Bolivien: 2. Rundbrief von Lina Klaus

„Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.“

Hallo ihr Lieben,

jetzt sitze ich hier in Vinto an meinem Laptop und blicke zurück auf eine sehr intensive Zeit. Wie in einem Daumenkino spielen sich gerade ganz viele verschiedene Bilder und Eindrücke in meinem Kopf ab. Da war Allerheiligen, Weihnachten, Neujahr, ein Zwischenseminar, Reisen und alles drum herum. Von alledem möchte ich euch in diesem Rundbrief einen kleinen Einblick geben.

Allerheiligen, eine ganz besondere Erfahrung

Eine sehr bewegende Erfahrung für mich war Allerseelen bzw. Allerheiligen. Diese Erfahrung durfte ich sowohl in meinem Nachmittagsprojekt, der Fundación Nueva Luz, als auch in meiner Gastfamilie machen. Doch zunächst eine kleine Einführung, denn die Traditionen, die es hier an diesen Feiertagen gibt, waren für mich ganz neu und ich habe noch nie etwas Ähnliches erlebt. Hier wird nämlich an Allerheiligen ein Tisch für die Verstorbenen vorbereitet. Auf diesen werden dann selbstgebackene Brote in verschiedensten Formen, Süßigkeiten, Obst und Gemüse und die Lieblingsspeisen der Verstorbenen gelegt, da hier der Glaube existiert, dass die Verstorbenen an diesem Tag zu ihren Lieben auf die Erde kommen. Eine wie ich finde sehr schöne Denkweise.  In der Fundación wurden Brote und „Empanadas“ (mit Käse gefüllte Teigtaschen) von den  älteren Kindern am Tag vor Allerheiligen vorbereitet. An Allerheiligen („Día de Todos los Santos“) selber haben wir dann den Tisch vorbereitet. Wir haben ihn jedoch nicht wie üblich für eine bestimmte verstorbene Person, sondern für all unsere verstorbenen Lieben gerichtet. So haben wir auch beispielhaft Fotos von Angehörigen der Kinder und Mitarbeiter zu den Lebensmitteln dazugestellt. Um eben diesen Tisch haben sich dann die Kinder gestellt und zusammen gebetet. Anschließend bin ich nach Punata gefahren, um hier die Feiertage mit meiner Familie zu verbringen. Es gibt außerdem  die Tradition, dass man hier zu den Häusern geht, von welchen man weiß, dass dort im letzten Jahr jemand verstorben ist. In diesen Häusern wird ein Tisch aufgebaut, zu welchem dann Freunde und Bekannte der Angehörigen kommen, um mit ihnen der Verstorbenen zu gedenken. So machten auch wir uns als Familie schwarz gekleidet und mit Taschenlampen gerüstet auf den Weg, da es bereits dunkel war und wir über kleine Feldwege zu den Häusern gingen. Ein wirklich besonderes Gefühl so durch die Dunkelheit zu laufen und dabei mit Gitarrenbegleitung meines Bruders die Lieder zu üben, die wir später in den Häusern singen würden. Umso überraschender war es, als wir nach einer Weile an ein Haus gelangten, das von außen so dunkel wirkte, dass man sich zuerst uneinig war, ob wir richtig waren. Als wir dann jedoch hineingingen, gab es keine Zweifel mehr. Ein riesiger, gedeckter Tisch strahlte  uns wortwörtlich entgegen.

Als wir dann anfingen zu singen, erschien ein so schönes Lächeln auf den Gesichtern der Angehörigen, das ich wohl nie vergessen werde. Anschließend wurde noch das alkoholische Lieblingsgetränk  des Verstorbenen getrunken. Hierzu wurde eine Tutuma (ein Schälchen hergestellt aus Kürbis) herumgereicht und das Gefühl der Zusammengehörigkeit verstärkt. Nachdem sie uns noch selbstgemachtes Gebäck mitgaben, wurde sich umarmt und verabschiedet. Diese Begegnung erfüllte mich von innen mit einer unglaublichen Wärme und das Gefühl, mit welchem ich dieses Haus verließ, ist wirklich unbeschreiblich. Für mich ist es eine so schöne Art, mit dem Tod umzugehen. Im Laufe des Abends beziehungsweise der Nacht besuchten wir noch einige weitere Häuser und überall wurden wir mit der gleichen Freude, Herzlichkeit und vor allem Dankbarkeit empfangen. Einerseits war es immer bedrückend, die Menschen trauern zu sehen, anderseits wurde ein so schönes Gefühl von Gemeinschaft ausgestrahlt. Dieser Abend war für mich persönlich eine sehr bewegende Erfahrung und ich kann meine Gefühle und Gedanken dazu nur schwer in Worte fassen. Am darauffolgenden Tag, also Allerseelen, gingen wir auf den Friedhof, um das Grab der verstorbenen Mutter meiner Gastfamilie zu besuchen. Auch die Stimmung, die hier aufkam, hatte nichts mit dem traurigen Gefühl zu tun, das  ich persönlich zuvor beim Denken an Allerseelen bzw. Allerheiligen hatte. Für mich war Allerheiligen zuvor immer mit schlechtem Wetter und trauriger Stimmung auf dem Friedhof verbunden. Hier spielen jedoch sog. „Bandas“ (kleine Blaskapellen) an den Gräbern der Verstorbenen, wo die Familie betet. Außerdem werden die Speisen, die den Tag zuvor auf dem Tisch standen, an das Grab gelegt. Danach sah man viele Familien, die auf den Wiesen des Friedhofs zusammen picknickten. Ich möchte nicht das Bild vermitteln, dass die Menschen hier nicht trauern. Nur finde ich persönlich, dass es ein anderes mit der Trauer Umgehen und der Lieben Gedenken ist, als ich es aus Deutschland kenne.

