Bolivien: 4. Rundbrief Lara Burg

Liebe Freunde, liebe Familie, lieber Solikreis!                                                              27.04.2020

Niemals hätte ich vor drei Monaten, als ich euch meinen 3. Rundbrief geschrieben habe, gedacht, dass mein nächster der letzte und von meinem Schreibtisch in Mertesdorf aus geschrieben sein wird. Wie jeder auf diesem Planeten, wurde natürlich auch ich von den Auswirkungen der Coronakrise getroffen und musste auf den Aufruf des BMZ und weltwärts hin nach Deutschland zurückkehren. Nun sitze ich also hier und denke, dass ich euch zumindest noch von meinen letzten Wochen/Monaten, bevor das Chaos begann erzählen kann:

Schulbeginn und Projektwechsel

Anfang Februar begann das neue Schuljahr. Schon in den Tagen davor liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren und Eltern kamen, um ihre Kinder für das Schuljahr einzuschreiben. Zu der Zeit war auch Isabel aus La Paz zu Besuch und kam mit den Freiwilligen zur Arbeit, um sich mit den Chef*innen auszutauschen und die Projekte nochmal in Aktion zu sehen. Wir klärten bei ihrem Besuch unter anderem ab, wie ein Projektwechsel aussehen könnte. Da von Anfang an klar war, dass ich das Projekt nicht ganz verlassen würde, da ich mich schon gut in das Kollegium und die Schulgemeinschaft eingelebt hatte und durchaus ein paar Aufgaben erledigen konnte, entschieden wir, dass ich drei Tage der Woche, wie vorher, in den Schulen arbeiten würde. Meine neuen Aufgaben bestanden (vormittags) daraus die beiden Sekretärinnen und Frida (Direktorin) zu unterstützen und (nachmittags) eine Schülerzeitung mit der Promoción zu erstellen. Während sich das Erstellen und vor allem das Motivieren der Schüler*innen für die Zeitung zunächst noch etwas schwer darstellte, machte mir vor allem die Arbeit vormittags Spaß. Unter anderem ging ich durch die Klassen, um die Anwesenheit der Schüler*innen zu checken und hatte dadurch direkten Kontakt zu den Klassen (und durfte üben den ein oder anderen sehr komplizierten Nachnamen auszusprechen).

Die anderen beiden Tage meiner Arbeitswoche verbrachte ich in der guardería Nazareth, einem Vorkindergarten mit Kindern im Alter von sechs Monaten bis vier Jahre. Mein erster Arbeitstag war gleichzeitig auch der erste Tag nach den großen Ferien, sodass es viele neue Kinder und somit auch Arbeit gab. Von meiner Chefin Marisol wurde ich kurz durch das Gebäude geführt und den anderen Tías vorgestellt und schon ging es für mich in die jüngste Gruppe. Die sala amarilla besteht aus etwa 13-15 Babies im Alter von 6-18Monaten, die schon alle (weinend) auf mich warteten. Die beiden Tías, die die Gruppe leiten, empfingen mich sehr freundlich und zu dritt versuchten wir die Kinder, die alle aufgrund des ersten Tages sehr aufgeregt waren, zu beruhigen. Von acht Uhr morgens bis halb fünf nachmittags bietet die guardería den Kindern einen heimeligen Ort, an dem mit den Tías gespielt, gekuschelt und gegessen wird, was eine sehr familiäre Stimmung erzeugt, wodurch auch ich mich direkt wohl fühlte. Auch wenn ich leider nur fünf Wochen dort gearbeitet habe, habe ich die Kinder schon sehr in mein Herz geschlossen und bin ganz berührt von der Entwicklung, die ich in so kurzer Zeit beobachten konnte. Wo am Anfang noch mindestens vier Kinder gleichzeitig am Weinen waren, spielten wir später lachend mit allen gleichzeitig und konnten auch miterleben, wie manche laufen lernten.

