Gambia: 1. Rundbrief von Madina Michel

 

Liebe LeserInnen,

fast vier Monate ist es nun schon her, dass ich um 7:25 Uhr in Frankfurt in ein Flugzeug gestiegen bin, mit dem Wissen, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach erst 13 Monate später wieder nach Deutschland zurückkehren werde. Ich musste mich schweren Herzens von meiner Familie und meinen Freunden verabschieden und machte mich auf zu meinem ganz eigenen großen Abenteuer. Mein Abenteuer Gambia.
Heute möchte ich euch also von meinen ersten Erfahrungen während dieses Abenteuers berichten.

Ein bisschen Allgemeines
Vorab ein paar Informationen zu Gambia. Das kleinste afrikanische Land liegt an der Westküste des Kontinents und ist von dem gleichnamigen Fluss in zwei Teile gespalten. Die Mehrheit der hier lebenden Menschen sind Muslime (ca. 90%), und somit sind die Christen die Minderheit. Das Zusammenleben der Religionen habe ich als sehr eng und harmonisch kennengelernt, was mir natürlich gut gefällt. Ich lebe in einem Ort namens Sanyang, der laut Wikipedia ca. 6500 Einwohner hat (ich glaube aber, dass es deutlich mehr sind). Im Ort gibt es verschiedene Schulen, Kindergärten und sehr viele kleine Geschäfte, in denen man alles kaufen kann, was man so im Alltag braucht.
Ich wohne in einem Compound, der für Gambia typischen Wohnform. Einen Compound kann man sich als eine Art einstöckiges Reihenhaus vorstellen, in dem jede Familie ihre eigenen Wohn- und Schlafzimmer hat, jedoch gemeinsam die Küche und das Badezimmer (hier drei Kabinen-zwei als Dusche und eine als Toilette) genutzt werden. Ich habe hier ein eigenes Schlafzimmer und zusätzlich eine Art Wohnzimmer, in dem ich auch esse. In meinem Compund leben ca. 20 Leute allen Alters. Sie sind Christen und alle irgendwie miteinander verwandt. Mein Gastvater und Mentor ist Peter, der mit seiner Familie im Compound lebt und dessen Frau auch für mich mit kocht. Fließendes Wasser gibt es keins, es wird ein Zapfhahn auf dem Hof des Compounds genutzt. Seit  ein paar Wochen gibt es(zumindest meistens) Strom, womit ich vor meiner Ankunft gar nicht gerechnet habe.

Ich kam während der Regenzeit an, weshalb es sehr schwül war und das Straßenbild von riesigen Pfützen geprägt war. Aber inzwischen ist der Regen vorbei, weshalb es nur noch heiß, aber nicht mehr so schwül, ist.
Die Amtssprache ist Englisch, jedoch sprechen die Leute untereinander so gut wie immer eine der vielen lokalen Sprachen. Jeder Stamm hat seine ganz eigene Sprache, aber in der Regel sprechen die Menschen auch die Sprachen einiger anderer Stämme. Ich kann mich auf Englisch gut verständigen, aber versuche Karoninka zu lernen, da die Leute in meinem Compound zu diesem Stamm gehören. Immer wieder versucht man mir ein paar Worte Karoninka beizubringen. Allen voran eine Omi, die nie in einer Schule gewesen ist und daher kein Englisch spricht. Das Ganze gestaltet sich also so, dass sie mir ein Wort beibringt und anschließend mit Händen und Füßen versucht zu übersetzen, was dieses Wort bedeutet und regelmäßig zu verzweifeltem Gelächter führt.

