Liebe Leserinnen und Leser,
10 Monate sind seit meiner Ausreise vergangen und ich möchte euch in meinem dritten Rundbrief noch ein wenig mehr von meiner Zeit in Indien erzählen. Mein letzter Rundbrief liegt schon wieder fast 4 Monate zurück und mir fällt wieder auf, wie schnell die Zeit doch vergeht und wie viel Tag für Tag passiert. Wie viel aber auch einfach Alltag ist.
Inzwischen ist mein Rückflug gebucht, ich fliege in zweieinhalb Monaten zurück und denke schon wieder viel an Deutschland. Auch für die Rückkehr muss ich einiges organisieren und mich zum Beispiel um einen Studienplatz kümmern. Ich realisiere immer mehr, dass meine Zeit in Indien schon fast wieder vorbei ist. So ganz habe ich mich noch nicht an den Gedanken gewöhnt am 29. August in Bangalore in ein Flugzeug zu steigen und in Deutschland einfach wieder auszusteigen.
Examen in der Schule
Zwei Wochen im März waren in der Schule Examen, auch für den Kindergarten. Es ist gar nicht so leicht, kleine Kinder dazu zu bekommen ihre Zettel auszufüllen und es bedarf viel Hilfe und vieler Erklärungen, bis dann (die meisten) ihren Test erfolgreich ausgefüllt haben. Vorher wurde natürlich alles wiederholt und nochmal durchgekaut, damit die Kinder es auch (alle) können.
Es gab mündliche und schriftliche Examen, in dem Fach ‚Malen‘ mussten sie zum Beispiel Formen ausmalen oder in einem anderen Fach ein Boot basteln. In Englisch mussten sie mündlich einen Reim aufsagen und schriftlich das ABC schreiben und ein paar Dinge zuordnen.

Der März war sehr stressig, denn es gab unglaublich viel zu tun, allein organisatorisch. Alle Blätter mussten mit den Namen der Schüler versehen werden, dann mussten sie ausgeteilt und auch wieder eingesammelt werden. Der letzte Schritt war nicht immer so einfach, denn manche schmissen die Zettel einfach auf den Boden oder taten sonst was damit…
Außerdem durften nur die Schüler die Examen schreiben, deren Eltern schon die Schulgebühren bezahlt hatten. Das heißt, dass man immer schauen musste, welchem Kind man jetzt ein Blatt geben darf und wem nicht. Natürlich haben in dieser Zeit auch viele Eltern die Schulgebühren nachgezahlt und so mussten wir mit vielen Kindern Examen nachholen. Vormittags wurden die Tests geschrieben, nachmittags korrigiert und die Noten eingetragen. Ich war immer mit dabei und habe geholfen und es war durchaus spannend. Aber trotzdem war ich froh, als dann alles fertig war und nur noch wenige Kinder kamen. Kurz vor den Sommerferien und nach den Examen ist ein wenig die Luft raus gewesen. Aber wenn ich an meine Schulzeit denke, dann ist das in Deutschland ja kein bisschen anders 😀
Besuch aus Deutschland
Anfang April kamen meine Eltern aus Deutschland zu Besuch und es war ein wenig merkwürdig, sie nach 8 Monaten wiederzusehen und sie in Indien zu begrüßen, in meiner Realität für ein Jahr, die zum ersten Mal in meinem Leben komplett unterschiedlich ist wie die meiner Eltern. Wir reisten in Südindien herum und ich zeigte ihnen natürlich auch ‚mein‘ Dorf.
Gerade bei ihrem Besuch ist mir aufgefallen, wie viel ich inzwischen als selbstverständlich ansehe und wie sehr ich mich angepasst habe. Ich habe in diesen 8 Monaten einfach unglaublich viel über das Land und die Kultur gelernt, was mir vorher gar nicht so bewusst war. Und auch wenn mein Tamil immer noch nicht gut ist, verstehe ich doch viel, und meine Eltern waren erstaunt, was ich als alltäglich wahrnehme.



