Vom Umziehen, Ankommen und Singen
Eigentlich bin ich kein großer Fan von Sprichwörtern, aber ganz egal wie sehr man sich wünscht, dass sie nicht wahr sind stellt sich im Endeffekt doch meistens heraus, dass es stimmt, was alle sagen. „Aller Anfang ist schwer“ ist auf jeden Fall ein Sprichwort, das sich für mich als wahr herausgestellt hat, schon vor meiner Abreise, denn eigentlich wollte ich überhaupt nicht hierhin.
Zuerst wollte ich nämlich nach Peru. Als klar war, dass das nicht klappt hab ich ein neues Projekt auf den Philippinen gefunden. Als klar war, dass auch das nicht klappt, habe ich mein absolutes Traumprojekt in einer Schule in Ruanda gefunden. Die gesamte Vorbereitung, sämtliche Seminare, Impfungen, Arztbesuche, Behördengänge, alles habe ich mit der Erwartung nach Ruanda zu gehen gemacht, denn nach meinem letzten Schuljahr, das schon voll mit Entbehrungen und Einschränkungen war, sah die Coronalage endlich wieder so aus, als könnte mein Leben „normal“ weitergehen.
Tja, was soll ich sagen, das hat nur so mäßig gut funktioniert. 4 Wochen vor meiner geplanten Abreise bekam ich einen Anruf, dass sich die Lage in Ruanda verschlimmert hat.
Aller Anfang ist schwer.
Noch voll mit der Euphorie die Schule beendet zu haben, voll mit Wünschen und Träumen in eine ganz andere Kultur zu kommen und die Welt von einer anderen Seite sehen zu können wurde mir also jetzt schon zum dritten Mal der Boden unter den Füßen weggezogen.
4 Wochen später, an dem Tag, an dem eigentlich mein Flug gehen sollte, saß ich dann also im ICE auf dem Weg nach Paris, völlig übermüdet, weil mein Bruder sich am Abend zuvor noch sein Schlüsselbein zweimal brach und ich deswegen noch bis 2 Uhr morgens unterwegs war, um ihn ins Krankenhaus und wieder zurück zu fahren, schaute aus dem Fenster und während ich die bekannten Weinberge des Rheingaus an mir vorbei ziehen sah, fragte ich mich, was ich eigentlich gerade tue.
13 Stunden später kam ich in Isle-sur-la-sorgue an. Und lasst mich nicht lügen, aller Anfang ist schwer. Meine Projektstelle hier heißt „Le Moulin d’Auro“ und ist in einzelne Wohngruppen aufgeteilt.
„L’Eau Vive“ und „La Source“ sind auf dem Hauptgelände, wo auch die Arbeitsstätten und Ateliers für die Bewohner sind.
„La Ruche“ und„Les Fontaines“ sind in einem anderen Stadtteil und einem anderen Dorf verteilt.
Als ich ankam, lebte ich in „La Ruche“. La Ruche heißt übersetzt der Bienenstock. Die Menschen dort sind weitestgehend selbstständig. Sie gehen von 8-16h zur Arbeit, dann gibt es das „Goûter“, eine Art Kaffe und Kuchen, nur mit Keksen und Wasser mit Sirup. Dann wird gekocht, einer der Bewohner kocht für alle, mit der Hilfe von einem Assistenten. Viel helfen muss man dabei eigentlich nicht, außer Gemüse schnippeln oder den Ofen anstellten. Dann wird gegessen, dann sämtliche Haushaltsaufgaben erledigt, wie beispielsweise Müll rausbringen oder den Tisch abwischen. Die Tage sind strukturiert und auch am Wochenende gibt es immer Aufgaben, wie den Garten zu pflegen.
In der Zeit, in der die Bewohner bei der Arbeit sind, mussten ich und meine französische Mitfreiwillige sämtliche Haushaltsarbeiten erledigen, wie Wäschewaschen, aufhängen und falten, jeden Tag alles staubsaugen und wischen, es wird eingekauft, alles sehr strukturiert, es gibt eigentlich immer etwas zu tun.
Das Problem, dass sich für mich stellte war zum einen, dass ich oft nicht verstanden habe, was ich tun sollte. Der Assistent, der immer da war konnte kein Englisch und hatte einen südfranzösischen Akzent, das hat es für mich nicht leicht gemacht zu verstehen, was ich tun soll.
