Reverse: 1. Rundbrief von Francine Mugwaneza aus Ruanda

Hallo!

ich heiße Francine Mugwaneza, bin in Rwanda geboren und 24 Jahre alt. Ich freue mich, meine Erfahrung in der Freiwilligenarbeit mit euch zu teilen und da ich es mit Einleitung oder Schluss nicht so habe, schreibe ich einfach mal drauf los. Als ich 12 Jahre alt war, wollte ich Freiwillige in Rwanda sein und dieser Gedanke machte mich glücklich. Aber dann beschloss ich letztes Jahr, einen Freiwilligendienst im Ausland zu absolvieren. Das Ganze wurde realer, als ich im November 2019 mein erstes Vorbereitungsseminar in Nyagatare, Rwanda, besuchte.

Ich, Francine

Ich lernte unter anderem, dass ich eine von vielen jungen Menschen sein werde, die freiwillige Arbeit im Ausland leiste(te)n. Außerdem erhielt ich erste Informationen über die deutsche Partnerorganisation und Grundlagen der deutschen Sprache.
Als ich das erste Mal in Ruanda mit Tamara Deutsch lernte, fühlte es sich wie ein Traum an. Ich dachte nur daran, dass ich in irgendwelchen beeindruckenden Straßen in Deutschland verloren gehen werde und nicht in der Lage bin, den Weg nach Hause zu finden, da ich weder Deutsch spreche noch verstehe. Der Gedanke klingt schlimm und mein Kopf-Kino war noch schlimmer. Meine Deutschlehrerin Tamara, die ich eben erwähnt habe, ist eine deutsche Freiwillige, die im August 2019 in Matimba war. Und dann kam ich hierher– glücklich und zufrieden, da sich, Gott sei Dank, keine meiner Ängste als wahr herausstellten. Ich wohnte bei einer lieben Familie und sie, Herr Fisch der Deutschlehrer, meine Coach, meine Mitfreiwilligen und viele mehr haben mir geholfen, dass ich die relaxte Francine von heute sein kann.

Ein Willkommensgruß in meinem Zuhause in Reinsfeld

Im Zuge der Corona-Pandemie und allen damit verbundenen Konsequenzen kann ich es kaum glauben, dass ich in den letzten sechs Monaten so viel erlebt habe. Es fällt mir immer noch schwer, mich zu orientieren und Süden von Norden zu unterscheiden; zum Beispiel wenn ich keinen Empfang habe und weder in Google Maps suchen noch jemanden anrufen kann. Die Landschaft hier ist neu für mich. Das Bild, was sich in meinem Kopf festgesetzt hat, zeigt seltsames und regnerisches Wetter. Ich beschreibe es auf diese Art, da ich nie zuvor wusste, was Winter ist und wie er sich anfühlt – sehr schnelle Autos auf breiten schicken Autobahnen mit vielen Plakaten, umgeben von einer weißen, kahlen Umgebung.

Schon der zweite Tag lehrte mich, dass sogar der Besuch dieser sehr langweiligen Gottesdienste sinnvoll sein kann. Meine erste Gastfamilie in Reinsfeld erklärte mir, wie, wann und wo ich den Bus nehmen muss und wie ich Brot zum Mitnehmen vorbereite und einpacke -was Kinder hier normalerweise machen-. Sie brachte mir auch Umarmungen und lange Gespräche, von denen ich vorher dachte, dass junge Menschen nicht gerne daran teilnehmen würden. Den ganzen Februar hindurch habe ich Deutsch gelernt, an Workshops und einem Ausflug teilgenommen. Der Ausflug schweißte unsere Gruppe von Freiwilligen weiter zusammen und wir hatten einen wunderschönen Ausblick auf Trier, weitere Teile von Rheinland-Pfalz und die beiden Flüsse Mosel und Rhein.

Als ich in Urbar ankam, wusste ich noch nicht, dass ich wieder bei der Familie sein werde, bei der ich meine erste Nacht in Deutschland, nach Anreise, verbrachte hatte. Ich bin dankbar, dass es so lustig ist, mit einer Mutter, einer Schwester und zwei Brüdern zusammen zu leben. Ich dachte immer, interkultureller Austausch sei lediglich die Anderen zu beobachten, wie sie sich anders verhalten, während man selbst so bleibt, wie man ist. Aber jetzt habe ich verstanden, wieso man sagt, dass Menschen ein Produkt ihres Umfeldes sind. Ich genieße es, von meiner jetzigen Familie umsorgt zu sein, die nicht aufhören wird, mir Geschichten zu erzählen und mir zu erklären, wie manche Dinge hier so laufen, auch wenn ich noch einen weiten Weg vor mir habe.