Wir waren mit einer deutschen Reisegruppe unterwegs und oft habe ich mich über die typisch deutsche Art: ‚Ich bin aus Deutschland und komme nach Indien, ich weiß alles besser‘ geärgert. Es gab teilweise abwertende Kommentare und es wurden Dinge kritisiert, die sie nicht verstanden haben, oder bei denen sie nicht einmal den Hintergrund kennen. Zum Beispiel wurde sich darüber aufgeregt, dass in einigen Restaurants kein Alkohol serviert wurde. Sie haben nicht gewusst, dass Indien nicht diese Trinkkultur hat wie in Europa. In einigen Bundesstaaten ist Alkohol sogar verboten, das wurde oft nicht verstanden und als ‚rückschrittlich‘ bezeichnet. Oder es gab bei der Einreise einer Frau Probleme und ein Koffer wurde vom Zoll einbehalten. Dabei ist ein Fehler unterlaufen und eine andere Dame meinte dann sagen zu müssen: „Das ist doch ein Volk von Unfähigen.“ Wie auch immer man 1,33 Milliarden Menschen über einen Kamm scheren kann. Ich muss sagen, dass mich das wirklich geärgert hat, denn es schwang einfach so viel Überheblichkeit mit. Wieso muss denn alles in Deutschland besser sein?!
Zusammenfassend war es schön, Besuch zu bekommen und meine Eltern wiederzusehen. Gerade in Cowdalli wurden sie genauso herzlich aufgenommen wie auch ich hier aufgenommen werde, und alle haben sich gefreut meine Eltern kennenzulernen. So haben wir zum Beispiel Sagaya Mary, die Schulleiterin der High School, besucht, wo auch ich oft zu Besuch bin. Eine ihrer Schwägerinnen hat meiner Mutter erklärt, dass ich jetzt ihr Kind sei, solange ich in Indien lebe. Das hat mich und auch meine Eltern wirklich sehr gerührt, denn die Inder sind einfach so herzlich und gastfreundlich. Davon könnten wir Deutschen uns auch ruhig mal eine Scheibe abschneiden 😉
2 Monate Sommerferien
Den kompletten April und Mai über waren Ferien. Das ist auch durchaus sinnvoll, denn in dieser Zeit war es oft unglaublich heiß. Ich konnte oft nachts trotz Ventilator kaum schlafen. Im Mai kühlte es dann aber wieder ein wenig ab, denn die Regenzeit begann. Alle freuten sich darüber, besonders die Landwirtschaft, denn sie konnten wieder damit beginnen, Pflanzen anzubauen und damit ihre Einkünfte sichern.
Nach den zwei Wochen Besuch meiner Eltern habe ich im Anschluss daran noch ein paar schöne Tage bei Madita in Bangalore verbracht und ihren Alltag ein bisschen besser kennengelernt.
Weichkäse eignet sich auch als Grillkäse!
Zurück im Projekt war ich erstaunt darüber, wie ausgestorben das ganze Gelände auf einmal war, denn als ich Cowdalli verlassen hatte, waren noch alle Lehrer und viele Schüler da, aber inzwischen waren die Zeugnisse verteilt und alle zu Hause. Durch die Hitze fühlte ich mich oft sehr müde und schlapp, ich habe mich einfach nicht danach gefühlt, viel zu unternehmen oder groß Leute zu besuchen. Dadurch wurde es nach circa zwei Wochen doch etwas langweilig und auch einsam. Ich begann dann doch wieder Besuche zu machen und stellte fest, dass das gar nicht wirklich anstrengend war, denn alle fühlten sich so schlapp und wir saßen oft einfach nur irgendwo im Schatten, redeten und tranken Chai.
Da ich nach den Sommerferien eigentlich nicht mehr verreisen wollte, nutzte ich die Sommerferien auch nochmal für einen Besuch bei meiner Mitfreiwilligen Klara in Trichy und habe ein paar Tage bei ihr im Projekt verbracht. Eigentlich hatten wir andere Pläne, die wir dann aber, wie so oft in Indien, kurzfristig ändern und neu planen mussten. Aber im Endeffekt war es auch so sehr schön und das zeigt mir, dass man gar nicht immer alles so genau im Voraus planen kann/sollte. Oft ist es einfach viel besser so, wie es sich dann spontan ergibt.

Wir sind dann noch zusammen nach Bangalore gefahren und haben Madita besucht. In Bangalore haben wir uns ein paar eher ‚westliche Tage‘ gegönnt, mit Nudeln, Pizza, Parkbesuchen und auch ein wenig Shopping. Es ist jedes Mal schön, die anderen Mädels zu sehen, und auch wenn Helena leider nicht dabei sein konnte, sind wir eine tolle Gruppe geworden und eng zusammengewachsen. Unser gemeinsames Jahr in Indien hat uns zusammengeschweißt und uns von Fremden zu Bekannten und schlussendlich zu guten Freundinnen werden lassen.
Die letzten 2 Wochen der Sommerferien war ich dann wieder in Cowdalli und war erstaunt darüber, wie grün auf einmal wieder alles war. Auch wenn ich genug zu tun hatte, war ich dann doch recht froh, als die Schule wieder anfing und ich wieder meinen geregelten Tagesablauf hatte.

