Bolivien: 2. Rundbrief von Lina Nennmann

Post aus der Ferne

Ich bin’s wieder aus dem wunderschönen Bolivien.

Drei Monate, 90 Tage und 2160 Stunden und in jedem einzelnen Moment liebe und lebe ich mehr. Ich bin angekommen und weiß noch gar nicht richtig, wo ich anfangen soll. Dabei merke ich, dass ich am liebsten mit Popcorn meinem eigenen Film der letzten Monate ansehen würde, um alles noch einmal Revue passieren zu lassen.

Doch ich bin mir nicht sicher in welches Genre dieser Film passt: Ist es eine Dokumentation über das bolivianische Leben oder doch eher ein Abenteuerfilm, besser noch eine Komödie oder ein emotionales Interview mit Tiefen und Höhen? Wahrscheinlich trägt der Kurzfilm auch einfach den Titel: „Eine bunte Mischung aus Allem“

So sitze ich zu Hause mit Snacks und meinem Cafesito in unserem Wohnzimmer und tippe meine ersten Zeilen, und habe mein Handy zur Hand, um mir anhand von Erinnerungen und Bildern die letzten Wochen in diesen Text zu formen.

Also klappe die Erste:

Veränderung 

Meine letzten Monate waren von vielen Veränderungen geprägt. Zu Beginn habe ich drei neue Mitbewohner bekommen. Mit den drei Jungs habe ich viel Spaß, denn als WG unternehmen wir immer coole Sachen. Mal sind es Ausflüge und Wanderungen zu verschieden sehenswerten Plätzen, mal feiern gehen oder ein entspannter Spieleabend.

Aber nicht nur an der Wohnsituation hat sich etwas verändert, sondern auch an der Arbeit. So kam es, dass wir Freiwilligen nun auch vormittags in der anliegenden Schule und dem dazugehörigen Kindergarten mithelfen können. Hier besteht meine tägliche Aufgabe in der Unterstützung der Lehrkräfte.

Insbesondere manche Fächer, wie zum Beispiel Psychologie, machen mir super viel Spaß. Aber auch in „Quecha“, der einheimischen Sprache, kann ich sehr viel dazu lernen.

Die Arbeit im Kindergarten orientiert sich nach dem Montessori-Prinzip, weshalb die Kinder schon im frühen Alter das Schreiben und Rechnen im kleinen Zahlenraum lernen. Außerdem beschäftigen sie sich spielerisch mit Themen wie Ernährung oder Mülltrennung. Aber natürlich wird auch viel gespielt, gebastelt und im Park getobt.

Vertrauter Besuch aus Bolivien

Nachdem ich meinen Laptop nach dem Schreiben des letzten Rundbriefes zugeklappt hatte, ging es auch schon zum Terminal von Cochabamba, wo meine Mitfreiwillige Julia und ich uns das erste Mal seit unserer Ankunft in La Paz wiedergesehen haben.

In den folgenden Tagen hatten wir viel vor. Von erlebnisreichen Aktivitäten, wie zum Beispiel Paragliding, bis hin zum Kaffee trinken mit meinen Freunden und einer Halloweenfeier haben wir einiges gemeinsam unternommen. Aber mit Abstand am schönsten war es, Julia meine Erlebnisse nicht nur durch Erzählungen näher zu bringen, sondern sie hautnah an meinem Leben und meiner Arbeit teilhaben zu lassen. So verbrachten wir auch viel Zeit mit den Kindern in meiner „Casita“. Wir machten Hausaufgaben und spielten draußen im Park. Das Wochenende verging schneller als ein Wimpernschlag und nach einer letzten Umarmung hieß es am Busterminal auch schon wieder „Hasta luego, nos vemos pronto“.

Hermandads-Treffen in Tarija

Allerdings sollte es nicht ein Ciao auf lange Zeit sein, denn schon Anfang Dezember sahen wir uns in Tarija wieder.

Hier hatten wir ein nationales Treffen mit der Hermandad. Die Hermandad ist unsere Organisation, unser Ansprechpartner oder vielmehr eine ganz große Familie. Das Treffen war dem 20-jährigen Jubiläum des Freiwilligendienstes gewidmet. Denn so wie wir deutschen Freiwilligen die Möglichkeit bekommen haben, in Bolivien einen gemeinnützigen Friedensdienst zu leisten, werden auch jährlich bis zu 12 junge bolivianische Freiwillige nach Deutschland gesendet.

So ging es für mich nach einer großen Umarmung mit meinen Kindern ganz in den Süden Boliviens. Nach der 19 stündigen Busfahrt und lustigen Gesprächen mit meinem Sitznachbar:innen war ich auch „schon“ angekommen. In der gleichen Fahrzeit hätte ich auch von Mainz fast bis nach Südspanien fahren können. Treffend dazu besagt das bolivianische Sprichwort „Pero vale la pena“ (übersetzt: „der Schmerz ist okay“) so viel wie „aber es lohnt sich“.

