Ukraine: 2. Rundbrief von Samira Christmann

Liebe Leser*innen,

Wahnsinn, wie schnell die Zeit schon wieder vergangen ist. Es ist schon wieder so viel passiert, als dass ich es mal wieder gar nicht in drei Monate packen könnte. Um Euch also nicht länger warten zu lassen, hier ein kleiner Vorgeschmack was so auf Euch zukommt: Die Malteser Nikolausaktion, der Ball, ein Wochenendtrip nach Kiev, Tanzen, Fieber, Internationaler Tag der Behinderung, 2 Weihnachten für mich: Weihnachten in Deutschland und die Weihnachtstage in Ivano, der gescheiterte Einreiseversuch nach Weißrussland, eine Abschiedsparty. Seid gespannt und nun viel Spaß beim Lesen ! 🙂 

Wo haben wir denn zuletzt aufgehört? Ah ja, genau. Ich wollte Euch von der anstehenden Nikolausaktion berichten. Ab dem ersten November ging es also offiziell los.

Das Malteserbüro hatte nun seine Pforten geöffnet für alle Menschen, die sich an der Aktion beteiligen wollten. Aus den umliegenden Kinder- und Waisenhäusern schreiben die Kinder und Jugendlichen jedes Jahr Briefe an den Nikolaus, in denen sie erzählen, welche Geschenke sie sich wünschen. Im Büro liegen diese Briefe dann aus. Die Beteiligung besteht darin, dass man sich einen Brief seiner Wahl aussucht und diesem Kind ein Paket mit den gewünschten Geschenken zusammenstellt. Die Auswahlkriterien können unterschiedlich sein. Oft schenken die Menschen wiederholt Kindern, die sie schon in vergangen Jahren beschenkt haben, oder es wird nach Schule, Alter, Geschlecht oder sonstigem entschieden. Am meisten nehmen junge Familien und Erwachsene an der Aktion teil, aber auch einige Malteser beteiligen sich.

War also das Büro in den vorigen Monaten nicht dauerhaft voll besucht, kamen im November tagsüber gefühlt alle fünf Minuten Menschen herein, um sich einen Brief auszusuchen. Bis Ende November waren die Briefe ausgelegt. Meine Tante hatte gefragt, was mit den Briefen passiert die übrig bleiben. Roman, mein Chef sagte mir dann, dass von den rund 2.000 Briefen nie ein einziger übrigbleibt. Das spricht natürlich für sich. Oft kamen noch Anfang Dezember Leute ins Büro, die nach Briefen fragten, diese wurden dann leider enttäuscht.

Ebenfalls ging es in diesem Monat besonders für die Malteser Jugendlichen darum, im Büro circa 20.000 Briefe und Flyer zu falten.  Die Briefe werden an alle Menschen geschickt, die in den vergangenen Jahren an den Malteser Hilfsdienst in Ivano-Frankivsk gespendet haben. Denn immer wenn Geld in die Spendenbox im Büro geworfen wird, wird der Name und die Adresse des Spenders dokumentiert. In den Briefen wurde sich für die Hilfe  bedankt und über die letzte Nikolausaktion berichtet, wie viele Kinder- und Waisenhäuser angefahren wurden, wie viele Geschenke verteilt, wie viele Spendeneinnahmen im letzten Jahr gemacht wurden… Für uns Jugendliche ging es also jetzt ums Briefe-Akkord-Falten. Mit Linealen und Stiften, einer effektiven Falttechnik und pro Faltdurchgang fünf Blättern bewaffnet, saßen wir einige Vormittage und Nachmittage als Falt-Elfen im Büro. Mit vielen hat es immer Spaß gemacht, wenn aber mal keiner zur Hilfe da war, wurde mir das ganze Falten nach zwei Stunden zu monoton. 😀                                                                                                       Sobald die Briefe und Flyer fertig waren, steckten wir sie in Umschläge und als dass dann auch endlich erledigt war, konnten wir diese in Kisten nach der Postleitzahl für die Post schon vor sortieren. Ich durfte Anfang November mit Roman alle Umschläge, Briefe und Flyer aus der Druckerei abholen und wurde dort auch herumgeführt. Und was ich am lustigsten fand, dass einige Druckermaschinen in den 60er Jahren in Neuwied (eine nahegelegene Stadt meiner Heimat in Deutschland) hergestellt wurden. Ich hätte niemals gedacht, dass ich auch auf so eine Art und Weise mit Deutschland in der Ukraine in Berührung kommen würde. Verrückt. Das Tolle ist, dass die Druckerei alle Kosten für die Papiere übernimmt, das ist ihr Beitrag zu der Nikolausaktion. Genauso wie die Post, die einen Großteil der an die Spender gehenden Briefe kostenlos verschickt. Generell finde ich die Hilfsbereitschaft und das Engagement rund um diese Aktion und generell im Malteser Hilfsdienst beeindruckend. Ob das nun beispielsweise die Jugendlichen sind, die sich freiwillig nach der Schule ins Büro setzen und hunderte von Briefen falten oder die Druckerei, die die Druckkosten übernimmt. Anders wäre die Aktion vermutlich auch nicht schaffbar.

