Uganda: Rundbrief Nr. 4 von Janine Stammer

Nichts ist wie es scheint

Hoch und tief, breit und schmal, leise und laut. So waren meine Gefühle in der letzten Zeit. Und damit ihr wenigstens ein bisschen versteht warum, erzähle ich euch, was in den letzten Monaten so alles bei mir passiert ist.

Besuchszeit

Murchison falls

Meine Eltern waren mich im Mai für 10 Tage besuchen. Ich habe mich riesig gefreut als sie plötzlich vor meiner Tür standen. Zuerst kam mir das so unwirklich vor, als würde ich mir das nur einbilden. Aber dann hat es sich schnell wieder normalisiert sie zu sehen. Ich habe ihnen das chaotische Kampala und das blühende Entebbe gezeigt. Sie konnten die Leute hier kennenlernen sowie die wundervolle Natur. Wir fuhren nämlich in den Murchison Falls National Park, wo wir die Gelegenheit hatten die atemberauende Tierwelt Ugandas kennenzulernen und ich mein Lieblingstier den Leoparden zu Gesicht bekommen habe. Die Zeit ging auch rasend vorüber, wobei mir der Abschied nicht mehr so

Leopard im Murchison Falls National Park

schwergefallen ist, da ich sie ja ziemlich bald wiedersehen werde. In der Zeit mit meinen Eltern sah ich Uganda noch einmal mit anderen Augen. Mir sind die Unterschiede zwischen meiner Welt hier und meiner Welt in Deutschland wieder richtig aufgefallen. Ich kann sie gar nicht alle benennen so viele Unterschiede gibt es. Auch wenn ich mich jetzt schon sehr darauf freue wieder nachhause zu gehen, schätze ich die Dinge hier für die letzte Zeit nochmal richtig. Zum Beispiel die frischen und tropischen Lebensmittel, mein aktives Mitwirken bei Somero Uganda, meine Freunde, das warme Klima und vieles mehr.

Pilgern in Uganda

Am 03.06. war Tag der Märtyrer, an dem ich spontan mit ein paar Kollegen nach Nyabugogo gepilgert bin. Wir starteten unsere Reise um 6 Uhr morgens und kamen nach ca. 11 km Lauf um 9 Uhr in Nyabugogo an. Auch wenn wir durchgehend an der Straße entlang liefen hätte ich nicht gedacht, dass pilgern wirklich so meditativ sein kann. Ohne ein einziges Mal anzuhalten liefen wir manchmal schweigend unserem Ziel entgegen.

Das Märtyrheiligtum in Nyabugogo

Mir wurde auf dem Weg erklärt warum tausende Menschen aus ganz Ostafrika auf dem Weg zu diesem heiligen Ort sind. Um das Jahr 1886 wurden 22 zum Katholizismus bekehrte Diener des Königs von Buganda (einem der größten ugandischen Königreiche/Stämme) auf grausame Art und Weise ermordet. Aufgrund ihres Glaubens wurden sie schmerzhaft gefangen gehalten, dann verstümmelt und dann bei lebendigem Leibe verbrannt. Um den Märtyrern zu gedenken nehmen viele Menschen jedes Jahr am 03.06. den anstrengenden Marsch auf sich. Das Ausmaß des Glaubens sah ich als wir in Nyabugogo ankamen. Riesige Menschenmassen standen in einer nie endenden Schlange vor dem Märtyrheiligtum und warteten, um vorbei an der Sicherheitskontrolle aufs Gelände zu kommen. Wir warteten zwei ganze Stunden bis wir endlich drin waren. Zwar hatten wir Glück noch etwas von der Messe mitzubekommen, aber drinnen konnte man sich kaum bewegen und wir wurde nur von den Menschenmassen mitgenommen. Viele konnten sich einen Platz zum Hinsetzen ergattern, wobei auch wir unsere Beine an einem engen Plätzchen etwas entspannen konnten. Doch erst als die Messe vorbei war und es anfing zu regnen konnten wir durchatmen und uns den Platz näher anschauen.