Der Schulanfang
Offiziell begann die Schule wieder am 28. Mai. Aber auch wirklich nur offiziell. Wenn überhaupt, kamen Kinder zum Spielen und die Lehrer waren noch alle mit administrativen Aufgaben beschäftigt. So wurden zum Beispiel viele neue Kinder angemeldet und Formulare mussten ausgefüllt werden und so weiter. Für mich gab es dabei nichts zu tun, ab und zu machte ich mal kleinere Laufarbeiten, aber ansonsten saß ich einfach nur dabei und habe ein wenig mit den Lehrern gequatscht. Es war schön, sie alle wiederzusehen und wieder etwas mehr Leben auf dem Campus zu haben. Gleichzeitig hab ich mich viel mit meiner anstehenden Visumsverlängerung beschäftigt, denn da mein Dienst hier 13 Monate dauert, musste ich mein Jahresvisum um einen Monat verlängern. Ziemlich viel Papierkram und irgendwann sehr nervig, funktionierte aber dann doch recht unkompliziert. Inzwischen habe ich, Gott sei Dank, meine Verlängerung erhalten.
Ab dem 6. Juni ging es dann auch für mich richtig los. Ich lernte die neue Kindergartenlehrerin kennen, ich verstehe mich gut mit ihr. Sie heißt July (das hat schon zu mehreren Verwirrungen geführt, wer von uns beiden gerade gemeint ist). Die neuen Kinder kamen und es wurde stressig. Viele Kinder weinen am Anfang noch, denn sie sind so klein und nicht daran gewöhnt, ohne ihre Eltern zu sein. Dadurch stieg die Lautstärke ziemlich an, und da weinen leider ansteckend ist, heulen mindestens noch 3 Kinder mit, sobald eines anfängt. Sie zu beruhigen ist oftmals schwierig, noch nicht mal Süßigkeiten helfen, und so können wir oft nicht viel mehr tun als sie weinen zu lassen. Wir versuchen es mit Gutzureden, einer Umarmung, setzen sie mal auf den Schoß, aber viele Kinder steigern sich richtig rein und man hat wirklich keine Chance!
Aber mit der Zeit wird es besser und sie gewöhnen sich daran. Im Moment haben wir fast 70 Kinder, was wirklich sehr anstrengend ist. July und ich sind beide froh, dass wir zu zweit sind. Aber es ist auch schön, viele sind unglaublich süß und es freut mich richtig, wenn sie von alleine einen Reim aufsagen oder etwas in Englisch sagen, denn viele lernen wirklich schnell, auch wenn wir es natürlich langsam angehen lassen.

Noch ist es ein wenig unkoordiniert. Wir sollen zum Beispiel die Anwesenheit überprüfen, was aber gar nicht so einfach ist, da viele Kinder uns ihren Spitznamen sagen, so, wie sie zuhause genannt werden. So können wir sie so natürlich nicht identifizieren. Aber auch das wird mit der Zeit einfacher und ich kenne schon einige Namen.
Auch haben wir viele muslimische Kinder, die Urdu sprechen. July versteht kein Urdu und ich natürlich auch nicht, was es oft nicht so einfach macht, zu verstehen was ein Kind von uns will. Glücklicherweise spricht es aber die Putzfrau ein wenig.
Ich muss aber sagen, dass ich schon ein wenig traurig bin, meine „alten“ Kinder nicht mehr jeden Tag zu sehen. Ein paar vermisse ich schon. Auch wenn sie nur einen Raum weiter sind, ist es doch was anderes. Ich bin einfach nicht mehr für sie zuständig. Aber trotzdem grüßen mich immer noch alle sehr süß und freuen sich mich zu sehen und, naja, ich freue mich auch immer, wenn ich einen Grund habe rüber zu gehen. 😉
Den Kiosk führe ich im Moment nicht, der neue Father wollte das erstmal nicht. Mal sehen, wie sich das noch entwickelt. Ich bin aber ganz froh darum, auch wenn mir die Arbeit Spaß gemacht hat, denn der Kindergarten ist doch anstrengend genug.
Ewige Profess von sieben Nonnen in Cowdalli
Worauf ich mich schon seit Monaten freute, war eine riesige Feier am 4. und 5. Juni. 7 Nonnen eines Ordens, der sich Dinasevanasabha nennt und auch in Cowdalli 2 Konvente hat, legten ihre Ewige Profess in Cowdalli ab. Extra dafür kam der Bischof aus Mysore, viele Priester und auch ein Priester aus Deutschland, denn die Gründerin des Ordens war Deutsche und es gibt immer noch 3 Klöster des Ordens in Deutschland.
Am ersten Tag war eine lange und sehr gut besuchte Messe, es standen sogar draußen sehr viele Stühle und ein Mittagessen für alle Besucher auf dem Schulhof. Ich trug natürlich wieder Sari und war mitten im Geschehen.
Eine dieser Nonnen kommt aus der Familie der Schulleiterin der High School, Sagaya Mary, und ich war eingeladen nach dem Mittagessen mit zu ihrem Haus zu fahren. Dort gingen die Glückwünsche für die ‚fertige‘ Nonne weiter und den ganzen Tag war Trubel im Haus.
Ich schlief mit anderen Gästen auf Bastmatten im Wohnzimmer und war einfach glücklich ein Teil der Feier und der Familie zu sein.
Die Nacht war kurz, denn am nächsten Morgen ging es früh wieder los. Es sollte noch eine zweite Messe stattfinden und danach ein riesiges Mittagessen am Haus der Familie. Es wurden Zelte aufgestellt, eine Bühne aufgebaut, extra Männer zum Kochen engagiert und die ganze Familie machte sich schick. Insgesamt kamen wohl über 1000 Gäste, natürlich ein wenig über den Tag verteilt und es wurden unglaublich viele Fotos gemacht und gequatscht und so weiter. Ich war den ganzen Tag dabei und es war ein Erlebnis, das ich so schnell nicht mehr vergessen werde.



