Bolivien: 1. Rundbrief von Julia Ecarius

Von 121 Höhenmetern auf über 4000 Metern

Als ich vor fast drei Monaten mit meinem Gepäck am Flughafen stand, dachte ich, ich hätte einen genauen Plan was mich erwartet, wie mein Projekt sein würde, wie es mir erginge. Aber wie war es dann tatsächlich? Nein, ich wusste fast gar nichts, und egal wie gut wir vorbereitet wurden, wie oft ich mit Vorfreiwilligen kommuniziert oder mit den Leuten vor Ort geredet habe. Niemand kann dir sagen, wie es wirklich ist. Und so kann ich dir zwar in diesem Rundbrief einen Einblick geben, aber das Bild was du dir machst, sieht in Wirklichkeit ganz anders aus, weil es unheimlich schwierig ist, all das zu beschrieben, was ich erlebe.

Abschied vom Flughafen

Nach einem sehr langen Flug mit wenig Schlaf landeten wir, die anderen Freiwilligen und ich in El Alto, dem Flughafen von La Paz, auf über 4000 Meter Höhe über dem Meeresspiegel. Hier wurden wir von Isabel und Marcus, unseren Ansprechpartnern vor Ort abgeholt und fuhren nach La Paz, der Stadt, die für die nächsten 5 Wochen mein Zuhause sein sollte.

La Paz

La Paz – Einführungswoche

Die erste Woche hatten wir zusammen mit den anderen SoFiA Freiwilligen aus Trier und Freiwilligen aus dem Bistum Hildesheim eine Einführungswoche, und so bezogen wir unsere Zimmer bei den Ordensschwestern, bei denen wir in dieser Zeit leben sollten. Die nächsten zwei Tage lernten wir die Hermandad, unsere Patnerorganisation kennen und auch vieles, was uns im Alltag nützlich ist. Und erkundeten natürlich auch La Paz. La Paz liegt „nur“ auf 3600 m Höhe, mit der Seilbahn kann man fast die ganze Stadt und auch das Stadtteil El Alto erkunden. Die beste Route, die einen tollen Blick auf bunte Häuser bot, fuhren wir gleich am zweiten Tag. Und ich wusste direkt, dass dies nicht das letzte Mal sein würde. Denn kaum sind wir mit der gelben Linie hoch nach El Alto gefahren, kann man erkennen, dass sich das Stadtteil über eine Riesenfläche erstreckt, schaust du anschließend nach rechts, siehst du im Tal La Paz, von einem wunderschönen Sonnenuntergang in warme Farben getaucht.

 Abends war ich sehr müde, dachte aber, dies käme vom Flug, der Zeitverschiebung und der ungewohnten Höhe, so dass ich ins Bett fiel und mich freute, da am nächsten Tag schließlich mein Geburtstag war.

Noch vor dem Frühstück bekam prompt ich mein erstes Geburtstagsgeschenk, einen positiven Corona Test. Und so verbrachte ich die nächsten Tage in meinem Zimmer, in Quarantäne.

Ausblick aus der Teleferico (Seilbahn) auf La Paz

La Paz- Gastfamilie und Sprachkurs

Nachdem ich Sonntag endlich negativ war und mit meiner Mentorin zum Essen ausgehen konnte, zog ich Montag zu meiner Gastfamilie. Ramiro, mein Gastvater und Eva, meine Gastmutter wohnen zusammen mit ihren Kindern, Alis und Dana in der Nähe des Cementerios (Friedhof) in La Paz. Mit meiner Gastfamilie hatte/ habe ich mega viel Glück, da wir in den folgenden Wochen immer viel unternahmen.

Montag bis Freitag (außer Mittwoch) hatte ich morgens von 9.00-12.00 3 Stunden Sprachkurs. Da dieser am anderen Ende der Stadt war, musste ich jeden Morgen eine Stunde Mini Bus fahren und gleich am ersten Morgen allein. Bus fahren ist hier ganz anders, anstatt an Haltestellen zu warten und den Fahrplan zu studieren, winkt man hier einfach dem Busfahrer und die Busse halten an. Um auszusteigen, sagt man einfach „Quiero bajar -ich will aussteigen“ oder „próxima esquina, por favor – an der Ecke bitte.” Nachdem ich meine ersten Busfahrten überstanden hatte, gewöhnte ich mich sehr schnell daran und es klappte bis auf ein paar Ausnahmen, in denen sich der Fahrer überlegte, dass es sich für eine Person nicht lohnen würde weiterzufahren, sehr gut.

