Bolivien: 1. Rundbrief von Eva Theisen

Von St. Martinus Lay nach Corazon de Jesus (Herz Jesu) in Patacamaya

Buenos dias!

Mein Name ist Eva Theisen. Ich bin 18 Jahre alt und habe im Juli 2022 meine schulische Laufbahn beendet. Einen Monat später habe ich mein freiwilliges soziales Jahr mit SoFiA e.V. in Patacamaya in Bolivien gestartet.

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Der Wunsch, ein freiwilliges soziales Jahr zu absolvieren, entstand im Alter von acht Jahren, als mir ein ehemaliger Freiwilliger auf der Ferienfreizeit in Ameland von seinen Erfahrungen berichtete. Mit den Jahren wurde aus der Absicht Gewissheit und zehn Jahre später ging es dann endlich los. Die Vorbereitung für das freiwillige soziale Jahr startete im November 2021 mit 13 Freiwilligen. Im Dezember kam dann die Zusage für den Freiwilligendienst in Bolivien. In den folgenden Monaten bis zu unserer Ausreise wurden wir in Seminaren auf unseren Auslandsaufenthalt vorbereitet. Dabei lernte ich neue Leute kennen, die heute meine Freunde sind. Im Juli 2022 beendeten wir unsere Vorbereitungszeit mit einem Abschiedsgottesdienst in Trier. Dann begannen auch schon die letzten Wochen in Deutschland. Die Zeit nutze ich, um die letzten Vorbereitungen abzuschließen und mich von meiner Familie und Freunden zu verabschieden.

In diesem Rundbrief möchte ich meine ersten Eindrücke und Erlebnisse mit euch teilen.

Am 14.08.2022 ging die Reise dann los. Mit mir haben noch drei weitere SoFiA-Freiwillige aus dem Bistum Trier und drei Freiwillige des Bistum Hildesheim ihren Dienst in Bolivien angetreten. Zusammen sind wir am Frankfurter Flughafen gestartet, um 19:11 Uhr ging der Flieger nach Madrid, anschließend über den Atlantischen Ozean zum anderen Kontinent nach Santa Cruz, Bolivien. Montags morgens (bolivianischer Zeit) begann die letzte Etappe zum Ziel La Paz, dem Sitz der bolivianischen Regierung.

Der erste Eindruck von LaPaz

Am Flughafen angekommen wurden wir von Mitgliedern der Hermandad, die Partnerorganisation in Bolvien für Freiwilligendienste, feierlich empfangen.

Auf der Taxifahrt zu unserer Unterkunft merkte ich schon, dass Straßenverkehr in Bolivien etwas anders ist, als wir es gewohnt sind. Mit der Zeit kamen viele Unterschiede zwischen dem Leben in Bolivien und Deutschland zu Tage. In der ersten Woche lebten wir zusammen in einem Kloster. Anfangs machte mir die Höhenlage zu schaffen. Koblenz liegt auf einer Höhe von ca. 80 m, La Paz auf einer von 3.200 m. Der Unterschied war durch Kopfschmerzen, Übelkeit und Atemprobleme spürbar. Die Hermandad bereitete uns in Seminaren auf das Leben in Bolivien vor. Uns wurde die bolivianische Kultur näher gebracht. Wir lernten, worauf wir achten sollten und bekamen Informationen über unsere Projekte. Wir beantragten die Visa und schlossen Mobilfunkverträge ab. Wir lernten die bolivianischen Freiwilligen kennen, die im Februar 2023 für ein Jahr nach Deutschland zum Freiwilligendienst kommen werden. Wir hatten auch Zeit, La Paz zu erkunden, überwiegend mit der Seilbahn, die dort eines der Hauptverkehrsmittel ist. La Paz liegt in einem Tal. Mit der Seilbahn werden die höher gelegenen Stadtteile erreicht. Mit dieser haben wir uns die Stadt von oben angeschaut.