Eine unerwartete Hochzeit

 Als ich mit der Köchin Doña Silvia wie gewöhnlich zu Mittag aß, kam ihr Sohn vorbei und schloss sich uns an. Nach dem Mittagessen holte er  eine Hochzeitseinladung heraus, die er mir überreichte. Warum ich das erzähle? Weil ich zwar schon in vielen Gesprächen mit der Köchin über die  bevorstehende Hochzeit und die damit verbundenen Entscheidungen bzw. Probleme (wer wird wie eingeladen, damit es keinen Streit gibt, was tun, wenn die zukünftige Schwiegertochter lieber lilafarbene als rote Tischläufer und Servietten hätte, diese aber mehr kosten und eigentlich kein Geld dafür da wäre…) geredet, aber nie damit gerechnet hätte, eingeladen zu werden. So kam es dann, dass ich mit Juampi (meinem Mentor) und Doña Silvita vergeblich ein geeignetes Kleid für mich suchte. Leider waren mir alle zu kurz, so dass ich letztendlich ein Kleid von Juampis Schwester geliehen bekam. Im CEA, einem meiner Projekte, kann man eine Friseurausbildung machen. Da sich die Schüler immer über „Modelos“ (Personen, die sich die Haare umsonst schneiden oder Frisuren machen lassen, für welche die Schüler dann bewertet werden) freuen, wurde ich nach der Arbeit noch schnell frisiert und los ging es.

Mit Juampi auf der Hochzeit

Bei der Feier wurde wie üblich viel gegessen und anschließend getanzt. Ich habe zunächst mit Juampi und anschließend mit den Brüdern des Bräutigams getanzt. Eigentlich wollten wir nicht zu lange bleiben, da Juampi und ich beide am nächsten Tag Termine hatten. Aber natürlich wurden gerade dann gute Lieder gespielt und wir konnten uns nicht von der Tanzfläche loseisen. So wurde es doch noch ein bisschen später…

 

Feiern des  „Aniversarios“ in der Fundacion

Schüler des „Salon anaranjado“ beim Tinku-Tanzen

 Im November haben wir den „Aniversario“ der Fundacion gefeiert. Hierfür wurden verschiedene Tänze einstudiert. Mit den Kleinsten haben wir „Moana“ und einen Cowboy-Tanz geprobt. Die Schritte haben meine Kollegin und ich uns überlegt und dann zusammen mit den Kindern geübt. Besonders Spaß hat auch das Basteln der Kostüme gemacht. Hier haben wir aus Zeitungspapier Röcke und Armbänder im „Moana-Stil“ hergestellt und dazu Blumenketten aus Papier als Kopf -und Halsschmuck. Hierbei ist mir wieder einmal aufgefallen, dass man nicht viel braucht, um etwas Tolles auf die Beine zu stellen und die Kinder trotzdem glücklich zu machen und ihnen das Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu machen. So haben sich die vielen Stunden nach Feierabend, die wir in das Vorbereiten der Feier steckten, auf jeden Fall gelohnt und die Feier war ein voller Erfolg!

Eine laute bunte Gruppe, angeführt vom Pastor mit Megaphon auf dem Weg zum Schwimmbad- Tag der Katecheten eben

 Am Tag der Katecheten gab es auch bei uns eine Aktion für alle Gruppen, also die Katecheten der Kommunion und Firmung, die Leiter der Jugendgruppe und das „ministerio de baile“ und das „ministerio de música“. Nach der Sonntagsmesse sind wir alle zusammen mit einem kleinen Bus zum Schwimmbad losgefahren. Allein schon die Fahrt war super lustig, da einer Gitarre gespielt hat und alle laut mitgesungen haben, während der Pastor seinen Beitrag durchs Megaphon leistete. Auch im Schwimmbad selbst hatten wir viel Spaß und von dem Regen haben wir uns nicht aufhalten lassen. Im Gegenteil, es wurde nur noch lustiger, als wir im strömenden Regen Wasserball spielten.

Unsere buntgemischte Truppe

Ein super schöner Tag, der mir die Möglichkeit gegeben hat, auch die Jugendlichen aus den anderen Gruppen noch besser kennenzulernen und der uns als Gruppe sehr zusammengeschweißt hat. Außerdem ein weiteres Beispiel dafür, wie Kirche gelebt werden kann.

 

 

Kurztrip nach Tarija – Priesterweihe und Wein

Sogar gereist sind wir schon zusammen: Da ein Freund meiner Gastmutter in Tarija (eine Stadt im Süden Boliviens) zum Priester geweiht wurde, sind meine Gastmutter, mein jüngster Gastbruder und ich für ein verlängertes Wochenende nach Tarija gefahren. Im Anschluss an die Priesterweihe gab es eine sehr große Feier, auf der auch viel getanzt wurde. Dies hat mir wieder die lebensfrohe Mentalität der Menschen hier gezeigt. An den folgenden Tagen haben wir Tarija noch ein bisschen mehr kennengelernt.

