Ruanda: 4. Rundbrief von Felix Flämig

Hallo meine Lieben,

auch dieses Mal berichte ich für Euch wieder von meinem Freiwilligendienst und allem was drumherum so geschieht. Kaum zu glauben, dass ich jetzt schon fast ein ganzes Jahr hier bin und so viel erleben durfte.

Viel Spaß beim Lesen!

Besuchen, besucht werden und Abschied

In den letzten drei Monaten standen neben der alltäglichen Schulzeit auch mehrere Reisen und Besuche an.

So besuchte ich in den Aprilferien meinen besten Freund Alphonse in seinem Heimatdorf nahe Remera-Rukoma im Kamonyi District. Eine besondere Ehre für uns beide, denn so konnte ich einerseits seine Heimat kennenlernen und er konnte diese mit mir teilen und mich vielen Freund*innen und Verwandten vorstellen.

Eine Reise in eine andere Welt.

Ich dachte das ganze letzte Dreivierteljahr immer, dass Nyarurema schon sehr ländlich ist, aber in dieser Gegend bekam dieses Wort eine neue Bedeutung für mich.

Kein Strom, Plumsklo, kein fließendes Wasser, ein weiter Weg zum Dorfkern und somit zu einem kleinen Laden und ein 90cm Bett für uns beide mit einer Matratze, die nach den vielen Jahren so weich ist, dass man eigentlich direkt auf dem Holz liegt.

Und das alles war überhaupt nicht „schlimm“ für mich.

Alphonse, seine Großeltern und ich

Die Familie hat mich sehr herzlich aufgenommen und mich wie einen Sohn oder Enkelkind behandelt und Alphonse hat mir die (wie so oft) unfassbar schöne Umgebung auf den Hügeln rund um das Tal des Nyabarongo gezeigt.

Gemeinsam haben wir Kaffee geerntet, das Nyabarongotal erkundet, seine Großeltern besucht, sehr oft gut gegessen und last but not least eine Gedenkveranstaltung für den Genozid im nächsten Dorf besucht. Mehr dazu später.

Unterstützung bei der Kaffeeernte

Nach vier Tagen fuhr ich dann wieder zurück nach Kigali, um den nächsten Besuch zu empfangen: wie im letzten Rundbrief angekündigt besuchte mich meine Freundin Rebecca aus Deutschland für zwei Wochen in meinem zweiten Zuhause hier in Ruanda.

Gemeinsam reisten wir ein wenig durchs Land und genossen die zwar kurze, aber nicht weniger schöne gemeinsame Zeit.

Einen Tag nach Rebeccas Abreise hieß es dann ganz plötzlich Abschied zu nehmen von einer Person, die mir seit August sehr ans Herz gewachsen war. Meine Gastschwester Eddy bekam unter sehr chaotischen Umständen die einmalige Gelegenheit in Kanada ein Studium anzufangen und musste innerhalb von zwei Tagen alles packen und sich von allen verabschieden. Sehr hart, denn realistisch gesehen werde ich sie so schnell nicht wieder sehen, dabei standen wir uns sehr nahe.

Byebye Eddy 🙁

Wiederum eine Woche danach durfte ich nochmals Besuch aus Deutschland empfangen, denn Julie Cifuentes von SoFiA kam für einige Projektbesuche nach Rwanda. Sie bekam somit die Gelegenheit mit den Mentoren über die Freiwilligen, die von Ruanda nach Deutschland gehen, zu sprechen und gleichzeitig Nyarurema, mich und andere Freiwillige zu besuchen. Soweit ich das beurteilen kann, hat sie ihre Reise hierher sehr genossen und das ein oder andere Kommunikationsproblem beseitigen können 🙂

Zuletzt war ich dann wieder der Besucher. Anfang Juni durfte ich mit Alphonse unseren gemeinsamen Freund Gustave besuchen, der kürzlich Vater geworden ist. Zwar wohnt Gustave mit seiner Frau am anderen Ende Ruandas und wir hatten nur ein Wochenende frei für die Reise, aber nichts desto trotz fuhren wir mit Bus und Mototaxi Freitags zehn Stunden hin und Sonntags etwa acht Stunden zurück. Zusammen mit der kleine Familie rund um die kleine Brianna, die gerade einmal einen Monat alt ist, verbrachten wir so eine sehr schöne Zeit in Bugesera, einem District südlich von Kigali, der sich vollständig von allen anderen unterscheidet: es ist flach dort und kein einziger Hügel ist zu sehen.

Mittlerweile ein ungewohntes Bild für mich 😉

Und wieder merkte ich, dass das Land wovon ich behaupte es zu kennen, trotzdem so anders sein kann: zusätzlich ist es dort wärmer, staubiger, nicht so grün, moskitointensiv und buschiger als die Teile Ruandas, die ich bisher kannte. Ohne die gemeinsame Sprache Kinyarwanda und meine Freunde hätte man mir auch verkaufen können, dass ich in einem anderen Teil Afrikas gelandet wäre. Bei unfassbar gutem Essen und witziger Stimmung mit den beiden Jungs und den zwei Frauen verbrachten wir zwar eine kurze, aber sehr schöne Zeit bei Gustave und seiner jungen Familie.

Schule und alles drumherum

In meinem Projekt läuft alles glatt und ich gehe weiterhin sehr gerne zur Schule – „Arbeit“ kann auch angenehm sein. Jeden Tag sind die 700 Schüler*innen auf Trapp und es gibt immer Neuigkeiten und Witze mit meinen Freund*innen. Meine Deutschschüler*innen kommen voran, meine Themen zur Discussion im „Unterricht“ sind vielfältig und werden mittlerweile auch durch Wiederholungen in Englischgrammatik ergänzt. Der „debating club“ übt fleißig zweimal die Woche für die nächste öffentliche Diskussion oder vielleicht sogar einen Wettkampf im Debattieren gegen eine andere Schule. Auch im Fußball bin ich jetzt wieder mehr aktiv, nachdem uns der Regen die letzten zwei Monate des öfteren einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.