Aussichtsplattform „KilliKilli“ La Paz
Deutsche Freiwillige in La Paz

Zu Fuß haben wir Teile der Innenstadt und den großen Markt in El Alto erkundet, bei dem es von Autoreifen über Kleidung, Tiere und Lebensmittel alles zu kaufen gibt. La Paz ist eine sehr vielfältige Stadt. Es gibt viele Denkmäler, kleine Parks, Aussichtsplattformen und bemalte Gebäude. Der Straßenverkehr wird von Leuten verkleidet als Zebras geregelt, die Müllabfuhr hat ihre eigene Musik. Leider gibt es auch in La Paz Menschen in Armut.

Als schlimm empfand ich persönlich die Straßenhunde und die Verschmutzung mit Müll.

An unserem ersten Wochenende in Bolivien teilten wir uns in die verschiedenen Städte, in der Nähe unserer Projekte auf. Dort absolvierten wir in den nächsten Wochen einen Sprachkurs. Julia, eine SoFiA-Freiwillige und ich blieben in La Paz. Wir lebten in unterschiedlichen Gastfamilien. Dort wohnten wir drei Wochen und besuchten den Sprachkurs. Unsere Freizeit nutzen wir, um La Paz zu erkunden. Wir haben uns viele Märkte angeschaut und die Aussichtsplattformen besucht. Zusammen mit einer Frau aus Darmstadt, die wir zufällig kennen gelernt hatten, waren wir in der „Valle de la Luna“ (Tal des Monds) wandern. Angeblich soll Neil Armstrong schon dort gewesen sein und meinte, es sehe so aus wie auf dem Mond. In Tiwanaku haben wir uns mit verschiedenen Menschen aus der ganzen Welt mit der Inkakultur beschäftigt. Es war faszinierend zu erfahren, welche fortschrittliche Kultur und Bauwerke die Inka hatten.

Valle de la Luna
Tiwanaku

Da mein Projekt in der Nähe von La Paz liegt, hat meine Mentorin organisiert, dass ich es schon vorher besuchen konnte. An einem freiem Tag bin ich mit Julia und in Begleitung des Koordinators der Jugendarbeit im Bistum Julio (später mein „Bruder“, dazu komme ich noch) nach Patacamaya gefahren. Dort haben wir uns mit meiner Mentorin mein Projekt und mein Zimmer angeschaut. Dazu habe ich den Bischof Pascual Limachi kennengelernt.

In La Paz gibt es einmal im Jahr einen autofreien Sonntag. An diesem Tag dürfen keine Autos, Busse usw. fahren. Diesen Tag hatte ich genutzt, um mir die Stadt zu Fuß anzuschauen. Also bin ich drei Stunden von meinem Zuhause in die Innenstadt gelaufen. Dabei habe ich die Stadt nochmal ganz anders kennengelernt.

Spaziergang ins Zentrum von La Paz

Ich habe viel Zeit mit meiner Gastfamilie verbracht, die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Durch sie habe ich viel über die Kultur und die Lebensweise gelernt, auch, wie man bolivianisches Essen zubereitet. Mit meiner Gastmutter habe ich viel Zeit verbracht. Wir haben viel geredet und zusammen gekocht. Mein Gastbruder hat mir bolivianische Musik näher gebracht und wir haben uns zusammen Filme angeschaut. Mein Gastvater war ganz glücklich, als ich erzählt habe, dass ich gerne Fußballspiele sehe. Zusammen haben wir uns dann die Fußballspiele angeschaut.

Meine Gastfamilie in La Paz

Am 18.09.2022 musste ich mich von meiner Gastfamilie erst mal verabschieden. Der Abschied ist mir nicht leicht gefallen. Für mich ist die Familie meine bolivianische Familie. Am Nachmittag wurde ich abgeholt und es ging in meinen neuen Wohnort. Der liegt in der Stadt Patacamaya, ungefähr 1,5 Stunden von La Paz entfernt auf einer Höhe von ca. 3.800 m, mit einer Durchschnittstemperatur von 7°C. Die Stadt hat ca. 22.000 Einwohner.

