Burkina Faso: 1. Rundbrief von Judith Steinmetz

Unterwegs auf neuen Wegen…

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,

nach über einem Monat im „Foyer Sainte Monique“ in Banfora, Burkina Faso, möchte ich euch gerne einen kleinen Einblick in meine bisherige Zeit hier geben.  Sie verlief in verschiedener Hinsicht anders als erwartet, aber ich beginne, mich gut einzuleben. Auch wenn meine eigentliche Arbeit hier noch nicht starten konnte, habe ich schon Einiges zu erzählen.

Trotzdem habe ich mir mit dem Schreiben schwer getan. So einen Rundbrief zu verfassen, ist nämlich wesentlich schwieriger als gedacht: Zunächst einmal heißt es, viele Veränderungen und einen relativ langen Zeitraum in Worte zu fassen, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Viele Dinge, die für mich mittlerweile zur Normalität geworden sind, sind für euch vollkommen neu, sodass ich Manches trotzdem weiter ausführen muss. Zudem habe ich einen gewissen Anspruch an mich selbst: Ich will kein falsches Bild von dem Leben hier vermitteln. Wobei es das Leben hier ja auch gar nicht gibt, es gibt so viele Facetten. Behaltet deshalb bitte stets im Kopf: Ich beschreibe nicht „So ist Afrika“, nicht mal „So ist Burkina Faso“ oder „So ist Banfora“. Alles, was ich versuche in Worte zu fassen, erlebe ich als weiße Europäerin, ganz subjektiv als Judith, unbewusst geprägt durch meine Vorerfahrungen, meine Bildung sowie mein Weltbild. Viele Gegebenheiten haben einen sehr komplexen Hintergrund und gründen noch heute in der Kolonialisierung und strukturellem Rassismus, sodass ich selbst lange nicht alles verstehe. Seid euch also immer bewusst: Das, was ich schreibe und zeige und wie ich es schreibe und zeige ist immer mein ganz persönlicher Ausschnitt des „großen Ganzen“ aus meinem Blickwinkel!

Ankunft im Projekt

Eine Stadt auf dem Weg nach Banfora

Nach einer Nacht in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, an deren Flughafen ich landete, und einer ganztägigen Busfahrt vom Zentrum in den Südwesten des Landes mit ersten Eindrücken, kam ich schließlich abends in meinem Projekt, dem „Foyer Sainte Monique“, an. Von den Schwestern der burkinischen Communauté wurde ich direkt herzlich begrüßt, es gab noch etwas zu essen und dann fiel ich auch schon müde ins Bett.

Eingewöhnung mit Hindernissen

Ein wirkliches Kennenlernen der Schwestern, mit denen ich hier zusammenlebe und -arbeite, musste ich dann aber erst einmal auf später verschieben. Am Abend nach meiner Ankunft begannen sie nämlich ihre einwöchigen Exerzitien, in denen sie die Zeit – bis auf wenige Ausnahmen – in einem anderen Gebäude verbrachten und das Sprechen auf das Nötigste beschränkten. So hatte ich aber die Chance, viel mit Theresa, meiner Vorgängerin im Projekt, zu unternehmen. Sie zeigte mir das Projektgelände und die Stadt, beispielsweise verschiedene Einkaufsmöglichkeiten wie den großen und den kleinen Markt oder die Post. Vor allem aber stellte sie mich zahlreichen netten Menschen vor, mit denen sie im Laufe ihres Jahres Bekanntschaft gemacht hatte, und von denen es für sie jetzt ein Abschied, für mich ein Kennenlernen war. An einem Tag besuchten wir auch meine ersten Sehenswürdigkeiten hier: Die „Dômes von Fabedougou“, große, terrassenartig aufgebaute Steinformationen, die wir bestiegen, waren mindestens ebenso beeindruckend wie die „Cascaden von Banfora“, Wasserfälle, die jetzt in der Regenzeit wirklich tosend in die Tiefe schossen. Der Ausblick in die Weite der Landschaft und das Gefühl, an einem wundervollen Ort zu sein, faszinierten mich. So schaffte es Theresa auf vielfältige Art und Weise, mich meinen Abschiedsschmerz vergessen zu lassen und mir das Ankommen hier zu erleichtern. Dafür bin ich ihr immer noch sehr dankbar.