Trotzdem fand in Nyagatare, der nächst größeren Stadt, der Ausscheid aller Schulen unseres Districts an, der in allen Sportarten ausgetragen wird. So fuhren wir mit mehreren Bussen morgens zum „Stadion“ in Nyagatare und hatten einen Tag voller Ballsport. Zuerst waren unsere Fußballer dran, danach die Handballer, dann die Volleyballer und schließlich die Basketballer.

In teils heftig umkämpften und spannenden Spielen haben sowohl unsere Basketballmädchen als auch die -jungs die nächste Runde erreicht und spielen dann demnächst im Provinzausscheid gegen die besten Mannschaften aus ganz Ost-Ruanda.

Auch die anderen Teams haben alles gegeben, nur das letzte Quäntchen Glück hat leider gefehlt.

Nach diesem anstrengenden und langen Sporttag war die Belohnung für alle Beteiligten dann ein leckeres Essen in einem Buffetrestaurant, bevor es dann zurück zur Schule ging und ich K.O. ins Bett fiel, obwohl ich nur Zuschauer war 🙂

Kwibuka 25 – remember, unite, renew

                                  die Flamme, die die ganzen 100 Tage brennt

Erinnern – Vereinen – Erneuern ; unter diesem Motto stehen die diesjährigen Gedenkveranstaltungen im ganzen Land zum Genozid von 1994.

Ab dem 7. April diesen Jahres begann so mit einer zentralen Veranstaltung im Genocide Memorial in Kigali mit vielen internationalen und prominenten Gästen ( Jean Claude Juncker, Belgien´s Ministerpräsident Charles Michel, Horst Köhler, Roger Lewentz) die „Genocide Memorial Week“ mit einwöchiger Staatstrauer.

Alle Flaggen auf Halbmast, Verbot von öffentlichen Festen oder Partys, es ist nur Musik, die an den Genozid erinnert erlaubt, sowie Veranstaltungen und Diskussionen mit Zeitzeug*innen überall im Land.

Als ich ein paar Tage nach dem 7. April Alphonse besuchte, fand eine Veranstaltung in seinem Heimatdorf statt, wo das Ausmaß des Mordens noch einmal in nackten Zahlen verlesen wurde und darauf aufmerksam gemacht wurde, dass es wirklich so passiert ist.

Denn ähnlich wie es in Deutschland Holocaustleugner*innen gibt, gibt es hier leider auch Menschen, die das Geschehene bezweifeln, da es so unmenschlich ist.

Auch an unserer Schule fand, von mehreren Schülergruppen organisiert, Anfang Mai ein Gedenktag statt, der aus einem Memorial Walk, einer Messe und einer abschließende Veranstaltung mit Reden, Gedichten und Theater bestand.

unsere Schule in Gedenken

der „walk2remember“

Gemeinsam mit Julie und Jean Damascene, einem ehemaligen Reversefreiwilligen in Deutschland, verstummten wir somit für einen Tag im Gedenken an etwas, was für mich so weit weg scheint. 25 Jahre – da war ich noch nicht einmal in Planung und bis vor einem Jahr war Ruanda in meinen Gedanken noch weit weg.

Doch bei diesen Gedenkveranstaltungen viele Gesichter zu sehen, die im sonstigen Schulalltag so fröhlich und glücklich sind und dann dort im Gedenken an Angehörige verbittert weinen, bringt das ganze plötzlich ganz nah an mich heran. Es geht plötzlich um meine Freunde und Freundinnen, gute Bekannte.

Und dabei waren viele Schüler*innen damals noch gar nicht auf der Welt. Wie mag so eine Veranstaltung also wohl vor 10 Jahren ausgesehen haben?

Meine Gedanken

Ich muss mich immer wieder im Alltag daran erinnern, dass in weniger als zwei Monaten dieses Jahr einfach so wieder vorbei ist. Vieles wird das letzte Mal bevor die Schüler*innen in die Ferien und danach ins einmonatige Praktikum gehen. Ich nutze meine Zeit dazu, Zeit zu verbringen mit den Menschen, die vielleicht nicht immer im absoluten Vordergrund meines Dienstes waren, aber trotzdem im Hintergrund fast täglich dafür gesorgt haben, dass ich mich so wohl fühle.

Oft bin ich nur abends zu Hause und besuche sonst Bekannte oder unternehme etwas mit ihnen. Unter anderem deswegen kommt der Rundbrief ein wenig verspätet. Sorry 🙁

Die zurückliegenden zwei, drei Monate waren noch einmal sehr schön, denn ich konnte meinen Besucher*innen mein Zuhause zeigen und habe dabei immer nochmal einen anderen Blick auf meine Umgebung bekommen. Das selbe gilt für meine Reisen, denn diese waren ganz und gar nicht von touristischer Natur und ich konnte viel tiefgreifender andere Regionen des Landes mit meinen Freunden erleben. Auf diesem Weg auch nochmal danke, dass meine Besucher und Besucherinnen den weiten Weg auf sich genommen haben und ich meine ruandischen Freund*innen besuchen durfte!

Ich hoffe es geht Euch allen immer noch gut. Neben meinem weinenden Auge in zwei Monaten nach Hause zu kommen, gibt es natürlich auch ein lachendes, denn ich freue mich unfassbar auf Euch alle! Durch die Zeit hier habe ich richtig gemerkt wie heimatverbunden ich bin und wie unfassbar wichtig Ihr mir seid.

In diesem Sinne, liebe Grüße und bis bald,

Euer Felix 🙂