Patacamaya

Als ich ankam gab es einen großen Empfang. Nach einem feierlichen Gottesdienst gab es ein Willkommensfest mit vielen Reden, von dem hiesigen Bischof, den Padres, Vertretern der Gemeinde, der Schülervertretung, der Jungendpastoral und den Ordensschwestern. Danach kam der gesellige Teil. Es gab ganz traditionell Pizza und Chips. Im Anschluss wurden viele der traditionellen Tänze aufgeführt. Dazu gehört Tinku. Natürlich habe ich dabei fleißig mitgetanzt, auch die Ordensschwestern, die Padres … alle! Und das alles nur meinetwegen, es war überwältigend. Mit einem so herzlichen Empfang hatte ich nicht gerechnet.

Gottesdienst mit dem Monseñor Pascual Limachi

Am nächsten Tag hatte ich frei. Die Zeit habe ich genutzt, um mein Zimmer einzurichten. Es befindet sich in einer Art Jugendherberge auf dem Schulgelände. Das Gebäude hat keine Küche und in den ersten Wochen hatte ich kein WLAN. Deshalb lebe ich so halb bei den Ordensschwestern. Am nächsten Tag ging es dann zum ersten mal in mein Projekt „Comedor“. Es wird von einer der Schwestern geleitet. Schüler haben dort die Möglichkeit, mittags zu essen und Unterstützung bei ihren Hausaufgaben zu bekommen. Sie können Spiele spielen, basteln und Zeit mit Freunden verbringen. Viele Eltern der Kinder und Jugendlichen müssen sehr viel und lange arbeiten und sie können ihre Kinder nicht betreuen und/oder bei ihren schulischen Arbeiten unterstützen. Der Comedor soll gegen die fehlende Unterstützung helfen. Zurzeit besuchen etwa 90 Schüler und Schülerinnen den Comedor.

Meine Hauptaufgabe ist, dort mit den Kindern zu spielen und ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen. Zudem bringe ich alten und kranken Menschen Essen, da es ihnen nicht möglich ist, sich selbst zu versorgen. Daneben gehören weitere Tätigkeiten wie Gemüse schneiden, putzen, spülen und Gartenarbeit zu meinen täglichen Aufgaben. Mein persönlicher Favorit auf dem Gelände meines Projekts ist das Gewächshaus. Dort wird Gemüse angebaut, damit kann sich der Comedor ein wenig selbst versorgen.

Erbsen schälen mit den Kindern
UNO spielen
Hausaufgaben erledigen

In meiner ersten Woche, am 21. September, fand der „dia del estudiante“ statt. Ein Feiertag für die Schüler/innen und Student/innen. An dem Tag gab es in einer der Schulen einen festlichen Ball. Ich hatte die Ehre, der Jury für die Wahl der Ballkönigin und des Ballkönigs anzugehören.

„Dia del estudiante“
Ehrung der Teilnehmer

An meinem ersten Wochenende in Patacamaya musste ich dann zum ersten Mal meine Wäsche mit der Hand waschen. In La Paz hatte ich noch eine Waschmaschine, allerdings gibt es in den ländlichen Regionen selten Waschmaschinen, sodass man hier von Hand wäscht. Es ist definitiv nicht meine Lieblingsarbeit, aber ich gewöhne mich dran. Genauso wenig gibt es hier Spülmaschinen, deshalb wird das Geschirr ebenso von Hand gespült.

Mir ist der Start in Patacamaya allerdings sehr schwer gefallen. Wie viele Ausländer hatte ich eine Infektion. Dadurch ging es mir lange Zeit gesundheitlich nicht gut. Da sich keine Besserung abzeichnete, hatten wir uns nach zehn Tagen entschieden, dass ich wieder zurück nach La Paz in meine Gastfamilie fahre. Dort konnte ich im Krankenhaus untersucht und behandelt werden. Als diagnostiziert wurde, dass ich eine bakterielle Infektion und eine Entzündung im Bauch hatte, war ich erst mal erleichtert, da es endlich eine Diagnose gab und mit Medikamenten eine schnelle Heilung in Sicht war. In den nächsten Tagen habe ich viele Medikamente eingenommen und mich strikt an meinen Ernährungsplan gehalten (keine Milchprodukte, keine Gewürze, kein Ei, kein ungekochtes Gemüse). Dadurch ging es mir schnell wieder besser und ich konnte wieder zurück nach Patacamaya und in mein Projekt. Ich bin mir bewusst, dass ich privilegiert war, da ich über SoFiA krankenversichert bin. In Bolivien gibt es keine gesetzliche Krankenversicherung. Wer die Behandlung nicht bezahlen kann, wie sehr viele Bolivianer, kann nur auf die Selbstheilung hoffen.

