Ruanda: 1. Rundbrief von Felix Flämig

Eine unfassbar schöne Ankunftszeit hier in Rwanda liegt hinter mir und ich bin froh endlich von meiner Einsatzstelle im Nordosten des wunderschönen Landes berichten zu dürfen. Ich werde euch anstatt eines externen Blogs hier öfters von meinem Freiwilligendienst und meinen Gedanken erzählen. Lasst euch überraschen und bitte erwartet keinen perfekten oder vollständigen Bericht ; ich kann nicht alles in Worte fassen was hier geschieht

Lieber Solidaritätskreis, liebe Interessierte, liebe Familie und Freund*innen,

nun ist es endlich soweit: ich darf endlich meinen ERSTEN Rundbrief für Euch verfassen und versuchen, meine Gedanken und Erlebnisse der letzten etwa eineinhalb Monate zu ordnen. Viel Spaß!

Eine erste Woche voller Neuigkeiten

Gegen 7 Uhr morgens am 10. August war es soweit: meine Mitfreiwillige Kira und ich konnten endlich nach mehr als einem halben Jahr Vorbereitung ruandischen Boden in der Hauptstadt Kigali betreten. Ein gutes Gefühl. So ein neuer Geruch und schon verdammt warm zu der Tageszeit! 🙂

Nach der Begrüßung durch unsere SoFiA -Vorgänger Claire, Lukas und Adrian und einer Eingewöhnungszeit an das Klima, die Verkehrssituation Kigalis und die Umgebung unserer Bleibe im Stadtteil Gatenga (centre des jeunes Gatenga, Einsatzstelle von Adrian) konnte ich direkt in Kigali meinen Visumsantrag stellen.

Die Stadt generell und ihre Gegensätze faszinieren mich. So stehe ich manchmal in Kigali und fühle mich an europäische Großstädte oder beispielsweise Luxemburg wegen der gläsernen Gebäude und Hotels erinnert. Eine Straßenecke weiter sehe ich Straßenkinder bei der Suche nach Kohleresten oder ähnlichem, um sie für ihre tägliche Versorgung irgendwo zu verkaufen.

Verrückt und irgendwie surreal, wie Luxus und Existenznot so nah beieinander leben können.

Kigali downtown, auf dem Hochhaus der Rwandair

Mit einem großen Abendessen mit Fisch aus dem Victoriasee wurden sowohl die „neuen“ als auch „alten“ SoFiA- Freiwilligen von meiner Gastfamilie in Gisozi, einem weiteren Stadtteil Kigalis, begrüßt. So lernte ich meine Gastmutter „Mamie“, meinen Gastvater „Papi“, meine Gastschwestern Debora und Nicole, sowie meine Gastbrüder Stanley und Sam kennen. Sie alle nehmen mich auf in ein eigenes Zimmer des Hauses, wenn ich für Behördengänge oder Besuche in Kigali übernachte.

Eine total liebevolle Familie, die unfassbar gastfreundlich ist und mich direkt ins Herz geschlossen hat 🙂

Leider war Kira dabei nicht nach Essen zu Mute und generell wirkte sie seit ihrer Ankunft sehr schlapp. Auch die nächsten Tage und Nächte deuteten auf keine Besserung hin. Als schließlich auch noch Fieber und Erbrechen dazu kam, musste sie schließlich ins Krankenhaus gebracht werden.

Am nächsten Tag stand dann die Diagnose fest: Kira hat Malaria – und das nach nur einer Woche und wahrscheinlich in der Nacht infiziert, wo ich im gleichen Zimmer geschlafen habe…

Geschockt, voller Sorge und sprachlos besuchten wir sie mehrmals im Krankenhaus und versuchten sie aufzumuntern. Gott sei Dank trug die Infusion mit dem Malariamittel Früchte und durch das frühe Erkennen war schnell ein Aufwärtstrend erkennbar. Zur Beobachtung musste sie jedoch noch einige Tage im Krankenhaus bleiben.

Trotz alledem ging das Leben weiter und so besuchten wir in den folgenden Tagen zusammen mit meinen jüngeren Gastgeschwistern die EXPO in Kigali, eine Messe, die verschiedenen Ausstellern aus fast ganz Afrika und einigen anderen Ländern die Möglichkeit gibt, ihre landestypischen und regionalen Produkten anzubieten.

