Bolivien: 1. Rundbrief von Lea Möller

Liebe Interessierte, Freund*innen und Unterstützende!

Nun ist es knapp sechs Wochen her, dass der Flug LH 0542 uns Freiwillige nach Südamerika gebracht hat. Es waren sechs spannende Wochen mit vielen neuen Eindrücken und Erfahrungen.

Häufig Unbekanntes, manchmal herausfordernd; viele nette und hilfsbereite Menschen, die ich kennengelernt habe; eine neue Sprache.

Hier ein Rückblick auf meine erste Zeit in Bolivien:

La Paz

Am 30.7.2018 wurde ich herzlich am Frankfurter Flughafen verabschiedet, gut gelaunt und voller Vorfreude sind wir in das Flugzeug gestiegen. Aus dem Fenster konnte man den Orinoco sehen, nach einer Zwischenlandung mit etwas Wartezeit in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, ging es dann weiter mit einer Avianca-Maschine nach La Paz. Die Einreise war unkompliziert und so wurden wir mitten in der Nacht am Flughafen sehr herzlich empfangen. Gaby und Isabel holten uns ab. Gaby ist unsere Freiwilligenkoordinatorin, ab Oktober wird Isabel für uns zuständig sein. Wir fuhren in unsere Unterkunft, ein kleines, zentral gelegenes Hotel. Während der Fahrt konnten wir einen ersten Blick auf das funkelnde El Alto werfen.

eine Teleférico-Station

In den nächsten Tagen waren wir tagsüber für das Einführungsseminar im Büro der Hermandad, der bolivianischen Partnerorganisation, und hatten abends frei. Wir redeten über Dos und Don’ts während unseres Dienstes sowie über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Außerdem waren wir viel in der Millionenstadt unterwegs, wir sahen den Präsidentenpalast, die Basilica San Francisco und eine Straße mit kleinen Läden, die „calle de las brujas“, zu Deutsch etwa „Hexenstraße“. Dort gab es von Decken, Pullovern und Schlüsselanhängern über Musikinstrumenten und Coca-Blättern fast alles. An manchen Läden hingen getrocknete Lamaföten. Wie uns von Isabel erzählt wurde, ist der August der Monat der „Mutter Erde“. Auf der Höhe ist es jetzt im Winter besonders kalt und viele Lamaschwangerschaften entwickeln sich zu Tot- oder Fehlgeburten. Die Tierkadaver werden zusammen mit reichlich Coca-Blättern und Wachsfiguren, zum Beispiel in Form von Geldscheinen, sofern man sich Reichtum wünscht, verbrannt und so als Opfergabe der „Pachamama“ zurückgegeben.

Plato con sacrificio

Im Vergleich zu dem aktuell sommerlichen Deutschland war es in La Paz kalt, die Stadt liegt schließlich auf knapp 3600 Metern (damit hat Bolivien übrigens den höchsten Regierungssitz der Welt) und so zeigte das Thermometer bescheidene 15°C an.

Mein „touristisches Highlight“ in La Paz war definitiv das Teleférico-Fahren. Seit 2014 gibt es dort hochmoderne Gondelbahnen, zehn Stück insgesamt, die Idee dahinter: eine schnelle und erschwingliche Anbindung für alle; der konventionelle ÖPNV läuft über Minibusse. Wir hatten einen beeindruckenden Ausblick auf die verschiedenen Stadtviertel La Paz‘ und El Altos, die Olympia-Schwimmhalle sowie auf die Andenkette.

Die weiße Teleférico-Linie

Am Freitag gab es ein großes Hallo, denn die Hildesheim-Freiwilligen sind nachts angekommen. Zur Erklärung: das Bistum Hildesheim und SoFiA haben zusammen eine Partnerschaft mit der katholischen Kirche in Bolivien. Hier ist die „Comision de Hermandad“, für uns zuständig ist und koordiniert die Freiwilligendienste. Aus Hildesheim sind es in diesem Jahr insgesamt fünf Freiwillige, aus Trier acht:

Santa Cruz

Am Samstag mussten Luisa und ich uns von den anderen Freiwilligen verabschieden, die meisten von ihnen werde ich frühestens Ende 2018 zu Silvester bzw. 2019 zum Zwischenseminar sehen. Wir fuhren zum Busbahnhof und von dort aus mit einer „Flota“, einem Reisebus mit gemütlichen Ledersitzen, nach Santa Cruz. Eigentlich sollten wir am Folgetag gegen 21 Uhr ankommen, doch der Bus stand die ganze Nacht über und auch zeitweise am Folgetag; aus den angedachten 18 Stunden wurden 35 Stunden. So durften wir erste Blicke auf die diversen Landschaften Boliviens werfen – die schneebedeckten Anden, karge Felsenlandschaften, dann der Wechsel zu einer Agrarlandschaft, zwischendurch Dörfer oder Städte, dann immer weniger Berge, dafür am Ende zunehmend mehr Palmen.

