Über die Anreise, die ersten Eindrücke und was ich sonst so erlebt habe
Liebe Leser*innen,
nun bin ich bereits 3 Monate in der Ukraine und es gibt schon einiges zu erzählen. Wo fange ich denn an? Am besten noch vor der Ausreise!
Vor der Ausreise:
Die Vorbereitungen seitens der Organisation SoFiA e.V. begannen bereits im Februar diesen Jahres. Nachdem wir im Mai das letzte Seminar als Jahrgangsgruppe beendeten, startete ich fleißig in die privaten Vorbereitungen. Damit war ich dann auch recht schnell fertig – dachte ich. Durch meine Vorerkrankung „Diabetes mellitus“ war es für mich etwas schwieriger meine Reiseapotheke zusammenzustellen. Da das Insulin und die dazugehörigen Hilfsmittel für mich lebensnotwendig sind, stand eine pünktliche Ausreise noch in den Sternen. Nach langem Warten und vielen Besuchen bei meinem Arzt und der zuständigen Krankenkasse klärte sich mein Problem schließlich eine Woche vor dem geplanten Ausreisetermin, sodass diesem nichts mehr im Wege stand. Die letzten Tage in Deutschland verbrachte ich mit viel Spaß und ein paar kleinen (oder auch größeren) Tränchen mitsamt meiner Familie und meinen Freunden.
Die Ausreise:
Am Montag, den 29.07.2019 war es soweit! Der Tag, auf den ich mich schon sehr lange freute, war endlich da. Gegen 15:45 Uhr traf ich in Koblenz am Hauptbahnhof auf meine Mitfreiwillige Samira. Mit Schrecken mussten wir feststellen, dass der Zug um 17:48 Uhr,
mit dem wir unsere Reise eigentlich beginnen wollten, ausfiel. Der geplante Ersatzzug hatte so viel Verspätung, dass wir unseren Anschluss in München verpasst hätten. So saßen wir nach einem sehr verzögerten Abschied gegen 16:00 Uhr im Zug und starteten total ungläubig in unser Abenteuer.
Nach vielen Veränderungen unserer Züge stiegen wir am selben Abend noch in München in den Nachtzug ein und fuhren in Richtung Budapest. Glücklicherweise hatten wir ein ganzes Abteil für uns alleine und durften am nächsten Morgen gut ausgeruht in Budapest aufwachen. Weitere zwei Nächte verbrachten wir in dieser wundervollen Stadt und konnten somit schon ein wenig osteuropäische Luft schnuppern. Dort hatten wir bereits viel Zeit um über die kommende Zeit nachzudenken, zu sprechen und zu spekulieren.
Am Abend des ersten Augusts machten wir uns schließlich, mit etwas Verspätung, auf den Weg zum Bahnhof und konnten in letzter Sekunde die letzte Etappe mit der Bahn erreichen. Die Schaffnerin unseres Wagons sprach leider nur sehr wenig Englisch, sodass wir erstmal sehr überrascht davon waren, dass sie unsere Tickets einsammelte und uns ohne Worte unser Abteil zeigte. Diesmal waren wir nicht alleine. Mit uns für die folgende Nacht war eine ältere Dame, die Ludmilla hieß. Ihre Tochter sprach glücklicherweise gut Englisch und erklärte uns, dass es ganz normal sei, dass die Tickets eingesammelt werden. Am Ende unserer Reise sollten wir diese auch wieder zurückbekommen. Samira und ich waren positiv überrascht von der Hilfsbereitschaft der beiden Ukrainerinnen. Wir kannten einen solchen Aufbau eines Nachtzuges nicht und waren dankbar, dass sie uns zu Hilfe kamen.
Nachdem wir uns mit Händen und Füßen versuchten mit der netten Dame zu verständigen und bereits unser erstes ukrainisches Wort – Danke – lernten, legten wir uns am späten Abend zum Schlafen hin. Wir realisierten zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht, dass wir wenige Stunden später in der Ukraine sein würden. Irgendwann später in der Nacht wurden wir durch laute Geräusche und eine Grenzpolizistin geweckt. Sie forderte unsere Reisepässe. Da Ludmilla ebenfalls ihren Pass abgab, machten wir dies natürlich auch. Als die Pässe dann mit der Grenzpolizistin verschwanden, warfen Samira und ich uns nur fragende und leicht verwirrte Blicke zu. Dies war unsere erste Grenzkontrolle und wir waren mit solchen Situationen nicht vertraut. Etwa eine Stunde später kam ein freundlicher Zollbeamter zu uns und fragte, ob wir Alkohol, Zigaretten und Bargeld mit uns führten. Nachdem wir geantwortet hatten, verabschiedete er sich wieder und wir schliefen weiter.