Das Wort Reizüberflutung bekam für mich an diesem Tag eine neue Definition…

Paradies!

Mein Mentor Father Mugisha, den ich vorher schon in Kigali treffen und kennenlernen dufte, fuhr meinen Vorgänger Lukas und mich nach einer Woche in Kigali mit seinem Auto die etwa 190 KM in mein neues Zuhause, das kleine Dorf Nyarurema – etwa 5 Kilometer von der Grenze zu Uganda entfernt. Nach einer sehr holprigen und zugleich atemberaubenden Fahrt durch die Täler und über die Hügel Ruandas war ich sehr froh das Freiwilligenhaus endlich in Echt zu sehen und gleichzeitig gespannt darauf mein Projekt und die Umgebung meiner neuen, zweiten Heimat zu erkunden.

Direkt als ich aus dem Auto stieg, war mir eine Sache klar : Ich darf für ein Jahr lang im Paradies leben!

Genauso faszinierend wie die Landschaft und meine Aussicht von der Terrasse ist mein Garten, aus dem ich eigene Bananen, Papayas, Ananas, Mais, Karotten, Zwiebeln und sämtliche Gewürze direkt essen bzw. zum Kochen verwenden kann. Zusammen mit meinen Nachtwächtern bewirtschafte ich diesen und habe gleichzeitig um mein Haus herum nur Natur – ich liebe es.

Direkt am Abend meiner Ankunft wurde ich in das Parish (Kloster) eingeladen, was die Schule verwaltet und drei Priester inklusive weiteren Bewohnern und Angestellten beherbergt.

So lernte ich meinen zweiten Mentor Father Ildephonse und den Parish Priest Father Sebastien kennen und zur Feier des Tages wurde auf dem Tischgebetswürfel sogar ein deutsches Gebet ausgewählt. Ein super Essen und die Priester haben sich sehr über die Gastgeschenke (Marmelade und einen kleinen Likör) sehr gefreut.

Auf mich wartete eine aufregende Zeit, in der ich viele neue Rezepte und Gerichte, viele neue Menschen, viele neue Abläufe und nicht zuletzt mein Projekt, die Ecole Technique Paroissiale de Nyarurema (E.T.P.) kennenlernen durfte. Zusammen mit Lukas fand ich mich schon schnell zurecht und kleinere Ausflüge auf einen nahegelegenen Hügel und in die Distrikthauptstadt Nyagatare zeigten mir viele Facetten des ruandischen Lebens. Ein ganz anderes Rwanda als das, was ich aus Kigali kannte.meine ersten freilebenden Affen in Nyagatare

An die fast täglichen Stromausfälle für mehrere Stunden, das Fehlen von fließendem Wasser ab und an, die kalte Dusche, meine tierischen Mitbewohner, sowie an die Landessprache Kinyarwanda habe ich mittlerweile schon sehr gut gewöhnt. Mit jedem Tag lerne ich Neues und mein Wortschatz der zunächst fremden und zugleich sehr interessanten Sprache wird immer größer. 😉

Auch das Waschen von Hand und alltägliche Dinge, wie das Abkochen und Filtern von Wasser ist mittlerweile zur Routine geworden und ich muss sagen, diese neuen und auch zeitintensiven Arbeiten sind alles andere als lästig – ich empfinde dabei das Gefühl weniger abhängig zu sein und jeden Tag etwas geschafft zu haben. Außerdem nutze ich beispielsweise die Zeit beim Waschen zum Nachdenken und Verarbeiten von alledem was minütlich so passiert – ja es ist vielleicht sogar eine Art Meditation.

Die E.T.P. Nyarurema – meine neue Arbeitsstätte 🙂

In der Schule begann der letzte „Term“ diesen Jahres dann am 21. August und so begann ich, nachdem endlich alle Schüler*innen aus den Ferien wieder in das Internat eingezogen waren, mit den Lehrer*innen in den Unterricht zu gehen. Ich freundete mich direkt mit einigen von ihnen und mit Schülern an, sodass ich mittlerweile eigentlich den ganzen Tag an der Schule verbringe. Besonders der Sport am Nachmittag nach Unterrichtsschluss macht mir nach wie vor besonders Spaß, weil ich sehr einfach mit vielen eher schüchterneren Schüler*innen in Kontakt komme. Auch mache ich mich dort mehr darüber lustig, wenn ich „Umuzungu“ (also Weißer) genannt werde.