Abenteuer Möbelkauf und Taxifahrt
Die ersten Tage habe ich in einer Ferienwohnung etwas außerhalb gewohnt, da das Zimmer noch komplett eingerichtet werden musste. Von Türschlössern, über Farbe für die Wände bis hin zu Boden und Möbeln musste ich alles besorgen, was mir aber ganz gut gefallen hat, da ich es so nach meinem Geschmack einrichten konnte. Ich schlief also zunächst in der Ferienwohnung und verbrachte die Tage damit, mit Peter (oder einem der beiden ausgesuchten Jungen aus der Gemeinde, die als vertrauenswürdig genug eingestuft wurden sich um mich zu kümmern) all die oben genannten Besorgungen zu erledigen. Möbel lassen die Leute hier für gewöhnlich von einem Schreiner anfertigen, da man allerdings nie genau weiß, wie lange das dauert, muss man auf gebrauchte Möbel aus Europa zurückgreifen, wenn man die Dinge zeitnah benötigt. Zum Einkaufen der Möbel ging es in die größte Stadt Gambias, Serrekunda. Schon der Hinweg war eine tolle Erfahrung. Üblicherweise werden die Strecken hier mit Bustaxen zurückgelegt. Das sind alte umgebaute Kleinbusse, in die einfach kleinere Bänke eingebaut werden, sodass plötzlich bis zu 20-30 Leute Platz finden. Dementsprechend sollte man keine Angst vor Körperkontakt mit Fremden habe. Möchte man mit einem Bus fahren geht man zunächst zur Hauptstraße (die einzige geteerte Straße im Ort), und muss wissen in welche Richtung man möchte. Wenn ein Bus in die passende Richtung fährt winkt man mit dem Arm und klärt nochmal kurz ab, ob der Bus wirklich zum gewünschten Ziel fährt. Im Bustaxi arbeiten immer zwei Personen: zum einen der Fahrer, zum anderen ein „Taxijunge“, der entweder den Kopf aus dem Fenster hält, oder gleich ganz außerhalb des Busses auf einem Brett steht. Seine Aufgabe ist es, Fahrgäste zu erkennen und dem Fahrer durch Klopfen gegen den Bus zu signalisieren, wann er anhalten bzw. abfahren soll. Außerdem bezahlt man bei diesem „Taxijungen“ die Fahrt, die in der Regel nur wenige Cent kostet. Wenn man aussteigen möchte, gibt man dem „Taxijungen“ ein kurzes Zeichen, der wiederum klopft gegen das Auto, um dem Fahrer zu signalisieren, dass jemand aussteigen möchte. Die Strecken haben jeweils feste Preise, die man im besten Fall kennen sollte, damit man nicht zu viel bezahlt.
Kleinere bis mittelgroße Gegenstände und Einkäufe werden problemlos auf dem Dach oder unter den Bänken des Busses transportiert (hierzu zählen beispielsweise auch lebende Ziegen, was ich vielfach sehe). Meine Möbel waren allerdings zu groß, weswegen wir für den Rückweg ein „normales“ Taxi nehmen mussten. Schrank, Bettgestell und Matratze sind Dinge, die sich problemlos mit ein paar Seilen auf das Dach eines Taxis binden lassen und so bis vor die Haustür gefahren werden können. Ich hatte durchaus einige Bedenken als ich diese Konstruktion sah, aber diese Zweifel schienen meinen Begleitern unbekannt zu sein und schließlich habe ich mich eines Besseren belehren lassen und alle Möbel sind unversehrt in meinem Zimmer angekommen.
Die ersten Wochen war die Fortbewegung für mich noch sehr aufregend und ich versuchte mich irgendwo zwischen Menschen, Autos, Fahrrädern, Motorrädern, Ziegen, Hunden und Eselskarren zurecht zu finden, die vielen neuen Eindrücke aufzunehmen und gleichzeitig meinen Gastvater nicht aus den Augen zu verlieren, der mich die erste Zeut fast überall hin begleitete. Inzwischen finde ich mich aber zum Glück ganz gut alleine zurecht, auch wenn ich beispielsweise beim Überqueren einer vielbefahrener Straße immer noch deutlich skeptischer bin als die meisten Gambier.

