Bolivien: 1. Rundbrief von Sinja Scheuer

Liebe Familie, Freundinnen, Freunde und Unterstützende!

 Wow! Jetzt bin ich schon knapp über 3 Monate hier in Bolivien, wie schnell die Zeit vergeht. Mehr als 85 Tage lebe ich nun in diesem wunderschönen und sehr vielseitigen Land Bolivien. Ja und jetzt sitze ich hier in meinem Garten, mit meinem Laptop und rieche nur so förmlich den Duft der erblühenden Blumen. Dabei starre auf meinen Laptopbildschirm und frage mich wie ich den ganzen Input in meinem Kopf in einen Rundbrief packen soll?
Also, dann fange ich mal ganz von vorne an:

Verabschiedung und Begrüßung:

Am 04.August 2019 war es soweit. Es hieß von meinen Liebsten Abschied zu nehmen. Mit Tränen in den Augen, aber auch voller Vorfreude betrat ich mit sechs anderen Freiwilligen das Flugzeug. Und unser Abenteuer begann!

Der erste Zwischenstopp war Madrid, dort mussten wir über acht Stunden auf unseren Anschlussflug warten, den wir beinahe verpasst hätten, wie konnte das geschehen? Ja das war uns auch unbegreiflich, aber scheinbar ist alles möglich!

Nach dem zwölfstündigen Flug war unsere Reise noch nicht beendet, nein in Santa Cruz angekommen, hatten wir nur einen kurzen Stopp, denn dann ging es weiter nach El Alto. Die Einreise war unkompliziert und so wurden wir früh am Morgen am Flughafen von unserer Freiwilligenkoordinatorin Isabel und Jhamir, einem ehemaligen Freiwilligen, der sein Freiwilligendienst in Deutschland absolvierte, sehr herzlich empfangen. Wir fuhren mit einem Truffi (ein kleiner Bus) in unsere Unterkunft nach La Paz in ein Kloster, wo wir die ersten zwei Nächte mit Freiwilligen aus dem Bistum Hildesheim verbrachten. In den zwei Tagen hatten wir unser Einführungsseminar bei der Comision de Hermandad (Partnerschaftskommission). Und dann ging es für jeden einzelnen in die jeweiligen Landesteile Boliviens, die für die nächsten 13 Monate unser zu Hause sein würden.

Nice to know: La Paz ist eine Stadt, die ca. auf 4100m Höhe liegt und zusammen mit der angrenzenden Stadt, El Alto, mehr als 2 Millionen Menschen beherbergt.                                      Auch wenn La Paz nicht die Hauptstadt Boliviens ist (Hauptstadt: Sucre), befindet sich dort der Regierungssitz.

Ankunft in Cochabamba und der erste Monat in der Gastfamilie:

Für Laura (einer Mitfreiwilligen) und mich ging es nach dem Einführungsseminar nach Cochabamba, der viertgrößten Stadt Boliviens. Am Bus Terminal begrüßten uns unsere Gastfamilien und Projektbegleiter ganz liebevoll mit Plakaten. Auch unsere Vorfreiwilligen Lina und Magdalena haben uns dort ganz herzlich empfangen. Von diesem Moment an wusste ich, dass wir ein unvergessliches Jahr haben werden.

Den ersten Monat besuchten wir vormittags, von 9 -12 Uhr unter der Woche, den Spanischunterricht. Dies half uns sehr und war mit reichlich Spaß verbunden. Am Nachmittag standen Unternehmungen mit meinen Gastmamas auf dem Programm, denn meine Gastfamilie bestand aus zwei Schwestern die zentral in Cochabamba in einer kleinen, aber sehr schönen Wohnung lebten. Am ersten Tag nahmen Jheny (die jüngere Gastmama) und ich den Teleférico (Seilbahn) zur Statue „Christo de la Concordia“, denn von dort oben hat man einen sehr schönen Ausblick über ganz Cochabamba. Gegen Abend gingen wir gemeinsam mit Mery in den „Parque de la Familia“. Hier gab es eine Menge Springbrunnen, welche in der Nacht leuchten; zu bestaunen. Zudem waren wir am „Plaza 14 de Septiembre“ und auf der „La Cancha“, das ist ein großer Markt, auf dem man super günstig shoppen kann. Dort gibt es so viele Stände, von Küchengeschirr bis hin zu Handtaschen; hier kann man alles kaufen, sodass wir den ganzen Tag brauchten bis ich alles gesehen hatte.

Von Anfang an wurde ich überall mit hingenommen, damit ich nichts verpasse und die Stadt Stück für Stück besser kennen lerne, denn es ist eine Stadt, in der das Essen und Tanzen eine nicht so unwesentliche Rolle spielen. Im Gegenteil Cochabamba ist für das viele Essen und die großen Portionen bekannt, sie wird auch Stadt des Essens genannt.

