Brasilien: 2. Rundbrief von Nico Berens-Knauf

Liebe Leser(innen), Unterstützer(innen), Freundinnen und Freunde und Familie,

nachdem ich mich die ersten Monate gut eingewöhnt hatte und  einen guten ersten Eindruck von „Mandacaru“ gewinnen konnte, konzentrierte sich mein Aufgabenfeld größtenteils auf die Ökoschule. Dort gibt es jeden Tag viel zu tun und auch angenehmerweise jeden Tag etwas anderes, was es natürlich für mich sehr spannend macht und ich viel lernen kann. Die Zeit vergeht nun sehr schnell für mich und die Wochen verschwinden quasi ineinander. Was mir vor allem am Konzept dieser Schule auffällt und was sie vielleicht von anderen abhebt ist, dass der Schwerpunkt vor allem auch auf der sozialen Ausbildung liegt oder wie ein Ehemaliger-Schüler zu mir sagte: „Ich habe hier fürs Leben gelernt.“ Die Schüler lernen hier sehr viel zum Thema Umweltschutz, sparsamen Umgang mit Ressourcen, Respekt gegenüber anderen Menschen und bekommen z.B. auch regelmäßig Sexualunterricht (hier „educaçao dos emocões“), um über Verhütung oder persönliche Anliegen zu sprechen. Dies wird ermöglicht durch die enge Beziehung, der Schüler und Schülerinnen zu den Lehrenden und das generell familiäre Klima in der Ökoschule, welches ich in meinem ersten Rundbrief schon angemerkt hatte.

Abschlussfeier des „ensino medio“

Anfang Dezember fingen dann die Schulferien an, was aber nicht gleich weniger Beschäftigung für mich bedeutete. Das Leben in der Ökoschule ging ganz normal weiter, halt nur ohne Schüler. Es wurden viele Reinigungs- und Ausbesserungsarbeiten vollrichtet. Dazu zählt zum Beispiel kurz vor der Regenzeit nochmal die Dächer auszubessern, falls die Dachpfannen im Laufe des Jahres verrutscht sind, aber auch zum Beispiel den Hühnerstall komplett zu reinigen und zu entkeimen. Wenn keine Schüler in der Schule sind, kommt einem das riesige Gebiet der Schule sehr leer vor, obwohl man ab und an die Ruhe auch schonmal genießt.

 

Die Regenzeit läutet ein!

Wie oben schon beschrieben wurden im Dezember die letzten Vorbereitungen für die Regenzeit getroffen, die man im Januar schon sehnlichst erwartet. Ungewöhnlicherweise läutete sie sich dieses Jahr aber schon im Dezember ein. Schon einen Monat vor dem eigentlichen Beginn regnete es unglaubliche 235 mm. Anders als bei uns löst der Regen hier aber regelrechte Euphorie aus. Als ich während des ersten Starkregens gespannt und erstaunt aus dem Fenster auf die Wassermassen, die vom Himmel vielen und auf die zu einem Fluss verwandelte Straße schaute, konnte ich auf einmal eine Horde Kinder,

Die „Straße“ nach einem Starkregen.

bewaffnet mit Badehose und Ball die Straße entlanglaufen sehen. Es gab keinen Halt mehr und sie sprangen und planschten voller Ekstase als wäre die Straße ein Swimming Pool.  Aber auch bei dem älteren Semester ist eine Dusche im Regen keine Seltenheit. Im Whats App-Status wird sofort davon berichtet und Gott gedankt, dass er den ersehnten Regen über das Land gebracht hat.

Mit dem ersten Regen kommen auch die ersten Diskussionen auf. Was hat dieser frühzeitige Niederschlag zu bedeuten? Wird es bis April so durchregnen oder wurde schon im Dezember das Pulver verschossen? Der Regen ist ein Thema, das die Leute bewegt und so handeln auch viele Konversationen davon, ob es denn dieses Jahr reichen wird bis zur nächsten Regenzeit.

Mit den ersten Niederschlägen erwacht auch in einem wahnsinnigen Tempo die schon in den Startlöchern sitzende Natur! Es ist wirklich schon fast unheimlich, wie in binnen ein, zwei Tagen aus der trockenen grauen Landschaft explosionsartig eine Landschaft voller grün und Leben entsteht.

 

Eine Woche „interior“!

Glücklicherweise und auch symbolisch für die gastfreundliche Art der Brasilianer hat eine Familie, die ich während meiner ersten Woche bei einer Visite ihrer „horta sombreada „ kennen gelernt habe mich eingeladen die Woche bei ihnen in ihrer Communidade „Pau d`Arcal“ zu verbringen. Ich weiß nicht so richtig wieso oder warum sie mich eingeladen haben, aber anscheinend fanden sie den „nicht-ein-Wort-Portugiesisch-sprechenden-Deutschen, der sich ständig an ihrer tiefen Decke, Tür o.Ä. den Kopf gestoßen hat und sich bei dem Versuch eine Caju- Kastanie mit den Zähnen aufzuknacken unwissend fast mit der drinnen steckenden Säure den ganzen Mund verätzt hat“ ganz sympathisch.

 Pau d`Arcal

Pau d`Arcal ist ein ca. 300 Seelendorf im „interior“ von Milton Brandão, der naheliegenden Nachbarstadt von meiner Stadt Pedro II. Der größte der Teil Bevölkerung lebt noch hauptsächlich von der Landwirtschaft. Die Einwohnerinnen und Einwohner sind für ihre fröhliche, offene Art und ihre Gastfreundlichkeit bekannt.

