Bolivien: 1. Rundbrief von Lina Klaus

Hallo ihr Lieben,

ich kann es kaum glauben! Vor fast drei Monaten bin ich in Bolivien angekommen und mein Abenteuer hat begonnen. Auch wenn die Zeit wirklich verflogen ist, habe ich schon so einiges erlebt: Ganz viele neue Speisen probiert, Tänze erlernt, und vor allem ganz tolle Menschen kennengelernt. Aber langsam! Jetzt erst mal von vorne!

Ankunft in La Paz und erster Monat in der Gastfamilie

Ende Juli habe ich mich zusammen mit sieben anderen Freiwilligen auf den Weg nach La Paz gemacht. Nachdem wir  – dort angekommen – erst einmal ein einwöchiges Einführungsseminar hatten, ging es dann in die jeweiligen Landesteile Boliviens, die für die nächsten 13 Monate unsere Heimat sein würden. Für mich persönlich  ging es nach Cochabamba, die viertgrößte Stadt Boliviens, wo ich am Bus Terminal von meiner Gastfamilie für den ersten Monat abgeholt wurde. Als ich aus dem Bus stieg, sah ich meine Gastfamilie mit einem Schild mit meinem Namen und einem großen Lächeln auf mich warten. Da wusste ich schon, dass es bestimmt eine Superzeit werden würde.  In diesem ersten Monat  hatten wir morgens immer Spanisch Unterricht, was sehr geholfen und auch viel Spaß gemacht hat. Es war so hilfreich, dass mein „No sé, pero si!“ (=Ich weiß es nicht, aber ja), welches sich beim Wörterraten mit meiner Gastfamilie schnell zu einer gängigen Redewendung entwickelte, immer weniger wurde.

Beim Cristo in Cochabamba mit meiner Gastmama

Besonders toll  aber war immer die Zeit in meiner Gastfamilie. Als „querida Hermana-Hija“ (geliebte Schwester-Tochter) wurde ich einfach sehr liebevoll von meiner Familie aufgenommen und sofort als kleine Schwester gesehen. Meine Gastmama ist nämlich erst Anfang dreißig und hat fünf jüngere Geschwister. Mit den beiden Schwestern habe ich die Woche über in Cochabamba gewohnt. Die Wochenenden haben wir immer in Punata, einem Dorf ca. 1 h von Cochabamba entfernt, verbracht. Dort wohnen der Vater und drei der Brüder. Von Anfang an wurde ich überall mit hingenommen und so lerne ich immer ein bisschen mehr der bolivianischen Kultur kennen, in der Essen und Tanzen keine unwesentliche Rolle spielen. Zum Beispiel waren hier,  als ich ankam,  die Feste der „Virgen“. So gab es in Quillacollo (Stadt in der Nähe von Cochabamba) einen riesigen Umzug mit vielfältigen traditionellen Tänzen Boliviens. Einfach beeindruckend die verschiedenen Tanzgruppen in ihren  Kostümen unterschiedlichster Stoffe und  Farben.  Im Laufe der Woche trafen sich abends um 24 Uhr hunderte Jugendliche in Cochabamba, um zusammen nach Quillacollo zu pilgern. Die einen sind betend bis Quillacollo gegangen, während andere mit Musikboxen unterwegs waren und wieder andere die Kilometer mit Inlinern meisterten. So zogen wir als bunt gemischte Gruppe in die mit Blumen geschmückte Kirche in Quillacollo ein, um dort Kerzen anzuzünden. Es war ein tolles Gefühl, ein kleiner Teil dieser großen Gemeinschaft zu sein.  Eine andere für mich zunächst sehr fremde Tradition fand ebenfalls in dieser Woche statt: Und zwar gingen große Menschenmengen auf den „Calavario“, um dort verschiedenste Rituale zu vollbringen. So kann man zum Beispiel versuchen, Felsbrocken aus dem Hang zu hämmern, was dann Glück bringen soll. Ein anderes Ritual ist die „Q’UWAS“. Hier werden Traditionen der „Pachamama“ (Mutter Erde) und christliche Feste zusammen gefeiert. So wird also an dem Fest der Jungfrau auch zur Mutter Erde gebetet. Man kann beispielsweise an verschiedensten Ständen Führerscheine, Miniaturhäuser, Autos etc. kaufen und diese dann mit verschiedensten Dingen z.B. Räucherdüften, Kräutern etc. verbrennen und der „Pachamama“ opfern, um so seinen Herzenswunsch zu erbitten. Mir hat ein kleiner Vogel meine Zukunft voraus gesagt, indem er für mich einen Zettel aus einem Kästchen gezogen hat. Mal sehen, ob alles so passieren wird, wie es mir an diesem besonderen Ort voraus gesagt wurde. Auch sonst habe ich mit meiner Familie immer viel Spaß: So habe ich auf dem Dorffest mitten auf dem Marktplatz die ersten bolivianischen Tänze erlernt, welche ich dann auf einer Hochzeit weiter vertiefen konnte. Dort war meine Gastfamilie nämlich eingeladen und als Mitglied von dieser kam ich natürlich mit. Die Hochzeit war auch eine Erfahrung für sich: Nachdem mir am Abend vorher noch schnell die wichtigsten Grundschritte einiger Tänze gezeigt wurden, ging es morgens zur Cancha – ein riesiger Markt in Cochabamba, wo man wirklich alles kaufen kann (falls man es denn findet;), um Geschenke für das Brautpaar zu kaufen. Die Hochzeit selber dauerte drei Tage. Samstags fand zuerst die Trauung in der Kirche und anschließend eine Feier in einem großen Saal statt. Zuerst hat das Brautpaar mit allen „Padrinos“ (=Paten) getanzt.  Hier gibt es Padrinos für wirklich alles: Essen, Fotos, Torte, … Anschließend wurde gegessen und danach bis spät in die Nacht getanzt. Am nächsten Tag ging es dann ähnlich weiter. Nur wurden diesmal zuerst die Geschenke überreicht: Hierzu ging man mit seinem Geschenk zum Brautpaar und streute sich gegenseitig Konfetti in die Haare. Mit Sicherheitsnadeln wurden Geldscheine an das Brautkleid geheftet. Nach den kleineren Geschenken wie Gläsern, Tagesdecken etc. ging es mit den größeren Geschenken weiter. Ich konnte es kaum glauben, als nacheinander mehrere Sitzgarnituren, ein Bett, Tische, Stühle und Schränke auf die Tanzfläche getragen wurden, ein schnelles Foto und Tänzchen mit den Schenkenden und weiter ging es, bis schließlich sozusagen die Einrichtung eines kompletten Hauses in der Mitte der Gesellschaft stand.