Meine Gasteltern, Señora Carmen und Señor Roberto, wohnen im Süden der Großstadt. Dort leben sie mit ihren drei Söhnen, drei Enkeln und dem Golden Retriever „Tina“ in einem großen Haus. Señor Roberto hat acht Jahre lang in Stuttgart studiert und spricht super Deutsch, was für mich natürlich hilfreich war.

Nach einem freien Tag zur Eingewöhnung begann dann die Sprachschule für drei Wochen, täglich von 8-12 Uhr, mit einem kleinen Snack um 10 Uhr. Neben Luisa waren auch Clara und Salome aus Hildesheim, die nach uns angekommen sind, im gleichen Sprachkurs. Freitags machten wir oft einen Ausflug, wir besuchten den Zoo, ein anderes Mal ging es zum Jubiläumsfest einer Schule für Menschen mit Trisomie 21, zum Abschluss am letzten Tag nach Cotoca, einer Kleinstadt, etwa eine halbe Stunde außerhalb gelegen. In Cotoca wird Clara das Jahr verbringen, außerdem gibt es dort eine berühmte Wallfahrtskirche.

Was wirklich anders als in Deutschland ist, ist der Straßenverkehr – es wird deutlich mehr gehupt, weniger geblinkt, teilweise auf der Fahrbahn angehalten. Ich habe nur selten beobachten können, dass sich Menschen im Auto angeschnallt haben, ebenso bis jetzt nur zwei Fahrradfahrende; einen Kindersitz habe ich hier noch nie gesehen. Es gibt deutlich mehr Kreisverkehre, die auch Ampelschaltungen haben und sehr viele Bodenschwellen. Mehrere Mal habe ich beobachtet, dass Rollstuhlfahrer*innen die Straße benutzt haben, da die jeweiligen Fußgängerwege nicht geteert waren.

Santa Cruz ist in Ringen aufgebaut, das war für die Orientierung sehr hilfreich; zur Sprachschule bin ich immer erst zur Hauptstraße gelaufen, dann mit einem Micro (Kleinbus) zum dritten Ring gefahren und da in einen Ringbus umgestiegen. Pro Busfahrt zahlt man zwei Bolivianos (umgerechnet ca. 25 Cent), egal, wie lang man fahren will. Haltestellen gibt es in Santa Cruz ausschließlich im ersten Ring (somit nur in einem Bruchteil der Großstadt), in den anderen Bereichen winkt man dem Micro kurz zu, um einzusteigen, um auszusteigen sagt man „pare, por favor“ („Halt, bitte“) oder „voy a bajar“ („ich werde aussteigen“). Dann hält der Bus und die Tür öffnet sich. Oft sind die Busse „personalisiert“: die Fahrer*innen hängen einen Rosenkranz oder Duftbaum (häufig beides) auf, eine kleine Flagge in den Farben rot-gelb-grün (Bolivien) oder grün-weiß-grün (Santa Cruz), eine Plüschabdeckung für das Armaturenbrett, ein Kuscheltier, ein Foto von der Familie…

Ein durchschnittlicher Wochentag in Santa Cruz lief folgendermaßen ab: um 6:30 Uhr bin ich aufgestanden, habe dann von meiner Gastmutter ein äußerst leckeres Frühstück, immer mit frischem Orangensaft, Obst, Brot, Marmelade und „dulce de leche“ (vergleichbar mit Karamellcreme, für mich eine echte Neuentdeckung) bekommen; um spätestens 7:15 habe ich das Haus verlassen und bin mit dem Micro und einem Mal Umsteigen zur Sprachschule gefahren. Dort hatten wir bis 12 Uhr Unterricht, danach mit dem Micro zurück. Zum Mittag gab es immer eine Suppe, einen üppigen „zweiten Teller“ (immer lecker, viel und vegetarisch) und anschließend Nachtisch. Die Nachmittage haben sich immer unterschiedlich gestaltet – ich habe oft mit den Enkeln gespielt, wir waren im Garten oder am Spielplatz, ab und zu bin ich mit einkaufen gegangen und manchmal habe mich mit meiner Acompañante Nohelia getroffen. Sie hat, genau wie Raúl, vor ein paar Jahren in Deutschland einen Freiwilligendienst gemacht und hat mich in Santa Cruz begleitet. Wir waren an der Plaza, dem Stadtzentrum und sind nach einem Jugendgottesdienst in ihrer Gemeinde essen gegangen. An einem Abend wurde ich von ihr zum Matetee-Trinken eingeladen, dazu haben wir Gitarre gespielt, ihr Vater traditionelle bolivianische Musik, ich ein paar deutsche Pfadfinder-Lagerfeuerlieder, ein ausgesprochen schöner Abend.