Mit meiner Gastmama und meinem Gastbruder in Tarija

Das Schöne hierbei war, dass wir selten alleine unterwegs waren, weil sich immer jemand angeboten hat, etwas mit uns zu unternehmen und wir so oft Geheimtipps von Einheimischen erhielten. Da Tarija vor allem für den guten Wein bekannt ist, haben wir natürlich auch den ein oder anderen Wein probiert, der insgesamt eindeutig lieblicher ist als der, den ich aus Deutschland kenne. Der Ahrwein ist natürlich auch nur schwer zu toppen! Die Landschaft in Tarija hat mich sehr beeindruckt und mir wieder mal einen weiteren Teil der riesigen Vielfalt bolivianischer Natur gezeigt.

Prost! – Mit Chicha auf ein erfolgreiches Jahr

 Auch in der „Casa“, also dem Seminarhaus in Vinto, in dem ich wohne, veranstalteten wir eine kleine Weihnachts- bzw. Jahresabschlussfeier. So wurde „Chicharron“ (also Schweinefleisch gebraten in Chicha, einem traditionellen alkoholische Getränk aus Mais) gekocht und zusammen mit Choclo (frischem gekochten Mais) und Kartoffeln gegessen. Was natürlich nicht fehlen darf: Chicha!

Mit allen Mitgliedern der „Familie“ des Hauses

So stellten wir nach dem Essen einen großen Tonkrug in die Mitte unserer Runde und mit einer Tutuma (ein Trinkbehältnis aus einer Fruchtschale) hat man immer seinem Nachbarn zur Chicha „eingeladen“. Denn wie ich schon auf diversen Feiern gelernt hatte, lädt man sich Getränke gegenseitig ein. Wie das funktioniert? Eine Person beginnt und sagt zu der Person, der sie das Getränk einlädt „Salud!“ (das bolivianische Prost), welche darauf mit „Servite!“ antwortet. Nach dieser Aufforderung trinkt zunächst die Person, die einlädt und anschließend lädt die Person, die eingeladen wurde zuerst die nächste Person ein, bevor sie selbst trinkt. Hört sich kompliziert an? Ist es am Anfang auch. Und wenn man dann noch daran denken muss, vorher ein bisschen des Getränkes auf den Boden zu schütten, um es der „Pachamama“ (=Muttererde) zu opfern, versteht ihr wahrscheinlich, wie es dazu kam, dass ich ab und zu „Straftrinken“ musste. Doch Übung macht den Meister:)

 Basteln, Krippenspiel und mehr- Weihnachtsvorbereitungen auf Hochtouren

 Auch an der Fundación ging die Vorweihnachtszeit nicht so ohne Weiteres vorbei. So haben wir mit den Kindern verschiedene „Manualidades“ (=Handarbeiten) angefertigt. Alle, die mich kennen, wissen ja, dass mir Basteln, Nähen etc. sehr viel Spaß macht! Es war nicht immer einfach, weil die Kleinsten erst vier sind und nicht selten gerufen wurde „Profe, ayudame!“ (=Lehrerin, hilf mir!“) oder auch „Lina, aquí!“ (=Lina, hier“). So hatten wir alle Hände voll zu tun! Am Ende hatten wir aber sehr schöne Ergebnisse, sodass sich die viele Arbeit und auch intensive Vorbereitung gelohnt haben!

Außerdem haben wir noch die Weihnachtsfeier vorbereitet. Für jedes Kind sollte es ein Geschenk geben. So suchten wir aus den gespendeten Dingen immer etwas Passendes heraus und packten die Geschenke ein. An der Feier selber sollte im Rahmen der Messe noch ein Krippenspiel vorgeführt werden, in dem ich die Rolle als Engel bekommen habe. Da fühlte ich mich doch ein wenig in meine Kindheit zurück erinnert, in der ich auch diverse Male meinen Text für verschiedenste Weihnachtsstücke lernte. Und genau wie früher kam am Tage der Aufführung unter allen Mitspielenden (Lehrerinnen, Eltern und ein Schüler) die gleiche Aufregung auf. Am Ende hat aber alles funktioniert und wenn nicht, wurde eben improvisiert. Im Anschluss an die Messe wurden dann die Geschenke verteilt, über die sich die Kinder wirklich sehr gefreut haben. Danach gab es noch für alle heißen Kakao und „Buñuelos“ (=frittierte Teigfladen) und dann wurden die Kinder in die großen Ferien verabschiedet. Irgendwie hatte ich dabei schon ein mulmiges Gefühl, da wir nicht wussten, wer im neuen Schuljahr wiederkommen würde.

