Frankreich: 2. Rundbrief von Myriam Reichard

Ein „Coucou“ an alle!

Die Zeit schreitet voran und in einem Tempo, dass ich so noch nie erlebt habe… umso besser, alle Erinnerungen an meine letzten 3 Monate ins Gedächtnis zu rufen.

Mysterium Zeit: Warum vergehen die Monate wie im Fluge? Ich denke, dass liegt einerseits an der ständigen Erinnerung, dass der Aufenthalt auf 13 Monate beschränkt ist. Zum Beispiel beim Urlaub nehmen, Rundbriefe schreiben, oder bei Gedankenspiele, was nach dem Freiwilligendienst kommen mag, wird deutlich, wie begrenzt die Zeit ist. Anderseits spielt auch die hohe Erwartungshaltung eine Rolle, denn mit all den Wünschen und Zielen an das Jahr, wird jede begrenzte Zeitspanne knapp. Jetzt aber genug davon…

Zeitspanne vor Weinachten: Formation in Lyon, Urlaub, Motivationstief

Auf meinen 1. Rundbrief folgt das 3-tätigie Seminar der Arche in Lyon. Insgesamt waren wir fünfzehn Freiwillige, die alle aus derselben Region kommen. Nach verschiedenen Kennenlernspielen haben wir Themen wie „Zusammentreffen mit Menschen mit Behinderung“, “Meine eigenen Grenzen“,  „Unterschiede“ und „Arche international“ angesprochen. Beeindruckend fand ich, als uns allen die Dimension der Arche in Frankreich und auch weltweit bewusst wurde, denn alleine 2/3 der Arche-Freiwilligen, die einen Service Civique in der Region Auvergne-Rhône-Alpes leisten, sind in Lyon zusammengekommen und dabei existieren noch 13 weitere Regionen in Frankreich sowie weitere Standorte weltweit. Dementsprechend wichtig ist es, den Gründungsgedanken, die Spiritualität der Arche zu bewahren und auch an die Freiwilligen weiterzugeben. Denn die Arche ist dafür bekannt, dass Freundschaften zwischen Kollegen und Menschen mit Behinderung entstehen dürfen, was dagegen in anderen Institutionen verboten ist. So entsprechend auch unsere Resonanz: „die Arche ist ähnlich wie eine Familie“. Leider konnte ich wegen der Sprachschwierigkeiten nur wenig verstehen, sodass ich rückblickend gerne das Seminar im Februar gewählt hätte, da viele internationale Freiwillige aufgrund des Sprachvermögens ebenfalls noch einige Monate warten, um letztlich einfach besser mitzukommen.

Irgendwann erreichte mich eine Nachricht von Linnéa, einer SoFiA-Freiwilligen im Norden Frankreichs, ob wir nicht im November/Dezember gemeinsam Urlaub nehmen wollen. Gesagt getan…Doch mit der Umsetzung fiel es uns dann doch nicht ganz so leicht. Zuvor hatte ich noch nie selbständig einen gesamten Urlaub geplant und wusste nicht wie zeitintensiv/stressig sowas ist. Es tat uns beiden aber in jedem Falle richtig gut einmal aus der Arche rauszukommen und 8 Tage an der Côte d’Azur bei herrlichem Wetter durchzuatmen.