In meiner neuen Heimat, so viele Kilometer entfernt von Zuhause, habe ich vertrauensvolle und zuverlässige Menschen gefunden, die ich meine Familie und großartige Freund*innen nenne. In meinem neuen Zuhause sind alle so nett und herzlich, dass ich sie immer vermisse, wenn ich unterwegs bin. Ich genieße die Gerichte und das Klavierspielen meiner Mutter, die Pilzsuppe meines älteren Bruders, den Gesang und die Diskussionen meines jüngeren Bruders und wenn meine Schwester Gitarre spielt oder etwas backt. Ich habe eine beste Freundin, Tamara, gefunden, die mich meistens zwei Mal im Monat besucht und dann das ganze Wochenende bleibt. Wir haben schon so viele Sachen zusammen erlebt und es ist unglaublich, dass wir uns so schnell so gut verstanden haben. Außer meiner Familie und Tamara habe ich noch eine andere nette Frau kennengelernt – die Gastmutter eines rwandischen Freiwilligen, der vor drei Jahren in Deutschland war. Es ist großartig, wie gut sie mit Anderen umgehen kann und sie hat mir, besonders während des Lockdowns, geholfen, dass es mir besser geht. Auch jetzt besucht sie mich oft und bringt mir kleine Geschenke und Überraschungen vorbei.

Unsere Gruppe von Freiwilligen 2020

Sowohl in der Familie, in der ich lebe, als auch in allen anderen Familien, in denen ich war, meistens Familien von anderen rwandischen oder deutschen Freiwilligen, fühle ich mich Zuhause. Ich mag es, wie herzlich alle Gastfamilien sind, sodass ich manchmal weinen möchte. An einem Tag im Mai hat einer meiner Mitfreiwilligen seine Mutter verloren und ich konnte mir kaum vorstellen, wie er in dieser Situation stark bleiben konnte, besonders da er durch die Einschränkungen bei Beerdigungen in Zeiten der Corona Pandemie nicht dort sein konnte. Doch auch wenn es ein schmerzhafter Moment war, so spürte ich doch viel Liebe und Unterstützung von allen Menschen, die ihn kannten und ich denke, dass es ihm dadurch schnell besser ging.

Es ist großartig, etwas über die Geschichte von Städten zu lesen und dann plötzlich vor Ort zu sein und Burgen und beeindruckende Monumente zu sehen. Auch hatte ich schon die Möglichkeit, einige Sagen und alte Songs zu hören. Jetzt erlebe ich gerade den Übergang der Jahreszeiten – von einem eiskalten Winter zu einem wunderschönen Frühling bis hin zu einem heißen Sommer und einem, hoffentlich, aufregenden Herbst. Ich muss positiv seufzen, besonders wenn ich auf meinem Weg nach Hause den Bach in Mallendar höre und erstaunt bin, wie die Bäume wirklich ihre Blätter abwerfen.

Ich erinnere mich daran, wie ich auf dem Rückweg von meiner Arbeit in den ersten zwei Wochen vor dem Lockdown an ein paar hässlich aussehenden Bäumen vorbeikam. Es wunderte mich, dass man sie nicht einfach beseitigte. Dann aber, als ich im April rausging, sah ich, dass wundervolle rosa Blüten daran wuchsen, die sich mit der Zeit zu runden, grünen Früchten entwickelten. Sie wurden immer größer und jetzt weiß ich, dass es Äpfel sind.

1. Bäume im Winter. 2. Apfelbäume im Frühling. 3. Mein Lieblingsbaum im Juni

Der Lockdown hat mich nicht so erschüttert – im Gegenteil, er brachte mir viele tolle und lustige Momente mit meinen Gastgeschwister und meinen Freund*innen, egal wie weit weg sie waren, ließ mich neue Hobbies ausprobieren und schenkte mir viel Zeit und Ruhe. Die Menschen hier sind sehr herzlich und warm. Ich erinnere mich an meine ersten Versuche, Fahrrad zu fahren und dass, sobald ich hinfiel, alle, die vorbeigekommen sind, sofort anhielten und mich fragten, ob ich mich verletzt habe.

Es klingt lustig, aber ich wünschte mir wirklich, dass Karneval länger gedauert hätte. Die Leute haben getrunken und gesungen und am besten war der Umzug. Man sagt hier, dass Deutschland fünf Jahreszeiten hat und Karneval ist definitiv meine Lieblingsjahreszeit. Leider habe ich andere Feiertage, wie den Tag der Arbeit oder Vatertag nicht miterleben können, da sie durch die Corona Pandemie nicht stattgefunden haben.

Karneval in Reinsfeld, 16/02/2020

Inzwischen nimmt alles ein bisschen Normalität an, sodass ich auch wieder im Jugendtreff Vallendar arbeite. Es macht Spaß, einige Stunden am Tag mit den Kindern und Jugendlichen zu verbringen und mit ihnen zu quatschen, auch wenn mein Deutsch noch etwas holprig ist, aber es fühlt sich gut und erfrischend an. Meine Kolleg*innen sind sehr nett und sie unterstützen mich, wo sie können. Ich bin mir sicher, ich könnte auch mit allen anderen Problemen außerhalb der Arbeit zu ihnen kommen und sie würden mir helfen. Auf diese Weise wird meine Arbeit nie schwer.

Mein Abenteuer ist noch nicht zu Ende, deshalb lasse ich es erstmal so…

Auf Wiederhören!!!