Mit einem Teil meiner Gastfamilie und dem Brautpaar auf der Hochzeit

An diesem Punkt hat meine Schwester angemerkt, dass sie jetzt wohl auch gerne heiraten würde. Diese Anfangszeit in meiner Gastfamilie hätte wirklich nicht besser sein können. Durch ihre unglaubliche Gastfreundschaft und Wärme war ich in meiner neuen Heimat schnell angekommen.

Umzug nach Vinto und meine Projekte

Trotzdem war es nun an der Zeit, nach Vinto umzuziehen. Nachdem ich beim Abschied meiner Gastfamilie versichern musste, dass ich so oft es geht an den Wochenenden zu Besuch kommen würde, fuhr ich mit meinem „Acompañante“ Juan Pablo ( so etwas wie mein Mentor, der aber auch schnell zu einem sehr guten Freund wurde), nach Vinto, wo ich die nächsten 12 Monate leben werde. Ich wohne hier in einem sehr großen Tagungshaus, in dem immer wieder Gruppen ihre Seminare und Tagungen abhalten. Seit einem Jahr ist Juan Pablo, von allen Juampi genannt, auch der Administrator des Hauses.

Aber nun zu meinen Projekten:  Der erste Eindruck  ist wirklich super. Morgens arbeite ich in einem Zentrum für alternative Bildung (CEA= Centro de Educación Alternativa). Hier können all die hinkommen und die Schule beenden oder eine Ausbildung anfangen, die es aus welchen Gründen auch immer vorher nicht getan haben. Ich arbeite jedoch nicht in der Schule, sondern in der dazugehörigen „Guardería“ (Kinderkrippe), in der wir die Kinder der Schüler betreuen,  so dass diese ungestört zum Unterricht gehen können. In der Woche kommen meistens nur Babys und Kleinkinder im Alter von einigen Monaten bis ca. drei Jahren. Samstags sind es oft mehr Kinder, auch Ältere, mit welchen wir dann manchmal auch kleine Bastelprojekte durchführen können. Die Arbeit in der Guardería macht  viel Spaß und die Zusammenarbeit mit meiner Kollegin klappt wirklich super. Nachmittags gehe ich in ein zweites Projekt, das „Fundación Nueva Luz“ heißt. Dort kommen die Kinder zusätzlich nach der Schule hin. Zunächst wird zusammen gegessen. Anschließend gehen die Kinder in ihre verschiedenen „Salóns“. Ich arbeite im Moment im „Salón verde“ bei den Kleinsten im Alter von vier bis acht Jahren mit. Es gibt noch zwei weitere Salóns: Den „Salón anaranjado“ mit den Mittleren und den „Salón Rojo“ mit den Ältesten. In ihren Salóns machen die Kinder hauptsächlich ihre Hausaufgaben, bei welchen wir sie dann unterstützen. Außer der Hausaufgaben werden auch noch soziale Kompetenzen gefördert und Werte vermittelt. So werden zum Beispiel Geschichten vorgelesen, anhand welcher dann ein bestimmtes Thema kindgerecht erarbeitet wird. Jeden Tag freue ich mich aufs Neue, in meine Projekte zu gehen und lerne die Kinder mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten immer besser kennen.

