Ruanda: 2. Rundbrief von Lukas Wendling

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Interessierte, liebe Freunde und Familie,

ich lebe nun schon seit knapp einem halben Jahr in dem kleinen, mir zunächst fremdem aber doch so wundervollem Ruanda. In den letzten Monaten ist sehr viel passiert und ich versuche es auch so ausführlich wie möglich zu beschreiben. Die Reise ins Neue und Ungewisse ist für mich nun mein Alltag geworden. Ich habe mir hier quasi ein neues, zweites Leben aufgebaut. Es fühlt sich so an, als hätte ich zwei Leben in zwei verschiedenen Welten. Mir war von vorneherein klar, dass ich mich auf eine komplett neue Kultur einlassen werde und mein bekanntes und gewohntes Leben in diesem Jahr hinter mir lasse. Doch nun genau das zu erleben, einfach mittendrin zu sein, ist einfach unbeschreiblich. Zu sehen, dass das Leben auch anders funktioniert, als mit der neusten Technik, dem streben nach Erfolg und einem hohen gesellschaftlichem Druck. Es kann so einfach sein und wenn man genau hinschaut, kann man in dieser Einfachheit sehr schöne Dinge erkennen.

Es ist so einfach, mit kleinen Gesten oder netten Gesprächen andere Menschen glücklich zu machen oder zum nachdenken zu bewegen.

Es ist auch einfach, mit Menschen zu kommunizieren, obwohl man nicht die selbe Sprache spricht.

Es ist auch einfach, ein schönes Leben zu führen ohne viel Besitz.

Und es ist so schön zu sehen, dass die meisten Menschen es mir hier so einfach und angenehm wie möglich machen wollen mit ihnen zusammen zu leben.

Natürlich kann ich leicht reden, mit meiner finanziellen Unterstützung und meiner generellen Sicherheit aus Deutschland. Und natürlich war auch für mich nicht immer alles einfach. Doch die Menschen die ich hier kennen lernen durfte, sind größtenteils zufrieden mit dem was sie haben. Und von dieser Zufriedenheit können wir uns alle eine Scheibe abschneiden.

Mein Projekt:

Bei meiner Arbeit hat sich ein bisschen was getan. Das neue Schuljahr, welches am 22. Januar begann, brachte nicht nur endlich meinen lang ersehnten English-Club mit sich, sondern auch 400 (!) neue Schülerinnen und Schüler. Also wurden von jetzt auf gleich aus 250 Schüler_innen, um die 600. Das Arbeiten in der Ecole Technique Paroissiale in Nyarurema ist nun, verständlicherweise, für mich wieder erfüllt von „umuzungu“ rufen und irritierten Blicken, jedoch denke ich, dass es sich in den nächsten Wochen legen wird. Von den Schülern besteht ein hohes Interesse, sich mit mir, also einer Person welche in einer fernen Kultur aufgewachsen und somit anders geprägt ist, über einfache, aber doch sehr interessante Themen auszutauschen. Und außerdem ist es dadurch, dass wir uns nur auf Englisch unterhalten, eine sehr gute Praxisübung, welche meist leider zu kurz kommen. Quasi ‚win, win‘.

In den letzten drei Schulwochen des letzten Schuljahres, wurden die Jahresabschlussexamen geschrieben. Da ich ja auch quasi zum Lehrkörper gehöre musste ich auch anwesend sein um darauf zu achten, dass niemand schummelt. Und ich kann euch bzw. Ihnen berichten, dass hier genauso gespickt und geschummelt wird wie in Deutschland. War eine witzige Erfahrung aber so ganz wohl gefühlt habe ich mich nicht, wenn ich jemanden erwischt habe, weil ich genau weiß wie er oder sie sich in dem Moment fühlen.

Das Partnerschaftsprojekt, die Aquaponikanlage, wurde derzeit noch nicht begonnen aber wie es aussieht, werde ich nach meinem Zwischenseminar (Ende Februar), gemeinsam mit der Klasse Senior 5 Construction, anfangen die Pläne zu besprechen und den Platz an dem die Anlage gebaut werden soll zu begradigen. Immer nach dem Motto „Gut Ding will Weile haben!“. Wer sich nun Fragt: „Was ist eine Aquaponikanlage?“, kann dies gerne in meinem letzten Rundbrief nachlesen.

Irgendwie ist es nun schön für mich, nach 4 Monaten Arbeit an der E.T.P, in denen ich mal hier mitgemacht habe, mal da zugeschaut habe, eine geregeltere Woche zu haben. Es macht mir auf jeden Fall sehr viel mehr Spaß jetzt!

