Liebe Leser*innen,
nun sind wir schon bei meinem letzten Rundbrief angekommen. Diesmal möchte ich ohne große Vorworte einsteigen. Ich hoffe einfach, dass Euch meine 4 Rundbriefe gefallen haben und dass ich Euch damit einen Einblick in meine „Indien-Welt“ geben konnte. Die letzten Monate meines Indien-Aufenthalts waren eine wahre Achterbahnfahrt, so viel ist sicher. Aber lest selbst…
Die Osterzeit
Die Osterzeit dieses Jahr ist mir besonders in Erinnerung geblieben, da ich sie noch nie so aktiv und intensiv erlebt habe, wie in Indien. Schon Wochen vor dem Osterfest begannen die Vorbereitungen. Blumengestecke wurden gebunden, die Kirche vorbereitet, Programme geplant und so weiter. Zudem haben wir im Kloster die Fastenzeit in Form von Verzicht auf Fleisch und Fisch eingehalten. Für die Schwestern war das besonders schwer, da die keralesische Küche normalerweise viel Fisch beinhaltet. Da ich in Deutschland eigentlich eh Vegetarierin bin, war das für mich weniger schwer. Die Woche vor Ostern stand dann natürlich ganz im Zeichen der Karwoche und wir haben viele der christlichen Traditionen dieser Woche aufgenommen. An Palmsonntag wurden zum Beispiel an alle Gemeindemitglieder Palmwedel verteilt. Am Gründonnerstag hat unser Gemeindepriester 12 auserwählten Männern aus der Gemeinde die Füße gewaschen, nach dem Vorbild der Fußwaschung in der Bibel. Am Abend diesen Tages haben wir auch auf offenem Feuer Brot gebacken und es alle zusammen mit den Priestern gegessen, in der Tradition des Abendmals. Am Karfreitag sind wir in einer anderen Gemeinde in Bangalore den Kreuzweg mitgelaufen. Die Gemeinde dieser Kirche hatte ein richtiges Schauspiel vorbereitet, bei welchem ein Schauspieler, als Jesus verkleidet, symbolisch den Kreuzweg gegangen ist. Die Gemeinde und wir sind mit ihm gelaufen und an jeder Station wurden Gebete gesprochen.

Der Höhepunkt dieser Woche war aber natürlich der Ostersonntag, mit der nächtlichen Ostermesse. Ich glaube ich habe noch nie an einem Tag so viel gegessen, wie an diesem Ostersonntag. Es war wirklich ein großes Fest, alles war sehr feierlich und etwas besinnlicher als Weihnachten.
In dieser ganzen Zeit um Ostern sind mir nochmal zwei Dinge besonders klar gewordem:
1. Ich wohne tatsächlich in einem Kloster (denn das habe ich von Zeit zu Zeit völlig vergessen).
2. Die Christen in Indien sind sehr stolz auf ihre Traditionen und es ist ihnen sehr wichtig diese auch ausleben zu können.

Eine Achterbahn der Gefühle
Die Zeit von April bis Juni habe ich hauptsächlich in meinem Projekt verbracht, was ich sehr genossen habe. Mir ist immer wieder aufgefallen, wie wichtig es für mich war über lange Zeiträume in meinem Projekt zu arbeiten, denn war ich eine längere Zeit weg, sei es wegen Visumsangelegenheiten oder Seminaren, hatte ich oft das Gefühl nochmal von vorne anfangen zu müssen, mich nochmal einleben, nochmal den Kontakt zu meinem Mitmenschen hier suchen und mit den Kindern warm werden. Besonders schön war es auch, als zwei junge Sisters aus Kerala zu uns nach Bangalore kamen, die gerade dabei waren Deutsch zu lernen. Dabei konnte ich ihnen natürlich gut helfen und wir hatten viel Spaß.
Die schönsten Momente meines Freiwilligendienstes habe ich in dieser Zeit von April bis Juni erlebt. Da war zum Beispiel mein Geburtstag Ende Mai. Vor diesem Tag hatte ich ein bisschen Respekt, da ich meinen Geburtstag zwar sehr selten zu Hause verbracht habe, aber doch noch nie so weit weg von meinen Lieben. Doch die Sisters und die Kinder haben mir diesen Geburtstag weit weg von zu Hause sehr versüßt. Über den Kuchen von den Schwestern bis zu den selbstgebastelten Karten der Kinder, habe ich mich über alles gefreut und dieser Geburtstag wird mir wohl lange in Erinnerung bleiben.
