Bolivien: 4. Rundbrief von Lea Möller

¡Querid@s amig@s!

Jetzt ist schon Juni und seit dem letzten Rundbrief einiges passiert. Neue Freundschaften sind entstanden und haben sich verfestigt, viele Feste und actos cívicos wurden gefeiert, das Jugendorchester hatte mehrere Auftritte und in der Schule unterrichte ich seit März Englisch.

Englisch

Seit geraumer Zeit gebe ich im Colegio Santa Teresita zusätzlich zu den regulären Fächern Englischunterricht. Ich mache die Unterrichtsvorbereitung komplett selbstständig und unterrichte in allen fünften und sechsten Klassen. Die Klassenlehre*innen sind stets mit dabei und sorgen, wenn es nötig ist, für Ruhe. Und wie auch der Dezember-Crashkurs macht es mir großen Spaß und ich finde große Freude daran, in Laufdiktaten die Zahlen abschreiben zu lassen und in der darauffolgenden Stunde Bingo auf Englisch zu spielen. Mittlerweile kennen die Kurse verschiedene Begrüßungen und Verabschiedungen, die Schüler*innen kennen einige Farben sowie die Zahlen bis 12. Und sie fragen unermüdlich nach Übersetzungen für ihre Namen und Dinge, die sie sonst so beschäftigen (zum Beispiel: „Was heißt „freefire?“ oder „Was bedeutet YouTube?“). Beim acto cívico zum Muttertag hat einer der Englischschüler ein kurzes Gedicht vorgetragen, für die kurze Übungszeit eine beachtliche Leistung. Die übrigen Stunden bin ich weiterhin mit Profesor Bernardo in den Musikstunden und schreibe Liedtexte an die Tafel, helfe beim Korrigieren, teile Hefte aus oder unterstütze einzelne Schüler*innen. Und was ich an mir selbst merke, ist eine gewisse Sicherheit. Nach und nach kenne ich den Schulablauf, weiß, wo sich die Materialien befinden, wie ich kopieren kann, welche Möglichkeiten ich beim Unterrichten habe und so weiter.

Musikschule

Weiterhin gebe ich zwei Mal wöchentlich jeweils zwei Kleingruppen Theorieunterricht. Mit den Fortgeschrittenen habe ich den April zum Komponistenmonat gemacht, jede Woche wurde eine neue musikhistorisch wichtige Persönlichkeit erst mit einem Stück, dann mit einem Text vorgestellt. Am Ende haben wir vier kleine Plakate mit den wichtigsten Fakten und Bildern im Unterrichtsraum aufgehängt. Und nach einer kleinen Abstimmung ist das Thema für Juni die verschiedenen Instrumentenarten. Mit dem Orchester haben wir für das Dorffest geprobt, verschiedene Hymnen und neben „Freude schöner Götterfunken“ auch zwei der „Brandenburgischen Konzerte“.

einige Musikschülerinnen, Profe Rubén und ich am „Tag der Kinder“

Feste

Schon etwas her, der Karneval: wir Freiwilligen haben uns dafür in Oruro getroffen, eine Stadt im Hochland. Der Karneval dort ist nach Rio de Janeiro der größte Südamerikas. Wie erwartet ein sehr buntes Fest mit Kostümen und lauter Musik.

Verschiedene Tänze bei der Entrada

 

Für Ostern, wie auch schon an Weihnachten, wurde die Kirche geschmückt und die Gottesdienste waren sehr gut besucht. Karfreitag wurde die Prozession nachgestellt, mit großem Holzkreuz und Schauspieler*innen. Ich war bei einer der Lehrerinnen aus dem Colegio eingeladen, wir haben zusammen gekocht und dann mit ihrer Familie gegessen. Ostermontag ist hier wieder ein „normaler“ Werktag, allerdings fand statt regulärem Unterricht ein Messe für die Schulgemeinschaft statt (es ist schließlich eine katholische Einrichtung) und im Anschluss gab es dort ein Mittagessen für die Kinder.

Im Colegio haben actos cívicos eine große Bedeutung, so wurde unter anderem einer zum internationalen Tag des Wassers, zum Vater- und zum Muttertag, zum Tag des Meeres, zum Tag der Kinder, zum Tag der Lehrer*innen, zum Tag der Flagge Santa Cruz´ und zum Tag der Entstehung des Guarayos-Wappen veranstaltet. Auf diese Weise findet regelmäßig eine Schulversammlung statt, die mit Musik, Hymnen, Reden und Tänzen, Theater und Gedichten von Schüler*innen gestaltet wird. Besonders groß wurde der Muttertag gefeiert: Zwei Tage vorher wurde abends mit einer „serenata“ begonnen, dann am Sonntag eine Messe und am Montag das Fest im Colegio. Fast alle Mütter kamen in die dekorierte Schule, der acto cívico wurde groß zelebriert, auch mit einer Schweigeminute für bereits verstorbene Mütter. Danach gingen die Kinder, zusammen mit ihren Müttern in die Klassen und feierten dort bei soda, chicha (Maisgetränk), Torte und picante del pollo (Reis mit Hähnchen), während selbstgebastelte Geschenke überreicht wurden.

Ascensión heißt übersetzt „Himmelfahrt“ und so ist das Dorffest dieses Jahr auf Ende Mai gefallen. Drei Tage schulfrei, dafür drei Tage lang Musik, Tanz und feria (false friend, das heißt Messe oder Kirmes) auf der Plaza. Am ersten Tag gab es eine große Entrada aller Colegios. Die Lehrerinnen liehen mir ein „tipoi“, das traditionelle Kleid der Guarayos, und Madeleyne, eine Freundin, kam, um mir die Haare zu flechten. Alle Lehrer*innen tanzten bei der Entrada. Das macht sehr viel Spaß und ist nicht schwer zu lernen. Am Ende gab es für alle chicha. Mit dem Orchester hatten wir Auftritte in der Kirche und auf der „feria ganadera“, der Viehzuchtsausstellung. Das ist hier sehr verbreitet. Wenn man mit der Flota (Reisebus) von Santa Cruz herfährt, sieht man ständig Rinder auf riesigen Flächen mit vielen Palmen weiden. Die Landwirtschaft ist neben der verstaatlichten Erdgasförderung eines der wirtschaftlichen Standbeine Santa Cruz´ und trägt dazu bei, dass dieses Departamento mit knapp 30% als einzelnes Bundesland am meisten zum gesamtbolivianischen BIP beiträgt.

Im tipoi

Sonstiges

In der Zwischenzeit habe ich die Gastfamilie, bei der ich im Sprachkursmonat August gewohnt habe, besucht und wurde sehr herzlich empfangen. Generell empfinde ich Bolivien als ein unglaublich gastfreundliches Land!

Hier ist aktuell Winter. Normalerweise merke ich keinen Unterschied, die Hitze ist vielleicht etwas weniger beißend als im Hochsommer (= November, Dezember), aber ab und zu gibt es den „sur“, einen Wind, der die Temperaturen regelmäßig auf etwas unter 20 Grad C fallen lässt, weshalb in der Schule die Schüler*innen plötzlich mit Mütze, Schal und Handschuhen dasitzen. Man merkt den Temperaturunterschied schon sehr.

¡Muchos saludos!

Eure Lea