Neben interessanten Vorträgen und Präsentationen über die Freundschaft zwischen Bolivien und Deutschland, war für mich vor allem der Austausch und das Zusammensein mit den ehemaligen bolivianischen Freiwilligen schön. Darüber hinaus haben wir auch den neuen Jahrgang kennengelernt, welcher schon bald seine große Reise antreten sollte.

Wir verstanden uns von Anfang an super gut und ich kann es kaum erwarten, bis wir uns nach unserer Rückkehr im September alle wieder in Deutschland treffen können. So kam es auch, dass ich mit  Mireya, welche schon bald darauf nach Deutschland ausreiste, zusammen nach Cochabamba gefahren bin. In den darauffolgenden Wochen unternahmen wir auch viele Aktivitäten zusammen.

Feliz Navidad

Voller Vorfreude konnte ich es kaum erwarten nach Hause zu kommen, zumal es mittlerweile schon Mitte Dezember war und ich beim Anzünden der 2. Adventskerze realisierte, dass es nur noch zwei Wochen bis Heiligabend waren. Der Anfang der Weihnachtszeit war auch der Start der zweimonatigen Sommerferien in Bolivien. Aufgrund dessen ergab sich die Möglichkeit, dass ich gemeinsam mit meinen Mitbewohnern Konstantin und Theo, sowie Diana, einer weiteren Freiwilligen aus den USA, vormittags ein Ferienprogramm für die Kinder veranstalten konnte. Wir gestalteten neben Bastelaktionen für Weihnachten auch ein Basketballcamp, organisierten das Aldea WM-Fußballspiel und auf Wunsch der Kinder trafen wir uns in Kleingruppen, um zusammen ein paar deutsche Wörter zu lernen. Seitdem begrüßen sie uns meistens mit „Hallo, wie geht’s dir?“

Darüber hinaus studierten wir auch einige Tänze und Lieder für Weihnachten ein. Die Krippe wurde aufgebaut, die Weihnachtsdekoration ausgepackt, deutsche Plätzchen nach Omas Rezept gebacken und zu meinem Erstaunen fanden wir sogar Tannenbäume und schmückten diese, wie ich es sonst immer mit meiner Familie tue. Zudem wurde das ganze “Team” von der Aldea, bestehend aus den Tias und Tios (Erzieher:innen, Betreuer:innen), der Köch:innen, dem Hausmeister:innen, den Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen und zuletzt den Voluntarios, zu einem Weihnachtsfest vom Padre eingeladen.

Einen Abend vor Heiligabend wurde ich auch noch von einem Freund und seiner Familie zum Weihnachtsmärchen eingeladen, das war super schön.

Am nächsten Tag war es dann auch schon so weit. Nachdem wir noch mittags in letzter Minute die restlichen Geschenke eingepackt hatten, telefonierten wir Freiwilligen mit unseren Familien, bei denen es aufgrund der Zeitverschiebung schon Zeit für die Bescherung war.

Kurz darauf ging es mit allen Kindern inklusive Weihnachtsmützen in die Messe und vor dem gemeinsamen Abendessen konnte jede Gruppe auch noch ihre einstudierten Tänze aufführen.

Schlussendlich war es eins der schönsten Weihnachtsfeste und ich bin unfassbar dankbar für dieses unvergessliche Erlebnis.

Energie tanken

Der Leiter des Projekts bescherte uns über die Feiertage mit einer freien Woche. So ging es schon am nächsten Nachmittag mit gepackten Koffern und sechs Freunden im Gepäck in Richtung Salar de Uyuni. Dieser faszinierende und beeindruckende Ort ist mit seinen 11.000 Quadratkilometern die größte Salzwüste der Welt. Neben dem schneeweißem Salz ist der ausgetrocknete See auch von Felsformationen und kakteenbewachsenen Inseln geprägt.

Die Zeit außerhalb des Projekts konnte ich zum Abschalten und zum Durchatmen nutzen. Bevor wir uns schon wieder auf den Rückweg machten, feierten wir noch alle zusammen, mit vor Ort kennengelernten Freunden, Silvester in Iquique.

Wow, so vergingen die letzten 5 Monate einerseits wie ein Wimpernschlag, doch andererseits fühlt es sich so an, als ob es schon immer so gewesen ist und ich merke, dass ich angekommen bin.

Als ich auf das Meer blickte, während die ersten Raketen in den Himmel geschossen wurden, wusste ich, dass das nächste Jahr noch viel mehr bringen wird mit neuen Momenten, die ich für ewig in meiner Erinnerung festhalten will.

Feliz año nuevo,

Eure Lina