Die Dômes von Fabedougou
Die Cascaden von Banfora in der Regenzeit

Auch in sprachlicher Hinsicht konnte sie mir zum Glück erst einmal weiter helfen. Ich stellte nämlich schnell fest, dass das Französisch hier oft deutlich anders ist als mein Schulfranzösisch und so weder ich die Leute noch die Leute mich so gut verstanden, wie ich mir das vorgestellt hatte. Zudem war ich Hören und Sprechen aus der Schule sowieso kaum gewohnt. Auch wenn ich immer noch lange nicht alles verstehe und ich mich nicht immer verständlich machen kann, läuft es mittlerweile jedoch schon wesentlich besser. Dazu müsst ihr wissen, dass die meisten Menschen hier nicht nur eine Sprache sprechen. So habe ich einige kennengelernt, die eine lokal eng begrenzte Sprache, die etwa nur in wenigen Dörfern gesprochen wird, als Muttersprache haben. Im Westen des Landes, wo ich mich aufhalte, und der auch die zweitgrößte Stadt des Landes, Bobo-Dioulasso, einschließt, wird zudem Djula gesprochen. Diese Sprache höre ich hier wirklich viel, da sie für viele die Alltagssprache ist und auch immer wieder von den Schwestern untereinander verwendet wird. Da mich das Djula fasziniert, möchte ich im Laufe meines Jahres hier gerne etwas davon erlernen, um wenigstens die Begrüßungen erwidern zu können. Würde ich dann aber einen Ausflug zurück in die Hauptstadt Ouagadougou unternehmen, würde mich das nicht viel weiterbringen, denn in Burkina Faso leben etwa sechzig Ethnien, von denen jede ihre eigene Sprache hat. In Ouagadougou sind das etwa die Mossi, Burkina Fasos größte Volksgruppe, die Mòoré sprechen. Diese Sprachen sind keineswegs nur Dialekte, sondern unterscheiden sich vollkommen, sodass sich ein Burkinabe aus dem Norden nicht mit einem aus dem Süden verständigen kann. Es sei denn, beide beherrschen die Amtssprache Französisch, mit dem ich hier eigentlich immer weiter komme. Es ist auch die Unterrichtssprache, sodass die Schulkinder es dann spätestens ab der ersten Klasse lernen. In späteren Klassen kommen dann noch Englisch und manchmal sogar Deutsch dazu. Wie ihr seht ist hier sprachlich wirklich einiges los!

Der Innenhof der Communauté im Sonnenschein

Mit Ende der Exerzitien begann dann meine Zeit mit den Schwestern hier. Sie sind wirklich sehr freundlich, lachen viel und bemühen sich um eine langsame Eingewöhnung meinerseits was etwa das Essen angeht. Dazu werde ich euch ein andermal noch mehr berichten. Damit kommen wir aber neben den Exerzitien schon zum nächsten ungewöhnlichen Umstand: Die hauptverantwortliche Schwester sowie Gründerin der Communauté und des Foyers, Sœur Véronique, war in meinen ersten vier Wochen hier nicht anwesend. Zusammen mit einer anderen Schwester, Sœur Eugénie, war sie in Frankreich und Deutschland unterwegs und hat vor allem Bekannte besucht. So kam es etwa, dass meine Eltern vor mir ihre Bekanntschaft gemacht haben. Sœur Eugénie wird nun ein Theologie-Studium in Paris beginnen, um dann weitere Ordensschwestern ausbilden zu können, sodass ich sie wohl in meinem Jahr hier nicht kennen lernen werde. Zu Beginn waren also nur fünf Schwestern und eine Novizin anwesend. Nach und nach kamen dann Aspirantinnen und Postulantinnen hinzu. Theresa reiste nach knapp zwei schönen gemeinsamen Wochen wieder ab und schließlich traf Mitte September Sœur Véronique in Banfora ein. Bei ihrer abendlichen Ankunft begrüßten wir sie im traditionellen Pagne – so nennt man den Stoff hier – und mit Gesang. Anschließend gab es ein gemütliches gemeinsames Abendessen, bei dem sie viel von ihrer Reise berichtete.

