Brasilien: 5 Rundbrief von Maximilian Gerhards

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Familie,

liebe Unterstützerinnen und Unterstützer!

Mehrere Monate sind nun seit meinem letzten Rundbrief vergangen. In wenigen Wochen fliege ich zurück nach Deutschland. Viel ist passiert und ich habe dabei nicht die Zeit, den Mut und die Worte gefunden, um zu schreiben. Ich hatte und habe immer noch das Gefühl, gedanklich nicht dem hinterher zu kommen, was ich hier erlebe. Ich hatte das Gefühl, vielen Themen nicht gerecht werden zu können. Dieser Bericht ist daherkürzer geworden.

Was passiert ist
Es würde den Rahmen sprengen, alles zu erzählen, was ich seit April erlebt habe, daher hier ein kurzer Überblick: Ich habe Geburtstag gefeiert, wir hatten Schulfest, der Brunnen in der Ökoschule ist unerwartet ausgetrocknet, was zu einer mittelschweren Krise geführt hat, mittlerweile wurde jedoch schon ein neuer Brunnen gebohrt, der auch ausreichend Wasser liefert. In Pedro II fand ein großes Musikfestival, das „Festival do Inverno“ statt, ich habe mit Freunden aus der Stadt das Fußballspiel Palmeiras gegen Ceará in Fortaleza geschaut, meine Tante Doris war zusammen mit einer Freundin zu Besuch, die Festas Juninas wurden gefeiert, die Fußballweltmeisterschaft ging sowohl für Deutschland als auch für Brasilien zu früh zu Ende und jetzt gibt es drei Wochen Schulferien.

Weiterhin fühle ich mich in der Ökoschule mit den Schülerinnen und Schülern und meinen Kolleginnen und Kollegen, besonders den anderen Landwitschaftslehrern,sehr wohl. Es ist immer etwas anderes los und es ist schön zu merken, dass sich die anderen auf mich verlassen und mir viel alleine zutrauen. Ich schätze es sehr, jeden Tag draußen mit Tieren und Pflanzen zu arbeiten.

Meine Kollegen in der Ökoschule, die Landwirtschatfslehrer Dejavan, Raimundo, Franciso, Naira und Zélia.

Pedro II
Anfang Juni fand das „Festival do Inverno“ (Winterfestival) in Pedro II statt. Vier Tage lang war die Stadt wie verwandelt. Aus dem ganzen Bundesstaat reisten Gäste an, um Konzerte, kulturelle Veranstaltungen und die verschiedenen Touristenattraktionen der Stadt zu besuchen. Offiziell war es ein Jazz- und Bluesfestival, faktisch wurde jedoch von Jazz über Rock bis Reggea fast alles gespielt. Sowohl regionale als auch nationale Künstler und Bands traten auf. Aufgrund der vielen Besucher und der veränderten Atmosphäre wirkte Pedro II in diesen Tagen wie eine ganz andere Stadt.
Pedro II ist auch als „Terra da Opala“ (Land der Opale) bekannt. Neben der Stadt Cooper Pedy ist die Stadt einer der wenigen Standorte weltweit, an denen dieser Edelstein vorkommt. Bis 1985 wurde der Großteil der Steine von australischen Firmen geschürft, nach Australien exportiert und dort vermarktet. Mittlerweile werden die Edelsteine nur noch in kleinem Stil abgebaut. Die Opale werden hier in der Stadt auch zu Schmuck verarbeitet und verkauft.

Und Fußball
Im Juni war ich mit Freunden einer Fanvereinigung aus Pedro II, der „Mancha Verde“ (Grüner Fleck), des Profivereins „Palmeiras“ aus São Paulo, ein Fußballspiel in Fortaleza gucken. Ich bin mittlerweile überzeugter „Palmeirense“ (Palmeiras-Fan) geworden, natürlich der beste Verein Brasiliens!
Zusammen mit anderen Gruppen der Fanvereinigung, die wie wir aus anderen Staaten des Nordosten Brasiliens, wie Bahia, Pernambuco und Maranhão, angereist waren, sangen, trommelten und feierten wir 90 Minuten lang im Stadtion. Es war ein Fest. Da konnten wir das Unentschieden bei Abpfiff auch halbwegs verkraften.

Unsere „Mancha Verde“ aus Pedro II vor dem Stadion in Fortaleza.