Im November sind aber natürlich auch noch andere Dinge passiert: Mit zwei Freundinnen waren Jasmin und ich zum ersten Mal im Kino. Das war total lustig, denn wir haben quasi nichts verstanden bis auf ein paar Wörter. Wir haben „Zombieland: Doppelt hält besser“ geschaut. Da es eine Komödie und ein Action Film war und dessen Handlung nicht zu kompliziert, haben wir den Film verstanden, auch wenn wir nichts verstanden haben. Und wenn das Publikum gelacht hat und wir es nicht direkt nachvollziehen konnten, haben wir einfach mit gelacht, weil es so lustig war. Ebenso war es mit unserem ersten Theaterbesuch. Hier haben wir aber deutlich mehr verstehen können und konnten auch lachen, weil wir es verstanden haben. Das lag viel daran, dass die Gestiken und die Mimik der Schauspieler viel näher an uns rankam und oft übertrieben waren, sodass wir auch ohne viel Sprachverständnis die Handlung gut nachvollziehen konnten.

Am Donnerstag den 14. November stand dann der Ball des Malteser Hilfsdienstes Ivano-Frankivsk an. Dieser Ball fand in einem schicken und noblen Eventsaal in einem nahegelegenen Dorf statt. Das Ganze entsteht immer mit Kooperation der Menschen, die im Rollstuhl sitzen. Dafür wurden zuvor gemeinsam von einer kleinen Gruppe einige Choreografien eingeübt, die an diesem Abend vorgeführt wurden. Es gab ein Orchester, das uns live die Musik zum Tanzen spielte. Und mit Anleitung eines Tanzlehrers haben wir alle zusammen einfache Tänze getanzt. Es gab ein Buffet mit köstlichen Häppchen. Und ich wusste gar nicht, wie anstrengend es sein kann, einen Rollstuhl zum Drehen und Kreise ziehen zu bringen- auf hohen Schuhen wohl bemerkt- ohne dass man selbst umkippt oder man jemanden anderen beim Tanzen behindert. 😀 Wir alle haben viel getanzt, gesungen und gelacht. Es war ein wundervoller Abend !

Nactja, Jasmin und ich auf dem Malteser Ball

Jasmin und ich waren für den Volkstrauertag am Sonntag, den 17. November von dem deutschen Auswärtigen Amt für eine Gedenkfeier auf einem Kiev nahegelegenen Friedhof eingeladen. Das verbanden wir gleich mit einem Wochenendtrip in die Hauptstadt der Ukraine. Mit einem Nachtzug fuhren wir freitags los und kamen samstags morgens an. Kiev ist beeindruckend, groß, schön, vielfältig an Gebäuden und Menschen. Vor allem als wir samstags auf dem Maidan (Unabhängigkeitsplatz) standen, waren wir überwältigt. Hier wo 2013/14 die Demonstrationen stattfanden. Sonntags fuhren wir raus aus Kiev mit einem Bus zu der Gedenkfeier. Im Nachhinein waren wir enttäuscht, hatten uns aber sehr darauf gefreut. Zumal wir uns zwischen den vielen uniformierten Offizieren fehl am Platz gefühlt haben und das Programm unserer Meinung nicht adäquat war. Es sollte an die im 1. Weltkrieg gefallenen Soldaten gedacht werden. Wir standen also auf dem windigen Friedhof und es dauerte „nur“ 20 Minuten, die unserer Meinung nach nicht gut genutzt wurden. Es gab ein kleines Orchester, das zwischen den Reden gespielt hat. Teilweise hat man die Vortragenden nicht verstanden, weil sie zu leise waren, obwohl wir keine große Gruppe waren. Ein Pfarrer hatte ein Gebet gesprochen. Aber die Intensionen der Texte haben meiner Meinung nach nicht passend zum Anlass gewirkt. Trotz allem waren wir froh, dass wir Kiev einen Besuch abgestattet hatten.

