Hallo, ihr Lieben.
Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ungewöhnlich für mich, nicht wahr? Ich bin seit mittlerweile mehr als einem ganzen Monat wieder in Deutschland und versuche, meine Gedanken zu bündeln um euch die Erfahrungen von Juni und Juli sowie meines Abschieds mitzuteilen. Dabei wird mir einmal mehr bewusst, wie unterschiedlich mein Leben und Denken waren als ich in Malawi war. Und schon jetzt beginne ich zu reflektieren und viele Dinge mit anderen Augen zu sehen, aber es fällt mir schwer, mich wieder in den Paul hineinzuversetzen, der vor 2 Monaten in Malawi saß. Doch ich werde mein Bestes geben.
Die zwei Seiten der Medaille
Wie geht es euch? Mir geht es gut.
Klingt komisch in einem Brief, ich weiß. Mir ist in den letzten Wochen in Malawi etwas bewusst geworden: Die Nachfrage, wie es dem Anderen geht, hat immer Raum, ist eine Selbstverständlichkeit. Einen Freund oder Mitarbeiter bei der ersten Begegnung des Tages nicht zu begrüßen (vielleicht weil man im Stress ist), das kommt nicht vor.
Die Nachfrage nach dem Befinden ist nicht obligatorisch und sie ist auch nicht nur eine Formel. Die Malawier nehmen sich Zeit füreinander und sind ernsthaft am Gegenüber interessiert. Eine Eigenschaft, die sich im ganzen Alltag wiederfindet. Trifft man sich auf zufällig auf der Straße, hält man an und nimmt sich Zeit für ein Gespräch, ob man gerade knapp dran ist oder nicht. Die Beziehung zur anderen Person, vielleicht einem nur flüchtigen Bekannten, ist wichtiger als Pünktlichkeit. Ich hoffe, das klingt nicht wie ein leiser Vorwurf an die deutsche „Pünktlichkeitskultur“. Denn ich sage nicht, dass die malawische Art „besser“ ist. Vielmehr ist sie einfach anders und hat auch ihre Nachteile. Möchte man eben schnell etwas erledigen, kann ees sein, dass es nicht so schnell funktioniert. Diese Kultur hat also ihre zwei Seiten, wie so vieles. In der Tat ist die Idee der zwei Seiten der Medaille ein Gedanke, der mich das Jahr über nicht losgelassen hat. Seien es meine Mitbewohner, die Gelassenheit der Malawier oder das Wetter, nichts war ausschließlich gut oder schlecht. Alles hatte positive und negative Seiten. So wie das Leben selbst.
Deutschland im Kopf, Malawi vor der Tür
Nun aber zu den Ereignissen der letzten beiden Monate: Zunächst besonders war es, die dritte (und letzte) Jahreszeit Malawis zu erleben. Nach der „hot season“ (heiß, trocken; August – November); der „rainy season“ (warm, Regenzeit; Dezember – April) kam nun die „cold season“. Diese fing Ende Mai richtig an – und ich hatte auf einmal viele de-ja-vú´s. Denn das Wetter war kühler und trocken, so dass ich mich, gerade auch mit den kalten Nächten, an den deutschen Frühling erinnert fühlte. Das Licht, die grünen Bäume, sogar der Gesang der Vögel waren sehr vertraut. Doch diese Erfahrung war nicht nur wohltuend, ich hatte nämlich im Juni oft Heimweh. Interessanterweise sehnte ich mich auch sehr nach Weihnachten. Im Dezember hatte ich mich nicht so gefühlt, ich denke, weil Wetter und Atmosphäre für mich damals nichts mit Weihnachten zu tun hatten. Das war im Juni anders, wodurch mir klar wurde, das es langsam für mich an der Zeit war, heimzukehren. Und mit dem baldigen Abschied als Perspektive fiel mir der Umgang mit dem Heimweh auch leicht.