Aber auch die ganz alltäglichen Momente habe ich sehr zu schätzen gewusst. Zum Beispiel abends nach der Arbeit mit den Sisters Federball zu spielen. Die Sonne hat die Fließen, auf denen wir barfuß spielen, den ganzen Tag über gewärmt und ging dann langsam unter. Regelmäßig muss ich mich auf den Boden setzten vor Lachen, weil die beiden Schwestern, die Deutsch lernen, so konsequent, aber eben mit noch recht kleinem Vokabular deutsch reden, das ganz lustige Sätze dabei heraus kommen. Zum Beispiel hörte ich während eines Spiels oft den Satz: „Ich today minus Energie“, wenn sie sagen wollten, dass sie müde sind. Gerade jetzt, wo ich wieder in Deutschland bin, vermisse ich diese Momente am meisten.

Nach dieser Hoch-zeit, ging es leider auch wieder runter auf meiner Achterbahn. Anfang Juni bekam ich die Nachricht, dass meine Mutter schwer krank ist. Das hat mich natürlich erst mal umgehauen. Zum Glück wurde ich sehr lieb von den Schwestern, von meinen Indien-Mädels, SoFiA und Freunden und Familie zu Hause unterstützt. An dieser Stelle nochmal Danke an Euch alle! Als sich dann Mitte Juni heraus stellte, dass der gesundheitliche Zustand meiner Mutter schlechter war, als anfangs gedacht, beschloss ich meinen Freiwilligendienst vorzeitig zu beenden und 2 Monate früher nach Hause zu fliegen, um meine Mutter zu unterstützen.
Abschied
So kam dann doch früher als geplant der Abschied auf mich zu. Und Abschied nehmen war nicht leicht. Viele Menschen, die ich lieb gewonnen hatte, besonders die Schwestern und die Kindern, würde ich nun lange nicht wieder sehen. Und auch der Abschied von meinem Leben in Indien, ja von Indien selbst, tat mir sehr weh. Doch mit der Gewissheit, dass ich eines Tages wieder kommen würde und mit der langsam aufkommenden Freude auf die deutsche Heimat, war es dann doch erträglich. Neben dem emotionalem Abschied, standen allerdings auch einige organisatorische Dinge an, die ich klären musste. Zum Glück wurde ich dabei wieder sehr unterstützt.
Meine letzten Tage in Indien habe ich nochmal intensiver erlebt, weil ich alles in mich aufnehmen wollte, damit ich auch ja nie wieder etwas von dem vergesse, was ich hier erlebt habe. In diesen Tagen habe ich besonders viel Zeit mit den Schwestern und den Kindern verbracht und es fanden einige, teils sehr spontane und emotionale Abschiedsfeiern statt. Regelmäßig bin ich bei Abschiedsreden in Tränen ausgebrochen und selbst im Kindergarten flossen ein paar Abschiedstränen, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte vor den Kindern stark zu bleiben.
Etwas Lustiges ist mir in den letzten Tagen meines Indienaufenthalts aufgefallen: Ich wurde ein bisschen zum Tourist. Da hatte ich es 11 Monate lang tunlichst vermieden, wie ein Tourist zu wirken und laufe trotzdem in meinen letzten Tagen durch die Gegend, mache Fotos wie verrückt und kaufe Andenken für meine Familie.
Und dann kam der große Tag und ich stand wieder am Bangalore International Airport mit viel zu schwerem Gepäck und noch schwererem Herzen. Eine letzte Umarmung mit den Sisters und dann kam schon der Heimweg.

Zu guter Letzt
Bevor ich mich nun auch von Euch in dieser Form verabschiede, möchte ich Euch allen von ganzem Herzen danken, dass Ihr mich auf dieser Reise begleitet habt. Das vergangene Jahr war das schwierigste, aufregendste, anstrengendste, lehrreichste und schönste Jahr in meinem bisherigen Leben. Es war ein Jahr an das ich viele Erwartungen hatte. Manche wurden enttäuscht und viele erfüllt. So sehr ich es versucht habe zu vermeiden, natürlich hatte ich ein vorgeprägtes Bild von meinem Freiwilligendienst in Indien. Wenn ich heute auf dieses Bild zurück blicke, muss ich ziemlich lachen, denn alles war anders. Die meisten Ängste, die ich hatte, haben sich als unnötig herausgestellt. Dafür haben Dinge nicht geklappt, an die ich gar nicht gedacht hatte. Manche Sachen, auf die ich mich gefreut hatte, waren gar nicht so toll. Dafür wurde ich an jeder Ecke von hundert neuen Gründen überrascht, dieses Land atemberaubend schön zu finden. Indien ist schwer in Worte zu fassen. Dieses Jahr ist schwer in Worte zu fassen, und das nicht nur, weil es allgemein schwer ist ein ganzes Jahr in wenigen Sätzen zu beschreiben. Deswegen will ich auch kein Fazit ziehen; das mache ich ja auch nicht nach jedem Jahr in Deutschland. In sofern war es ein Jahr wie jedes andere: Es ist viel passiert, gab Höhen und Tiefen und wenn ich zurück gucke, frage ich mich, wo dieses Jahr eigentlich hin ist.
Vieles war aber auch ganz anders als sonst.