Zur Begrüßung von Soeur Véronique im traditionellen Pagne: die Küchenmädchen Dofinia und Flo, die Aspirantinnen Antoinette und Sylvie, die Postulantinnen Alice, Céline und Germaine sowie ich

Wer sich nun fragt, was denn Aspirantinnen und Postulantinnen sind, für den hier ein kleiner Crashkurs zum Werdegang einer Ordensschwester: Bekundet ein Mädchen ihr Interesse, Ordensschwester zu werden, so ist sie zunächst einmal Aspirantin. Dies gibt ihr die Möglichkeit, das Leben in der Communauté besser kennenzulernen und sich so intensiver mit ihrer Idee auseinanderzusetzen. Ist sie sich dessen sicher, so beginnt sie ihre Ausbildung bei den Schwestern, die aus dem einjährigen Präpostulat und dem ebenfalls  einjährigen Postulat besteht. Anschließend ist sie für zwei Jahre Novizin, was schon fast ein Leben als Ordensschwester bedeutet. Nach dem Gelübde, das nach neun Jahren nochmals aufgefrischt wird, ist sie schließlich eine vollwertige Ordensschwester der Communauté. Aber nun zurück zu meiner Zeit hier:

Die Sommerferien

Mit Theresas Abreise änderte sich mein Tagesablauf, denn bisher hatte ich mich hauptsächlich an sie gehalten. Zunächst bedeutet das dann für mich einmal viel freie Zeit zu füllen, denn meine eigentliche Aufgabe hier konnte noch nicht beginnen. Da das Schuljahr für die meisten Mädchen erst am 1. Oktober anfängt, ziehen sie alle erst dann ins Foyer und ich werde mit Hausaufgabenhilfe, Computerunterricht sowie etwas später gemeinsam mit Sœur Pélagie den Aufklärungsunterricht an den Schulen von Banfora und Umgebung beginnen. Das wird erneut eine große Umstellung, von der ich euch gewiss im nächsten Rundbrief berichten werde. So aber gestalten sich meine Tage abgesehen von den Essenszeiten und der sonntäglichen Messe immer unterschiedlich. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen, da manchmal Langeweile aufkommt, doch oft ergibt sich auch etwas. Mal fragt mich eine Schwester, eine Besorgung zu erledigen oder gemeinsam eine Familie zu besuchen, mal helfe ich einfach nur bei der Vorbereitung des Essens mit und mache meine Wäsche. Einmal war ich sogar auf einem Chorkonzert, manchmal knüpfe ich aber auch einen Nachmittag lang nur Freundschaftsbändchen. Meine Flexibilität ist dadurch auf jeden Fall enorm gestiegen.

Einen Vormittag nahm mich Sœur Victorine mit zu einer katholischen Bäckerei, in der sie und die Novizin Marceline arbeiten. Dort wird Baguette gebacken, es gibt einen Laden und ein Restaurant, aber die Beiden sind für die Zubereitung der Hostien zuständig. So kam es, dass auch ich einmal dabei half. Erst wird ein Teig aus Mehl und Wasser bereitet, der dann in eine Art spezielles Waffeleisen gegeben wird. Dies wurde meine Aufgabe. War eine Platte fertig gebacken, gab ich sie weiter an Sœur Victorine, die daraus die Hostien ausstanzte. Es war eine sehr entspannte Arbeit, da das Gerät immer seine Zeit zum Backen braucht und wir uns gut unterhalten konnten. Am meisten faszinierte mich aber, dass keinerlei Abfälle entstehen. Die Reste vom Ausstanzen werden teils so, teils fein gemahlen, verkauft, da sie vor allem für Kinder, etwa mit Joghurt gemischt, eine beliebte Speise darstellen. Auch ich habe diese Reste probiert und sie sind echt lecker. Aber auch der Teig, der beim Backen überquillt, wird nicht weggeworfen, sondern getrocknet und ebenfalls weiterverarbeitet und verkauft. So finanzieren sich die Verschleißteile der Bäckerei.