Und Deutschland sowie die Heimkehr beschäftigten mich nicht nur auf der emotionalen Ebene. Denn für die Rückkehr nach Deutschland und die Zeit danach galt es einiges vorzubereiten. Die meiste Zeit nahmen die Bewerbung für die Universität und die Wohnungssuche in Anspruch. Leider musste ich aufgrund der teilweise recht früh gesetzten Fristen aus Deutschland öfter im Projekt um kürzere Arbeitszeiten bitten, um alle Dokumente fristgerecht über das unzuverlässige Internet hochzuladen.
An dieser Stelle habe ich eine großartige Unterstützung meines Projektes erfahren. Es war kein Problem, mir freie Zeiten zu gewähren. Dies habe ich das ganze Jahr über so erlebt. Brauchte ich dringend Raum und Zeit, wurde sie mir immer vom MOET gewährt. Und da ich in den vergangenen Tagen sowohl die Immatrikulation als auch den Mietvertrag erhalten habe kann ich behaupten, dass sich diese Unterstützung bezahlt gemacht hat.
Doch die Fristen hatten auch ihr gutes, denn sie waren so früh angesetzt, dass ich mich im Juli wieder voll und ganz auf meine Einsatzstelle konzentrieren konnte.
Hatte ich bei den Mid-term Examen noch nur punktuell helfen können, war ich am Ende des Schuljahres bei den Abschlussklassenarbeiten wieder voll dabei, auch bei der Vorbereitung der Schüler. Und nachdem Spencer, der Lehrer der 5. Klasse, mir während meiner Bewerbungen den Rücken freigehalten hatte, war ich nun bei der Korrektur seiner KA´s zur Stelle. Alle Lehrer halfen sich gegenseitig mit Korrekturen und es war oft eine sehr harmonische Atmosphäre in der wir teilweise zu sechst in einem Raum saßen, uns unterhielten, Essen und Getränke teilten und Klassenarbeiten korrigierten.
Ich habe sowieso in den letzten Wochen bewusst viel Zeit mit den Lehrern und im Projekt verbracht. Mit dem nahenden Abschied wurde mir bewusst, dass ich die Zeit nutzen und genießen wollte. Und die Freundschaften mit den Mitarbeitern haben sich noch einmal vertieft, verbessert. Ich war in meinem letzten Monat im Projekt sehr glücklich und wollte allen dort zeigen, wie wichtig sie mir geworden sind. Die Erfahrung in dieser Zeit war wunderbar, ich war so integriert, zufrieden und genügsam wie nie zuvor im Freiwilligenjahr. Ich war genau so, wie ich es mir zu Beginn des Dienstes gewünscht hatte.
Ihr seht, der letzte Monat war ein besonderer. Er macht natürlich die Krisen, Probleme und Ängste der vorherigen Monate nicht zunichte oder relativiert sie, aber er gibt dem Jahr einen goldenen, versöhnlichen Abschluss.
Sportfest
Ich wurde vor kurzem nach meinem schönsten Erlebnis im ganzen Jahr gefragt.
Natürlich gab es viele tolle Erlebnisse. Einige Treffen und Urlaube mit andern Freiwilligen waren wirklich besonders. Das Wiedersehen mit meiner Familie nach 8 Monaten war wunderschön. Die Safari, ein Lehrerausflug, das Zwischenseminar… Ich habe viele tolle Erlebnisse gehabt. Aber der MOET-Sports-Day war für mich das schönste Ereignis.
Dieser Tag war ein großes Sportfest für alle Schüler. Den ganzen Tag über vibrierte und brummte die ganze Schule vor Aufregung und Vorfreude. Die Schüler versammelten sich auf dem Sportplatz hinter den Klassenzimmern, wo eine Musikanlage aufgebaut worden waren. Während die Projektmitarbeiter letzte Vorbereitungen trafen, tanzten die Kinder zur Musik. Die Atmosphäre war großartig!