Die Gedenkfeier auf dem Friedhof
Kiever Innenstadt

Zudem habe ich zehn Minuten von meiner Wohnung entfernt ein Tanzstudio entdeckt, indem ich nun circa viermal die Woche Tanzen gehe. Das tolle daran finde ich, dass man beim Tanzen keine Sprache braucht, um zu verstehen was zu tun ist. Tanz ist eine eigene Sprache, die ohne Worte funktioniert. Natürlich ist es hilfreich, dass meine Tanzlehrerin Englisch spricht, aber obwohl ich sonst nicht viel im Unterricht verstehe, komme ich ziemlich gut klar.

Nach dem Tanzen

Ende November verbrachte ich eine komplette Woche zu Hause. Ich hatte Fieber. Und ich musste wieder einmal harter Weise feststellen, dass alleine krank sein keinen Spaß macht. Ich war nicht sterbenskrank und konnte mich um mich selbst kümmern. Aber ich finde es  doch schöner und angenehmer, wenn man eine Mutter oder Freunde oder irgendjemanden hat, der dir eine Suppe kocht, dir Medikamente bringt, der spült und einfach für dich da ist. Und es war dann auch wieder schön montags ins Büro zu gehen und unter Menschen zu kommen.

Am Dienstag, den 3. Dezember war der internationale Tag der Menschen mit Behinderung.  Wir fuhren in eine Art Veranstaltungshalle, wo auf einer großen Theaterbühne das Konzert stattfand. Es gab Beiträge wie Tänze oder Gedichte und es wurde viel gesungen.  Auch die Menschen mit Beeinträchtigung aus unserer Caritas führten ein Pantomime-Theater auf und sangen ein Lied mit Gitarre als Begleitung. Sie haben das sehr schön gemacht !

Am Tag der Behinderung in dem Konzertsaal

Ab Anfang Dezember wurden dann so langsam die ersten fertigen Geschenkpakete im Büro abgegeben und jetzt ging es darum, diese zu registrieren und zu sortieren. Anfangs war das noch gut möglich, aber mit zunehmender Geschenkeanzahl erforderte es eine gute und präzise Organisation. Denn auch hier gab es Momente, in denen gleichzeitig vier Menschen ihre großen Geschenke abgeben wollten und diese in den Listen eingetragen werden mussten und dann nach Abgabeort sortiert und somit in das passende Regal in dem kleinen Vorraum gestellt werden mussten. Manchmal war es stressig und zusätzlich mussten die ganz großen Pakete für den sicheren Transport auch noch mit Glassichtfolie umwickelt werden. Und zu einer weiteren Tätigkeit gehörte noch das Süßigkeiten-Tüten-Packen. Hier haben wir immer 350g von kleinen Süßigkeiten in weihnachtliche Tüten gefüllt und diese mit bunten Bändern verschlossen. Die würden wir später mit an die Kinder in den Heimen und Schulen verteilen. Außerdem durfte ich an viele deutsche Partner und Freunde der Malteser Weihnachtspost verschicken.