Auch ist das Leben auf der Straße ganz anders als in Deutschland: Ampeln gibt es zwar, aber oft fährt einfach der, der am schnellsten ist oder am lautesten hupen kann. Auch findet viel Leben auf der Straße statt, so sieht man rechts und links von der Straße kleine Stände für alles mögliche,: Essen, Kleidung etc. Und man hat das Gefühl, es ist immer was los. Wenn ich vom Sprachkurs nachhause kam, hatte meine Gastmutter Eva schon lecker gekocht, oft gab es traditionelle Gerichte und frisch gepressten Saft. Meine Nachmittage verbrachte ich entweder zusammen mit meinen Gastschwestern, die mir sehr viel zeigten und mit denen ich mich total gut verstand oder ich erkundete mit Eva, einer anderen SoFiA-Freiwilligen, die mit mir den Sprachkurs besuchte, die Stadt. Wir besuchten den einen oder anderen Aussichtspunkt, Museen, den Cementerio (Friedhof) oder ein Stadtviertel von La Paz, in dem alle Häuser bunt angemalt waren. Nach einem Tee mit Brot, was hier das Abendessen ist, schaute ich entweder mit meinen Gastschwestern einen Film oder wir veranstalten mit der ganzen Familie einen Spieleabend. Oh ja, ganz vergessen, normalerweise machte ich auch meine Hausaufgaben. Und so schnell gewöhnte ich mich an mein neues Zuhause, die chaotische Stadt und den rasanten Verkehr. Auch besuchten wir einige Male Isabel und Marcus, die uns immer herzlich aufnahmen und mit uns zu Mittag aßen.

Meine Lieblingsplätze in La Paz

Mittwochs hatten wir keinen Sprachkurs und so unternahmen Eva und ich Ausflüge ins Valle de Luna, nach Tiwanaku und wir besuchten Evas Projekt in Patacamaya. An den Wochenden spielenten wir Volleyball, unternahmen Ausflüge in La Paz und besuchten Familie. Auch waren wir fast jeden Sonntag in El Alto auf dem Markt, dieser ist so groß wie mehrere Fußballfelder und man bekommt hier wirklich alles. Natürlich konnte ich mir nicht verkneifen, mir das ein oder andere Mal Mandarinen- oder Orangensaft in der Stadt zu holen.

Unsere Ausflüge (Rechts und Links Valle de Luna mit Eva, in der Mitte der Aussichtspunkt Killi Killi in La Paz)

Und so schnell ging die Zeit dann auch leider um, und ich kann sagen, dass mir La Paz und vorallem die Menschen, die ich hier kennenlernen durfte, sehr ans Herz gewachsen sind. Denn ich wusste nun Bescheid über so wichtige Dinge wie, wo der Bus fährt, wo ich mir Saft kaufen konnte, wie man Geld abhebt, und, und, und. Nach einem letzten Abendessen ging es für mich an den Busbahnhof, und von dort trat ich die Reise in mein Projekt in Potosi an.


Potosí

Potosí ist vorallem eins: hoch. Über 4000 Meter. Durch die Höhe ist es meist recht kalt und ich gehe in Winterjacke zur Arbeit, allerdings scheint fast jeden Tag die Sonne und der Himmel ist blau. Aber nachmittags kann es auch schon schön warm werden, immerhin sind wir ja in den inneren Tropen. An manchen Tagen kommt mir die Stadt riesig vor, an anderen wie ein kleines Dorf. Potosi besitzt über 30 Kirchen und die Plaza Central ist schon zu einem meiner Lieblingsorte geworden. Besonders bekannt ist die Stadt für ihre Rohstoffe, da im Cerro Rico, dem Berg, den man von allen Teilen der Stadt sehen kann, viel Silber und Zinn abgebaut wurde. Und so liegen auch rund um die Stadt viele Minen, die immer noch in Betrieb sind.

Meine Lieblingsplätze in Potosí

Mein Leben im Projekt

Seit 2 Monaten wohne und arbeite ich nun in meinem Projekt, im Colegio Virigen de Copacabana, das sowohl Kinder in der Primaria (Grundschule) als auch der Secundaria (weiterführende Schule) unterrichtet. Die beiden teilen sich ein Schulgebäude, so ist der Kindergarten, der direkt ans Schulgebäude anschließt, und die Primaria morgens geöffnet, während die weiterführende Schule nachmittags stattfindet. Ich glaube, ich bin einer der wenigen Menschen, der sagen kann, dass er in einer Schule wohnt, denn im unteren Teil des Schulgebäudes befindet sich mein Zimmer mit einem Bad und dazu noch einer Küche, in der ich mir nach der Schule etwas zu essen kochen kann.

Mein Tag beginnt um 7:15, okay sind wir ehrlich, nach der ersten Woche habe ich gekonnt, trotz zweier Wecker, bis halb weitergeschlafen und mich meistens dazu entschieden, das Frühstück auszulassen. Um kurz vor 8:00 laufe ich schnell zum Klassenraum, der kurze Weg ist definitiv als ein Vorteil in der Schule zu sehen. Es erfüllt mich jedesmal mit Glück, wenn ich die Kleinen sehe, denn ich bekomme immer so viele Umarmungen und die Kinder freuen sich sehr über meine Anwesenheit. Den Vormittag bis 12:20 findet die Primaria statt, hier unterstütze ich die Leher*innen in der ersten Klasse. So schneide ich Bilder aus, spitze Stifte, repariere Hefte, korrigiere Hefteinträge, helfe den Kindern, die etwas mehr Zeit brauchen, kläre Streitigkeiten, tröste, und zeichne Bilder in die Hefte. Unterrichtet werden die Kinder fast ausschließlich von ihrer Klassenlehrerin. Nur für Religion, Sport und Gastronomia (Kochen) gibt es andere Lehrer. Gastronomia gefällt mir besonders gut, während die Kleinen einfache Rezepte wie Nachtisch aus Jogurt, Keksen und Bananen zubereiten, backen die Kinder der Secundaria, Donuts oder kochen traditionelle Gerichte.