Alltag in der Guardería

In der Guardería gab es keine außergewöhnlichen Aktionen wie in der Fundacion. Trotzdem hat es mir super viel Spaß gemacht, Zeit mit den Kindern zu verbringen, mit ihnen zu lachen, spielen und ihre Entwicklung mitzuerleben. So habe ich schnell gelernt, welches Kind wie, wo und wann  am besten einschläft, wie es sich am besten beruhigt, wenn es weint, was sein Lieblingsspielzeug ist und so weiter. Außerdem habe ich gelernt auf so ziemlich jeden Namen zu hören. Sei es „tía“ (Tante), „mami“ oder bei den größeren auch „Profe“, eben auch von dem meist noch begrenzten Wortschatz der Kinder abhängig! Aber auch das kleine Wörtchen „tía“ kann man durch verschiedene Tonlagen und Betonungen so unterschiedlich aussprechen, dass ein kleiner Junge eigentlich immer das erreicht, was er möchte. Nicht selten bringen mich die Kinder bei solchen Dingen zum Lachen.   Es war immer schön, wenn wir die Möglichkeit hatten, mit den Größeren eine Bastelaktivität durchzuführen. Um den Tag ein bisschen abwechslungsreicher zu gestalten, sind wir oft in den Garten gegangen und haben die Hühner und Katzen bestaunt. Außerdem haben wir Ausflüge in den gegenüberliegenden Park gemacht. Dies ist manchmal gar nicht so einfach, weil wir Kinder zwischen zwei Monaten und sechs Jahren betreuen! Aber Tragetücher, Kinderwagen und gefühlt mehr als zwei Hände machen alles möglich.

Arbeit mit Kindern- eine Bereicherung

Immer wieder merke ich, wie sehr mich die Arbeit mit den Kindern bereichert. Das für mich Schöne an der Arbeit mit Kindern ist das Vertrauen, dass sie in einen haben. So erzählen sie einem das, was sie beschäftigt. Nicht selten sind dies schwierige Dinge, an denen ich persönlich nichts ändern kann und die ich akzeptieren muss, ob ich das möchte oder nicht. Das Einzige was ich tun kann, ist zu versuchen, in der Zeit, die ich mit dem Kind verbringe, für dieses da zu sein. Oft habe ich das Gefühl, dass die Kinder mir viel mehr geben, als ich ihnen. Sei es ein „Lina, endlich bist du wieder da!“ nachdem ich einen Tag nicht da war oder eine Umarmung, wenn ich ein Kind zufällig auf der Plaza treffe. Egal mit welcher Stimmung ich ankomme, immer schaffen die Kinder es mich glücklich zu stimmen: Ob die ganz Kleinen, die mich unbewusst durch ihre Art zum Lachen bringen, oder die Großen, die egal wie frech und stur sie auch ein mögen  alle ihre liebe Seite haben.

Jahresabschluss der „Fundación“ im Schwesternhaus

Nachdem wir das Jahr mit den Kindern mit der Weihnachtsfeier schon abgeschlossen hatten, gab es für uns noch Einiges zu tun. So strichen wir noch die Klassenräume, fertigten eine Liste des Inventars an und verfassten außerdem sog. „informes“ über die Kinder, in welchen wir ihre Lernstände und Fortschritte aufführten. Dies dauerte noch bis zum 21. Dezember. Am letzten Arbeitstag fuhren wir dann noch mit allen Kolleginnen nach Cochabamba zum Haus der Franziskanerschwestern, da unsere Direktorin diesem Orden angehört. Dort aßen wir dann zusammen und eine Kollegin, die „Portera“, wurde verabschiedet. Hier habe ich gemerkt, dass ich in Bolivien vielleicht doch ein bisschen emotionaler geworden bin oder ich einfach verschiedenste Gefühle stärker empfinde. Denn so lange kannte ich meine Kollegin ja noch nicht. Aber in der kurzen Zeit, die ich sie kannte, war ich so begeistert und konnte sehr viel von ihr lernen. Sie hat wahrlich keine einfache Vergangenheit, aber trotzdem hat sie für jeden immer ein Lächeln bereit, ist für alle da und steht mit Rat und Tat zu Seite. Wahrscheinlich weil ich so begeistert von ihrer starken Persönlichkeit bin, fiel mir der Abschied schwer.

Mit meinen Kolleginnen der „Fundación“

Nach dem Essen hat eine Schwester uns dann noch versucht, einen Tanz  beizubringen, was wirklich sehr amüsant war, da wir ihn alle nicht so wirklich gut hinbekommen haben, sodass es letztendlich in einem Lachanfall endete. Dieser Tag hat das Jahr wirklich schön abgerundet.

Vorweihnachtliche Stimmung in der Gemeinde

 Auch in der Gemeinde gab es Vieles für Weihnachten vorzubereiten. So waren wir als Gruppe der Firmkatecheten dieses Jahr mit dem Krippegestalten dran. Wir machten zunächst einen Plan, wie wir die Krippe in diesem Jahr gestalten wollten. Die darauffolgenden zwei Wochen bis Weihnachten trafen wir uns dann fast jeden Tag um ca. 50 Palmen, diverse Häuschen und so weiter zu basteln.

Unser fertiges Werk

Auch wenn es manchmal ein bisschen anstrengend war, nachdem ich seit morgens früh in meinen Projekten war, noch bis oft abends elf oder zwölf Uhr in der Gemeinde zu sein, hat es wirklich unfassbar viel Spaß gemacht und es war super schön, Teil der Gruppe zu sein. Wir haben viel zusammen gelacht, es gab viele schöne und intensive Gespräche und manchmal endete der Abend auch damit, dass wir zu so später Stunde noch irgendwo etwas zu Essen suchten und auch fanden.