Im Volleyball-und Fußballteam der Schule bin ich wenn möglich im Training dabei und hoffe einmal mit den Mannschaften bei Spielen gegen andere Schulen dabei zu sein oder sogar zu spielen.

Ein besonderes Ereignis war dann auch sicherlich der Besuch des Bischofs der Diozöse Byumba, wo sich die Schule so richtig rausgeputzt hatte und bei traditionellem Tanz und mit vorherigem Gottesdienst auch ein sehr schöner offizieller Willkommensgruß an mich gerichtet wurde. Ein echt toller Tag mit anschließendem Essen und Umtrunk im Festsaal des Klosters, welches über die Schule verfügt.

So richtig los ging es dann ab der ersten Septemberwoche.

Ich bin seitdem jeden Tag von 8 bis mindestens 16 Uhr an der Schule, helfe den Lehrer*innen bei Klausuraufsichten, beim Korrigieren einfacher Arbeitsaufträge und vor allem: ich besuche alle LEVEL III Klassen (die niedrigste Stufe unserer Schule; acht Klassen an der Zahl) jede Woche für eine Doppelstunde und spreche mit ihnen über die verschiedensten Themen, die sie und mich interessieren.

In der ersten Stunde gab es von mir erst einmal HARIBO für alle, als Gastgeschenk.

Der ganze „Unterricht“ findet auf Englisch statt, um die Angst vor dem Sprechen der fremden Sprache zu überwinden. Leider sieht der Lehrplan für Englisch nämlich größtenteils Grammatik oder schriftliche Ausarbeitungen vor. Somit haben viele Schüler*innen, die eher schüchtern und still sind, fast gar nicht die Möglichkeit das Sprechen zu üben. Da die „national final examinations“ dann aber sowohl schriftlich als auch mündlich in englischer Sprache stattfinden, versuche ich mit ihnen so viel zu üben, wie möglich.

So debattierten wir beispielsweise in den letzten zwei Wochen bereits über den Klimawandel, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten des 21. Jahrhunderts, den Sinn von Musikunterricht an unserer Schule, die Zeit Rwandas unter deutscher Kolonialherrschaft oder den „Arsenal- Deal“, der zwischen Rwanda und Arsenal geschlossen wurde, um auf die Trikots der englischen Fußballmannschaft für umgerechnet etwa 33 Millionen Euro die Werbung „VISIT RWANDA“ zu drucken. Ein sehr umstrittenes Thema, wovon ich direkt profitiert habe und so Leiter von einer sehr guten und kontroversen Debatte werden durfte.

Ich versuche dabei kein Lehrer im Sinne von „Verbessern und Beibringen“ zu sein, sondern einer der Schüler mit leitender Funktion. Meine Schullaufbahn ist ja schließlich ebenfalls noch kein ganzes Jahr her und mein Englisch ist jetzt auch nicht mit vollständiger Richtigkeit gesegnet.

Es geht einfach darum, dass man sich gegenseitig versteht. Auf einem Level miteinander „arbeitet“.

Während unseren Argumentationen beziehe ich mich auch immer wieder auf die deutsche und ruandische Kultur, sodass wir uns zusätzlich über Unterschiede und Gleichheiten unterhalten können, um gegenseitig voneinander zu lernen.

Das „voneinander Lernen“ und Abbauen von Vorurteilen → Das große Ziel meines Freiwilligendienstes.

In der Zwischenzeit

Leider war es dann irgendwann soweit: mein Vorgänger Lukas wurde offiziell bei einer kleinen Party im Lehrerhaus von unserem Mentor Father Mugisha und allen Vertretern der Schule verabschiedet. Auch vor dem Abflug in Kigali besuchten wir viele seiner Freunde und hatten wirklich schöne, letzte Abende in Rwanda. Lukas wird ebenfalls in seinem letzten Rundbrief davon berichten.

Vielen lieben Dank für die Einführung und die schöne, gemeinsame Zeit lieber Lukas!