Dazu kam auch noch meine Unwissenheit, was Haushaltssachen angeht. Bevor ich nach Frankreich kam habe ich noch nie gewischt oder die Wäsche gemacht. Ich weiß, dass es für viele selbstverständlich ist, aber für mich war es am Anfang schwierig zu entscheiden wieviel Wäsche man in eine Maschine machen kann, welches Programm und welches Waschpulver man benutzen muss. Für mich war das eine anstrengende Zeit, weil ich vor allem im Vergleich zu meiner französischen Mitfreiwilligen für alles viel mehr Zeit brauchte.
Das Hauptproblem, was ich in meiner ersten Woche in „La Ruche“ hatte, war aber ein ganz anderes. Als ich in Deutschland losfuhr, bin ich mit der Erwartung gestartet, dass ich hier mit Menschen mit Behinderung arbeite, aber hier hatte ich das Gefühl, dass ich mehr Zeit mit putzen verbrachte, als tatsächlich mit den Leuten. Und wenn ich Zeit mit den Bewohnern hatte, fiel es mir schwer auf sie zuzugehen, weil mein Französisch zu schlecht war, um ein Gespräch, das über „Wie gehts?“ hinausgeht zu führen.
Deswegen habe ich schon nach der ersten Woche die Gruppe gewechselt. Von „La Ruche“ zu „L’Eau Vive“, was übersetzt „das Wildwasser“ bedeutet.
In „L’Eau Vive“ sind größtenteils Menschen zu Hause, die bei jedem Schritt im Alltag Hilfe brauchen. Das bedeutet für mich, dass ich von morgens beim Aufstehen, Frühstücken, Zähneputzen bis abends Duschen, Umziehen und Zudecken am helfen bin.
Die ersten Wochen war auch noch Rafael, mein deutscher Vorfreiwilliger von SoFiA da. Das hat mir den Einstieg auf jeden Fall erleichtert, weil er mir erklären konnte, wie alles funktioniert.
Aber nicht nur Rafael war eine Erleichterung für mich, das gesamte Team hier ist viel entspannter als bei „La Ruche“. Abends gibt es hier oft „Soirées“, also einfach ein entspanntes Miteinandersein, was am Anfang für mich schwierig war, weil ich das Gefühl hatte nichts zu verstehen, wurde nach und nach immer einfacher für mich. Hier hatte ich zum ersten Mal seit dem ich von zu Hause ausgezogen bin das Gefühl angekommen zu sein.
Meine Arbeit hier ist ganz anders, als bei „La Ruche“. Die Bewohner hier sind unter der Woche Vor- und Nachmittags beim „CAJ“ (Centre Activité de Jour). Das ist eine Betreuung für die Menschen, die auf Grund ihrer Behinderung nicht arbeiten können. Dort wird gesungen, getanzt, gemalt, Mosaik gemacht, gebacken oder gekocht.
Ich darf immer dann, wenn alles an Haushaltsarbeit auf der Gruppe erledigt ist mit zum CAJ und ich muss sagen, es ist wirklich der beste Teil von meiner Arbeit hier.
Mein Lieblingstag ist der Freitag, weil ich da immer zu der Musikgruppe gehen und mit den Bewohnern zusammen singen und Gitarrespielen kann. Dabei wird immer viel gelacht, auf Trommeln geschlagen und Lärm gemacht.
Ich finde über Musik verständigt man sich nochmal ganz anders mit den Bewohnern und es ist faszinierend zu sehen, wie auch die Bewohner, die nicht reden, freitags begeistert mit der Rassel im Takt mitmachen und am lachen sind.
Am Anfang war es für mich immer schwierig einen Weg zu finden die Sachen, die ich zu Hause immer gern gemacht habe mit in den Alltag einzubringen. Aber mit der Zeit fällt es mir immer leichter, die Gitarre in die Hand zu nehmen und zu singen, auch wenn ich nicht beim CAJ sondern alleine auf der Gruppe bin und es begeistert mich, dass daraus oft eine Tanzparty im Wohnzimmer entsteht.
Soviel erstmal zu meinem ersten Eindruck. Kaum zu fassen, dass das nichtmal alles ist, was in den ersten zwei Wochen passiert ist.
Im nächsten Rundbrief gehts dann genauer um meine Arbeit hier und um all die Reisen, die ich in den ersten zwei Monaten schon gemacht habe, also freut euch auf viele Bilder vom Meer und Strand, bleibt gesund und bis bald,
Nelly