Strand von Nizza
Wanderung an der Côte d’Azur

Leider konnte ich meine Motivation bezüglich meiner Ziele und Wünsche häufig nicht aufrechterhalten, sodass ich viel zu viel Zeit am Handy verbracht habe, lange aufgeblieben und  spät aufgestand bin, sich die Gedanken im Kreis gedreht haben und trotz des Wissens, falsch mit der Situation umzugehen, habe ich wenig dagegen gesteuert. Ich fand und finde es für mich persönlich einfach schwer einen Alltag nach der Arbeit zu finden, da man entweder morgens, mittags oder abends eine Pause von 3-4 Stunden hat, aber wenn man diese nicht richtig nutzt, geht die Zeit rasend schnell vorbei und man hat das Gefühl, neben der Arbeit nichts geschafft zu haben. Doch ich finde nicht den Zugang zu meiner damaligen Lernmotivation in der Schule, worin ich über Jahre immer meine Hauptmotivation gesehen habe. Dieser Stress fehlt mir jetzt und ich schaffe es nicht an meinem damaligen Pensum ranzukommen, weshalb ich das Gefühl habe mich gehen zu lassen….Es macht mich wütend, dass ich nur wenige Vokabeln lerne, wenig nach Studiengängen recherchiere oder bisher wenige Kontakte für die Freizeit aufgebaut habe, wodurch sich Unmut aufbaut und einfach wenig Motivation übrig bleibt.

Ho-Ho-Ho Weihnachten ist da

Weihnachtsmann in Hauterives

Auch hier in der Arche gibt es kleine Weihnachtstraditionen, um die Menschen ein wenig in Vorweihnachtsstimmung zubringen. Beispielsweise haben wir neben der Dekoration des gesamten Foyers einen echten Weihnachtsbaum geschmückt, sowie im Geheimen Zettel mit Namen gezogen. Die gezogene Person, war dann das eigene Christkind, dem man ab und an kleine Aufmerksamkeiten in die am Geländer aufgehängten Sockten gesteckt hat. Das konnten Wörter, Zeichnungen, etwas zum Essen sein oder was man sich sonst noch so ausgedacht hat. Am Ende folgte dann noch im Rahmen einer kleinen Feier mit der Fraternität die Überreichung der etwas größeren Weihnachtsgeschenke. Aber zuvor musste man erst einmal erraten wer einen als Christkind gezogen hatte und so endete die Runde mit einem netten Ratespiel.

Ebenfalls stand vor Weihnachten für mich die Frage im Raum, ob ich lieber nach Hause fahren will oder ob ich stattdessen in Frankreich bleibe. Keine so einfache Frage, aber da ich so starke Bedenken hatte bezüglich des erneuten Ankommens in Frankreich und den eventuell aufkommenden Zweifeln, wollte ich lieber eine erneute Unterbrechung vermeiden und habe mich gefreut als ich von Jeanne eingeladen wurde, mit ihrer Familie Weihnachten zu feiern. Mein Plan war dann am 25.12.21 den Zug nach Blois zur Jeannes Familie zunehmen und insgesamt 5 Tage dort zu bleiben und ansonsten über die Weihnachtszeit als Unterstützung in der Arche zu helfen. Nachdem mein Foyer am 23.12.21 schließlich für 2 Wochen geschlossen wurde, habe ich das Foyer „La Braise“ besser kennenlernen dürfen. Denn von Insgesamt 5 Foyers wurden 3 geschlossen, da nicht alle Bewohner nach Hause konnten oder weil sie teils keine näherstehenden Familienmitglieder mehr haben. Der Tag an Heiligabend verlief recht ruhig und es kam insgesamt nur sehr wenig Resonanz, die Messe zu besuchen. Zu viert sind wir in die bereits gefüllte Kirche eingetreten und zum ersten Mal keimte ein wenig Weihnachtsstimmung in mir auf. Zurück im Foyer gab es ein schlichtes, ruhiges Essen und nach dem gemeinsamen Singen, sind die meisten bereits zu Bett gegangen sind. An diesem etwas anders verlaufenden Heiligabend habe ich mich gefreut, meine Familie spätabends per Video zusehen und unsere Geschenke gemeinsam auszupacken.