Der Folterbaum im Märtyrmuseum

Danach gingen wir noch zum protestantischen Gelände, auf dem sich das Museum befand. Darin konnte man den Leidensweg der Märtyrer in Form von szenisch angeordneten und sehr realistischen Metallstatuen anschauen. Als ich das sah wurde mir mulmig im Bauch und ich war einfach nur auf das Tiefste schockiert, wie ein Mensch einem anderen Menschen so etwas Grausames antun konnte. Wir gingen auch in die kleine Kapelle im Museum, wo sich die Reste der Märtyrer befanden. Das alles hat mich so mitgenommen, dass ich auch vor den mit Steinplatten bedeckten Überresten hinkniete und betete. Ich musste sogar meine Tränen zurückhalten. Vielleicht lag das auch an meiner großen Erschöpfung, aber auf jeden Fall hat mich diese Erfahrung zum Nachdenken gebracht. Nach dem Museumsbesuch fuhren wir zu meiner Erleichterung mit Bodas nachhause. Ich konnte nach diesem Tag auf jeden Fall gut schlafen.

Kinderbetreuung

Die letzten zwei Monate helfe ich jetzt in der ECD ( Early childhood development) von Somero Uganda mit. Ich habe also aufgehört im Sekretariatsunterricht zu helfen sowie Sprachunterricht etc. zu geben.

Kindergeburtstag in Somero

Die Kinder sprechen alle Luganda und lernen Englisch in der ECD. Das macht es ein wenig anstrengender für mich, da ich ja nicht fließend Luganda spreche. Aber Körpersprache hilft schon sehr dabei mit den Kindern zu kommunizieren, auch wenn viele nicht immer machen, was ich will. Die Kinder kriegen leider auch hier Schläge mit dem Stift oder Ähnlichem verpasst wenn sie nicht hören wollen oder sogar wenn sie mal nicht mitmachen oder etwas falsch machen. Wahrscheinlich nehmen sie mich deswegen nicht so ernst, da sie wissen, dass ich sie nicht schlage. Dafür kommen die Kinder öfter zu mir, wenn sie sich verletzt haben oder sie Hilfe brauchen. Ich beruhige sie eben nicht mit Schlägen, sondern mit einmal über den Kopf streicheln und gut zureden. Die Lehrerin meinte, dass die Kinder ohne Schläge nicht hören würden, da sie zu frech sind. Ich frage mich ob die Kinder nicht anders auf mich reagieren würden, wenn sie von Anfang an nicht mit Schlägen bestraft worden wären. Aber das Problem ist ja auch, dass sie zuhause ebenfalls mit Schlägen bestraft werden und es deswegen nicht anders kennen. Auf jeden Fall versuche ich die Lehrerin noch zu überreden andere Bestrafungsmethoden einzuführen, obwohl ich das Schlagen wahrscheinlich nicht ganz abschaffen kann.

Gesundheits– und Sicherheitssystem

Ich habe letztens auch einen Erste Hilfe Kurs mit der Krankenschwester hier von Somero abgehalten. Ich war überrascht, dass das noch nicht passiert ist und auch einige Kollegen sehr wenig Ahnung von Erste Hilfe hatten. Allgemein rennen oft die meisten Ugander weg, wenn ein Unfall passiert ist, da sie in die Sache nicht hineingezogen werden wollen oder nicht wollen, dass sie im Krankenhaus aufgefordert werden für den Verletzten zu zahlen. Wie ich ja schon einmal erwähnt habe, ist hier das Gesundheitssystem nicht so wie in Deutschland. Wenn eine Person bei einem Unfall schwer verletzt wurde und nicht versichert ist, was bei den meisten der Fall ist, wird die Person nur so weit behandelt, dass sie am Leben bleibt. Wenn sich dann auch kein Bekannter, Verwandter oder Freund meldet, um für die Arztkosten zu zahlen, sieht es schlecht aus. Mit Sicherheit weiß ich natürlich nicht ob das so ist, aber vieles was ich mitbekommen habe, hat darauf hingedeutet.