Die Wettkämpfe beinhalteten verschiedenste Disziplinen, von Eierlauf und Sackhüpfen über mehrere Langstreckenläufe bis hin zu Fußball war alles dabei. Den Lauf der Mädchen gewann Hawa, übrigens eine Schülerin aus „unserer“ fünften Klasse; wohlgemerkt gegen einige Mädchen, die drei bis vier Jahre älter waren als sie.
Wie vieles in Malawi war das Sportfest recht spontan und ein wenig chaotisch, aber es funktionierte alles und alle hatten Spaß dabei! Nachdem ich als Schiedsrichter das Basketballspiel überwacht hatte war es Zeit für die letzte Disziplin des Tages: selbstverständlich ein Fußballspiel.
Dabei trat ein Team aus Lehrern und Projektmitarbeitern gegen die Schüler an. Ich war natürlich mit dabei und es hat unglaublich viel Spaß gemacht, auch da uns die gesamte Schule zujubelte. Das Ergebnis (1:1) war irgendwie auch egal, denn wir hatten alle Spaß an einem fairen und schönen Match. Ich war einfach einer der Lehrer, nicht der „Azungu“, der Weiße. Und das war unglaublich wertvoll für mich.

Und es gab noch einen besonderen Tag an der Schule, nämlich die Schuljahresabschlussfeier. Die Schüler erhielten ihre Zeugnisse, Eltern/Erziehungsberechtigte und Lehrer waren anwesend, es wurden Reden gehalten und es gab Programm. Jede Klasse stellte etwas vor, ein Lied, ein Gedicht, ein Rollenspiel etc. Mit besonderem Stolz erfüllte mich dabei der vorgetragene Dialog von zwei Schülerinnen der fünften Klasse, die ich oft auf Englisch unterrichtet hatte und die hervorragend auf Englisch sprachen. Für mich war das ein Hinweis, das ich in diesem Jahr vielleicht auch den Schülern durch meine Arbeit geholfen habe.
Ich sollte auch eine Rede halten und konnte dabei alle überraschen. Denn ich hatte stets nur wenige Worte in der Landessprache Chichewa genutzt. Doch in den letzten Wochen nahm ich Sprachunterricht bei Charles, einem sehr guten Freund (ein sehr belesener und kluger Mann!).

Dadurch war ich in der Lage, meine Rede komplett in Chichewa zu halten, sehr zur Freude aller Anwesenden (und teils auch zum Amüsement, denn meine Aussprache war wohl recht lustig).
Für mich war das auch besonders, aus zwei Gründen. Zum einen war es zu Beginn des Jahres ein Ziel für mich, bei meiner Rückkehr fließend Chichewa zu sprechen. Das ist zwar nicht gelungen, doch wenigstens diese Rede in der Landessprache zu halten machte mich glücklich, denn es war zum anderen für meine Freude und alle Anwesenden eine Wertschätzung ihres Landes und ihrer Kultur, dass ich mir die Mühe gemacht hatte, ihre Sprache zu erlernen.
Für mich gab es auf dieser Feier auch einiges zu beobachten. So wurde aus den großen Boxen bei der Zeugnisvergabe Musik gespielt. Natürlich sehr laut. Ein deutscher Club hat im Vergleich dazu Schlummer-Lautstärke.
Die drei Besten einer jeden Klasse wurden einzeln aufgerufen und ausgezeichnet. Für die jeweiligen Schüler gab es Geschenke von der Schule (Schreibwaren, Kleidung) und Geschenke von den Eltern die zur Musik tanzend nach vorne kamen, meist Chips oder Cola/Limonade. Für uns unvorstellbar, aber diese Flasche Limo war für die Kinder wie Weihnachten und Ostern zusammen!

Dann wurden alle anderen Kinder der Klasse aufgerufen und am Ende wurde wieder die Musik aufgedreht, die Eltern der Kinder kamen nach vorne und es wurde ein paar Minuten lang getanzt, bis dann die nächste Klasse dran war. So schön, so locker, so spontan! So, wie ich Malawi als Land immer erlebt habe.
Am Ende des Tages blieb noch der Abschied von den Schülern, die mir in diesem Jahr so ans Herz gewachsen sind. Sätze wie „We will miss you, Sir“ (Wir werden Sie vermissen) und „We love you“ (Wir lieben Sie) hörte ich immer wieder und sie bewegten mich sehr, weil ich weiß, das diese Kinder mich ähnlich liebgewonnen haben wie ich sie.

Pause!
Danach hatte ich erst mal Urlaub. Ich hatte noch knapp zwei Wochen Ferien bis zur Ausreise und die erste von beiden wollte ich nutzen, um noch einmal Teile des Landes kennenzulernen, die mir noch unbekannt waren. Gemeinsam mit Miriam, einer anderen deutschen Freiwilligen, fuhr ich hoch in den Norden, um die Stadt Mzuzu, den Ort Livingstonia und die sogenannte „Mushroomfarm“ kennenzulernen. Am Fuß der Berge, auf welchen sich neben Livingstonia und Mushroomfarm auch riesige Teeplantagen fanden, übernachteten wir in einer Lodge und trafen dort zufällig auf Christiane, eine deutschen Backpackerin, die gerade aus Tansania kam und Malawi erkunden wollte. Und wie sich Dinge in Malawi nun mal spontan ergeben, waren wir am Ende zu dritt drei Tage unterwegs. Ich habe diese zufälligen Begegnungen während meines Freiwilligenjahres immer sehr geschätzt.