Weihnachten einmal ganz anders

Weihnachten auf dem anderen Ende der Welt, fern von der Familie und allem, was für mich bisher zu einem schönen Weihnachten dazugehörte -“Wie wird das wohl sein?“, fragte ich mich als ich am 23. Dezember auf dem Weg nach Punata zu meiner Gastfamilie war. In Punata angekommen ging ich wie gewohnt erst mal in den Friseursalon meines Bruders, wo sich meistens auch noch weitere Familienmitglieder befinden, die aushelfen oder einfach wie ich zum „Schwätzchenhalten“ da sind. Nach dem wir uns also über Neuigkeiten ausgetauscht hatten und auch die letzten Kunden gegangen waren, machten wir uns im Taxi auf den Weg zum Haus, da dieses außerhalb vom Zentrum liegt. Dort angekommen, besprachen wir die Pläne für die nächsten Tage, die sich natürlich geändert hatten und gingen schlafen, denn am nächsten Morgen ging es früh weiter. Um 7 Uhr ging es los auf den Markt, um die benötigten Lebensmittel einzukaufen. Und auch das war eine Erfahrung für sich: Die Stadt war voller Menschen, die alle ihre Weihnachtseinkäufe machten. Marktfrauen haben auf Säcken ihre Waren ausgebreitet und dann geht das Verhandeln und Suchen nach zum Beispiel dem besten „Choclo“ (heller Mais) los. So gingen auch meine Gastmama und ich von Stand zu Stand und auch nochmal zurück, wenn wir merkten, dass die Ersten vielleicht doch die besseren Kartoffeln waren. Als wir dann schon so viel gekauft hatten, dass wir es nur noch mühsam tragen konnten, kam zum Glück einer der Jungs und hat uns geholfen, denn zum Beispiel  25 Maiskolben haben schon ihr Gewicht. Nachdem dieser, wie meine Gastmami findet, anstrengende Teil geschafft war, ging es zurück nach Hause, wo wir nach einem schnellen Mittagessen alles für das große Weihnachtsesssen vorbereiteten. Kartoffeln wurden geschält, der Mais geputzt und Salate zubereitet. So habe ich auch einen Kartoffelsalat nach dem Rezept meiner einen Oma  und einen Nudelsalat nach dem Rezept der anderen Oma gemacht! Allein schon wegen eurer tollen Rezepte, wollen sie euch unbedingt kennenlernen:) Anschließend haben wir uns beim Schauen von Weihnachtsfilmen ausgeruht und gewartet, bis es Zeit war, sich auf den Weg zur Christmette zu machen. Die Messe an sich hat mir sehr gut gefallen, da sie durch einen Tanz mit langen Tüchern und ein Krippenspiel zu etwas Besonderem wurde. Nachdem man sich nach der Messe noch „Frohe Weihnachten!“ gewünscht hatte, gingen wir nach Hause und schmissen den Grill an. So war es dann 2 Uhr nachts, als wir anfingen zu essen.

Meine Familie beim Weihnachtsessen

Nach dem Essen saßen wir noch lange bei einem schönen Weinchen aus Tarija beisammen, plauderten und spielten Spiele, was das so besondere Weihnachtsfest zu einem schönen Abschluss brachte. Meine Gastmama ernannte mich zur „estrella“ (=Stern) des diesjährigen Weihnachtsfestes, da ich als das „Wawa“ (Baby auf Quechua), wie ich liebevoll von meiner Gastfamilie genannt werde, weil ich die Jüngste bin, voller Freude die Krippe schmückte und ihrer Meinung nach neuen Schwung  ins Weihnachtsfest brachte. Wie so oft freute ich mich über diese kleine, aber für mich sehr bedeutsame Liebenswürdigkeit.

Die Woche nach Weihnachten verbrachte ich auch noch bei meiner Gastfamilie, was ich sehr genoss, da ich es in der Vorweihnachtszeit nur selten geschafft hatte, sie zu besuchen. Die Zeit in Punata genieße ich immer sehr, wahrscheinlich weil ich so ein schönes und enges Verhältnis zu meiner Gastfamilie habe. Ob bei der Motorradtour mit meinem Bruder durch die Umgebung Punatas, vorbei an Blumenwiesen, durch Flusstäler, in denen Wäsche gewaschen wird und an Kindern, die mit der Ziege spazieren gehen, beim Ausflug zum Baum der Liebe mit meiner Schwester oder einfach beim sonntäglichen Mittagessen mit meiner Familie. Es gibt wenige Orte oder Zeitpunkte, an denen ich mich so wohl fühle, wie wenn ich mit meiner Gastfamilie zusammen bin. Besonders schön finde ich auch, dass ich zu jedem ein ganz unterschiedliches Verhältnis habe: Zunächst meine stets um mein Wohlbefinden besorgte Gastmami, mein jüngster Gastbruder, der, wie die anderen sagen, wenn wir zusammen sind nochmal so richtig Kind wird, meine große Schwester mit der ich über alles reden kann und viele Draußenaktivitäten mache oder mein Gastpapa, mit dem ich mich stets über die verschiedenen Speisen und Lebensmittel in Bolivien und Deutschland unterhalte. So kommt es auch, dass meine Gastfamilie immer sagt, dass sich meine deutsche Familie bestimmt bald beschweren und ihre Tochter zurückverlangen wird.  Umso mehr haben wir uns gefreut, als wir erfahren haben, dass meine bolivianische Familie, wenn alles klappt, bald einen Teil meiner deutschen Familie kennenlernen wird!