Mehrere haben mir gedankt, dass ich die zwei Tage bei ihnen verbracht habe, was ich aber nicht so richtig verstanden habe, denn eigentlich war ich es, die überglücklich über die Einladung und die Herzlichkeit der ganzen Familie war. So hat mir eine Nonne, die auch Teil dieser riesigen Familie ist und die ich vorher noch nie gesehen hatte, am zweiten Tag geholfen, meinen Sari anzuziehen.
Ein kleiner Neuanfang in Indien
Am 13. Mai hat Father Christopher sich verabschiedet und ein neuer Father kam nach Cowdalli. Das ist so üblich, circa alle 5 Jahre wechseln die Priester ihre Stelle und ihren Wohnort.
Wir alle, Lehrer, Schüler, die Köchin, die gesamte Gemeinde, waren natürlich etwas aufgeregt, denn ein neuer Father, der auch gleichzeitig Schulleiter ist, bedeutet eine große Veränderung. Natürlich auch für mich.
Der Father kam, in einer Messe wurden feierlich die Schlüssel übergeben und der alte Father war verschwunden. Ich kam mir ein wenig verloren vor, denn ich kannte vom neuen Father bisher quasi nur den Namen: Father Santhosh. Die ersten Tage habe ich mich ein wenig wie ein Geist im Haus des Fathers bewegt und fühlte mich ein bisschen in meine Anfangszeit zurückversetzt. Ich war unsicher. Das legte sich aber doch recht schnell wieder.

Gleichzeitig hat Father Santhosh aber auch die Köchin und ihren Sohn entlassen, welche am 9. Juni dann auch endgültig gingen. Ich war überhaupt nicht glücklich damit, denn für mich waren die beiden sowas wie ‚meine indische Familie‘. Glücklicherweise hat Bernadette aber noch weiter Arbeit in der Schule und kommt trotzdem jeden Tag, und sie und ihr Sohn wohnen nur eine halbe Stunde entfernt, ich kann sie also am Wochenende mal besuchen.
Mit der neuen Kindergartenlehrerin ist mein Neuanfang sozusagen komplett. Dort, wo ich die meiste Zeit verbringe, hat sich quasi alles geändert. Ich bin sehr dankbar darüber, dass ich mich auch mit der neuen Lehrerin gut verstehe und sie sich über meine Hilfe freut. Ich bin auch sehr froh, dass ich noch viel Kontakt zu anderen Lehrern und ihren Familien habe. Das erleichtert mir die neue Situation enorm und ich fühle mich doch nicht wieder in die Anfangszeit zurückversetzt, sondern genieße meine restliche Zeit in Indien einfach nur. Auch wenn ich es natürlich irgendwie schöner gefunden hätte, wenn alles beim Alten geblieben wäre… 😉

Liebe Grüße aus Cowdalli, Judith