An den Wochenenden sind wir oft nach Punata gefahren, einem Dorf das ca. eine Stunde von Cochabamba entfernt liegt, denn dort wohnen der Vater und drei der Brüder meiner Gastschwestern. Zudem traf ich mich gelegentlich mit Laura und wir spielten gemeinsam mit ihren Gastschwestern „Just Dance“, machten einen Kosmetikabend oder schauten einen Disney Film, der natürlich auf Spanisch war. Und wenn wir abends Lust hatten laufen zu gehen, dann sind wir um den „Laguna Alalay“ gelaufen.

Umzug nach Vinto

Nun war es an der Zeit, sich von meiner Gastfamilie zu verabschieden, denn Juan Pablo, auch Juampi genannt, der mein Begleiter, Freund und Helfer ist, holte mich mit dem Taxi ab, um mit mir in mein neues Zuhause zu fahren, in dem ich die nächsten 12 Monate wohnen werde. Ich lebe in Vinto (ein kleiner Vorort von Cochabamba) in einem großen Tagungshaus das sich „Casa De Retiros Vinto“ nennt. Hier werden immer wieder Seminare und Tagungen von verschiedenen Gruppen abgehalten und von diesem Tagungshaus ist Juampi der Administrator.

Der erste Eindruck war, dass ich mich hier bestimmt sehr wohl fühlen werde, denn ich habe dort mein eigenes Zimmer mit Bad. Und verhungern werde ich hier ganz bestimmt nicht, denn ich werde morgens und abends von der Don Silvia bekocht.

Ja und gleich am ersten Wochenende war auch schon eine Gruppe da, mit darunter waren Isabell und Jhamir. Zusammen mit Juampi und Samuel (der beste Freund von Juampi) beschlossen wir fünf, in eine Art Café Bar mit dem Namen „Newspaper“ in Quillacollo zu gehen (Quillacollo ist eine Kleinstadt ganz in der Nähe von Vinto). Es war ein unvergesslicher Abend und ein schöner Start in mein neues Zuhause.

Zu meinen zwei Projekten:

Morgens arbeite ich in der CEA, das ist die Abkürzung für „Centro de Educación Alternativa“. Hier betreue ich kleine Kinder, deren Eltern noch zur Schule gehen. Es ist eine Art Kinderkrippe, die zur Schule gehört. Unter der Woche kommen meist Babys und Kleinkinder, aber an den Samstagen sind es oft größere Kinder, sodass wir basteln können oder aber auch auf den Spielplatz gehen.

Am Nachmittag gehe ich dann zu meinem anderen Projekt der „Fundación Nueva Luz“, dort gehen die Kinder nach der Schule hin, um hauptsächlich ihre Hausaufgaben zu erledigen. Als erstes wird zusammen gegessen, danach gehen die Kinder in ihre verschiedenen „Salóns“. Ich arbeite im „Salón Verde“ bei den Kleinsten im Alter von vier bis acht Jahren mit meiner Kollegin Senaida. Zudem gibt es noch zwei weitere Salóns: Den „Salón naranja“ mit den Mittleren und den „Salón Rojo“ mit den ältesten Kindern. Die Kinder machen hauptsächlich ihre Hausaufgaben und wenn sie Fragen oder Hilfe brauchen, können wir ihnen dabei helfen. Nach den Hausaufgaben, wenn noch Zeit ist, können die Kids mit Puppen, Lego oder anderen Spielsachen spielen. Neben den Hausaufgaben und den Spielen werden auch in der Fundación soziale Kompetenzen gefördert und Werte vermittelt.

Die Arbeit in den Projekten macht mir sehr viel Spaß und die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen klappt wirklich hervorragend und ich freue mich immer wieder aufs Neue, in meine Projekte zu gehen und mein schlechtes Spanisch zu verbessern.

Geburtstag einmal so…

Am Vorabend gingen Juampi, Samu, Carly (eine Freundin von Juampi und Samu) und ich ins „Newspaper“ nach Quillacollo und feierten in meinen Geburtstag hinein.

An meinem Ehrentag ging ich ganz normal morgens zu meinem Projekt in die CEA, anschließend machte ich mich auf den Nachhauseweg zum Mittagessen, denn Juampi bestand darauf, dass ich nicht wie gewöhnlich in der Fundacion esse, sondern zusammen mit ihm, Samu und Don Silvia. Don Silvia hatte an dem Tag extra für mich Nudeln mit einer Käsesahnesoße und zusätzlichen Garnelen gemacht und es war wiedermal so lecker!

Juampi verschwand kurz in der Speisekammer und kam mit einer Torte hinaus. Als die drei dann noch „feliz cumpleaños” (Alles Gute zum Geburtstag) begannen zu singen, war ich so gerührt, dass mir die Tränen, vor Freude kamen.

Danach sagte Juampi, dass ich traditionell in die Torte hineinbeißen soll, aber irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Und so war es dann auch, er tunkte mich voll in die Torte, mein ganzes Gesicht war voller Sahne.