Silvester in Sucre

Zusammen mit Raphael, einem anderen Freiwilligen, der zu der Zeit zufällig in Cochabamba war, machte ich mich am 30. Dezember im Nachtbus auf den Weg nach Sucre, wo wir mit einigen anderen Freiwilligen Silvester verbringen würden.

Mit vielen anderen Freiwilligen in Sucre

Nachdem wir uns alle freudig begrüßt hatten, besichtigten wir noch ein wenig die Stadt, die mir wirklich sehr gut gefällt und abends bereiteten wir dann auch schon das Essen vor. Nach dem Essen gingen wir zur “Recoleta“, einem Aussichtspunkt in Sucre, von welchem aus wir das Feuerwerk schauten und ins neue Jahr starteten, bevor wir anschließend noch tanzen gingen. Am nächsten Tag besuchten wir Wasserfälle, was wirklich ein sehr schöner Start ins neue Jahr war.

Zwischenseminar in Vinto

Anfang Januar war es dann auch schon Zeit für unser Zwischenseminar, das im Seminarhaus hier in Vinto stattfand. Ich freute mich sehr darauf, alle Freiwilligen von SoFiA und außerdem Freiwillige aus dem Bistum Hildesheim, die ich schon in La Paz kennenlernen durfte, wiederzusehen. Besonders wichtig für mich auf dem Seminar war der Austausch, sowohl mit anderen Freiwilligen, als auch den Teamern, die unser Seminar begleiteten. Dafür war sowohl im Rahmen des Programms, ob beim Lagerfeuer, beim Ausflug in den nahegelegenen Naturpark oder  beim abendlichen Besichtigen von Cochabamba, ausreichend Zeit. Thematisch konnten wir das Programm zum großen Teil selbst gestalten. Beim Hören des Wortes „Zwischenseminar“ war mein erster Gedanke: „Oh wei! Dann ist die Hälfte wohl jetzt rum!“ und so wurde Abschied zu einem Thema, über das ich gerne reden wollte, um dann wenn es soweit ist, ein bisschen vorbereitet zu sein. Was nicht heißt, dass ich mich nicht im gleichen Moment schon jetzt riesig darauf freue, alle in Deutschland wieder zu sehen und sie am liebsten alle hier hätte, um meine Erfahrungen hier mit ihnen zu teilen. Außerdem gibt es gesellschaftliche Themen, die mich sehr beschäftigen und über die ich gerne mehr Hintergründe erfahren und unterschiedliche Meinungen hören wollte. Auch hierfür war im Rahmen des Seminars ausreichend Platz, sodass ich sehr zufrieden war und mit neuen Gedanken in die zweite Hälfte starten konnte.

Besuch von meiner Freundin aus Deutschland und Erkunden unfassbarer Welten

Ein bisschen traurig  war ich, als sich die Gruppe auflöste und ich wusste, dass mein Haus nun wieder leerer sein würde. Umso glücklicher war ich, als sich Magda, Raphael und Silas dazu entschlossen, mit mir nach Peru zu reisen, um dort meine Freundin Neele abzuholen, die aus Deutschland angereist kam. Auf der ganzen Fahrt nach Cuzco war ich super aufgeregt und freute mich sehr, Neele endlich wiederzusehen. Es war wirklich toll, sich über die vergangenen sechs Monate nun endlich persönlich austauschen zu können! Natürlich musste ich auch über die News aus Ahrweiler, meinem Heimatort, auf den neuesten Stand gebracht werden. Allein über die Reise selbst könnte ich Romane verfassen. Da ich euch aber auch nicht zu viel zu lesen zumuten möchte, nur ein paar Eindrücke: Noch nie in meinem Leben habe ich in so kurzer Zeit, oft noch am selben Tag so viele extreme Unterschiede erlebt: Höhenunterschiede von 3000 Metern, strahlender Sonnenschein wird abgelöst von Hagel und Schneefall, eine Straße führt uns von steinigem, kalten Altiplano in den tropischen Dschungel.  Unsere Reise führte uns vom Machu Picchu in Peru über den Titicacasee, nach La Paz, in den Salar de Uyuni und schließlich zurück nach Cochabamba. Von dort ging es nach Santa Cruz, wo ich Neele dann am Flughafen leider schon wieder „Bis bald!“ und nicht „Tschüss!“ sagen musste, wie es mir einige meiner Freunde bereits beim Abschied in Deutschland erklärten. Insgesamt war die Reise geprägt von Spontanität und Planänderung, neuen Bekanntschaften, unbekannten Speisen und immer wieder unterschiedlichen Reisekonstellationen.  Zusammengefasst unfassbar viele Eindrücken und Erfahrungen, die ich glaube ich immer noch nicht ganz verarbeitet habe, aber für die ich unglaublich dankbar bin.

Manchmal sagen Bilder einfach mehr als Worte, deshalb möchte ich euch so einen besseren Einblick in meine Reise geben.

Los geht´s!
Über den Titicacasee…
…auf nach Cusco, …
…zum Cristo, …
…den Regenbogenbergen…
…und schließlich zum Machu Picchu!
Weiter ging es über Copacabana am Titicacasee…
…und den „Mond“ in La Paz…
… zum Salar de Uyuni.

Ein unvergesslicher Geburtstag

In dieser Zeit hatte ich auch noch Geburtstag. So kam es, dass ich meinen Geburtstag ganz anders verbrachte, als in Deutschland, aber zusätzlich auch ganz anders, als ich es mir in Bolivien vorgestellt hatte. So wussten wir bis kurz vor meinem Geburtstag noch nicht einmal, an welchem Ort wir zu dieser Zeit überhaupt sein würden.