Geschenke im Vorraum des Büros

Dann kam uns für vier Tage Luise besuchen. Sie ist aus dem pädagogischen Team von SoFiA und hat bei Jasmin und mir den Projektbesuch gemacht, der in Osteuropa üblich ist, da die Entfernung es einfach möglich macht. Hierbei geht es darum, dass sich SoFiA ein besseres Bild von dem Projekt vor Ort machen kann und auch um zu schauen ob alles für die Freiwilligen im Projekt gut läuft, ob es Probleme gibt, … Das hat super viel Spaß mit Luise gemacht. Es hat gut getan mit einer anderen Person auf der eigenen Muttersprache über „Freiwilligenprobleme“, aber natürlich auch die tollen Seiten zu reden. Mit einer Person, die Verständnis dafür hat, es nachvollziehen kann und auch Erfahrungen in dem Gebiet gemacht hat.

Am Vortag von Nikolaus (der orthodoxe Nikolaustag ist der 19. Dezember) waren Jasmin und ich in der Caritas bei der Nikolausfeier, wo viel zusammen gesungen wurde und die Menschen mit Beeinträchtigung alle Geschenke vom Nikolaus bekamen. Den „richtigen“ Nikolaustag haben wir dann in einem Internat für Kinder und Jugendliche verbracht.              Da mehr Schulen und Kinderheime mit den Geschenken beliefert werden müssen, als dass man es an diesem einen Nikolaustag hätte schaffen können, werden schon die Tage davor und danach die Rundfahrten gemacht.                                                                                                      Am Nikolaustag trafen wir uns alle um neun Uhr im Büro und dann teilten wir Jugendlichen uns in drei Gruppen auf und die letzten Geschenke wurden noch in die Sprinter geladen. Unsere Gruppe fuhr mit zwei Sprintern in ein Internat für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigung. Angekommen, nach knapp zwei Stunden Fahrt über die Landstraße, machten wir uns erst daran alle Geschenke in die Schule zu tragen. Alle Kinder hatten sich in einem Raum versammelt, hatten sich schick gemacht und sangen mit ein paar Lehrern Weihnachtslieder. In jeder Gruppe gibt es bei den Maltesern immer einen Jugendlichen, der als Nikolaus verkleidet ist und zwei Engel und zwei Teufel. Die Aufgabe der Engel und der Teufel war die Übergabe der Geschenke und dann wurde mit jedem Kind ein Foto mit dem Nikolaus gemacht. Gerade hier habe ich gemerkt wie viel gute Organisation die ganze Aktion erfordert. Vom Briefe verteilen, über die Sortierung der Geschenke, die richtige Beladung der Fahrzeuge und letztendlich die Bescherung der Kinder. Zwischen all diesen Schritten wäre auch nur der kleinste Fehler fatal. Aber in diesem Fall hatte alles super geklappt und kein Kind musste leer ausgehen.

Dieser Tag hat viel Spaß gemacht und es war schön zu sehen, wie groß die Vorfreude der Kinder auf den Nikolaus war. Wie die Augen gestrahlt haben, wenn das Kind aufgerufen wurde und sein Geschenk in die Hand nehmen durfte. Und wie gespannt und ungeduldig sie auf den Inhalt ihrer Geschenke waren.                                                                                                 Bis alle ihr Geschenk hatten, warteten wir gemeinsam im Raum. Anschließend durften die Kinder mit ihren Geschenken in die Klassenräume gehen und endlich auspacken. Wir gingen mit und bestaunten die vielen tollen Überraschungen, es wurde sofort losgelegt die neuen Besitztümer auszuprobieren. Danach bekamen wir Malteser noch Mittagessen und fuhren wieder nach Hause. Obwohl wir nichts Anstrengendes in körperlicher Hinsicht geleistet hatten, war ich doch total platt und müde. Der Tag hat mir gefallen und es hat mir so viel Freude bereitet, anderen eine Freude zu machen und die Kinder so glücklich zu sehen. Ich finde die Nikolausaktion wunderschön und bin froh ein Teil von dem ganzen gewesen zu sein.