Wir alle mussten so lachen. Nachdem ich dann die halbe Torte aus dem Gesicht gewaschen hatte, aßen wir letztendlich ein Stück von der restlichen Torte. Und dann ging es auch schon weiter für mich in die Fundacion. Dort erwarteten mich viele Arbeitskollegen die mir alle gratulierten und sangen dabei. Anschließend überreichten sie mir mein Geburtstagsgeschenk, dass eine super schöne Handtasche war. Sogar die Kinder aus meinem Salón schenkten mir selbstgebastelte Geburtstagskarten.
Und zur Krönung des Tages gingen zwei Arbeitskolleginnen mit mir Pizza essen.

Neue Bekanntschaften und das Leben in der neuen Umgebung

In meinem neuen Zuhause habe ich mich sehr schnell eingelebt, jeden Tag nach der Arbeit fahre ich zusammen mit meiner Arbeitskollegin Senaida ins Gymnasio nach Quillacollo, dort trainiere ich meinen lästigen Speck ab, den ich mir die letzten zwei Monate zugelegt habe. Es gefällt mir sehr gut da, denn ich habe dort auch neue Bekanntschaften geschlossen. Zudem sind die Kurse, die man in dem Gymnasio belegen kann, abwechslungsreich und vielseitig. Es gibt zum Beispiel Zumba, Trampolin, Step Z und vieles mehr.

Zudem habe ich Milena in Quillacollo kennen gelernt. Sie ist auch eine Freiwillige, aus dem Bistum Mainz. Zusammen sind wir schon öfter nach Cochabamba gefahren. Auch die letzte Reise nach Cochabamba war unvergesslich mit Milena, eigentlich war es für uns ein ganz normaler Tag. Wir gingen ins Typica (ein kleines Café), aßen unseren Cheesecake und tranken dabei Café. Danach ging es für uns durch die Stadt zum Shoppen und wir beschlossen dann den Bus zu nehmen. Der Bus war so voll, dass wir auf der Motorabdeckung des Busses platznehmen mussten. Alles war normal, ein typischer normaler Tag für uns. Doch dann, der Bus fuhr los und auf einmal kamen uns mehr Autos und Busse entgegen als üblich. Vor uns staute es sich schon langsam und wir konnten von den Mitreisenden hören, wie sie sagten „Ohjee … wir kommen aus Cochabamba nicht mehr heraus“. Dazu muss man wissen, dass in Bolivien zurzeit politische Unruhen, in Form von Protesten und Straßenblockaden, durch die Wiederwahl des Präsidenten herrschen. Und so war es auch, die schlimmsten Befürchtungen wurden wahr, denn als wir den Blockaden immer näher kamen sahen wir auch wie jeder Bus und jedes Auto wenden musste. Und so sagte der Busfahrer letztendlich zu uns: „Hier geht es nicht weiter, bitte aussteigen“. Melina und ich waren ratlos, was nun… Ja unsere Köpfe qualmten schon, doch da hatte Milena die Idee, ihren Mentor zu fragen, ob wir für eine Nacht dort schlafen könnten, denn er hätte schließlich noch ein Gästezimmer frei. So war es auch, wir hatten für die Nacht ein Dach über dem Kopf.

Wie der Zufall es auch wollte, waren auch die anderen Freiwilligen aus dem Bistum Mainz in Cochabamba gefangen und so beschlossen wir den Abend gemeinsam zu verbringen.

Ein paar kleine Worte zum Schluss

Ich habe mich in Vinto sehr gut eingelebt die Menschen hier sind sehr lieb und hilfsbereit, besonders Juampi: er ist mit mir von A nach B gefahren und hat mir genau erklärt wie ich was und wo finde. Er ist für mich ein sehr guter Freund geworden und wenn ich was auf dem Herzen habe, hat er mir zu verstehen gegeben, dass ich immer und zu jeder Zeit auf ihn zukommen darf!

Neben den schönen Zeiten in Bolivien gibt es im Moment auch schlechte Zeiten: Die Präsidentenwahl ist vorbei und es wurde wieder derselbe Präsident gewählt, der nach bolivianischer Verfassung nicht erneut zur Wiederwahl hätte antreten dürfen. Dieses Thema sorgt für angespannte Situationen im ganzen Land. Viele Menschen sind sauer und enttäuscht, das Volk spaltet sich jeder hat eine andere Meinung zu diesem Thema. Zurzeit finden hier in Bolivien viele Proteste und Straßenblockaden statt, man kommt nicht mehr in die Großstädte, viele Menschen sind verängstigt, es werden riesige Vorräte gekauft, da keiner abschätzen kann ob und wann diese Unruhen ein Ende haben.

Trotz alledem blicke ich voller Vorfreude auf die kommende Zeit meines Freiwilligendienstes und bin gespannt was ich noch alles erleben werde.

Ganz liebe Grüße aus Bolivien und fühlt euch gedrückt,

in Liebe eure Sinja