 

Meine Ferien:

Lisa und ich im Kivu-See

Da ich ja an einer Schule beschäftigt bin, hatte ich genauso wie jeder andere Lehrer die großen Schulferien. Meine Ferien waren geprägt von sehr anstrengenden und sehr schönen Tagen. Zuallererst habe ich mir vorgenommen Rwanda zu erforschen und mal mehr zu sehen als nur Nyarurema und Kigali. Also habe ich meine sieben Sachen gepackt und bin nach Musanze gereist. Musanze ist die 2. größte Stadt Rwandas und liegt nord-westlich von Kigali. Da die Stadt am Fuße des Virunga-Gebirges liegt und deshalb ziemlich hoch gelegen ist, ist es dort im Verhältnis sehr kalt. Der Hauptgrund aber für meinen Besuch im „kalten Norden“ war aber meine ehemaligst Mitfreiwillige und gute Freundin Lisa. Bei Lisa habe ich ein paar Tage gewohnt und einen kleinen Einblick in ihr Leben und ihre Stadt bekommen. Danach haben Lisa und ich uns auf nach Gisenyi gemacht, eine wunderschöne Stadt am Rande des Kivusees und nur ein Katzensprung von der Grenze zur Demokatischen Republik Kongo entfernt. In Gisenyi haben wir auch meine Mitfreiwillige Claire getroffen, die uns nachgereist ist. Wir haben ein paar Tage bei unserem gemeinsamen Freund Hussein gewohnt, uns in den sogenannten „Hot Springs“, entspannt und leckeren Fisch gegessen. Claire und ich sind danach losgezogen, um den „Congo Nile Trail“ zu wandern. Nur mit unseren Wanderrucksäcken und viel Motivation sind wir also losgezogen uns vor uns lag das wohl körperlich anstrengendste was ich je erleben sollte.

Wer kommt denn auf die blöde Idee, in Afrika wandern zu gehen“

Diese Frage stellten wir uns von Tag zu Tag. Bei gefühlt 40 Grad mit viel zu viel Gepäck auf dem Rücken jeden Tag 30km Berg auf und Berg runter zu wandern ist halt kein Zuckerschlecken. Aber das Gefühl, wenn man dann abends im Camp war und gemütlich ein Bierchen getrunken hat, zahlt einem alles zurück. Insgesamt waren wir 5 Tage unterwegs und zum Abschluss haben wir uns in Kibuye eine Bootstour, mit Zwischenstopp auf den Amahoro-Inseln (Friedens-Inseln) und der Monkey-Island auf dem Kivusee gegönnt.

Congo-Nile-Trail am Kivu-See

Weihnachten habe ich mit meiner Familie aus Kigali verbracht. Wir haben uns ein Kleinbus

Meine zweite Familie

gemietet und sind allesamt in den Nyungwe Nationalpark gefahren. Dieser Park ist der einzig existierende Regenwald in ganz Ruanda, da der größte Teil des Landes aufgrund der Überbevölkerung zum kultivieren genutzt wird. Im Nationalpark waren wir ein bisschen wandern, haben unser Weihnachtsessen auf einem Parkplatz genossen und sind dann abends in eine kleine Unterkunft im südlichsten Westen Ruandas gefahren. Eine kleine Stadt namens Ruzisi. Der Grund für unsere Übernachtung dort war, dass Ruzisi am drei-Länder-Eck zwischen Ruanda, Burundi und der demokratischen Republik Kongo liegt. Am nächsten Tag also setzten wir jeweils ein paar Schritte in jedes Land und genossen das Beisammensein. Nach einem kleinen Stopp bei einem heißen See, der ähnlich wie die oben genannten „Hot-Springs“, durch die unterirdische Vulkanaktivitäten erhitzt wird fuhren wir zurück nach Kigali und ließen gemeinsam das Weihnachtsfest ausklingen.