Die Bescherung am Nikolaustag

Wieder im Büro angekommen, mussten Jasmin und ich mich nun für das Jahr 2019 von den Maltesern verabschieden. Das war komisch. Zu wissen, dass wir jetzt eine gewisse Zeit nicht mehr hier sein würden.                                                                                                                            Freitag, den 20. Dezember verbrachten wir in der Caritas Werkstatt und als wir dort mit den Menschen mit Beeinträchtigung am Mittagstisch saßen, realisierten wir eigentlich immer noch nicht so ganz, dass es nun soweit war. Wir würden uns morgen auf den Weg nach Deutschland begeben. Bei mir war es eine Überraschung für alle Beteiligten und niemand von Euch in Deutschland wusste darüber Bescheid, haha.                                                                     Wie schnell die Zeit schon wieder vergangen war. Wir hatten schon Dezember und bald war die Hälfte unseres Friedensdienstes schon um …

Am nächsten Tag machten wir uns auf nach Lviv, den Tag verbrachten wir dort und abends ging die abenteuerlichste Busreise meines bisherigen Lebens los …

Unser Bus von Lviv nach Koblenz hatte Verspätung, das war aber nichts Ungewöhnliches, also gingen wir erstmal von keinem schlechten Omen aus. Als dann der erste Bus in der Busstation eintraf, freuten wir uns. Dieser kam aber aus einer Richtung, aus der unserer eigentlich nicht kommen sollte. Wir waren verunsichert und warteten erstmal. Als dann drei weitere Busse ankamen, die alle nach Koblenz fuhren, aus unterschiedlichen Richtungen kamen und über verschiedene Wege nach Deutschland fuhren, waren wir überfordert. Welchen sollten wir nehmen ? Im Endeffekt hielten wir unsere Tickets einer Assistentin im Bus hin und sie gab uns zu verstehen, dass wir dort einsteigen sollen. Gesagt, getan. Jetzt saßen wir in einem Bus, von dem wir nicht wussten, ob er der Richtige war, aber er fuhr nach Koblenz, also würden wir schon ankommen, dachten wir.

Ich versuche mich nun kurz zu halten, was mir schwerfällt, denn es war eine turbulente Fahrt: Wir fuhren also verspätet los und kamen um circa zehn Uhr an der polnischen Grenze an. Bis wir dann aber letztendlich an dem Kontrollposten ankamen war es ein Uhr nachts, weil so viel Stau herrschte. Für die Passkontrolle mussten wir alle aus dem Bus aussteigen und in ein Gebäude, wo wir nach und nach vortraten und unsere Reisepässe vorzeigten. Das war komisch. Denn bis auf den Grenzübertritt von Ungarn in die Ukraine mit dem Zug, wo wir aber in unserer Kabine bleiben durften, bin ich bisher nur in EU-Ländern verreist und da gibt es keine Grenzkontrollen, da kannst du einfach drüberfahren. Jetzt auszusteigen und die Pässe zu zeigen, wie anschließend auch an dem polnischen Grenzübergang, um mit all unserem Gepäck durch eine Kontrolle zu gehen, war für mich eine komplett neue Erfahrung und dabei war mir ein bisschen mulmig zumute.                          Insgesamt verbrachten wir fast sieben Stunden an der polnisch-ukrainischen Grenze und um vier Uhr am Sonntagmorgen konnten wir endlich weiterfahren. Um acht Uhr morgens bauten wir einen Unfall. Ich war am schlafen und bemerkte nur, dass der Bus sich ruckartig bewegte, wir schreckten alle auf und fuhren mit dem Bus in Schlenkern nach rechts. Für eine Sekunde hatte ich Angst, dass der Bus kippen würde und es das für uns gewesen war. Glücklicherweise ging alles gut. Wir hatten einen Auffahrunfall und konnten so nicht weiterfahren. Also warteten wir irgendwo in Polen bis vier Uhr nachmittags auf einen Ersatzbus. Es wäre immer noch schneller gewesen, wieder zurück in die Ukraine zu fahren als nach Deutschland und ich bin froh, dass wir genug Proviant dabeihatten, sonst hätten wir vermutlich riesen Hunger gehabt. Um zehn Uhr am Sonntagabend erreichten wir schon sehnlichst erwartet die deutsche Grenze und die erste Station war Dresden. Wir kamen dann um zehn Uhr am Montagmorgen in Koblenz an, geplante Ankunft war der vorherige Tag um 20 Uhr gewesen. Soviel also zu meiner unerwartet langen Heimreise.