Gerät zum Backen der Hostien
Soeur Victorine beim Ausstanzen der Hostien

Fällt mir sonst im Foyer die Decke auf den Kopf, habe ich begonnen, kleine Spaziergänge durch die Straßen des Viertels zu machen. Da viele Leute draußen sind, ergeben sich so häufig nette Gespräche und ich wurde auch schon von Fremden zum Tee eingeladen. Diese Offenheit der Leute ist zwar manchmal auch etwas anstrengend, etwa wenn ich einfach nur ein Stückchen gehen möchte, aber insgesamt gefällt sie mir sehr gut. Die Menschen nehmen sich viel Zeit füreinander, was mir besonders bei der Begrüßung immer wieder auffällt. Ein einfaches „Guten Tag!“ ist eher ungewöhnlich, man erkundigt sich auch nach dem Befinden des Gegenübers, der Familie, der Gesundheit, dem Verlauf des Tages oder was einem gerade als wichtig erscheint. Natürlich werden nicht immer alle Fragen gestellt, aber besonders im Djula kommt mir die Begrüßung wie ein Ritual vor, bei dem jeder weiß, was er wann zu fragen und zu antworten hat. Zum Glück verstehen die Menschen  hier, dass ich da noch nicht so ganz mitspielen kann. Mit meiner weißen Hautfarbe falle ich hier nämlich, trotz der Größe der Stadt mit über 60 000 Einwohnern, auf. Das ist mir zwar teilweise unangenehm, da ich keine besondere Beachtung erhalten möchte, doch die meisten Burkinabe nehmen entweder keinen Anstoß daran oder es zum Anlass für ein interessiertes Gespräch, z.B. über deutsche Fußballvereine. Fragt mich jetzt jemand, wo ich denn genau herkäme, so ist das aus der Nähe von Kaiserslautern, da die Fußballclubs der deutschen Bundesliga hier vielen ein Begriff sind. Rufen mir Kinder auf Französisch oder Djula „Weiße“ hinterher, was manchmal vorkommt, so lächle ich freundlich und winke, was die Kleinen meist sehr freut.

Für das Ende meines Tages habe ich entdeckt, dass ich abends nicht gerne alleine in meinem Zimmer sitze. Das so oft zitierte „sich selbst besser kennenlernen“ hat bei mir somit schon in den ersten Tagen hier begonnen. Nach Abendessen und Abwasch sitze ich deshalb gerne noch ein bisschen mit den Schwestern und Postulantinnen zusammen. Es wird Fernsehen geschaut, Handarbeit gemacht, sich unterhalten und gelacht. So lasse ich im Moment meistens meinen Tag ausklingen.

Zum Abschluss…

Meine ersten Wochen hier waren also nicht so wie erwartet, auch wenn ich keine genauen Vorstellungen hatte. Das Ankommen an einem ganz anderen Ort der Welt ist mir schwerer gefallen als gedacht, aber natürlich muss ich mich erst einmal an die neuen Gegebenheiten gewöhnen und die Menschen hier kennenlernen, genauso wie sie mich. Das ist nicht immer leicht und manchmal auch mit etwas Einsamkeit verbunden, doch am Ende meines ersten Monats kann ich ein durchaus positives Resultat ziehen. Ich lebe mich gut ein und schaue gespannt und zuversichtlich auf die bevorstehende Zeit hier, im „Foyer Sainte Monique“, in Banfora, Burkina Faso, dem „Land der aufrechten Menschen“ (wie es übersetzt heißt).

Mit diesen Gedanken möchte ich meinen ersten Rundbrief gerne abschließen und hoffe, dass auch ihr eine gute Zeit habt und ich euch ein bisschen an meinem Leben hier teilhaben lassen konnte. Natürlich freue ich mich immer über Fragen, Anregungen oder einfach nur eine nette Nachricht, also zögert nicht, euch bei mir zu melden!

Mit einem lieben Gruß

Judith Steinmetz