Father Mugisha, meine Gasteltern, Lukas, Claire und ich am Flughafen

Während bei mir in Nyarurema eigentlich alles im Großen und Ganzen gut läuft, verschlimmerte sich die seelische Lage von meiner Mitfreiwilligen Kira so sehr, sodass sie leider relativ zügig zurück reisen und somit auch ihren Freiwilligendienst abbrechen musste.

Ich habe gemerkt, wie sehr diese Nachricht an mir gezerrt hat, da wir viele gemeinsame Stunden in der Vorbereitung verbracht hatten und sie somit eine Vertraute war, die mit mir wahrscheinlich auch einige Reisen gemeinsam unternommen hätte.

Von hier aus nochmal alles Gute für deine Zukunft Kira! Werden dich vermissen hier! 🙂

Gott sei Dank öffnet sich immer irgendwo ein Fenster, wenn sich eine Tür schließt …

oder so ähnlich…;)

Somit konnte Leonhard, der eigentlich von SoFiA nach Nigeria entsendet werden sollte, Anfang September nach Rwanda reisen und die ehemalige Einsatzstelle von Adrian in Gatenga, Kigali, besetzten.

Um ihn zu begrüßen und um mein Visum abzuholen nahm ich somit die lange Reise von Nyarurema nach Kigali auf und verbrachte dort wirklich schöne vier Tage. Mit ihm besuchte ich den Kimironko, den größten und bekanntesten Markt Kigalis und stellte ihn ein paar bekannten Freiwilligen in Kigali von anderen Organisationen vor 🙂

Ich durfte so tun als ob ich Rwanda und Kigali schon gut kennen würde, aber das ist natürlich quatsch nach so kurzer Zeit. Es tut wirklich gut einen weiteren Anlaufpunkt in Rwanda und jemandem zum Reden (auf deutsch) zu haben. Die Strapazen von insgesamt 13 Stunden Busfahrt mit viel Staub und schmerzendem Gesäß habe ich gerne auf mich genommen 🙂

Die Trommelgruppe in Gatenga, Kigali ist ein absoluter Traum für Rhythmusfanatiker, wie mich 🙂

Zukunft

In meinem Projekt fühle ich mich mittlerweile schon sehr wohl und ich bekomme viel positives Feedback von den Schüler*innen.

Um meine Arbeit noch auszuweiten und weil ich enorm Lust dazu hätte, würde ich gerne ab dem nächsten Schuljahr (Januar 2019) oder sogar noch in diesem Term, sowohl eine neue Deutsch AG zum Kennenlernen der Sprache und Kultur starten und in jedem Fall eine Musik AG, vielleicht sogar eine Ingoma (Trommel) AG.

Leider gibt es im ruandischen Schulsystem keine künstlerischen Fächer (Musik, Kunst, darstellendes Spiel) und somit wäre dies die einmalige Chance, den Schülern die Musik ein bisschen näher zu bringen und ihnen ein bisschen mehr als HIP/HOP oder den Charts zu zeigen.

Viele Schüler*inen brennen jetzt bereits darauf.

Für die Umsetzung dieses Vorhabens muss ich nur noch mit meinem Mentor und gleichzeitig Schulleiter Mugisha einige Dinge abklären, was derzeit ein wenig schwierig ist: in einer der letzten Wochen wurde Clement, ein Lehrer an der E.T.P, von ihm fristlos entlassen. Da ich Clement bereits sehr gut kannte und er durchaus ein sehr enger Freund hätte werden können, war ich sehr erschüttert über die Nachricht und konnte die Begründung der Entlassung absolut nicht nachvollziehen.

Deswegen warte ich derzeit noch auf eine Erklärung, bin aber zuversichtlich dass dies sich bald aufklären wird.

Ich werde aber sicherlich im nächsten Rundbrief diesbezüglich Neuigkeiten für Euch haben 🙂

Jetzt stehen erst einmal die national examinations der Senior 6 Stufe (also des „Abschlussjahrgangs“) und die Praktika der Level III an, bevor es Ende November in die großen Ferien bis zum nächsten Schuljahr geht. Bis dahin wartet noch viel Arbeit, die durchaus schön sein kann, und viele interessante Diskussionen in meinen Englisch Praxisstunden auf mich und die Schüler.