 

Nyungwe National Park

Nach Weihnachten kam mich meine beste Freundin Morena, für zweieinhalb Wochen, aus Deutschland besuchen. Wir planten eine große Reise nach Uganda und Kenia und ein Tag, nachdem sie angekommen war ging es auch schon los. Wir fuhren mit dem Bus nach Kampala, in die ugandische Hauptstadt und verbrachten dort eine Nacht. Silvester verbrachten wir in Entebbe, ca. eine Stunde von Kampala entfernt. Entebbe ist ein kleines Städtchen am Viktoria-See, dem größten See Afrikas. Nach ein paar schönen Tagen in einem kleinen Backpackers und einem Besuch im Botanischen Garten führte uns unser Weg wieder nach Kampala um dort meine Mitfreiwillige Claire zu treffen. Zusammen setzten wir unsere Reise, unter einigen Schwierigkeiten, fort. Das Problem war, dass die kenianische Regierung, Nachtfahrten für Busse zum Jahreswechsel verboten hat. Dies erschwerte nun die weitere Spontanität unserer Reise. Unser Ziel nach Kampala, war eigentlich die Hauptstadt Kenias, Nairobi. Allerdings landeten wir im Endeffekt in Kisumu, einer weiteren Kleinstadt am Vikrotia-See. Zum Glück fanden wir von da aus einen Bus, der uns zu unserem endgültigen Ziel bringen konnte. Mombasa am indischen Ozean. Ich kann euch/Ihnen berichten, dass wir dort das Paradies auf Erden gefunden haben (siehe Bilder). In Mombasa bzw. Mtwapa (das Nachbardorf) verbrachten wir ein paar Tage, auch in einem Backpackers direkt am Meer und dann ging es wieder zurück nach Ruanda.

Paradies am Indischen Ozean

Meine Haare:

Witzig ist, dass ich mir vor meiner Ausreise schon Gedanken gemacht habe, wie die Menschen hier meine Haare aufnehmen. (Für die, die mich nicht kennen: Ich trage schon seit über zwei Jahren Dreadlocks). Denken sie vielleicht, dass ich verrückt bin, weil ich offensichtlich eine Frisur trage, die aus ihrer Kultur stammt? Denken sie vielleicht, dass ich ihre Kultur klauen möchte? Oder finden es die Menschen hier einfach cool?

Was ich jetzt sagen kann ist, dass es letzteres ist. Wenn ich Leute kennenlerne, startet die Konversation oft mit: „Hey, ich mag deine Haare. Ich hab noch nie einen weißen mit Dreadlocks gesehen.“ Auch sonst, wenn ich einfach nur ganz normal durch die Straßen laufe, wird mir oft ein „Ey, Rasta“ hinterhergerufen. Am Anfang meines Freiwilligendienstes fand ich das ziemlich cool und witzig nur mit der Zeit nervt es auch ein wenig.

Wieso ich meine Frisur in meinem Rundbrief erwähne fragt ihr euch vielleicht jetzt?

Die größte Aufmerksamkeit wegen meiner Haare bekam ich nämlich in Kenia, wo die Rastakultur noch viel ausgeprägter ist als in Ruanda selbst. Dort wurde mir nämlich gefühlt 50 Mal am Tag hinterhergerufen und alle fanden es cool. Ich hab auch ehrlich gesagt schon überlegt, mir meine Dreads abzuschneiden, weil mir auf Dauer diese Aufmerksamkeit zu viel wurde, hab mich im Endeffekt aber dagegen entschieden.

Meine Gedanken:

Wie ich in meiner Einleitung schon erwähnt habe, fühlt es für mich so an, als würde ich in zwei verschiedenen Welten leben. Meine Welt in Deutschland mit meiner Familie, meinen Freunden und Aktivitäten. Und meine Welt hier mit meiner zweiten Familie, meinen Freunden hier und meiner Arbeit. Es fühlt sich irgendwie irreal an, dass beides Parallel existiert. Ich glaube der Grund für dieses „irreal-Gefühl“ ist einerseits die Zeit, die ich hier schon lebe und quasi getrennt von meinem „vorherigen Leben“ bin und andererseits, dass ich mich hier schlicht und einfach Pudelwohl fühle. Die Kultur, die Landschaften und die Menschen machen mich einfach jeden Tag aufs Neue sehr glücklich und ich spüre eine innere Zufriedenheit. Die Zeit fliegt wie schon mal gesagt einfach vorüber und ich finde, wenn man glücklich ist, fliegt die Zeit noch mal doppelt so schnell.

Zu guter Letzt möchte ich noch sagen, dass Ihr wahrscheinlich nur durchs lesen gemerkt habt, dass mir persönlich mein Freiwilligendienst sehr viel gibt und ich momentan sehr glücklich bin. Die Schönheit von anderen Kulturen und Ländern wird meiner Meinung nach sehr unterschätzt und ich bin sehr froh, diese Schönheit erleben zu dürfen.

Peace.