Spiele mit den Kindern in der „Fundación Nueva Luz“ am Tag der Freundschaft, der Liebe und der Schüler

Gemeindeleben, Tanzen und was es sonst noch zu erzählen gibt

An den Wochenenden nehme ich am Gemeindeleben teil: Samstags nach der Arbeit fahre ich immer nach Quillacollo, wo ich schnell Teil der Gemeinde „Santisima Trinidad“ (Dreifaltigkeit) wurde. Im „Ministerio de Baile“ werden alle Tanzrichtungen getanzt und Stück für Stück werde ich in die verschiedensten Tänze eingeführt. Außerdem arbeite ich sonntags in einer Firmgruppe mit und lerne so auch die Katechese in Bolivien kennenlernen. Es ist immer sehr spannend, sich mit den Jugendlichen über die Verschiedenheiten, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Bolivien und Deutschland zu unterhalten. Eine der ersten Fragen, die mir oft  gestellt wird, ist meistens, wie groß ich denn bin. Im Vergleich zu den meisten Menschen hier bin ich nämlich mit meinen 1,75 m auffallend groß. Direkt danach kommt die Frage, welche typischen Speisen ich schon probiert habe. Essen hat hier nämlich einen sehr großen Stellenwert und ist oft Gesprächsthema Nummer eins. Da hier in wirklich fast allen Speisen Fleisch enthalten ist, habe ich für mich entschieden, mein Vegetarier- Dasein für ein Jahr zu unterbrechen, um so auch diesen wichtigen Teil der Kultur kennenlernen zu können.

Nach dem Tanzen in der „Entrada“ mit meiner Kollegin

Meine Tanzerfahrungen konnte ich auch schon in einer „Entrada“ erweitern. Denn auch in Vinto fand ein Umzug zu Ehren der „Virgen“ statt. Dort haben wir mit dem „CEA“, also einem meiner Projekte, „Saya Afro Boliviana“ getanzt. Vorher habe ich mit meiner Kollegin aus der Guardería zusammen mit den Schülern die wichtigsten Grundschritte erlernt. Jedoch haben wir dann am Tag des Umzugs erfahren, dass wir nicht im Block der Schüler, sondern der Lehrer tanzen würden. So war auch die Schrittfolge eine andere  Aber wie so oft gilt hier „Learning by doing“ und es ging deutlich besser als gedacht und hat einen Riesenspaß gemacht, sodass ich sehr traurig war, dass es so schnell zu Ende war.

Ich wurde wirklich toll von Bolivien empfangen und fühle mich sehr wohl, was vor allem an den liebenswerten Menschen liegt, die ich schon kennenlernen durfte. Wirklich beeindruckend ist für mich die Offenheit, mit der mir so viele Menschen entgegentreten: So entwickelt sich aus einem einfachen „Hola, comó estás?“ und kurzem Vorstellen ein viel tiefgründigeres Gespräch als zuvor erwartet.  Ein Beispiel für die unglaubliche Herzlichkeit der Menschen hier hat mir meine Gastmama gegeben, indem sie mich nach kurzem Kennenlernen mit  „regalo“ (=Geschenk) betitelt hat. Dieses kleine Wörtchen hat so viel Bedeutung für mich und zeigt nur noch einmal mehr, wie liebevoll die Menschen hier sind. So ist mir beim Schreiben des Rundbriefes aufgefallen, wie schwer es mir fällt zu beschreiben, wie begeistert ich von der Mentalität der Menschen, die ich bisher kennengelernt habe, bin.

Ganz liebe Grüße und bis bald,

eure Lina