Die Ankunft:
Am nächsten Morgen gegen 10 Uhr fuhren wir schlussendlich in den Bahnhof von Lviv ein. Völlig hilflos und ohne die ukrainische Währung oder Internet zum Übersetzen lief ich zu einem Mann, der in ein Auto mit deutschem Kennzeichen einstieg und fragte, ob er Deutsch spreche. Zum Glück bejahte er dies und half uns dabei, uns zurecht zu finden. Nachdem wir zuerst das Geld wechselten und anschließend noch zu Mittag aßen, fuhren wir mit dem Taxi zum Busbahnhof, von wo um 15 Uhr unser Bus nach Ivano-Frankivsk abfahren sollte. Nach weiteren 3 Stunden Busfahrt wurden wir um 18 Uhr von unserer Vorfreiwilligen Frauke und meinem Mentor Igor von der Busstation abgeholt und fuhren mit dem Taxi zu Fraukes Wohnung. Dort waren auch Simon und David (ehemalige Freiwillige), die für den letzten Abend ihres Besuchs und unseren ersten Abend ein paar Freunde einluden. So hatten wir die Gelegenheit, am ersten Abend schon viele Menschen kennenzulernen.
Die erste Zeit:
Die erste Woche verbrachten wir gemeinsam mit Frauke, die uns viel in der Stadt zeigte und auch das ukrainische Alphabet mit uns übte. An einem Vormittag gingen Samira und ich mit Igor zu meinem Projekt und lernten die Caritas und somit auch die ersten Arbeitskollegen kennen.
Eine Woche nach unserer Ankunft machten wir uns schon wieder auf den Weg nach Lviv. Dort besuchten wir für zwei Wochen einen Sprachkurs. Durch das kyrillische Alphabet hatten Samira und ich des Öfteren das Gefühl, wir würden diese Sprache niemals beherrschen.
Doch dank unserer Sprachlehrerin, die uns zudem auch viele kulturelle und historische Orte in der Stadt zeigte, konnten wir am Ende bereits ein paar Wörter und ganz einfache Sätze sprechen. In diesen zwei Wochen hatten wir die Möglichkeit Lviv zu erkunden und kennenzulernen. Die Stadt mit den rund 700.000 Einwohnern ist bekannt für ihre Oper, viel Straßenmusik und Museen. So konnte sie auch Samira und mich in ihren Bann ziehen.
Ende August ging es für uns zurück nach Ivano-Frankivsk. Da Frauke inzwischen ausgereist war, waren Samira und ich von nun an auf uns alleine gestellt. Jedoch durften wir sehr schnell feststellen, dass sich hier sehr gut um uns gekümmert wird und wir nicht wirklich alleine sind. Anfangs gab es noch Probleme mit meiner Wohnung, sodass wir die erste Zeit zusammen in Samiras 1-Zimmer-Wohnung lebten.
Samira und ich bekommen auch weiterhin Ukrainischunterricht. Igor, der Germanistik studiert hat, lernt mit uns 4 mal in der Woche am Morgen ca. eine Stunde, was sehr hilfreich ist. Auch die täglichen Aufgaben auf der Arbeit gehören mittlerweile zum Alltag und ich könnte mir momentan keinen besseren vorstellen. Zu meinem Arbeitsalltag gehört hauptsächlich die Betreuung und Beschäftigung geistig beeinträchtigter Menschen. Einmal in der Woche helfen Samira und ich gemeinsam in der Armenküche aus.
Inzwischen haben wir viele Menschen kennenlernen dürfen und bei einigen Aktionen der Malteser und der Caritas mitmachen können. Samiras Einsatzstelle ist der Malteser Hilfsdienst unserer Stadt, jedoch arbeiten wir auch viel gemeinsam. Aktionen, bei denen wir dabei sein durften waren z.B. der alljährliche Erste-Hilfe-Wettbewerb der Malteser oder der Walk-For-Freedom der Caritas, bei welchem es um die Vorbeugung des Menschenhandels in der Ukraine ging. Ein anderes Highlight war der Besuch eines Konzertes von der ukrainischen Rockband „Okean Elsy“ in der Arena Lviv gemeinsam mit 6 Rollstuhlfahrern.
Nach 12 Wochen gemeinsamen Erkundens und Eingewöhnens konnte ich am 20. Oktober in meine Wohnung ziehen. Etwas gewöhnungsbedürftig ist es allerdings schon, wenn man in einem fremden Land mit einer fremden Sprache ganz alleine lebt. Ich genieße aber auch die Zeit für mich, meinen eigenen Rückzugsort und die Zeit, die bisher erlebten Ereignisse ordentlich verarbeiten zu können.
Ich freue mich, euch jetzt einige Impressionen des Starts meines Freiwilligendienstes näher bringen zu können und halte euch auch weiterhin auf dem Laufenden. In meinem nächsten Rundbrief werde ich mehr auf die Arbeit in meinem Projekt eingehen.
Ich sende sonnige und (entgegen allen Erwartens) noch sehr warme Grüße aus der Ukraine,
Jasmin 🙂