Jasmin und ich verzweifelt an der polnisch-ukrainischen Grenze

Total verrückt fand ich, dass mir alles in Deutschland noch so vertraut vorkam. Klar, ich habe mein ganzes Leben an ein und demselben Platz verbracht, das prägt. Aber sobald wir Koblenz näherkamen, durch Koblenz fuhren, in Koblenz ausstiegen, über das Maifeld fuhren, durch mein Dorf, in meine Straße: Es kam mir so vor als wäre ich nie weg gewesen. Jasmins Vater holte uns ab und wir fuhren zuerst zu mir. Wir hatten vorher abgeklärt, dass Jasmin ein paar „Geschenke“ von mir vorbeibringt. Sie ging also an die Tür und klingelte, während ich im Auto wartete. Das Zeichen zum Aussteigen, war das Kratzen am Hinterkopf von Jasmin und als es soweit war und ich den Weg zu unserer Haustür entlangkam, stand meine Schwester im Flur und sagte: „Ah, Samy.“ Und als sie realisierte, dass ich wirklich dort war und wir uns in die Arme fielen, fingen wir beide an zu weinen. Meine Mutter stand an der Tür und konnte es auch nicht fassen. Und wir mussten jetzt alle weinen und es war so erleichternd und wunderschön meine Familie wiederzusehen. Die weiteren Reaktionen von Familie, Freunden und Bekannten verliefen ähnlich. Es tat gut, alle zu sehen und Weihnachten in diesem zu Hause zu feiern, es war wunderschön.

Eigentlich hätte ich so gerne noch mehr von meinen Freunden und Bekannten getroffen, aber ich wollte nur bis zum 29. Dezember bleiben. Am liebsten hätte ich eine große Halbzeitparty gefeiert, in der wir uns alle hätten sehen können. Aber das war leider nicht möglich. Für die, die ich nicht sehen konnte tut es mir leid, aber wir sehen uns ja schon alle ganz bald wieder.

Unglücklicherweise bekam ich dann noch Fieber und wollte mir die Busfahrt so zurück in die Ukraine nicht antun. Also blieb ich über Silvester noch eine Woche zu Hause, was eine gute Entscheidung war und wollte dann am Montag, den 6. Januar (am Orthodoxen Weihnachten) in die Ukraine fliegen. Ich hatte das Flugticket schon gebucht und wir fuhren nach Frankfurt am Main zum Flughafen. Dort musste ich schmerzhafter Weise feststellen, dass mein Flug vom Flughafen Hahn im Hunsrück abging. Auf meinem Ticket stand Flughafen Frankfurt Hahn. Da für mich aber nach dem Wort „Frankfurt“ feststand, dass damit natürlich Frankfurt am Main gemeint ist, weil ich den Flughafen Hahn nur unter Flughafen „Hahn“ kannte und nicht wusste, dass der auch zu Frankfurt gehört, saßen wir nun am Flughafen und ich musste mir ein Ticket für den nächsten Tag kaufen. Diesmal ging der Flug aber wirklich von Frankfurt am Main aus. ;P Blöd gelaufen, aber ich habe ja schon viel Erfahrung darin, dass manche Dinge einfach nicht so laufen wollen, wie sie geplant sind und das ist ok so.

Meine Mama und ich am Flughafen

Ich kam dann also dienstags wieder in der Ukraine an und Mittwochs sind wir mit ein paar Jugendlichen Maltesern zu meinem Chef Roman nach Hause gegangen. Das ist Tradition, genauso wie das Singen von Weihnachtsliedern. Ein bisschen ist es mit Sternsingen zu vergleichen. Hier gehen Kinder, Jugendliche, aber auch Familien, Freunde, Nachbarn, … von Tür zu Tür der Bekannten und singen ukrainische Weihnachtslieder und sagen Gedichte auf. Diese Tradition finde ich super schön. Wir standen bestimmt zu 20 in Romans Wohnzimmer, Küche, Flur und vor der Haustür und sangen gemeinsam. Das hat total viel Spaß gemacht und dann gab es noch ukrainische Spezialitäten, wie Rotebeete-Salat mit Fisch, Kohlrouladen, Olivier-Salat, … Mal wieder ein schöner Abend. 🙂