Feste und Fußball
Während meiner Zeit hier habe ich schnell gemerkt, dass Fußball einen ganz großen Stellenwert hat. Deshalb kamen die Trikots unter der Kinderkleidung, die ich als quasi Gastgeschenk mitgebracht habe, besonders gut an. Ich habe in der Zeit hier mehr Spiele gesehen als in meinem gesamten Leben zuvor. Wenn ich jemandem erzähle, dass ich aus Deutschland komme, dann ist oft eine der ersten Fragen, welchen Fußballverein ich denn in Deutschland unterstütze. Eine Frage, die ich mir ehrlich gesagt nie ernsthaft gestellt habe.
Über die letzten Monate gab es ein Turnier zwischen mehreren Orten, die um einen großen Pokal spielten. Daher fanden regelmäßig Spiele statt, die von den Einheimischen (und auch mir) immer zahlreich besucht wurden. Außerdem fand im September ein Tunier zwischen neun verschiedenen christlichen Gemeinden statt. Dieses wurde an zwei Wochenenden ausgetragen. Die erste Runde fand in Sanyang statt, die zweite in einem Ort namens Sifoe. Das Ganze ist ein großes Ereignis, zu dem sich die christlichen Jugendlichen aller Orte von Donnerstag bis Sonntag treffen und gemeinsam campen. Es wird viel getanzt, gelacht und bei den Spielen natürlich kräftig angefeuert. Und so durfte auch ich, bepackt mit meinem neuen Zelt und einer Schaumstoffmatratze (die natürlich auch dem Dach eines Busses transportiert wurde),mich mit den anderen Jugendlichen aufmachen und verließ erstmals für einige Tage mein neues Zuhause, an das ich mich gerade erst gewöhnt hatte. Das Zelt war undicht, die Matratze nach der ersten Nacht nass und ich schlief den folgenden Nächten mit ca. 10 anderen Mädchen in einem kleinen Zimmer. Das war aber alles nicht schlimm und ich bin sehr dankbar, dass ich die Erfahrung machen durfte, da sie mir die Chance gegen hat, viele neue Kontakte zu knüpfen und auch der Kultur näher zu kommen. So trug ich schon ganz selbstverständlich beim großen Finale das T-Shirt von Sanyang und stand mit den anderen Mädchen tanzend und singend am Rand, um unser Team anzufeuern. Und siehe da, wir haben sogar gewonnen!
Der Grund, warum ich Fußball und Feste unter eine Überschrift zusammengefasst habe ist jener, dass auch christliche Feste Anlass sind ein Spiel zu veranstalten. In meiner Zeit hier habe als christliches Fest bisher Maria Himmelfahrt miterleben dürfen. Morgens fand natürlich ein Gottesdienst statt, nachmittags ein Spiel zwischen den Juniors und Seniors der Gemeinde und abends schließlich eine große Party mit Musik und Tanz bis in die Nacht. Religiöse Feste sind hier immer auch Anlass ein Tier zu schlachten, was mir sehr schwer fällt so direkt mit zu bekommen. Aber ansonsten bin ich sehr froh, dass meine vegetarische Ernährung von den Leuten akzeptiert wird, auch wenn sie das doch sehr seltsam finden.
Geschlachtet wurde auch an Tobaski, dem muslimischen Opferfest. Hierzu kauft jede Familie, die es sich leisten kann, eine Ziege und schlachtet sie (nachdem man sie selbstverständlich auf dem Dach eines Busses nach Hause transportiert hat). Das Fleisch wird anschließend zwischen Freunden, Familie und Bedürftigen aufgeteilt. Zu diesem großen Fest wurde ich von einem Bekannten eingeladen. Freundlicherweise hatte mein Gastvater ihn vorgewarnt und so gingen wir erst hin, als die Familie mit Schlachten fertig war. Wir aßen gemeinsam und quatschten ganz nett und anschließend wurde ein wenig ferngesehen (was hier etwas Besonderes ist, da nur wenige Familien einen Fernseher besitzen). Am Abend hörte man von überall her laute Musik und es ist ganz selbstverständlich, dass auch die Christen sich schick anziehen und mit ihren muslimischen Freunden gemeinsam dieses wichtige Fest feiern.

