Frankreich: 2. Rundbrief von Rafael Kuhn

Ausflug zu den Calanques von Marseille mit dem Foyer

Liebe Familie, Liebe Freunde, Liebe Bekannte, Lieber Solikreis,

es ist inzwischen schon sehr lange her, dass ich meinen ersten Rundbrief geschrieben habe, aber ich kann euch sagen: Es ist viel passiert!

Vielleicht fange ich dann erstmal da an, wo ich aufgehört habe:

In meinem letzten Rundbrief habe ich euch erzählt, dass ich regelmäßig halbtags beim ESAT arbeiten werde. Leider konnte ich dies Corona-bedingt nur ein Mal machen, aber dennoch gibt es einiges zu berichten.

Ich habe für einen Vormittag beim „espaces verts“, also den Landschaftsgärtnern des ESATs gearbeitet. Schnell habe ich den Unterschied meiner Arbeit im Foyer und der Arbeit beim ESAT bemerkt, denn beim ESAT arbeiten die Menschen mit einem „leichten“ Handicap, die hauptsächlich in einem „Foyer d‘herbegement“, bei ihren Familien oder vielleicht sogar in einer eigenen Wohnung wohnen. Für mich war das eine große Veränderung, denn ich arbeite in einem „Foyer de vie“, einem Foyer in dem Bewohner wohnen, die ein Handicap haben, durch das sie mehr Begleitung im Alltag brauchen und nur selten in der Lage sind beim ESAT zu arbeiten. So ist die Arbeit beim ESAT deutlich pädagogischer als ich es bisher kannte.

Wochenendausflug mit Jean-Luc, Marie-Claire und Laura (von links)

So waren wir an diesem Vormittag auf einem kleinem Recyclinghof um die Büsche, Sträucher, Hecken, etc. zu beschneiden. Während einer Pause sind dann einige der Arbeiter (also der Menschen mit Handicap) zum Elektroschrott gegangen und haben ein paar Geräte mitgenommen. Micka, der Pädagoge, hat das dann natürlich unterbunden und erklärt, dass das Ganze keine gute Idee ist, da wir bei einem Klienten sind und natürlich Professionalität zeigen müssen, da wir die Arche und das ESAT repräsentieren und natürlich auch wieder vom Klienten angestellt werden wollen.

Der Strand von Agde

Ende Februar hatte ich die Möglichkeit mit Patrick, einem der Bewohner meines Foyers, seine Eltern im Seniorenheim zu besuchen. Das  ist mehr als es sich anhört, denn durch Corona konnte er seine Eltern für sehr lange Zeit nicht besuchen, was für ihn nicht sehr einfach war, da er eine sehr enge Beziehung zu seinen Eltern hat. Zudem war es für mich das erste Mal, dass ich alleine mit einem Bewohner für so lange Zeit so weit weg vom Foyer war.

So sind wir an einem Samstagmorgen mit Sandwiches und etwas zu trinken aufgebrochen. Nach rund zweieinhalb Stunden Autofahrt, in denen Patrick ganz nervös war und nicht aufgehört hat zu reden, sind wir angekommen. Während des eigentlichen Besuchs, der aufgrund der Corona-Regeln des Seniorenheims nur eine Stunde dauerte, habe ich einen tiefen Einblick in das Familienleben bekommen. Ich habe verstanden, warum Patrick so viel von seinen Eltern redet. Ich habe das Gefühl eine engere Beziehung mit Patrick zu haben, seitdem ich mit ihm seine Eltern besucht habe. Patrick fragt mich heute noch, ob ich mich daran erinnere als ich mit ihm seine Eltern besucht habe, und natürlich erinnere ich mich noch! Anschließend sind wir dann noch kurz nach Agde ans Meer gefahren, um den Tag gut ausklingen zu lassen.

Im März gab es dann einige Corona-Fälle in den Foyers und den Büros. Wie zu erwarten, wenn man zusammenlebt, habe ich mich auch angesteckt. Meine Quarantäne habe ich in einem 1-Zimmer Apartment, in dem ich seit Januar wohne, verbracht. Die ganze Zeit war nicht sehr einfach, denn zum einen war ich ganz alleine für 12 Tage in Quarantäne und vor allem macht man sich natürlich auch Sorgen um die Bewohner, die zu einem großen Teil zur Risikogruppe gehören. Während meiner Quarantäne kamen dann auch immer mehr Nachrichten über weitere Bewohner, die sich angesteckt haben. Das Zwischenseminar von SoFiA über Zoom ist glücklicherweise genau in den Zeitraum meiner Quarantäne gefallen, wodurch ich dann doch nicht so alleine war und die ganze Situation dann ein bisschen vergessen konnte. 