Jasmin, Frauke (meine Vorfreiwillige) und ich beim Weihnachtslieder singen

Das orthodoxe Neujahr ist der 14. Januar, also wurde an diesem Tag nochmal ein frohes Neues Jahr mit Torte gefeiert.                                                                                                                              An dem folgenden Wochenende wollten Jasmin und ich dann einen Wochenendtrip nach Weißrussland in die Hauptstadt Minsk machen. Das Ganze endete aber mit einer Übernachtung in Kovel (Kleinstadt Nord-westlich in der Ukraine) und einer Übernachtung in Lviv. Grund war das fehlende Visum. Wir hatten uns vorher im Internet informiert über die Einreisebedingungen und hatten verstanden, dass diese bis zu 30 Tage visumsfrei ist, was wir aber versehentlich überlesen hatten, dass das nur für die Einreise mit dem Flugzeug gilt. Also fuhren wir wieder eine Nacht mit dem Bus durch, um morgens an der weißrussisch-ukrainischen Grenze feststellen zu müssen, dass wir nicht einreisen dürfen. Wieder mit einem Bus fuhren wir zurück in die nächstgelegene Stadt Kovel. Abends gingen wir dort lecker Essen und die zwei Tage in Lviv waren auch wieder schön. Aber ich muss schon sagen, irgendwie haben wir es nicht so mit Grenzübergängen und manchmal verfolgt uns einfach das Pech. Obwohl wir in den meisten Fällen oft Glück haben.

 

(Zuversicht sieht man links und rechts die Blicke nach einer Abweisung)

Am 30. Januar haben wir Max und Ivan, zwei Freunde von uns, bei ihrem vorerst letzten Abend in der Ukraine verabschieden müssen. Sie absolvieren ihren Freiwilligendienst von Februar 2020 bis Februar 2021 in Trier. Und wir freuen uns schon, die zwei im Sommer in Deutschland wieder begrüßen zu können.

Abschiedsparty

Seit Ende Dezember machen Jasmin und ich einen kleinen Deutschkurs mit ein paar Ukrainern. Das macht Spaß und ist oft ganz lustig. Wir treffen uns einmal die Woche für eine Stunde und lehren ganz locker und langsam ein bisschen Deutsch. Was mir auffällt ist, dass es mir teilweise schwer fällt vor allem Grammatik zu erklären. Denn ganz oft weiß ich selber nicht warum wir was in Deutsch so machen oder nicht machen. Ich mache es ja einfach. Oft ist es dann so: „Okay, warte was war nochmal der Konjunktiv ? Ist das der Akkusativfall oder doch der Dativ ? … ?“ Und das dann noch auf Englisch zu erklären ist eine ganz schöne Herausforderung, aber es ist unterhaltsam. 😀

Und seit Anfang Februar geben wir in der Caritas einen kleinen Englisch-Club für Kinder von acht bis dreizehn Jahren. Ebenfalls einmal die Woche, eine Stunde und auch hier gestaltet es sich manchmal schwierig. Denn wir können nicht viel ukrainisch sprechen und die Kinder können nicht viel englisch. Aber trotz allem können wir uns gut verständigen. Und es ist schön, dass die Sprache an sich keine große Rolle spielt, wenn alle offen und interessiert sind und miteinander Spaß haben wollen. 🙂

   

Sooo … und da sind wir schon am Ende meines Zweiten Rundbriefes angekommen. Ich sitze gerade in einem Café in Lviv und warte darauf meine Mama und meine Schwester vom Flughafen abzuholen. Die zwei kommen mich für ein paar Tage besuchen und ich freue mich schon riesig ! Und in einer Woche steht dann auch schon unser Zwischenseminar in Rumänien an. Dann ist wirklich Halbzeit und bis ich dann an meine Ausreise denken muss, steht schon so viel in meinem Kalender, dass ich glaube, dass die Zeit jetzt nur noch so dahin fliegen wird.

Ich bedanke mich herzlich fürs Lesen ! Und sende ganz liebe Grüße aus Lviv, der Stadt der Löwen in der Ukraine !

Samira 🙂