Bei Nohelia

An einem Wochenende fand ein großes Charity-Fest für ein Priester-Seminar statt, für das meine Gastmutter ehrenamtlich 100 Portionen „picante de pollo“ gekocht hat. Zwei Tage vorher begannen die Vorbereitungen – einkaufen, Kartoffeln schälen und schneiden, Gemüse putzen und portionieren, große Töpfe aus der Gemeindeküche organisieren, Verzehrbons beschriften, Plastikgeschirr und -besteck einpacken, das Kochen selbst, ein Großprojekt. Auch beim Verkauf, der bei über 30°C in praller Sonne stattgefunden hat, war ich dabei, fast alles ist weggegangen, der Erlös kam dem Seminar zu Gute.

Der Grundwortschatz hat sich erstaunlich schnell aufgebaut, und so konnte ich mich schon in der ersten Woche mit meiner Gastfamilie über Hobbies, das politische System in Bolivien bzw. Deutschland oder den Klimawandel auf Spanisch unterhalten. Das hat, garantiert mit vielen Fehlern, erstaunlich gut geklappt. Durch Französisch (und vielleicht auch Latein?) kann ich viele Worte ableiten und mittlerweile Konversationen ganz gut folgen.

In der letzten Woche in Santa Cruz hatte ich Geburtstag, in der Sprachschule wurde ich mit Ständchen, einem sehr lieben Tafelbild und einer Lama-Karte begrüßt. Statt dem 10-Uhr-Tee gab es eine leckere Zitronentorte. Ich habe ich ein sehr liebes Video geschenkt bekommen, in dem mir die anderen Freiwilligen, Freund*innen und Familie, rund über den Globus verteilt, gratulieren, worüber ich mich sehr gefreut habe. Nachmittags hatte meine Gastmutter ein Kaffeetrinken organisiert, Luisa, Clara und Salome kamen zu Besuch und Señora Carmen hat noch eigene Freundinnen eingeladen, sodass wir insgesamt zu zwölft waren. Auch Nohelia und ihr Freund kamen abends nach der Arbeit noch vorbei.

Ascensión de Guarayos

Am vorletzten Wochenende in Santa Cruz habe ich einen kurzen Vorbesuch in Ascensión de Guarayos, wo ich für ein Jahr leben werde, gemacht. Ich bin mit Fatima, meiner Begleiterin in Ascensión, mit einer Flota (die Fahrt dauerte dieses Mal acht statt fünf Stunden, der Bus war kaputt und wir mussten zwischen Feldern und Palmenwald auf einen neuen aus Santa Cruz warten) nach Ascensión gefahren. Dort habe ich die Kirche, die Pfarrei (in der sich mein Zimmer befindet) und das Dorf gezeigt bekommen. Ich durfte meine Chefin Daniela und den Pfarrer Leonidas kennenlernen. Fatima hat mich auch zurück nach Santa Cruz begleitet, sie saß dafür zwei Mal jeweils fünf Stunden im Bus, sehr lieb von ihr!

Eigentlich war angedacht, dass ich am Montag ins Projekt fahre, allerdings gab es eine eintägige Straßenblockade, weshalb ich einen Tag länger als geplant in Santa Cruz verbracht habe. Am 4.9. bin ich dann mit der Flota hierher gefahren, dieses Mal ohne Komplikationen. Der Abschied von der Gastfamilie fiel mir schwer, ich hatte mich in dem Monat gut eingelebt. Für die tolle Zeit in Santa Cruz und das liebe Aufnehmen in der Familie bin ich sehr dankbar!

Hier in Ascensión wurde ich lieb empfangen; gleich am ersten Tag waren Fatima und ich unterwegs, wir haben Yaguarú und Urubichá, zwei nahe gelegene Dörfer besucht.

Am Montag beginnt mein Projekt, ich bin sehr gespannt…

¡Un abrazo cordial!

Lea

Der Rio Blanco