Bei Jeanne angekommen war das Haus bereits mit vielen Menschen gefüllt, die sich auf ein Wiedertreffen gefreut hatten, sodass ich mich ein wenig abseits gefühlt habe. Nichtsdestotrotz genoss ich die Stimmung und den Trubel um mich herum. Den zweiten Weihnachtstag verbrachten wir mit Jeannes Vater bei seinen Freunden und in der etwas kleinen Runde wurde viel gesprochen und ich hatte mich richtig wohlgefühlt. Im Vergleich zu dem Weihnachtsfest was ich kannte, saßen wir immer recht auffallend lange am Tisch und das Essen hat uns über den ganzen Tag hinweg begleitet. Zum Beispiel wurde gegen 13 Uhr gebruncht und währenddessen die Mahlzeiten fürs Mittagessen vorbereitet. Zwischendurch ist man aufgestanden, suchte das Gespräch mit einer Person, hat Musik gespielt etc. und traf sich dann wieder in der Großrunde am Esstisch. So saßen wir dann noch bis 5 Uhr abends zusammen. Die restlichen Tage waren mit schönen Ausflügen gefüllt.

Mit dem Pferd die Umgebung erkunden
Zwei alte Freunde sehen sich wieder 🙂

 

 

 

 

 

 

 

 

Neuanfang: 

Ein neues noch ungeschriebenes Buch für das Jahr 2022 der Bandreihe „Lebensspuren“

Für das Jahr 2022 will ich aktiver werden, meine Motivation wiederfinden und nicht die Zeit vertrödeln. Jeden Tag versuche ich mich hier ein wenig wohler zu fühlen, sowie einen gesunden Tagesrhythmus zu finden. Momentan bin ich auf der Suche nach einem passenden Hobby und ab und an nehme ich beim Basketballtraining teil, wobei die Gruppe nicht wie erhofft aus Jugendlichen in meinem Alter besteht. Die Suche nach Jugendlichen, Studierenden ist in Hauterives eine (unmögliche) Herausforderung und man muss definitiv aktiv nach Möglichkeiten der Begegnung suchen, Leute ansprechen sowie Aktivitäten vorschlagen. Ein weiteres Ziel ist natürlich meine Sprachkenntnisse zu erweitern, weshalb ich ab und an mit einem Tandempartner Französisch lerne und ihm im Austausch Deutsch beibringe. Bevor ich in Frankreich angekommen bin, dachte ich, dass man automatisch die Sprache lernt, doch diese Vorstellung hat sich nicht bewahrheitet. Ich finde, es kommt sehr stark darauf an, wie die Arbeit gestaltet ist und was du in deiner Freizeit machst. Denn beispielsweise spreche ich eher wenig mit meinen Arbeitskollegen und mit den Bewohnern redet man häufig über ähnliche Themen. Da nun auch zwei deutsche Freiwillige da sind, wird ebenfalls unter uns recht viel Deutsch gesprochen und ansonsten sind die Abende eher ruhig. Das sind meine eigenen Erfahrungen, aber jeder geht mit ähnlichen Situationen anders um und erlebt sie anders. Also für eventuell zukünftige Freiwillige meines Projektes:

Zum Glück ist niemand gleich, sodass ihr meine Einsatzstelle und den Ort möglicherweise ganz anders wahrnehmt 🙂

Seminar zusammen mit den Freiwilligen aus Grenoble

Ebenfalls so um Neujahr rum gab es nochmal weitere Tagesseminare, die nun vermehrt auch im Austausch mit Grenoble stattfinden, da meine Arche teils nicht die Möglichkeiten hat eigene Seminare anzubieten, jedoch ein Austausch unter Freiwilligen anderer Archen gewünscht ist.

Wunderschöne Lage der Arche in Grenoble!

 

Dabei fällt es mir jedoch schwer, den aufkommenden Neid zu unterdrücken, da die anderen Archen häufig in einer großen Stadt gelegen sind, viele (internationale) Freiwillige aufnehmen und das Leben etwas aufregender, aktiver erscheint.