Um Euch ebenfalls einen kleinen Einblick in meinen Kopf und die Prozesse, die dort jeden Tag ablaufen, zu geben folgen hier:

MEINE GEDANKEN

Mein Freiwilligendienst ist noch keine 2 Monate alt und schon glaube ich viele Dinge gelernt zu haben. So ist mein Eindruck und mein Fokus auf ganz einfachen Dingen im Alltag: möglichst viel mit Menschen in Kontakt zu kommen, Essen, Schlafen und einigermaßen gucken, dass das Freiwilligenhaus stehen und sauber bleibt 🙂

Ich weiß, dass es vielleicht wirklich 08/15 klingt, aber ich denke tatsächlich, dass ich das Gefühl von Stress bereits jetzt vergessen und auch in keinster Weise vermisst habe. Allein durch die viel naturverbundenere Lebensweise und die Verwendung von Gemüse und Gewürzen aus dem eigenen Garten kommt mir vieles einfach entspannter vor. Regionaler. Nicht so globalisiert, nicht immer nach dem Motto „Zeit ist Geld“.

Auch habe ich das immer so daher gesagte „Am Anfang wird die Zeit fliegen“, hier erst richtig verstanden: wenn ich nachts geweckt werden würde, dann würde ich sofort glauben dass ich erst vor einer Woche angekommen bin. Wirklich.

Was mich jeden Tag aufs neue in meinem neuen Alltag fasziniert ist der Glaube und die Dankbarkeit vieler Ruander.

Der Glaube ist viel integrierter im Alltag: So nehmen sich viele Lehrer*innen selbst in der kurzen, morgendlichen Teepause vor dem Ansetzten der Teetasse einen kleinen Moment Zeit, um Gott für diese Tasse Tee zu danken. Draußen sammeln sich währenddessen viele Schüler*innen außerhalb der Klassen in Kreisen, um zu beten.

Auch die Köch*innen werden unglaublich hoch angesehen, weil sie nunmal jeden Tag dafür sorgen, dass die Schule grundversorgt wird. Es meckert deswegen auch nie jemand über die Qualität oder die Unpünktlichkeit des Essens; jede kleinste Arbeit und Dienstleistung scheint unglaublich wertgeschätzt zu werden. Und das mit einer Zufriedenheit und Dankbarkeit für das was man besitzt und eben nicht das ständige Nörgeln was man nicht hat.

Das was mich oftmals in Europa und Deutschland stört ist eben dieses Perfektionistische, immer Hocheffiziente und das permanente Streben nach mehr. Ich habe das Gefühl in Rwanda dadurch die Lebensfreude und Nächstenliebe viel intensiver zu spüren.

Neben diesen Dingen durfte ich vor allem eines genießen: GASTFREUNDSCHAFT und HÖFLICHKEIT und das in einem Maß, wie ich es nur ganz selten in Deutschland erlebt habe.

Als Beispiel möchte ich meinen Freund Alphonse, ein weiterer Lehrer an der E.T.P und 30 Jahre alt, anführen:

Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit sich für einen Stein, über welchen ich stolpere oder für die Pollen, die mich zum Niesen bringen, zu entschuldigen. Dinge, die es für deutsche Verhältnisse nicht würdig sind sich zu entschuldigen. Kann ja niemand was dafür.

Trotzdem bin ich in gewissen Maße sein Gast, weil ich Gast des Landes Rwandas bin, und deshalb entschuldigt er sich für alles was mir Unwohlsein bereitet. Auch wenn es nur für eine Sekunde beim Niesen ist.

Ebenfalls bedanken sich alle Lehrer*innen des Lehrerhauses (das Haus, indem die Lehrer*innen gemeinsam während den Schulperioden wohnen) jedes Mal, wenn ich abends ein oder zwei Stunden mit ihnen verbringe oder mit ihnen esse. Meiner Vorstellung nach müsste ich mich dafür bedanken, wenn ich ungeplant und kurzfristig bei jemandem kostenlos essen darf. Für sie, trotz mehr Arbeit und gegebenenfalls sogar einer kleineren Portion des Gerichtes für alle, eine Selbstverständlichkeit und eine Frage von Höflichkeit.