Erste Hilfe Kurs für die Schüler

Doch nicht nur in der Hinsicht habe ich etwas mitbekommen. Der Freund einer guten Freundin wurde kürzlich von der Polizei festgenommen, da er sich abends bzw. nachts draußen ohne Personalausweis befand. Hätte seine Freundin nicht rechtzeitig das Geld zusammengesammelt, um ihn aus dem Gefängnis zu holen, hätte er dort 2 Monate verbringen müssen. Und das nur, weil er in den Augen der Polizei ein potenzieller Dieb war. Mir wurde erzählt, dass Diebe oft Rastas und Tattoos haben und deswegen alle, die ein solches Aussehen haben und nachts rumlaufen automatisch verdächtigt werden, wie dieser Freund. Die Polizisten machen zwar nur ihren Job, aber trotzdem habe ich schon mehrmals erlebt, dass sie sich getäuscht haben. Zudem wurde mir gesagt, dass man hier in Uganda alles machen kann was man will, wenn man Geld hat. Und das kann ich leider nicht verneinen. Das Problem ist auch, dass es sehr lange dauert bis man seinen beantragten Personalausweis bekommt. Ein Freund von mir wartet schon seit März auf eine Bestätigung, dass seine Daten im Computer eingetragen wurden. Selbst mir wurde gesagt, dass ich eine Art Ausweis für mein Visum bekomme und habe es bis jetzt nicht.

Tag gegen Kinderarbeit

Also es läuft noch nicht alles so rund wie gewollt. Und eigentlich erzähle ich mit solchen Sachen nichts Neues. Das bekommen wir auch schon alles in den Nachrichten erzählt. Nur die negativen Seiten werden gezeigt, da man dafür mehr Aufmerksamkeit bekommt. Doch es gibt ja auch immer die positiven. Zum Beispiel, dass nicht alle Leute mit Rastas gleich Diebe sind und die Mehrheit der Bevölkerung sehr gastfreundlich ist. Oder dass den meisten Menschen hier die Probleme ihres Landes bewusst sind und sie aktiv etwas dagegen unternehmen wollen wie durch den Tag gegen Kinderarbeit am 12.06., an dem Somero Uganda teilgenommen hat. Uganda ist eigentlich ein weiteres Beispiel der Menschlichkeit, denn Probleme hat jeder und muss mit ihnen fertig werden. Das Wichtige ist nur die Probleme zu erkennen und auch willig zu sein etwas daran zu ändern ob mit Hilfe oder ohne. Und auch manche Schwierigkeiten zu haben bedeutet nicht gleich unglücklich zu sein. Ich habe bis jetzt noch keinen hier in Uganda getroffen, der behauptete unglücklich zu sein. Von den meisten weiß ich nur, dass sie höhere Ziele haben und ihr Bestes geben, um diese zu erreichen. Ich sage das alles, um zu versuchen euren Blickwinkel auf Afrika ein wenig zu verändern. Damit ihr nicht nur das denkt, was die Nachrichten euch zeigen, sondern auch mal darüber hinausdenkt. Denn sollten wir nicht alles, was uns gesagt wird hinterfragen?

Doch ich finde ich habe jetzt genug philosophiert. Ich werde jetzt noch ein wenig in der Perle Afrikas leben und das Beste aus meiner verbliebenen Zeit machen. Das nächste und letzte Mal werdet ihr wieder von mir hören, wenn ich wieder in Deutschland bin. Und dann könnt ihr ja auch wieder von Angesicht zu Angesicht mit mir reden. Bis dahin alles Gute und viele Grüße.

Eure Janine