 

 

Veränderungen in der Arche

In meinem letzten Rundbrief habe ich bereits den Strukturwandel der Arche de la Vallée angesprochen, jedoch war mir damals nicht das Ausmaß der Veränderungen bekannt. Denn bereits seit 2 Jahren wird über notwendige Veränderungsmaßnahmen diskutiert, doch erst in den letzten Monaten wird es konkret. Den Mitarbeiter_innen wird nicht mehr entweder einen Atelier oder einen Foyer zugeeilt, sondern einen îlot (=kleine Insel). Ein îlot besteht aus einer 6-köpfigen Kollegenschaft, die sowohl für ein Atelier als auch für ein Foyer verantwortlich ist. Damit erhofft man sich, dem Arbeitskräftemangel an internen Personen entgegenzuwirken. Damit einhergehend werden die Teams neu gebildet und viele müssen ihr Atelier oder Foyer wechseln. Gefühle wie Wut und Unzufriedenheit bleiben dabei nicht aus und manche werden auch ganz ihren Arbeitsplatz aufgeben. Mein Foyer „La Chaumière“ nimmt zusätzlich eine 10te Person auf, wodurch sich auch das ein oder andere ändern wird. Für die Bewohner_innen bedeutet das, eine neue Person aufzunehmen und zuzulassen, dass sich das Gruppengefüge etwas ändern könnte. Ich dagegen muss aufgrund von  Zimmerknappheit in ein Studio ziehen. Mit gemischten Gefühlen sehe ich dem Wechsel entgegen.

 Zwei Kulturen kennenlernen

Das Schöne an einem Auslandsaufenthalt ist, dass man neben der anderen Kultur ebenfalls die eigene Kultur besser kennenlernt. Denn im Austausch gibt man natürlich auch etwas über seine eigene Nationalität preis, trägt dafür Verantwortung und wird mit eigenen/ anderen Vorurteilen konfrontiert. Beispielsweise veranlasst der Austausch über typische Getränke oder Gerichte, einen über die deutsche Küche nachzudenken oder was soll ich auf die Aussage, in Deutschland würden viele Nazis leben, antworten? Nicht selten führe ich Gespräche mit älteren Menschen über den 2 Weltkrieg, wobei ich jedes Mal beeindruckt bin, welche Aktualität dieses Thema hat! Bei einem sehr interessanten Gespräch mit zwei meiner Kolleg_innen kamen wir auf das Thema Sprache und welche große Auswirkung sie auf die Beziehung mit anderen Menschen hat. Wir identifizieren uns mit der eigenen Sprache, sie verrät unsere Nationalität und hat natürlich auch eine historische, funktionale Komponente. Alleine wenn ich mit meinen Mitfreiwilligen auf Deutsch rede, werden Umstehende wegen dem Klang der deutschen Sprache an den  2 Weltkrieg erinnert oder Bilder eines Films oder eigener Erlebnisse kommen auf. Meine Kollegin meinte, sie könne mich nicht Deutsch sprechen hören, ohne an den Krieg zu denken. Diese Aussage hat mich sehr getroffen.

Wiederum eine andere Person hat durch den Kontakt zu den deutschen Freiwilligen einen anderen Zugang zu der deutschen Sprache gefunden und empfindet sie weniger als hart, unmelodisch. Sogar ein paar deutsche Lieder konnten sie begeistern.

 Bald ist Halbzeit

Ja genau, bald ist schon Halbzeit. Mit den Gedanken daran kommen auch Fragen auf wie: „ Habe ich die Zeit richtig genutzt? “, „ Erfüllen sich meine Ziele? “, „ Sollte ich das Projekt wechseln? “. All das ist schwer zu beantworten, aber es zeigt, dass jeder seine eigenen Wünsche und Erwartungen an seinen Ausladsaufenthalt hat und ich bin froh, im baldigen Zwischenseminar darüber sprechen zu können.

Der Frühling ist da!

 

Euch allen wünsche ich eine erholsame Zeit und hoffe ihr konntet mit neuen wie alten Vorsätzen in das Jahr 2022 starten!

À bientôt  Myri