Das Auf und Ab im Freiwilligendienst
Labas, labas, liebe Rundbrief-Leser:innen!
Ich melde mich dann auch mal wieder aus dem (nicht ganz so hohen) Norden, wo es jetzt so laaangsam mal nach Frühling aussieht – viele Bäume sind aber immer noch kahl und frühlingshaft warm ist auch etwas anderes. Aber immerhin scheint jetzt schon wieder oft die Sonne. 🙂
In meinem Leben ist in den letzten Monaten mal wieder `ne ganze Menge passiert – einiges Gutes, aber auch einiges Schlechtes. Zum Beispiel habe ich in den vergangenen drei Monaten sechs Länder besucht, Litauen erkundet und viel Neues über die Ukraine, Litauen und den Krieg gelernt. Außerdem habe ich neue Erfahrungen im Gesundheitswesen gesammelt – allerdings leider als Patientin.
Wie es zu all dem kam, erfahrt ihr jetzt. 🙂
Freiheit nach Corona – oder etwa doch nicht??
Natürlich ist Corona auch nicht an mir vorbeigegangen: Mich hat es während der letzten große Coronawelle in Litauen im Januar erwischt. Dabei saß ich leider gefühlte Ewigkeiten in meiner Wohnung fest, weil meine Schnelltests partout nicht negativ werden wollten…
Dementsprechend erleichtert war ich, als ich endlich wieder meine Wohnung verlassen, meine Freund:innen treffen und zur Arbeit gehen konnte. Als zwei meiner Freundinnen mir anboten, zusammen mit ihnen für einige Tage nach Riga zu fahren, nahm ich das Angebot freudig an und verbrachte zweieinhalb Tage in der Hauptstadt Lettlands. Riga ist wirklich eine sehr schöne Stadt. Am besten hat mir allerdings das Meer gefallen: Am ersten Abend sind wir kurzerhand an den Strand gefahren und haben uns den Sonnenuntergang angeschaut.
Nach meiner Rückkehr nach Kaunas ging meine Pechsträhne aber leider weiter: Ich verletzte mich beim Karate-Training am Fuß und habe seitdem blöderweise Schmerzen im linken Bein, was mich ehrlich gesagt unglaublich nervt, weil ich nun seit Monaten auf vieles verzichten muss. Ich hoffe, dass sich mein Gesundheitszustand bald verbessern wird, damit ich meine Zeit hier wieder mehr genießen kann.
Slava Ukraini!
Kurz nach meiner Rückkehr aus Lettland geschah mitten in Europa das Unvorstellbare: Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Am Tag selbst habe ich von der ganzen Sache noch wenig mitbekommen, denn ich war auf der Arbeit und habe Eins-zu-eins-Betreuung gemacht, konnte also nicht auf mein Handy schauen.
Die Ausmaße des Ganzen wurde mir erst am Abend bewusst, als ich gemeinsam mit meinen Freund:innen zu einer von Kaunas2022 organisierten Solidaritätsbekundung gegangen bin. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Ich verstehe es immer noch nicht. Warum kann ein Mensch so etwas Schreckliches tun? Woher nimmt er sich das Recht, solche Gräueltaten zu verbringen?
Die nächsten Tage habe ich wie in einem Nebel erlebt. Mir wurde bewusst: Der Krieg ist nah. Sehr nah. Ich habe hier Freund:innen aus der Ukraine, deren Land gerade verwüstet wird.
Auch die Menschen hier haben natürlich Angst vor einer russischen Invasion. Momentan gibt es zwar keine akute Bedrohung, aber man kennt hier aufgrund der historischen Erfahrungen der Sowjetunion die Verhaltensweisen Russlands gut. Zum Glück ist Litauen mittlerweile in der NATO, jedoch lohnt es sich, auf Litauen und die anderen baltischen Staaten in Sachen Russland zu hören und ihre Warnungen ernst zu nehmen (zum Beispiel beim Gas wäre das eine gute Idee gewesen: Litauen hat schon vor Jahren angefangen, ein Flüssiggasterminal zu bauen, um von russischem Gas unabhängig zu sein, was es mittlerweile auch ist – als erster EU-Staat).
Litauen und die Litauer:innen zeigen eine unglaubliche Hilfsbereitschaft und Solidarität mit der Ukraine, sowohl im politischen als auch im humanitären Sinne. Wohin man in Kaunas auch blickt, überall hängen ukrainische Flaggen und Spendenaufrufe für die ukrainische Armee. Wenn man möchte, kann man fast jeden Tag zu Pro-Ukraine-Events gehen. Mittlerweile sind auch viele ukrainische Flüchtende in Litauen angekommen, wenn auch nicht ganz so viele wie in Deutschland. In Kolping existiert seit einigen Wochen eine ukrainische Vorschule, in der ukrainische Kinder die Möglichkeit haben, ganz normal zur Schule zu gehen. Ich finde die Idee absolut klasse!