Ich war einsamer. Ich habe mich intensiver gefreut und viel mehr geweint. Ich war schneller verletzt und habe schneller Freude empfunden. Ich habe mich besser kennengelernt und mich doch teilweise auch ganz schön weit von mir selbst entfernt. Ich hatte heftigere Tiefs und habe mich um so mehr über alle Hochs gefreut. Ich wurde noch nie so sehr herausgefordert und bin über mich hinaus gewachsen. Ich habe viele neue Erkenntnisse gewonnen. Sie alle auf zu zählen würden den Rahmen sprengen. Drei davon möchte ich trotzdem mit Euch teilen:
1. Ich bin mein eigenes Zuhause und egal wo ich bin, das kann mir keiner nehmen.
2. Beziehungen sind wichtig, vielleicht das Wichtigste und es lohnt sich in sie zu investieren.
3. Mit Humor geht alles und alles wird weniger schlimm oder beängstigend, wenn du darüber lachen kannst.
An dieser Stelle kommt jetzt ein kurzer, aber umso schnulzigerer Dankesabschnitt, denn es gibt so viele Menschen, denen ich für die unterschiedlichsten Gründe dankbar bin nach diesem Jahr.
(feel free to skip)
Ich möchte meinen Indien-Mädels danken: Judith, Klara und last but not least Helena. Das Jahr wäre nicht das selbe gewesen ohne euch und es war eine der schönsten Erfahrungen, die ich dieses Jahr machen durfte, wie schnell aus Fremden Freunde werden können. Ich hab Euch so lieb. Und auch Danke an alle anderen Freiwilligen! Es war ein Vergnügen so einen tiefen Zusammenhalt untereinander und so ein großes Verständnis für die Situation anderer miterleben zu dürfen.
Ein Dank geht auch an das ganze SoFiA-Team. Mir ist in diesem Frewilligendienst immer wieder bewusst geworden, wie viel Glück ich hatte, an so eine tolle Organisation geraten zu sein. Die Vorbereitung war der Wahnsinn und hat mir enorm geholfen, dieses Jahr zu meistern.
Natürlich auch ein Dank an meine Familie, Freunde und alle anderen, die mich von zu Hause aus unterstützt haben und die in Gedanken bei mir waren. Das warme Gefühl eines Ortes, an dem Menschen sind, die auf mich warten, war unersetzlich.
Unendlich dankbar bin ich den Schwestern der Society of Kristudasis, die mich so herzlich bei sich aufgenommen haben und allen meinen indischen Freunden. Dank euch war mein Freiwilligendienst mehr, als ich mir jemals erträumt hätte.
Zu guter Letzt Danke ich natürlich Euch allen, meinem Solidaritätskreis, meinen Rundbriefleser*innen. So viele liebe Mails und Nachrichten haben mich nach jedem Rundbrief erreicht. Es war mir eine Ehre Euch auf meine Reise mitnehmen zu dürfen.
Nun bin schon seid einiger Zeit zurück in Deutschland und was soll ich sagen , das Leben geht weiter. Der Reverse-Kulturschock, also der Schock wenn man nach so einem Jahr wieder nach Hause kommt, war für mich schlimmer, als der Erste, weil er unerwarteter war. Auf der Fahrt vom Flughafen Frankfurt nach Hause in meine „Lieblingskleinstadt“ Neuwied, dachte ich nur „Gott ist das hier aufgeräumt“. Die Felder sehen aus, als würde jemand nachts mit der Pinzette und Nagelschere umher laufen und alles perfekt an seinen Platz zu rücken. Es riecht nach gar nichts hier in Deutschland. Alles ist irgendwie steril und unantastbar.
Aber versteht mich nicht falsch, ich habe mich auch über viele Sachen gefreut, Menschen jetzt mal ausgeschlossen: sich keinen Gedanken mehr zu machen, ob jetzt auch genug Haut bedeckt ist (wobei es mich tatsächlich etwas Überwindung gekostet hat, im kurzen Kleid auf die Straße zu gehen), wieder selbstständiger zu sein und Auto fahren. Allgemein sich einfach wieder auszukennen, die unausgesprochenen Regel der Gesellschaft zu verstehen, hat sehr gut getan. Komisch ist es trotzdem ein bisschen. Alles ist irgendwie wie vor einem Jahr, aber ich selber eben nicht. Doch wie vor einem Jahr in Indien, werde ich mich auch an diese Situation gewöhnen. Das Leben geht weiter und ich freue mich auf neue Abendteuer. Während dessen werde ich Indien immer lieben, denn es ist eine Heimat für mich geworden. Und wie das so ist mit Heimat, manchmal ist sie auch schwer zu ertragen. Dennoch nach Indien zu gehen und dort meinen Freiwilligendienst zu machen, habe ich noch nie bereut.
An Euch nochmal Danke und Alles Gute,
Eure Madita