Schlafenszeit heißt nicht gleich schlafen…

Hermandad-Seminar

Mitte Februar teilte Isabel den Freiwilligen aus Santa Cruz mit, dass wir zu einem Hermandad-Seminar in Sucre eingeladen wären. Die Hermandad feiert dieses Jahr ihr 60-jähriges Partnerjubiläum mit dem Bistum Trier und hat neben vielen anderen Events dieses Jahr auch eine dreiteilige Seminarreihe geplant, bei der Mitglieder der Hermandad gemeinsam über deren Grundsätze und Aktionen philosophieren und diskutieren. Wir Freiwilligen freuten uns sehr, nicht nur über die Chance nach Sucre zu kommen, sondern vor allem die Hermandad besser kennen zu lernen und zu verstehen. Ein Wochenende lang verbrachten wir also in einem sehr bunten Plenum, bestehend aus jahrelangen Mitgliedern der Hermandad, Projektleitern, ehemaligen Freiwilligen, den deutschen Freiwilligen und zu guter Letzt natürlich aus einigen Ordensschwestern und Padres, sowie dem Monseñor höchstpersönlich. Neben vielen brodelnden Diskussionspunkten war es schön zu sehen, dass wir alle einen gemeinsamen Punkt hatten, nämlich die Vision an einer Gemeinschaft zu arbeiten, die für uns alle etwas Besonderes darstellt.

 

El Carnaval Boliviano

Auch wenn ich absolut kein Karnevalsmensch bin, freute ich mich schon lange im Voraus darauf, das bolivianische Karneval kennen zu lernen. Vor allem von dem Karneval in Oruro, der besonders bunt, festlich und ausgiebig gefeiert wird, hatte ich schon viel gehört. Aber auch in allen anderen Regionen des Landes wird Karneval schön und intensiv gefeiert.

Meine Kollegin Dolly, die ein Haus auf dem Land in der Nähe von Mataral hat, lud mich schon im Dezember ein über Karneval mit ihrer Familie mit zu kommen. Auf den Dörfern finden, nicht so groß, wie in den Städten (aber trotzdem sehr spaßige) Umzüge statt, was mich sehr an das deutsche Karneval erinnert hat. Die einzelnen Gruppen oder Wägen haben immer eine Region als Thema, von der dann die typischen Trachten getragen werden, Musik gespielt wird und kleine Snacks verteilt werden. Außerdem gibt es im Tiefland um Santa Cruz, den Brauch mit Schaum und Farbe zu sprühen und sich kleine Schlachten zu liefern. Das Wochenende war wirklich unglaublich schön, da wir rundherum um die Feier auch viel Zeit am nahegelegenen Fluss verbringen konnten und auch eine kleine Wanderung zu einer Kuhweide nicht fehlte. Dort tranken wir dann, wie schon bei meinem letzten Besuch auf dem Land, frische Milch mit Singani und Cafe al Coñac, ein paar Musiker spielten Musik und wir tanzten (mehr oder weniger begabt) den ganzen Tag.

 

 

Karneval auf dem Land.

 