Hilfe, Halbzeit!
Nun zu einem etwas erfreulicherem Thema (obwohl, ich finde es ehrlich gesagt erschreckend, dass mittlerweile schon drei Viertel meines Dienstes vorbei sind): Zwischenseminar in Rumänien.
Ich habe mich sehr gefreut, als wir die Zusage bekommen haben, dass das Seminar tatsächlich in Präsenz stattfindet wird – ich habe ehrlich gesagt schon fast nicht mehr dran geglaubt.
Also ging es für Lena und mich auf nach Rumänien – allerdings mit Bus und Bahn, was vor allem vor dem Hintergrund der großen Flüchtlingswelle aus der Ukraine relativ abenteuerlich war. Da die Situation vor Ort an den Bahnhöfen aber doch deutlich geordneter war, als ich dachte, war die Reise nicht so chaotisch, wie erwartet, sondern vor allem eins: Lang. Mit Hin- und Rückweg waren wir insgesamt 65 Stunden unterwegs – meine allerlängste Reise bisher.
Hier einmal ein kurzer Überblick über unsere Route: Wir sind freitags um ein Uhr nachts in Kaunas losgefahren. Um acht Uhr morgens ging es dann in Warschau weiter – 14 Stunden mit dem Zug nach Budapest. Dort kamen wir dann irgendwann um Mitternacht an, um eine Stunde später in den Zug nach Sighișoara zu steigen. Zwölfeinhalb Stunden und vier nächtlichen Passkontrollen (!!!) später kamen wir endlich in Sighișoara an – Hallelujah!
Das Seminar war die lange Anreise aber vollkommen wert! Es war einfach schön, endlich mal wieder die anderen SoFiA-Freiwilligen wiederzusehen nach so langer Zeit. Aber auch inhaltlich war das Seminar top. Für mich war vor allem die Erkenntnis wichtig, dass mein letztes halbes Jahr einfach zu krass war und ich mich absolut überfordert habe, da ich tausend Sachen gleichzeitig gemacht habe. Daran muss ich dringend arbeiten.
Aber ich habe auch gelernt, dass der Krieg in der Ukraine für Litauen, die Litauer:innen und damit auch für mich noch mal eine andere Dimension hat als für Menschen in Frankreich, Deutschland oder Rumänien. Anscheinend ist der Krieg in Litauen ein größeres und alltagsbestimmenderes Thema als in diesen Ländern (wobei es mich vor allem bei Rumänien aufgrund der geografischen Nähe ziemlich verwundert).
Außerdem haben wir auf einer Wanderung beinahe einen Bären gesehen!
Auf dem Rückweg haben wir noch einen Zwischenstopp in Budapest eingelegt und ich muss sagen, ich habe mich augenblicklich in diese Stadt verliebt. Wunderschön!
Außerdem hatten wir so die Möglichkeit, unsere Freundin Indy wiederzusehen, die wir im August in Kaunas kennengelernt haben und die in Budapest studiert. Sie hat uns den ganzen Tag lang in der Stadt herumgeführt und hat uns unter anderem eine super coole Bar, die Budapester Burg, die Fischerbastei und ein laotisches Restaurant gezeigt (Indy kommt nämlich aus Laos). Super lecker!
Tėvai – Eltern
Im April war es dann soweit – ich habe Besuch bekommen, und zwar von meinen geschätzten Eltern. Ich habe ihnen sowohl meine neue geliebte Heimatstadt Kaunas gezeigt, als auch zwei Touri-Musts: Der Kurort Druskininkai in der Nähe der belarussischen Grenze und Trakai, eine der früheren Hauptstädte Litauens (Trakai war die Hauptstadt Litauens, bevor es Vilnius irgendwann im Mittelalter wurde). Dort haben wir eine Fahrradtour und eine Bootstour gemacht, unzählige Fotos geschossen und ich habe in Trakai eine neue Freundin gefunden (siehe Bild).
Außerdem haben wir gemeinsam Ostern gefeiert, allerdings auf deutsche Art und Weise mit Ostereiersuche und Eierditschen.
So, das wär’s dann auch schon wieder! Ich hoffe, ihr bleibt alle gesund und munter,
Iki,
Judith.