Bolivien: 3. Rundbrief von Lea Möller

Liebe Freund*innen, Interessierte, Unterstützende!

Ein Monat voller Reisen liegt hinter mir, ich bin seit Kurzem wieder in Ascensión, glücklich und mit vielen neuen Eindrücken. Hier mehr oder weniger chronologisch die vielen Ereignisse der letzten Wochen:

September und Oktober

Ab September etwa haben in der Schule neben dem normalen Unterricht viele sogenannte „ferias“ stattgefunden – Schüler*innen stellten stufenweise ihre Arbeiten aus und der multifunktionale Sportplatz wurde grob in die Themenbereiche Sprachen – Mathematik – Naturwissenschaften eingeteilt. Gruppenweise wurden Plakate und Lernspiele präsentiert.

Fería pedagógica

Zudem fand eine Gelbfieberimpfaktion statt und der „Juancito Pinto“ wurde ausgeteilt. Jede*r Schüler*in erhält vom Staat 200 Bolivianos, umgerechnet etwa 25€, um für das kommende Schuljahr Stifte, Hefte etc. zu erwerben.

Ende November richtete die Schule eine Abschiedsfeier aus, jede Klasse hat einen Tanz oder Lied aufgeführt, für das auch Profe Bernardo und ich mit allen 14 Kursen geprobt haben. Jetzt kann ich ein paar spanische Lieder mehr auswendig und kenne einige Tänze. Zeugnisse wurden ausgeteilt, gekoppelt mit einem „acto cívico“ (Rede der Direktorin, gemeinsames Gebet, dazu die Hymnen Boliviens, des Departamentos Santa Cruz und der Region Guarayos) und kurz danach haben die Sommerferien begonnen, die hier bis Ende Januar gingen.

Tanz der 4c

Dezember

Deshalb habe ich mir selbstständig eine Vormittags-Beschäftigung für den Dezember gesucht. Mehrmals davor wurde ich gefragt, ob ich irgendwann einen Englischkurs machen könnte. Perfekt! So habe ich Einladungszettel ausgedruckt und im Colegio sowie in der Musikschule verteilt.

Der Kurs lief super. Ich konnte aus dem Stand zwei fast schon überfüllte Gruppen bilden, eine für jüngere Kinder sowie eine für Jugendliche und Erwachsene. Immer gut besucht, jeweils 25 bis 35 motivierte Schüler*innen. Ich habe pro Einheit einen Vokabel- und einen Grammatikteil eingebaut, das hat Struktur und Abwechslung gebracht. Jetzt, ein paar Wochen danach, werde ich weiterhin angesprochen, wann der zweite Kurs stattfinden würde.

Und ich war als Gast auf der ersten bolivianischen Hochzeit, um Weihnachten herum wird gerne geheiratet – je näher an dem Hochfest gelegen, desto besser. Ich habe mich sehr gefreut, als Doña Carmen mich eingeladen hat, bei der Vermählung ihres jüngeren Bruders dabei zu sein. Ich kenne weder ihn noch seine Frau persönlich, wurde zum Fest aber trotzdem erwartet. An diesem Abend haben zwei Pärchen geheiratet, gleichzeitig. Kein extra Gottesdienst, sondern in der herkömmlichen Messe Samstag abends. Im Nachbardorf gab es einen puren Hochzeitsgottesdienst, mit über 20 Paaren. Es ist also keine Seltenheit, nicht alleine zu heiraten. Ich konnte viele mir bekannte Elemente entdecken – ein weißes Prinzessinnenkleid, von den Eltern an den Altar geführt werden, die mit den Initialen des Brautpaares bedruckten Servietten, der Hochzeitsmarsch – aber auch für mich ganz neue Bräuche – helles Konfetti en masse, welches alle Verwandten gestreut haben und ein riesiger Rosenkranz, der um die beiden gehängt und bei der Zeremonie gesegnet wurde. Auf Reden, Tischkarten, Gruppenfotos etc. wurde gänzlich verzichtet. Und auch wenn es mehrere Kurzschlüsse gab, in Folge dessen nach kurzem Funkensprühen für geraume Zeit das Licht und die Musik ausging, wurde bis zum frühen Morgengrauen gefeiert und getanzt.