Ausländer sein
Neben den überwiegend positiven Erfahrungen, wie ich von den Menschen hier aufgenommen wurde, habe ich in vielen Momenten auch erfahren, wie schwierig es ist,als Ausländer in ein anderes Land zu kommen. Zu Beginn war die größte Herausforderung die Sprachbarriere, die sich jetzt nur noch selten zeigt. Einfache Bedürfnisse nicht verbal ausdrücken zu können, kann sehr frustrierend sein. Durch mein Aussehen, mein Verhalten und meinen Akzent weiß jeder, dem ich begegne, dass ich kein Einheimischer bin. Besonders auf meinen Reisen wurde mir häufig „Gringo“ (Wort für Ausländer) oder auch direkt „Alemão“ (Deutscher) zugerufen. Diese Zurufe waren nicht unbedingt negativ konotiertaber sie bedrückten mich, wie auch andere Momente, in denen mir das Gefühl gegeben wurde, nicht dazu zu gehören.Beispielsweise, als sich einige der staatlichen Lehrer an der Ökoschule in meiner Anwesenheit über mich unterhielten und nur von dem „Alemão“ (dem Deutschen) sprachen, obwohl sie mich alle schon seit mehreren Monaten kannten. Oder wie einige Schüler permanent meinen Akzent imitieren, wenn sie mit mir reden. Umso mehr freue ich mich über die Momente, in denen ich das Gefühl habe, richtig dazu zu gehören.

Ich versuche die Herausforderungen und Erfahrungen auf die aktuelle Situation von Migranten in Deutschland zu beziehen. Ich konnte mich hier in meinem direkten Umfeld gut und relativ schnell integrieren, da ich zusammen mit Einheimischen lebte und arbeitete. Das wünsche ich mir in ähnlicher Form auch für Migranten in Deutschland. Es würde mich freuen, wenn unsere Gesellschaft, ausländischen Menschen mehr so begegnen, wie mir die Menschen hier begegnen; und wir sie dazu gehören lassen.

Kultur und Werte
Mir ist in den letzten Wochen nochmal deutlich geworden, wie heimisch die Stadt mittlerweile für mich ist. Mit Plätzen, Geschäften, Parkbänken und Straßenecken verbinde ich nun Begegnungen und Erinnerungen. Manchmalhabe ich das Gefühl, Brasilien schon gut zu kennen und richtig dazu zu gehören. In anderen Momenten erscheint mir hingegen vieles noch immer fremd. Mir wird dann bewusst, wie anders ich bin, wie anders ich aussehe und wie anders ich denke und handle, obwohl ich schon vieles von meinen Mitmenschen hier übernommen habe.

Beispielsweise habe ich noch immer oft das Bedürfnis, Diskussionen zu Ende zu führen und Konflikte mit Kompromissen zun lösen. Hier herrscht in Beziehungen ein großes Harmoniebedürfnis. Die Menschen akzeptieren eher schlechte oder störende Angewohnheitenihrer Mitmenschen und tolerieren diese, um diese Harmonie zu wahren. In Gesprächen werden mögliche Streitpunkte eher nicht ausdiskutiert, sondern einer gibt dem anderen nach, sobald die Diskussion zu konfrontativ wird. Beiden ist bewusst, dass der Nachgebende weiterhin von seiner Meinung überzeugt bleibt. Um die Harmonie zu wahren, hat er seine Meinung jedoch in der Sitaution zurückgestellt und dem anderen zugestimmt, ohne ihm dies später noch nachzutragen. Das mag für uns komisch wirken, aber so scheint Konfliktlösung hier zu funktionieren.

Blick aus dem Gebirge bei Pedro II nach Ceará, den benachbarten Bundesstaat.

Rückreise nach Deutschland
Mir wird in den letzten Wochen immer bewusster, wie viel ich von meinem Leben hier vermissen werde: Neben dem Essen, wie Bolo de Goma, Feijoada, Creme de Galinha und Tapioka auch die Späße mit meinen Kollegen in der Schule, die Spiele mit den Schülern in der Mittagspause und die Diskussionen über Fußball, die praktische Arbeit jeden Tag mit Pflanzen und Tieren, meine Capoeira Gruppe ACUP, die Vielfalt brasilianischer Musik, den brasilianischen Lebensrhythmus und vor allem meine Freunde, Kollegen und meine Gastfamilie. Andererseits freue ich mich auch auf das Wiedersehen mit meiner Familie und meinen Freunden in Deutschland.

Ich bin hin und hergerissen zwischen meinem Leben hier und meinem Leben in Deutschland. Mir bleibt, die nächsten Wochen zu genießen und nicht zu vergessen, dass ich noch oft die Möglichkeit haben werde, zurückzukehren und es hier immer einen Platz für meine Hängematte geben wird.

Zum Ende noch einmal der Hinweis, dass all meine Erfahrungen hier subjektiv sind und nicht verallgemeinert werden können. Bei Gesprächen mit meinen Mitfreiwilligen Angela und Kim wird mir dies immer wieder deutlich. Wir lernen alle ein etwas anderes Brasilien kennen. Ich habe versucht, nicht einseitig zu berichten, sondern über Positives und Negatives, politische Aspekte, meine Erfahrungen und das alltägliche Zusammenleben, wie ich es erfahren durfte.

Herzliche Grüße aus Brasilien
Euer Max

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