Umzug, ein paar Katzen und Ausnahmezustand kein Ausnahmezustand mehr

Anfang März war es soweit und ich konnte umziehen. Nachdem ich die letzten sechs Monate mit einer Gastfamilie von der Nachmittagsschule gelebt hatte, freute ich mich sehr auch noch den Rhythmus einer anderen Familie kennen zu lernen und zu Frida (meiner Vormittagschefin) und Vanessa (ihrer Tochter) zu ziehen. Das Zusammenleben mit den beiden klappte auf Anhieb sehr gut, da wir ja auch schon befreundet waren und ich nun außerdem Raum für mich selbst hatte. Auch die drei Katzen, die ich gefunden hatte, erst Pepe (mittlerweile ein richtiger Wonnepropen) auf der Straße und später Gorda und Flaca auf dem Markt (haben es aber leider nicht geschafft, weil zu klein) nahmen wir in die Hausgemeinschaft auf. Zu dem Zeitpunkt fühlte ich mich sehr wohl und war unglaublich froh, wie sich meine Zeit in den vergangenen acht Monaten dort entwickelt hatte. Dass der Corona-Virus sich auch zu unseren Leben anbahnte war noch lange nicht real und in unseren Köpfen weit entfernt. Selbst als die ersten drei Fälle in Bolivien bestätigt wurden und die ersten Maßnahmen der Regierung beschlossen wurden und der Unterricht im ganzen Land suspendiert wurde ahnten wir noch nichts von dem Ausmaß. Am 16.3. saß ich grade beim Frühstück, als die Nachricht wie ein Schlag eintraf. Alle weltwärts Freiwilligen werden aufgefordert umgehend nach Deutschland zurück zu kehren. Abgesehen von der allgemeinen Unverständlichkeit, zurück zu kehren, wo doch in Deutschland alles viel schlimmer schien und der Tatsache, dass Bolivien kurz davor stand alle internationalen Grenzen zu schließen, konnte ich einfach nicht glauben, dass alles mit einem Schlag vorbei sein sollte. Da lebt man Monate lang in einer anderen Kultur, lebt sich ein, macht Leute nicht nur zu Freunden, sondern zur zweiten Familie und dann wird einem der Unterschied, die Privilegien, die man als deutscher Staatsbürger hat (nämlich zum Beispiel ausgeflogen zu werden) ins Gesicht geklatscht. Au. Die ersten Tage konnten wir alle es kaum fassen. Gleichzeitig stellte sich aber auch immer dringender die Frage, wie wir denn nun nach Deutschland kommen sollten, wo es kaum mehr Verbindungen gab, der Druck von deutscher Seite aber immer größer wurde. Letztendlich sollten wir an einer Rückholaktion der deutschen Botschaft teilnehmen. Die letzte Woche vor der Abreise verbrachten wir zu sechst in Fridas Haus. Viktoria, eine Mitfreiwillige kam aus ihrem Projekt nach Santa Cruz, weil auch der Landverkehr fast ganz eingestellt wurde und nicht klar war, wann genau wir fliegen. Im Grunde hätte es von jetzt auf gleich losgehen könnten. Ebenso zogen Mara und Sarah ein, zwei ehemalige Freiwillige, die zu Besuch waren und eigentlich durch das Land reisen und Freunde besuchen wollten. Obwohl die ganze Situation komplett absurd, verrückt und sehr traurig war, bleibt mir die letzte Woche unter Quarantäne wohl für immer als schön in Erinnerung, weil wir ein sehr schönes Grüppchen waren und uns gegenseitig ermunterten die vorerst letzten gemeinsamen Tage noch zu genießen.

Am 27.3. verbrachten wir dann einen allerletzten und unglaublich nervenaufreibenden Tag in Bolivien, am Flughafen. Ohne jetzt die ganze Story zu erzählen: Es war bis eine Stunde vor Abflug völlig unklar, ob wir alle fliegen können.  Als wir später abhoben, fiel der ganze Stress ab und die unglaubliche Realität wurde Wirklichkeit.

 

Wieder in Mertesdorf

Nun bin ich also wieder hier. Auch wenn ich im Nachhinein einige Entscheidungen besser verstehen kann, als vorher macht mir die Sache mit den Privilegien doch ziemlich zu schaffen. Dinge wie Social-Distancing oder das Tragen von Schutzkleidung, überhaupt: ein Dach über dem Kopf zu haben, sollte man grade in diesen Zeiten nicht als selbstverständlich erachten. Wieder hier zu sein, bedeutet für mich persönlich aktiv mit gewissen Problematiken konfrontiert zu sein, die es auch schon vor Corona gab.

Während ich mich langsam wieder eingewöhne und mich natürlich trotz allem auch freue meine Familie und Freunde wieder zu sehen, hoffe ich einfach, dass das alles einen Sinn hat und jeder die Zeit nutzt, sich über gewisse Dinge klar zu werden, die dieser Welt vielleicht einen Schritt weiterhilft.

 

Ich freue mich euch irgendwann wieder aus nächster Nähe zu sehen,

eure Larita ?