Kurz danach war Weihnachten, das erste Mal ohne Adventskranz und Lebkuchen, dafür in T-Shirt und mit erntefrischer Ananas. Eine Woche vorher wurde die Kirche pompös geschmückt, im Esszimmer hat Padre Victorio einen kleinen, bunt blinkenden Plastikbaum aufgestellt, dem ich noch einen Sternanhänger verpasst habe. Nachdem ich mit einigen der Messdienenden Kekse gebacken und exzessiv Weihnachtsmusik gehört habe, kam bei mir auch etwas festliche Weihnachtsstimmung auf. Nicht viel, aber doch genug, um mich auf das Fest zu freuen. Nach der Messe am späten Abend war ich zum Essen bei Familie Núñez (die sich als meine „familia boliviana“ bezeichnen) eingeladen, um Punkt Null Uhr wurde zum Fest gratuliert und unter dem ebenfalls bunt blinkenden Weihnachtsbaum lag auch etwas für mich.

Die Reise

Am 26. spielte das Orchester Weihnachtslieder in der Messe, am Tag darauf brach ich dann in Richtung Santa Cruz auf, um mich mit den anderen Freiwilligen zu treffen. Im Anschluss ging es weiter in die Hauptstadt Sucre, circa 13 Stunden im Reisebus.

Sucre – la ciudad blanca

Dort gab es ein großes Hallo mit den anderen, die nach und nach von nah und fern eintrudelten. Zusammen haben wir Silvester gefeiert. Danach ging es für uns insgesamt sechs zum wohl touristischsten Teil Boliviens, der Salar. Die größte Salzwüste der Welt erstreckt sich über ein Areal, das etwa dem Libanon entspricht. Wir machten eine Dreitagestour in einem Geländewagen, Tag eins: Salz soweit das Auge reicht und tolle Spiegelungen im wasserbenetzten Boden. Tag zwei: Berge, wildlebende Vicuñas, Tag drei: heiße Quellen, Berge und überraschend zutrauliche Vizcachas (Hasenmäuse). Sehr zu empfehlen!

 

Una vizcacha

Flamingos an einer Lagune

Es ging weiter zum Zwischenseminar, alle Freiwilligen versammelten sich für knapp eine Woche in Cochabamba; Reflexionsarbeit, Probleme und Schwierigkeiten besprechen und vor allem in Kleingruppen oder am Lagerfeuer erzählen und viele schöne Momente teilen.

Das Zwischenseminar in Vinto

Danach fuhren wir zum Nationalpark Torotoro, der etwas abseits von Cochabamba gelegen und durch eine abenteuerliche Fünf-Stunden-Fahrt im Minibus zu erreichen ist. Dort sahen wir Dinosaurierspuren (ein Berghang voller kleiner und großer, besser und schlechter erhaltener Tapsen von Brachiosaurus, Triceratops und Co.), machten eine tolle Tropfsteinhöhlenführung und liefen durch einen Canyon mit gigantischem Wasserfall. Schon an diesem Punkt war ich von den bolivianischen Landschaften, der Flora und Fauna, hellauf begeistert. Ein so vielfältiges Land! Das zähe, magere Hochland im Kontrast zum florierenden, von Leben nur so strotzenden Regenwald, gegensätzlich dazu die geisterhafte Salzwüste, dazu Steppen und vielfältige Lagunenlandschaften, wie die hier um Ascensión.

Im Anschluss ging es für unsere kleine Reisegruppe in den Süden, in das Grenzdepartamento zu Argentinien, Tarija. Es ist (hier in Bolivien) bekannt für seinen Weinbau und das milde Klima, dem ewigen Frühling. Das war auch wirklich so: Shorts, T-Shirts und Sonnenbrille, aber nicht diese überwältigende, stehende Hitze, wie ich sie aus Ascensión kenne. Gewohnt haben wir übrigens in einem sehr zentral gelegenen Konvent, diese Übernachtungsmöglichkeit hat uns netterweise Hermano Armin (wohnte während meiner ersten Wochen in Ascensión), den ich zuvor an seiner neuen Stelle in Cochabamba besucht hatte, organisiert. Nach ein paar ruhigen und entspannten Tagen dort ging es wieder in die Kälte – nach Potosí. Und schon wieder ein ganz anders wirkender Ort, geprägt durch den Silber-, Kupfer- und Zinnabbau, der dort seit über 500 Jahren praktiziert wird.