Doch als ich meine Quarantäne beendet habe und ins Foyer zurückkehren durfte, hat sich Vieles geändert. Es war nur noch die Hälfte der Bewohner im Foyer, da einige zu ihren Familien sind oder im Krankenhaus waren. Der gesamte Alltag im Foyer hatte sich verändert. Allerdings war meine Rückkehr und die Rückkehr eines Bewohners aus dem Krankenhaus ins Foyer der Anfang der Rückkehr zur Normalität, denn die Quarantäne in den Zimmern wurde nach und nach für die Bewohner beendet und wir durften wieder gemeinsam mit den Bewohnern, die im Foyer geblieben sind, an einem Tisch essen. Die Normalität im Foyer, wie sie vor den Corona-Fällen war, ist allerdings erst Mitte Mai zurückgekehrt, als der letzte Bewohner, der rund zwei Monate im Krankenhaus verbracht hat, ins Foyer zurückgekommen ist.

Rückkehr von Jean-Luc ins Foyer

Im März und April kam es dann auch zu vielen Veränderungen in der Mannschaft des Foyers. So beendete der Praktikant sein Praktikum, eine Mitfreiwillige beendete ihren Dienst, eine langjährige Angestellte wechselte ihren Job und im April beendete dann auch meine deutsche Mitfreiwillige ihren Dienst. Gleichzeitig wurde eine Stelle im meinem Foyer besetzt, die es vorher nicht gab. All diese Veränderungen sorgten dafür, dass sich die „neue“ (eher veränderte) Mannschaft neu einarbeiten musste. Da meine Chefin für eine lange Zeit krankgeschrieben war, lief es nicht immer so rund. Inzwischen läuft es zwar ein wenig besser, aber immer noch nicht perfekt. Ich war beispielsweise dabei mehr und mehr Verantwortung im Foyer zu übernehmen, was Planung und Organisation angeht und mein Mitfreiwilliger Mathias auch. Doch durch die Besetzung der neuen Stelle, die viele dieser Aufgaben übernehmen sollte, kam es zu einem Konflikt zwischen dem neuem Angestellten und den Freiwilligen, was durch das krankheitsbedingte Fehlen meiner Chefin nicht so schnell gelöst werden konnte, inzwischen aber soweit gelöst ist.

Ausflug zur „Moulin de Jérusalem“

In meiner Freizeit habe ich mit dem Rückgang der Coronazahlen auch immer mehr Möglichkeiten. So habe ich eine Gruppe Pfadfinder in Cavaillon gefunden, wo ich bei den Treffen teilnehmen kann, sofern ich nicht arbeite. Ich bin sehr froh, dass ich hier eine Gruppe von Pfadfindern gefunden, da ich zum einen seit sehr langer Zeit auch in Deutschland Pfadfinder bin und während meinem Dienst nicht damit aufhören wollte und so auch Leute außerhalb der Arche kennengelernt habe. Während den monatlichen Treffen am Wochenende werden verschiedene Spiele gespielt und auch das Sommerlager geplant.

In meiner weiteren Freizeit erkunde ich die Region mit meinem Rennrad, das ich mir hier gekauft habe oder unternehme etwas mit den anderen Freiwilligen der Arche, wie zum Beispiel ein „lotobingo“, was ich bisher eher aus amerikanischen Filmen kannte, in denen Senioren in großen Hallen an Tischen sitzen und wild „Bingo!“ schreien, sobald sie eine Reihe von Zahlen voll haben. In meinem Fall fand das Ganze im Auto statt und die Zahlen wurden durch ein Mikro angesagt und es wurde gehupt anstatt „Bingo!“ geschrien.

Von den gut acht Monaten, die ich inzwischen hier bin, habe ich das Gefühl, dass ich alles mitnehmen konnte was geht, Gutes und Schlechtes. Ich habe hier so viel Hilfsbereitschaft, Solidarität und Liebe erfahren, ich hätte vorher nicht gedacht, dass das in der kurzen Zeit möglich ist. In meinen Monaten in der Arche habe ich festgestellt, dass die Arche eine echte Gemeinschaft ist. Egal was es gibt, ob in der Arche und auch privat, es gibt immer jemanden der hilft oder einfach nur da ist.

„Callanque de Callelongue“

Jetzt schaue ich euphorisch und motiviert in die Zukunft, die Monate die noch bleiben und die Zeit danach. Durch den Sommer und die sinkenden Corona-Zahlen wird immer mehr möglich, in der Arche und in meiner Freizeit.

Liebe Grüße

Rafael