touristik-Programm (Jinja Niel Quelle, Sipi Falls und Safari im Murchensenfalls NP) was super schön war und beeindruckende Tier- und Landschaftsbilder in mein Gedächtnis gebrannt hat, war das „Nicht-Touristik“-Programm doch um Längen schöner. Es war einzigartig für mich, meinen Eltern Ococia, meine Heimat für ein Jahr und auch die Gasfreundschaftlichkeit der Ateso, die mir – und auch meinen Eltern – hier immer und immer wieder widerfährt zu zeigen.

In den letzten Ferien kam dann Elli, eine alte und sehr gute Freundin, zu Besuch. Da sie leider nicht so viel Urlaub hatte, konnten wir nicht in Ococia vorbeikommen und haben uns auf den Süd-Westen Ugandas konzentriert:
Lake Mburo, Queen Elisabeth NP und Fort Portal.
Aber man will ja auch was machen und sehen im Urlaub und nicht nur im Bus sitzen und hin- und herfahren. Das war am Ende für mich doch etwas schade, da wir immer nur als Touris abgestempelt wurden (was wir in diesem Moment ja auch waren). Ich hätte Elli gerne die gleichen Erfahrungen und Eindrücke mitgegeben wie meinen Eltern.

Nachdem Elli wieder im Flieger saß, bin ich mit einem anderen Freiwilligen, den ich auf dem Zwischenseminar kennengelernt habe, nach Ruanda gefahren, um Freunde in Kigali und Gisenyi zu besuchen. Obwohl Ruanda und Uganda so nahe beieinander liegen, sind die Länder geographisch total verschieden. Ruanda ist das Land der 1.000 Berge und viel sauberer, es liegt kaum Müll rum und auch Plastiktüten sind seit zehn Jahren in dem kleinen Land verboten. Zudem läuft alles ein bisschen geordneter ab, zum Beispiel darf auf den Motorrad-Taxis nur eine zusätzliche Person mitfahren – und beide nur mit Helm. Aber das könnt ihr in den Rundbriefen der anderen Freiwilligen aus Ruanda alles nachlesen.

In Gisenyi haben wir Freiwillige besucht und sie in ihrer letzten Woche ihres Dienstes in Ruanda begleitet. Viele schöne aber auch traurige Momente durften wir miterleben. Die Abschiede von ihrem Projekt oder der abendliche spontane Besuch ihres Mentors – mit der ganzen Familie im Schlepptau, damit sie sich auch verabschieden können – waren beeindruckend und haben mich sehr nachdenklich gemacht. Ich habe im vergangenen halben Jahr nie so richtig über den Abschied aus Ococia nachgedacht. Der Gedanke war zwar da, aber in noch so weiter Ferne, dass es sich kaum lohnte, drüber nach zudenken. Und dann war der Begriff auf einmal so allgegenwärtig, dass mir aufgefallen ist: Mist, es sind ja nicht mal mehr drei Monate.

Mir bleibt erstmal nur übrig, Ruhe zu bewahren, die Zeit zu genießen und zu nutzen. Im Hinterkopf muss mir aber auch klar sein, dass ein Abschied und ein Ende dazu gehört zu diesem Jahr mit Ankommen, Freunde finden, Beziehungen aufbauen, Höhen und Tiefen. Man wächst und reift. Auch wenn es nicht leicht sein wird, aber da kommt bestimmt im nächsten Briefchen noch mehr, es sind ja noch fast drei Monate.
Danke fürs Lesen.
Über Anmerkungen, Fragen oder andere Dinge, die mein Leben hier in Ococia betreffen, freue ich mich schon.
Liebste Grüße,
Opio Michael