Geburtstag einmal so…

Letztendlich waren wir dort gerade auf der Salar-Tour. Wir waren am 30. Januar jedoch nicht im Salar selbst, sondern haben Lagunen mit Flamingos besucht.

 

Nachts um zwölf hatten mich Neele, Magda und Raphael schon mit Kerzen und Glückwünschen überrascht und abends haben wir dann noch irgendwo im nirgendwo, fernab von jeglicher Zivilisation angestoßen. So gestaltete sich mein Geburtstag völlig anders als gedacht, aber vielleicht gerade deswegen war er so schön und wird mir immer in Erinnerung bleiben. Doch damit sollten die Feierlichkeiten zu meinem Geburtstag noch nicht abgeschlossen sein, denn auch meine Gastfamilie ließ es sich nicht nehmen, mich zu überraschen, doch das muss ich detaillierter erzählen!

Zusammen mit Neele fuhr ich an dem Sonntag nach meinem Geburtstag nach Punata, um Neele meiner Gastfamilie vorzustellen. Dort angekommen wartete Gegrilltes mit reichlich Beilagen auf uns, was es sonst eigentlich nur an Weihnachten gibt. Als ich nachfragte, war die Antwort ganz einfach: Wir  hätten meinen Geburtstag ja schließlich noch nicht gefeiert und außerdem hätte ich ja auch noch einen Gast mitgebracht. Als wäre dies nicht schon Überraschung genug gewesen, wurde nach dem Essen eine Geburtstagstorte für mich hervorgeholt, in die ich traditionell reinbeißen musste. Mein Bruder reklamierte jedoch, dass es nicht genug war und so biss ich noch ein zweites Mal in die Torte. Diesmal half mein Bruder nach.

…und einmal so!

Als mir dann nach dem Überreichen meines Geburtstagsgeschenkes alle Familienmitglieder liebe Worte sagten, war ich so gerührt, dass ich mit Torte im ganzen Gesicht und einem großen Lächeln doch die ein oder andere Träne vergoss.

 

 

 

 

…und was mir sonst noch so durch den Kopf geht!

Natürlich ist auch hier in Bolivien nicht alles rosig und es gibt einige Themen, die mich beschäftigen und die ich gerne ansprechen möchte, um das Bild, was ich hier von Bolivien bekomme ein klein bisschen vollständiger zu machen. An dieser Stelle möchte ich nochmal klarmachen, dass alles was ich berichte, meine subjektive Meinung ist und dadurch natürlich alles andere als repräsentativ.

Da die Länge meines Rundbriefes nun schon recht weit fortgeschritten ist, werde ich in diesem Rundbrief nur auf ein Thema genauer eingehen: meine Erfahrungen mit der katholischen Kirche hier vor Ort! Zunächst einmal die Erfahrungen, die ich in der Gemeinde in Quillacollo mache: Selten in meinem Leben habe ich mich so herzlich eingeladen gefühlt wie hier. Ganz schnell wurde ich ein Teil dieser Gemeinschaft. Ob bei unseren zahlreichen Aktionen oder wenn wir uns beim Vaterunser die Hände reichen und so in großen Menschenketten „schunkeln“ (ja, es ähnelt wirklich sehr dem Schunkeln, das man bei uns eher aus der jecken Zeit kennt), während wir das Vaterunser zunächst singen und dann beten, dann ist das für mich Glaube und Gemeinschaft und ich bin einfach glücklich.

Aber wie kann es dann sein, dass ich mich in dieser Gemeinschaft so wohl fühle und andere nicht so akzeptiert werden, wie sie sind? So habe ich beispielsweise einen Freund, der homosexuell und auch ein aktives Mitglied der Gemeinde ist. Mit diesem Teil seiner Persönlichkeit kann er aber leider nicht völlig offen umgehen. So waren wir beispielsweise zusammen auf einer Feier eines anderen Jungens, den wir aus der Gemeinde kennen. Es wurde zusammengesessen, getanzt und auch ein bisschen getrunken. Also eigentlich eine Atmosphäre, in welcher es einem einfach fällt, sich wohlzufühlen. Aber dann doch eben nicht. So sah ich wie der Freund, mit dem ich auf der Feier war, plötzlich traurig wirkte! Ich sprach ihn darauf an und wir kamen ins Gespräch. Der Satz der mir davon am meisten in Erinnerung blieb war folgender: „Lina, das hier ist eben eine Feier für Mann und Frau!“. Dieser Satz machte mich traurig und vor allem nachdenklich. Da ich für mich herausgefunden habe, dass Kommunikation in solchen Situationen sehr wichtig ist, habe ich mit vielen Menschen über vor allem dieses Thema gesprochen. Ich wollte mich nicht damit abfinden „dass das halt eben so ist“ und man das akzeptieren soll. So habe ich mit Freunden, Kollegen und meiner Gastfamilie gesprochen  und viele unterschiedliche Meinungen gehört, die ich teils erst nach und nach beginne zu verstehen. Vor allem ist mir aufgefallen, wie stark wir eben doch von der Kultur und den Menschen geprägt sind, mit denen wir aufwachsen und leben. So hörte ich zum Beispiel: „ Für mich ist es einfach komisch, wenn ich zwei händchenhaltende Männer sehe! Nicht, weil ich das falsch finde, sondern weil ich es nicht kenne!“.  Natürlich gibt es andere Stimmen, die ich aus meiner Sichtweise weniger verstehen kann, aber auch das ist ja ganz normal und auf keinen Fall eine Sache, die sich auf Bolivien beschränkt. Im Gegenteil auch in Deutschland habe ich mich oft gefragt, wie es sein kann, dass eben nicht jeder Mensch so sein kann, wie er ist und zum Beispiel ohne Angst vor Diskriminierung seine sexuelle Ausrichtung so leben kann, wie er möchte. Warum schreibe ich dann hier in meinem Rundbrief über meinen Freiwilligendienst in Bolivien darüber? Einfach, weil es mir hier intensiver aufgefallen ist und ich euch teilhaben lassen möchte, an dem was mich beschäftigt.