Meine Woche

Jene Familie besteht momentan aus dem Familienvater „Evaldo“, seiner Ehefrau „Francinete“ und ihren zwei Töchtern „Janielly“ (18) und „Francielly“ (6). Ich sage momentan, weil sich noch zwei andere ältere Töchter in São Paulo mit ihren Kindern befinden und es nicht selten ist, dass sie wieder zu ihrem Wohnort wechseln. Die ganze Familie empfängt mich wirklich herzlich und ich fühle mich gleich zu Anfang sehr wohl. Man merkt, dass sie mir wirklich nur das Beste bieten wollen und sie wirken manchmal gar etwas nervös.

In der Woche fuhr Evaldo viele Zeit mit mir herum und zeigte mir seine Gegend, seine Realität, sein „zu Hause“. Durch ihn konnte ich vieles über das Dorfleben erfahren und auch landschaftlich die Gegend erkunden. Jedes Mal, wenn er etwas am Wegrand entdeckte wie z.B. eine besondere Pflanze oder einen besonderen Ort hielt er an und erklärte mir alles, was er darüber wusste. So besuchten wir z.B. auch die „Lagoa Sucuruju“, einem Ort mitten in der semiariden Zone Brasiliens, in dem Wasser aus dem Boden quellt und auch in der Trockenzeit alles grün und voller Pflanzen ist.

lagoa „Sucuruju“

Abends ging es eigentlich immer in Richtung „campo“ zum täglichen Fußballspiel. Dort treffen sich jeden Tag Jung und Alt, um den Tag mit ein bisschen kicken gebührlich ausklingen zu lassen. Gespielt wird barfuß auf einem „campo“ der aus Steinen, Gras und Sand und vielen Löchern besteht. Ist das Spiel aus, alle haben das erfrischende Wasser und die heißen Diskussionen über das Spiel hinter sich gelassen setzt man sich noch

gemütliches Beisammensein nach dem Mittagessen

zusammen für ein bisschen Billard, Domino oder eine Unterhaltung. Der Zusammenhalt im Dorf ist sehr stark und die Menschen identifizieren sich mit ihrer „communidade“. Nicht selten hört man Sätze wie „Pau d´Arcal ist der beste Ort der Welt.“ Die Menschen hier leben ein „einfaches“ Leben, in Häusern ohne viel „Schnick Schnack“. Es ist irgendwie ein anderes Leben mit einem ganz anderen Lebensrhytmus.

Ein großes Problem der „communidade“ ist allerdings, dass die Jugendlichen sehr unzufrieden bezüglich ihrer beruflichen Zukunftschancen sind. Sie wollen nicht mehr als Kleinbauern arbeiten und es ist schwierig einen anderen Job zu finden. Sie sehen durch die Medien wie andere Menschen in Reichtum und Saus und Braus leben und träumen von mehr. Viele, sehr viele Jugendliche zieht es aufgrund der Perspektivlosigkeit dann nach São Paulo um dort zu arbeiten und mehr Geld zu verdienen, was natürlich ein Vakuum im Dorf hinterlässt, welches nur schwer zu kompensieren ist. Und ob die Jugendlichen in São Paulo wirklich ihr Glück finden ist auch nochmal eine ganz andere Frage.

 

Meine neue Gastfamilie

Unmittelbar nach meinem einwöchigen Aufenthalt im „interior“ wechselte ich dann meinen Wohnsitz ins Nachbarhaus von Maria in meine Gastfamilie. Diese besteht aus Adeodata und ihrer Adoptivtochter Carol. Adeodata ist Gründungsmitglied von Mandacaru und arbeitet im CEBI (Bibelkreis) und in der Ökoschule als Religionslehrerin. Carol ist 22 und auch schon Gewerbstätig in einem Frisörsalon. Ich verstehe mich wirklich gut mit den beiden, fühle mich wohl und bekomme alle Freiheiten, die ich brauche und bin noch sehr flexibel, da ich meine Einkäufe zu Fuß erledigen kann. Hier im Haus werde ich ca. 2-3 Monate bleiben.

 

Amtsantritt des neuen Präsidenten Jair Bolsonaro

Am 1. Januar trat Jair Bolsonaro, der im Oktober mehrheitlich gewählt wurde sein Präsidentschaftsamt an.

Grund für seine Wahl war vorallem sein politisches Saubermann- Image und das Versprechen mit seiner Härte und Kompromisslosigkeit der Gewalt im Land ein Ende zu setzen. Ob er das Versprechen halten kann oder je überhaupt wirklich selbst dran geglaubt hat es halten zu können, darf man aber bezweifeln.

Durch seine gefühlsgesteuerten und manchmal unüberlegten Aussagen und Aktionen sorgt er für viel Unverständnis und Kopfschütteln in meinem Umfeld. Dass er z.B.  den 55. Jahrestag des Militärputschs als festlichen Anlass feiern wollte bzw. sich öffentlich als
Befürworter der gewaltsamen Militärdiktatur bekennt ist nur die Spitze des Eisbergs.

Fakt ist, dass nun ein anderer Wind in der brasilianischen Politik weht. Der Kontrast zwischen der vergangenen linken Regierung und der nun rechtsangesiedelten Regierung ist sehr groß. Die politische Situation möchte ich aber genauer in meinem nächsten Bericht aufarbeiten.

 

Wenn ihr Fragen oder Anregungen für den nächsten Rundbrief habt, könnt ihr mir gerne eine E-Mail schreiben.

 

Viele Grüße und bis bald

Nico