Krankenhausbesuch

Bald konnte ich meine erste Reise in Bolivien antreten, ein Wochenende am höchsten See der Erde, dem Titicaca-See. Mit drei anderen Freiwilligen bin ich mit dem Bus an die Copacabana (nicht zu verwechseln mit der in Brasilien) gefahren. Dort haben wir zu Mittag gegessen und uns die Stadt angeschaut. Am Nachmittag ging es dann mit einem Boot an die „Isla del Sol“. Dort haben wir auch übernachtet. Auf der Insel gibt es keine Autos und keine Laternen. Es war sehr ruhig und wir konnten den Sternenhimmel bestaunen. Am nächsten Tag sind wir auf der Insel gewandert und machten uns auf den Rückweg, mit einem kleinen Abstecher nach Peru.

Lago Ticitaca
Isla del sol

In den nächsten Wochen ging mein Leben in Patacamya richtig los. Ich habe viel im Projekt gearbeitet und mich eingelebt. Auch die gewünschten Gottesdienste habe ich besucht. An meinen Wochenende gibt es immer Programm. Ich habe mir meinen neuen Wohnort mit dem großen Markt angeschaut. Dort kann man alles kaufen vom Autoreifen bis zur Zitrone. Auch habe ich viele der umliegenden Kirchen besichtigt, wie Sica Sica, Calamarca, St. Martin und Quime. Die Padres haben mich zu mehreren Erstkommunionsfeiern und Firmungen mit genommen, einmal wurde ich sogar Firmpatin.

Kirche in Sica Sica
Auf dem Weg nach Quime
St.Martin

Im Oktober gab es ein Treffen der Jugendpastoral aus ganz Bolivien in Patacamaya. Dort habe ich viel über die Jugendarbeit erfahren und konnte viele Kontakte knüpfen. Bei dieser Gelegenheit wurde bekannt, dass einer der Jugendlichen, Julio, bei seinem zukünftigen Freiwilligendienst in Deutschland in meiner Familie in Lay leben wird.

Jugendpastoral Prälatura Corocoro
Julio, mein Gastbruder in Deutschland

Dann war auch schon schnell der 1. November, der „dia de todos los santos“ (Allerheiligen). Ich durfte einen der Padres und eine der Schwestern begleiten und war innerhalb von 24 Stunden auf sechs Friedhöfen. Jeder dieser Friedhöfe war anders geschmückt und hatte andere Traditionen. Normalerweise verbringen die Bolivianer den Feiertag auf dem Friedhof. Dort gibt es eine Messe und die Gräber werden gesegnet. Anschließend wird mit viel Essen auf dem Friedhof gefeiert und gebetet. Die Legende besagt nämlich, dass am Mittag die Toten auferstehen und mit den Lebenden feiern. Auf manchen Friedhöfen wurde sogar Musik gemacht. Die Menschen waren sehr fröhlich und haben sich amüsiert. Das krasse Gegenteil zu einem Friedhof zu Allerheiligen ich Deutschland.

Allerheiligenfeier auf einem Friedhof

In der folgenden Zeit hab ich mich immer besser eingelebt, ich verstehe mich immer besser mit den Menschen. Es sind Freundschaften entstanden. Mein Spanisch ist mittlerweile passabel. Ich kann mich im Alltag verständigen und verstehe das Meiste.

Vielen Dank für euer Interesse, bis zum nächsten Rundbrief.

Hasta luego y muchos saludos!

Eva