Ich möchte noch ein anderes Beispiel bringen, was mich zugegebenermaßen im ersten Moment zunächst einmal wütend gemacht hat. So kam eine Schwester, die in einem Zentrum für Frauen arbeitet, zu Besuch in die „Fundación“, um dort einen Vortrag zu halten. Es ging vor allem um das Thema Verhütung und Abtreibung. Die Meinung der Schwester, die hier ja auch die katholische Kirche repräsentiert, war ein eindeutiges NEIN zu beidem. Was mich daran gestört hat, dass meiner Meinung nach nur Beispiele einer Seite gezeigt wurden. So zum Beispiel das eines 12-jährigen Mädchens, das nach einer Vergewaltigung schwanger wurde und das Kind nicht abtrieb. Eben dieses Mädchen sei an der Herausforderung gewachsen und eine verantwortungsvolle und tolle Mutter geworden. Nicht aber wurde erwähnt, dass es sicherlich auch Mädchen bzw. Frauen gibt, die an einer solchen Situation kaputt gehen. Was ich sagen möchte ist, dass es meiner Meinung nach nicht verallgemeinert werden sollte! Auch wenn ich dem Thema Abtreibung persönlich sehr kritisch gegenüberstehe, finde ich trotzdem, dass es Ausnahmen gibt und außerdem jeder das Recht dazu hat, diese Entscheidung für sich selbst zu treffen. Im Laufe des Vortrags blickte ich in viele fragende Gesichter der Eltern. Vor allem im Hinblick auf die Verhütung wirkten sie auch nach der Lösung: „Verhüten mit natürlichem Zyklus“ nicht unbedingt überzeugt und zufrieden.

Ja, wie passen diese verschiedenen Aspekte, die doch irgendwie alle von einer Institution kommen jetzt zusammen? Lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich zu meinem Glauben und der katholischen Kirche stehen soll und bin zu folgendem Entschluss gekommen: Zunächst einmal sollte man meiner Meinung nach das,  was in der katholischen Kirche passiert, nicht mit der Meinung Gottes gleichstellen. So war die Frage des Glaubens eigentlich relativ schnell geklärt, zumal Gott meiner Meinung nach eindeutig toleranter ist, als wir Menschen es jemals sein werden. Im Hinblick auf die katholische Kirche war das Ganze ein bisschen schwieriger: Einerseits erlebe ich tolle Dinge, die ich ohne die katholische Kirche so nicht erleben würde! Sei es bei LAU in meiner Gemeinde in Ahrweiler, all dem, was ich hier in der Gemeinde erlebe oder überhaupt meinem Freiwilligendienst, den ich bewusst mit einem kirchlichen Träger mache. Trotzdem sehe ich die katholische Kirche in manchen Punkten kritisch und bin der Meinung, dass einige Dinge geändert werden sollten. Aber gerade deswegen möchte ich Teil davon sein.

Was ich mir für mich vorgenommen habe, wenn mich in egal welchem Thema etwas beschäftigt, verwundert oder ärgert, ist es, Dinge zu hinterfragen und mich darüber auszutauschen ganz nach dem Motto eines Zitates von Bob Dylan:“Don´t critize what you can´t understand“. Dann kann ich mir meine Meinung darüber bilden, und es ist auch okay, wenn ich danach nicht mit allem einverstanden bin.

Ein paar Worte zum Schluss

„Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.“ und die vor allem meinen Freiwilligendienst zu dem machen, was er ist. So bin ich einfach unendlich dankbar für all die Begegnungen, die ich machen durfte, die meinen Alltag verschönern und von denen ich sehr viel lernen kann. Insgesamt fühle ich mich super wohl in Bolivien und habe meine Leute gefunden! So hat es mich sehr gefreut, als ich unbewusst in einem Gespräch mit einer Freundin in Deutschland von „meinem Zuhause“ sprach, als es um Vinto ging. Auch wenn mein Vater immer sagt, man kann sich nur in Einzelpersonen verlieben, Bolivien hat mich vom Gegenteil überzeugt. Ich habe mich verliebt in die Mentalität der Menschen, die Natur, das Essen, die Tänze – einfach in mein Leben hier.  Voller Vorfreude blicke ich auf die nächste Hälfte des Freiwilligendienstes, die mit einigen Wechseln in meinen Projekten und dem Karneval in Oruro beginnt, aber davon dann beim nächsten Mal mehr.

Bis dahin ganz liebe Grüße und eine Umarmung aus der Ferne,

eure Lina