Mein Projekt
Mitte September endeten die Sommerferien schließlich und der normale Schulalltag begann. Die erste Woche wurde noch viel Oragnisatorisches erledigt. Denn ein Großteil der Lehrerschaft sowie der Direktor waren neu an die Schule versetzt worden. Außerdem gibt es seit diesem Schuljahr erstmal eine siebte Klassenstufe, die von anders ausgebildeten Lehrern unterrichte werden als die Grundschüler. Es fanden unter anderem die Anmeldungen neuer SchülerInnen sowie die Einteilung der Lehrer zu ihren jeweiligen Klassen statt. Manche Lehrer unterrichten in der lower basic (Klasse eins bis sechs) und manche in der upper basic (Klasse sieben). Die lower basic LehrerInnen wurden jeweils einer Klasse als KlassenlehrerIn zugegordnet, in der sie alle Fächer unterrichten. Die upper basic Lehrer unterrichten spezifische Fächer. Ich bin die meiste Zeit in einer fünten Klasse, gemeinsam mit dem Klassenlehrer Mr Mendy. Er ist mein Hauptansprechpatner im Projekt, aber ich kann mich mit Fragen natürlich auch an alle anderen Lehrkräfte oder den Direktor wenden. Hier sind meine Aufgaben zB. die Kontrolle der Hausaufgaben sowie das Abhaken der Anwsenheitsliste. Montags und Freitags findet von 8:00-8:30 Uhr ein assembly vor Beginn des Unterrichts statt. Hier wurde ich also auch allen SchülerInnen offiziell vorgestellt.
Es fehlten in den ersten Wochen allerdings noch einige Lehrer, da zu einem Streik aufgerufen wurde, der so lange anhielt bis die gambische Regierung auf die Forderungen der Lehrer geantwortet hatte. Dennoch lernte ich den Schulalltag mehr und mehr kennen und schaute mir auch die anderen Klassenstufen an. Ansonsten übernehme ich andere Tätigekeiten, die gerade so anstehen. Manchmal Tippe ich etwas für eine/n LehrerIn ab oder übertrage Tabellen auf Plakete, damit diese ausgehangen werden können.
Ich habe schnell festgestellt, dass ich nur sehr ungern selber unterrichte. Die Lehrmethoden unterscheiden sich doch sehr von den mir gewohnten. Auch die Klassengröße von 50 bis 60 SchülerInnen ist ungewohnt. Hinzu kommt, dass die Sprachbarriere größer ist als ich gedacht habe, weil es den SchülerInnen teilweise schwer fällt, mein Englisch zu verstehen und es deshalb wenig sinnvoll ist, wenn ich versuche ihnen etwas zu erklären.
Da es im Allgemeinen eher schwierig für mich ist, in der Schule Aufgaben für mich zu finden, ist im Moment die Überlegung, ob ich mir noch weitere Projekte des Bistums anschaue. Ich habe beispielsweise von einer Gruppe Schwestern gehört, die sich um hilfsbedürftige Kinder kümmern. Ich hoffe, dass ich mich zukünftig auch dort einbringen kann.  Außerdem beginnt bald die Firm- und Kommunionsvorbereitung, bei der ich versuchen werde mitzuwirken.

Weitere Eindrücke
Worüber ich mich immer wieder freue, sind die vielen frischen Früchte, die man entweder frisch an den Bäumen oder an kleinen Straßenständen findet. Im Moment gibt es überall Mangos, Kokosnüsse, Wassermelonen, Orangen und vieles mehr.
Außerdem ist eins meiner absoluten Highlights, dass ich nur ca. 2 Kilometer vom Strand entfernt wohne, was ich natürlich sehr genieße.
Eine weitere tolle Erfahrung war außerdem, dass ich gelernt habe Reis anzupflanzen. Das Pflanzen ist hier Aufgabe der Frauen und Kinder, wohingegen die Männer die Felder umgraben (natürlich ohne Maschinen). So stand ich also teilweise bis zu den Knien im Matschwasser und wurde von Kindern dafür ausgelacht, wie langsam ich die Pflanzen in die Erde stecke. Viele Leute fanden es ziemlich amüsant und unglaubwürdig, wenn ich erzählt habe, dass ich als Weiße auf dem Feld mitgeholfen habe. An sich werde ich oft wie etwas Besonderes behandelt, um so froher war ich, dass das beim Reispflanzen eben nicht der Fall gewesen ist. Außerdem habe ich die Mühe, die hinter der Produktion von Lebensmitteln steckt, neu kennen und schätzen gelernt.

Soweit zu meinen ersten Monaten hier in Gambia, ich bedanke mich für Euer und Ihr Interesse und bin gespannt was die nächste Zeit noch so bringen wird.

Inchi chanu! (Ich schicke euch Grüße)
Madina