Highlight für mich war die Minentour. Mit Gummistiefeln und einem gelben Anzug ausgestattet, Cocablätter und Soda als „Gastgeschenk“ für die Minenarbeitenden im Gepäck, gingen wir mit weiteren Reisenden für ein paar Stunden auch in einen der Stollen, der aktiv genutzt wird. Es war sehr unterschiedlich, wie die Menschen, die dort arbeiten, mit uns umgegangen sind. Es ist keine Seltenheit, dass Tourist*innen unter Tage auftauchen, die Stadt ist mit kleinen und großen Agenturen, die solche Ausflüge anbieten, geradezu übersät. Manche erzählten uns gerne etwas über ihre Arbeit, über die Bedingungen und ihre Motive, andere fragten nur schroff nach, ob wir Coca und Rum dabei hätten.

Unter Tage führten unzählige Abzweige vom großen Hauptweg ab. So gab es viele kleine Kammern und Räume, die besonders staubig waren – schließlich wird mit Dynamit gesprengt. Die meisten Minenarbeitenden, die ich gesehen habe, arbeiten ohne Gehör- und Mundschutz unter den abenteuerlichen Sicherheitsbedingungen – eine alte, irgendwie mit einer Schnur befestigte, Holzleiter, der ein paar Sprossen fehlten und wackelig aussehende Haltekonstrukte aus teils modrigen Balken.

Nach der Minentour

Auf zur letzten Etappe, dem Titicacasee. Minimal tiefer als Potosí gelegen, erstreckt sich der höchste beschiffbare See der Welt auf ca. 8300 km². In etwa drei Mal so groß wie das Saarland bildet er außerdem die Grenze zu Peru. Ein Tag an dem Seeort Copacabana (daher hat der berühmtere Strandabschnitt in Brasilien seinen Namen) und eine Übernachtung auf der Isla del Sol („Sonneninsel“). Anderthalb Stunden in einem kleinen Boot, um zur überschaubaren Insel zu gelangen. Eigentlich ist diese ein einziger Berg; dort leben einige Inka-Familien, größtenteils entweder von Tierhaltung (Schafe, Esel, Lamas…) oder vom Tourismus.

Am Titicacasee

Reiseende im nahegelegenen La Paz, eine letzte Übernachtung im Hotel und mit der Flota (dieses Mal sieben Stunden mehr Reisezeit als angekündigt) zurück nach Santa Cruz. Knapp sechs Stunden Fahrt (ohne Verspätung) nach Ascensión und nach fünf langen Wochen im eigenen Zimmer den schweren Reiserucksack abstellen. Eine sehr tolle und eindrucksvolle Reise, die uns als Freiwillige nochmal enger zusammengeschweißt hat.

Die Reiseroute

Jetzt bin ich wieder in Ascensión und wurde, vor allem von den Kindern in der Musikschule und vom Colegio, unglaublich herzlich empfangen. Ab März, so die Idee der Schulleiterin, werde ich mehr oder weniger eigenständig vormittags in den fünften und sechsten Klassen Englisch unterrichten. Ich werde berichten…

Was einfach toll ist:

  • stürmisch von den Kindern im Colegio empfangen zu werden
  • eine Einladung zum Mittagessen zu bekommen
  • ein paar frische Avocados zum Abendessen
  • ein neu gelerntes Wort benutzen zu können
  • mit einem gut gelaunten „Hello, how are you“ von den Englischschüler*innen begrüßt zu werden
  • von Freund*innen aus Deutschland eine liebe Mail zu erhalten oder mit ihnen zu telefonieren
  • einen Ausflug in die grüne Natur zu machen und einen Tukan, Affen oder Aras sehen

Ich bin so froh, hier sein zu dürfen!

Liebe Grüße,

Eure Lia (wie ich hier nach wie vor meistens genannt werde)

Sonnenuntergang in Ascensión