Ablehnen darf ich das Essen sowieso nicht, das würde sie bzw ihre Kochkünste beleidigen. Macht nichts, alle Lehre*innen sind begnadete Köch*innen 🙂

Von Schülerseite aus bin ich besonders von Fabrice aus Level III überrascht, der total von meinen Englischargumentationsstunden begeistert ist und mich auch nach dem Unterricht auf Themen, die ihn bewegen, anspricht. Er schafft es mit einem sehr guten Englisch mit mir zu „deeptalken“( neudeutsch für einen intensiven und tiefgreifenden Meinungsaustausch zu sämtlichen Themen) und mit mir beispielsweise über die deutsche Geschichte zu sprechen. Ich hätte nie gedacht, dass sich erstens jemand dafür interessiert, zweitens sich jemand in Englisch in dieser Jahrgangsstufe so differenziert ausdrücken kann und drittens sich nach so kurzer Zeit mir, also eigentlich einem Fremden, öffnet.

Ich liebe es mit ihm am Nachmittag nach Unterrichtsschluss am Basketballfeld zu sitzen und über die Machtergreifung Hitlers, den Sinn von Waffen und Atombomben oder den Klimawandel zu sprechen. Irgendwann sitzen wir nur noch schweigend nebeneinander, weil wir mal wieder erkennen, dass einiges auf der Welt verdammt schief läuft und es der Erde ohne uns Menschen tausendmal besser gehen würde.

Es geht aber auch einiges in meinem Kopf vor, was vielleicht nicht so Friede, Freude, Eierkuchen ist, sondern was mich belastet und was ich mir leichter vorgestellt hätte. So habe ich mich zwar mit den „Muzungu“(Weißer)- Rufen mittlerweile arrangiert und akzeptiere, dass es keinen rassistischen oder kolonialen Hintergedanken hat, jedoch habe ich oft noch das Gefühl, dass auch bei Menschen, die mich mittlerweile besser kennen das Vorurteil, dass ich wegen meiner Hautfarbe unfassbar reich sein muss, in manchen Aussagen mitschwingt.

Auch wird die ständige Aufmerksamkeit, die mir auf der Straße, in Kigali oder in der Schule geschenkt wird mittlerweile manchmal zur Last. Anfangs war es schön und ich habe es genossen der Blickfang der Menschen zu sein. Manchmal werde ich jedoch einfach nur minutenlang oder in der Messe auch stundenlang angestarrt. Ich komme mir dann wie ein Außerirdischer vor und nicht als ein Teil der Gesellschaft. Ich will nicht der typische weiße Tourist für eine Woche sein oder so angesehen werden, sondern als Felix, der sogar mittlerweile einen ruandischen Ausweis besitzt.

Meist hilft dagegen ein Wort in Kinyarwanda oder sogar ein ganzer Satz, aber trotzdem habe ich das Gefühl ein bisschen ausgegrenzt zu sein.

Um Euch nicht mit diesen eher negativen Gedanken aus dem Rundbrief zu entlassen, folgt hier eine kleine These über etwas komplett anderes:

Wenn man die Anzahl der vorhandenen Spiegel in einem ruandischen und deutschen Haushalt vergleicht, dann merkt man (nicht zuletzt auch wegen den unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen, aber das sei mal dahingestellt) meiner Meinung und Erfahrung nach einen großen Unterschied: Rwanda besitzt deutlich weniger Spiegel pro Einwohner und die Spiegel sind deutlich kleiner.

Ohne Frage achten auch viele Ruander auf ihr Aussehen, speziell Sonntags in der Messe, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Druck nach perfektem Aussehen nicht so sehr ausgeprägt ist.

Man ist hier vielleicht echt zufriedener, mit dem was man hat und wie man nun mal geschaffen wurde als in unserer deutschen, eher oberflächlicheren Gesellschaft.

Mit diesem Impuls zum Nachdenken wünsche ich Euch allen weiterhin eine schöne Zeit, viel Gesundheit und gaaaaanz wichtig: Spaß und Freude.

Liebe Familie und Freunde, mir geht es wirklich sehr gut und doch vermisse ich Euch.

Macht´s gut und freut Euch genauso wie ich auf meine weiteren Rundbriefe,

Euer

Felix 🙂