Gastronomia in der ersten Klasse

Mittags esse ich bei den Schwestern, sie arbeiten sowohl hier in der Gemeinde, als auch in den umliegenden Schulen. So durfte ich auch schon viele traditionelle Gerichte kennenlernen. Nach dem Mittagessen mit den Schwestern, geht es für mich zurück in die Schule. Nachmittags arbeite ich im Sekretariat, hier habe ich meist nicht so viel zu tun. Meine Aufgaben sind die Schulklingel zu bedienen, den Kindern Tabletten, Masken und andere Dinge auszugeben, Computer oder Beamer zu verleihen und Licencias (Krankmeldungen) in die Klassen zu bringen. 

Manchmal darf ich auch im Sportunterricht (Vollleyball) mitmachen oder ich schaue mir an, wie die Schülerinnen traditionelle Tänze einüben. Nach einem langen Tag endet die Arbeit gegen 18.30/19.00 und ich mache mir noch ein Spiegelei in meiner Küche und gehe in mein Zimmer. Einmal die Woche gehen wir nach der Arbeit zusammen mit der Schwester und Domi, der Sekretärin, essen, oder wir trinken zusammen mit der Schulsozialarbeiterin und den anderen Sekretärinnen Tee in meiner Küche.

Jeden Montag Morgen findet eine sogenannte Morgenandacht, „una oración de mañana“, statt, die jeden Tag von einer anderen Klasse vorbereitet wir. Hier wird gebetet, es gibt eine Einführung zu den besonderen Tagen in der Woche, sowie ein Schauspiel dazu und am Ende einen “Marsch” in die Klasse.

Irgendwie ist immer was los, ob in der Schule oder in der Stadt. So gibt es jede Woche mindestens einen besonderen Tag, Tag des Baumes, Tag der Milch oder Tag der bolivianischen Frau. Auch waren in der letzten Zeit viele Schuljubiläen hier in der Stadt.

Diese werden mit einem großem Schulfest gefeiert und es gibt Umzüge, Tanzgruppen begleitet von mehreren Musikkapellen, ähnlich wie bei einem Weinfest. Da unsere Schule im Zentrum liegt, gehen die Umzüge meistens hier vorbei und man hört die Musik schon von weitem. Bereits in meiner ersten richtigen Woche fand der „día de los estudiantes“ (Tag der Schüler*innen) statt, der mit einer Inter taínas Show statt Unterricht und vielen Leckereien, wie Eis, gefeiert, wurde. Auch ich durfte mich als Clown mit den anderen Lehrern*innen zum Affen machen. Eis gibt es, obwohl es relativ kalt ist, eigentlich fast jeden Tag.

Meine Wochenenden verbringe ich entweder in der Stadt, auf dem Markt, oder mache Ausflüge. So war ich mit Andrea, einer Bolivianerin, die etwas älter als ich ist, und ihren Freunden in einem mega schönen Flusstal.

Ausflug ins Flusstal

Sonntags vor dem Gottesdienst findet für die 9–14-Jährigen die sogenannte Feria statt, hier lernen sie alles über die Kirche und den Glauben, machen aber auch Ausflüge in die Natur, an denen ich ebenfalls teilnehmen durfte. So fuhren wir früh morgens mit dem Bus los. Auf dem Weg wurden bereits Lieder gesungen- und als wir dann bei einem Wasserfall ankamen, spielten wir die üblichen Spiele, wie zum Beispiel Sackhüpfen, die man auch von Deutschland kennt, aßen dort zu Mittag und machten uns anschließend gestärkt auf den Weg. Wir kletterten eine Treppe an einem Rohr hoch, um oben den Fluß zu entdecken, in dem wir uns abkühlten und in den der eine oder andere leider reinfiel. Dank des guten Wetters war das aber auch nur halb so schlimm. Zurück ging es entlang des Baches den Berg runter und wir vertrieben uns die Zeit damit, „Ich sehe was, was du nicht siehst“ zu spielen. Unten angekommen packten wir unsere Sachen und es ging zu einem Milchhof, wo es für jeden Eis gab, bis wir uns schließlich auf den Rückweg machten.

Ausflüge in der Umgebung von Potosí

Viel zu schnell vergeht die Zeit und bald sind auch schon Ferien.

Ich freue mich schon, euch von meinen weiteren Erlebnissen berichten.

Tschau Kakao

Julia