Am nächsten Morgen verweigerten wir uns den gefährlichen Fahrzeugen und beschlossen stattdessen, die Straße auf den Berg hoch zu wandern – wohlgemerkt eine Straße, die von einer deutschen Zeitschrift als eine der 10 gefährlichsten Straßen der Welt bezeichnet wird.
So hatten wir die Genugtuung des fleißigen Wanderers, als wir abends erschöpft auf dem Gipfel des Plateaus in der Mushroomfarm ankamen. Die Mushroomfarm, das ist eine recht bekannte und wunderschöne Lodge mit vielen Bio- und Nachhaltigkeitsprojekten und einer wunderschönen Aussicht von den Bergen auf den See.
Bewusst bestellten Miriam und ich lokales Essen, da wir schon bald wieder in Deutschland sein würden.
Am nächsten Morgen wanderten wir nach Livingstonia, eine vom berühmten Entdecker Livingstone gegründete Siedlung, anschließend besuchten wir noch einen Wasserfall und genossen ein „Abendessen am Abgrund“ in einem kleinen Restaurant mit Blick auf die Wasserfälle.

Und dann ging es wieder zu Fuß den Berg runter, mit Bussen nach Mzuzu, Lilongwe und für mich dann nach Mangochi.
Mich von Miriam zu verabschieden war seltsam, da ich wusste, unsere nächste Begegnung wird in Deutschland sein. Es war für mich absurd, das ich all die anderen Freiwilligen, die ich in Malawi kennengelernt habe, auch in Deutschland treffen kann.
Abschied
Und dann kam es zum endgültigen Abschied vom Projekt, meinen Freunden und dem Land.
Da mehrere Lehrer und ich das MOET verließen, machten wir eine große Abschiedsparty mit allen Angestellten. Ratet mal, wohin wir dafür fuhren!

Natürlich nach Cape Maclear. Und – an dieser Stelle darf ich euch ein wenig neidisch machen – wir fuhren mit einem Boot auf eine Insel, um dort zu kochen, essen, tanzen und schwimmen.
Vieles hat diesen Tag besonders gemacht. Die Reden, in denen ich noch einmal die Wertschätzung meiner Freunde erfahren durfte, das Geschenk (eine Holzschale mit meinem Namen darauf) oder auch zwei der muslimischen Kolleginnen, die uns ihr Vertrauen zeigten, indem sie auch ohne Kopftuch mit uns schwimmen gingen.
Doch am schönsten war es, vollkommen normal als „Staff member“ dabei zu sein. Ein Teil der Gruppe, Freund, Kollege, Paul – aber nicht „Azungu“. Das war für mich an diesem Tag das schönste Geschenk.

Von meinen engsten Freunden habe ich mich dann am vorletzten Tag noch persönlich verabschiedet. Der Abschied fiel mir nicht leicht, aber es war kein schmerzhafter Abschied, kein trauriger. Ich hatte mich schon darauf vorbereitet, dass der Abschied kommen würde.
Patron machte mir noch ein schönes Geschenk, indem er mir seine im Bau befindliche „Eco-Lodge“ zeigte, an der er seit Jahren arbeitet. Seit meinen ersten Tagen in Malawi hatte er mir immer wieder davon erzählt und wollte sie mir zeigen, doch es klappte nie. Aber so dann doch! Damit schloss sich für mich ein Kreis.

Als wir mit dem Auto dann Mangochi und das MOET verließen, war für mich in meinem Kopf der Freiwilligendienst vorbei. Ich war noch im Land, hatte aber innerlich das Kapitel, das nun vorbei war, geschlossen und schlug das nächste auf.
Nichtsdestotrotz betrachtete ich die vorbeiziehende Landschaft aufmerksam und nicht ohne Wehmut. Die weite Ebene, jetzt braun und trocken, die wilden Berge, die Menschen auf und an der Straße, die Obst- und Gemüseverkäufer, die unzähligen Kinder, ….
Vieles war wieder wie bei meiner Ankunft. Es war heiß, die Luft staubig und trocken, das Land braun. Hin und wieder Feuer, wo Heu und Stroh von den Bauern verbrannt wurden, um den Boden fruchtbar zu machen. Es war schön zu sehen, wie das Leben in Malawi weiterfließt.

Ich habe Malawi glücklich verlassen und nur beim Start des Fliegers ein paar Tränen verdrückt. Und nach einem langen, entbehrungsreichen Rückflug, war ich unglaublich froh, heimzukehren. Meine Mitpassagiere werden sich gefragt haben, was mit mir los ist, denn ich habe während des Landeanfluges auf Frankfurt aufgeregt aus den Fenstern geschaut und dabei gegrinst wie ein Honigkuchenpferd!
Danke
Jetzt bin ich zurück. Mein Leben geht weiter, das Leben im MOET geht weiter. Wenn ihr das MOET weiter begleiten wollt, könnt ihr hin und wieder hier nachsehen, ich würde mich freuen:
Danke an alle, die mich das Jahr über begleitet und meine Briefe gelesen haben!
Alles Liebe,
Euer Paul