Bolivien: 2. Rundbrief von Chantal Günther

Liebe Freunde, Familie und Interessierte!

6 Monate sind nun vergangen, seitdem ich in Potosi angekommen bin und plötzlich wird mir bewusst, dass schon die Hälfte meines Freiwilligendienstes vorüber ist.
Wo ist nur die Zeit geblieben?



Ein neues Zuhause

Schon am Tag meiner Ankunft hier in Potosi hatte ich den Eindruck, dass es mir hier super gefallen würde.
Nun ist ein halbes Jahr vergangen und mein Eindruck hat sich bewahrheitet.
Das verschlafene Städtchen ist mir in der Zwischenzeit ans Herz gewachsen, auch wenn es Kleinigkeiten gibt, an die ich mich noch nicht gewöhnt habe, wie z.B das ständig wechselnde Wetter an einem Tag und die Abgase der Busse.
Das sind aber, wie gesagt, nur Kleinigkeiten, die nicht weiter stören.
In den vergangen 6 Monaten ist mir aufgefallen, dass sich Gewohnheiten zur Normalität entwickelt haben und meinen Alltag gestalten.
Dazu gehört meine Arbeit, Einkaufen gehen, aber auch einfach nur das gemütliche durch die Stadt schlendern.
Letztens habe ich mich dabei erwisch, wie ich zu meiner Mitfreiwilligen sagte: „Lass uns nach Hause gehen!“
Und genauso ist es. Potosi ist für mich zu meinem neuen zu Hause geworden.

Todos los Santos (01.11.18)

Wie auch in Deutschland wird hier in Bolivien Allerheiligen gefeiert. Allerdings ist das Fest hier sehr viel ausgefallener.
Verstirbt eine Person innerhalb des Jahres, also seit Allerheiligen des Vorjahres, wird an Allerheiligen darauf, im Haus des Verstorbenen, ein Altar aufgestellt, die sogenannte Ofrenda.
Auf diesem Altar befinden sich ein Foto, Gebäck und das Lieblingsessen der verstorbenen Person.
Desweiteren wird der Altar mit Blumen geschmückt.
Dabei hat alles seine Symbolik.
So stehen z.B die Puppe aus Teig für die/den Verstorbene/n und Teigleitern für die Fahrt in den Himmel.
Dies ist ein typischer Brauch Potosis an Allerheiligen.
Ein weiterer Brauch ist es, dass die Potosiner von Haus zu Haus ziehen, um derVerstorbenen zu gedenken.
Man setzt sich nach einem kurzen Gebet vor dem Altar in den Saal der Angehörigen und bekommt von diesen meist Wein, Weinschnaps (Singani), weitere alkoholische Getränke sowie eine Tüte mit Gebäck geschenkt.
Je nachdem,wieviele Häuser man besucht, kann einem der Alkohol ganz schön zu Kopf steigen J

 

Neue Mitbewohnerin

In der Zwischenzeit ist unsere kleine WG, die vorher aus nur zwei Leuten bestand (Leonie und ich), gewachsen.
Während eines Spaziergangs durch die Stadt trafen Leonie, unser Nachbar und ich auf einen Mann, der eine Hündin und drei Welpen mit sich trug.
Diese hatte er unter einer Brücke gefunden. Auf die Frage, ob wir nicht einen adoptieren können, konnte ich nicht „Nein“ sagen.
So kam es, dass ich mir eine Welpin aussuchte, die ich auf den Namen Zuri taufte.
Ihre Mutter und Brüder mussten leider ins Tierheim gebracht werden. Allerdings werden die Tiere dort nicht gut behandelt, weshalb es mir besonders leid tat.
Da Zuri sehr stark erkältet war, dauerte es eine Weile, bis wir sie wieder aufgepeppelt hatten.
Zu unserem Erstaunen entpuppte sich die Kleine jedoch als sehr lebhaft und sehr zutraulich, sodass sie die Herzen der ganzen Schule eroberte.
Am Tag ihrer Ankunft war Zuri knapp 1 Monat alt und so klein, dass sie in meiner Hand liegen konnte.
Tag für Tag konnte ich ihr beim Wachsen zusehen

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Promociones

Nach Todos los Santos beginnt die Zeit der Abiturfeiern.
Die Schüler laden alle ihre Freunde und Verwandten ein, um gemeinsam zu feiern.
Das Ganze geschieht folgendermaßen:
Nachdem die Abiturienten, nach der Zeugnisübergabe das Schulgebäuder verlassen, warten draußen schon gespannt die Gäste, um ihnen zu gratulieren. Dazu wird ihnen mit der Hand weißes Konfetti über den Kopf gestreut.
Anschließend wird zu Hause oder in einem Partysalon weitergefeiert.
Es wird gegessen, getrunken und auch getanzt.
Zudem werden häufig Geschenke überreicht.
Anstatt eines Geschenks kann man jedoch auch Geld mit einer Stecknadel an das Kleid bzw den Anzug des/der Abiturient/-in heften.
Eine andere Tradition ist es, ein typsiches Gericht zu servieren, welches aus Schweinefleisch, Süßkartoffeln, Kartoffeln und Salat besteht.
Wichtig ist, dass die Gäste aufessen. Denn falls nicht, bringt es Unglück.

Feliz Navidad

Wie die Zeit vergeht. Schon steht Weihnachten vor der Tür!
Ein wirkliches Weihnachtsgefühl hatte ich hier allerdings nicht. Zwar wird in Bolivien die Adventszeit ebenfalls gefeiert, jedoch passte das Wetter einfach nicht.
Während der Weihnachtszeit herrscht hier der Sommer, sodass es mittags teilweise richtig heiß war.
Auch der Weihnachtsbaum musste dieses Jahr durch einen Plastikbaum ersetzt werden.
Auch wenn dieser nicht ganz so groß war, brachte er zumindest etwas Weihnachtsstimmung.
An Heiligabend wird für das Jesuskind vor einem Altar getanzt und ein besonderes Weihnachtsgericht gegessen.
Das Besondere an dem Tanz ist, dass es ein Partnertanz ist. Hierbei wird z.B auf den Knien getanzt oder man springt in die Hocke, klatscht auf seine Knie und anschließend die Hände seines Gegenübers ab.
Neben diesen zwei Figuren gibt es aber noch viele weitere.

Feliz Año Nuevo

Auch zum neuen Jahr gibt es viele Bräuche.
Mit meiner Nachbarin bin ich punkt Mitternach so schnell wie möglich auf das Schuldach geklettert.
Dies hat folgende Bedeutung:
Um Erfolg zu erbitten, klettert man auf den höchsten Punkt seiner Umgebung. Man steht quasi an der Spitze seiner Karriere.
Zudem hatte ich den ganzen Tag über Reis in meiner Jackentasche, damit ich im kommenden Jahr immer genug zu Essen haben werde. Außerdem soll dieser auch Glück bringen.
Das Gleiche kann man auch mit Geld machen, welches für Reichtum steht.
Wer im kommenden Jahr viel reisen möchte, läuft mit seinem Rucksack oder Koffer um 12:00 Uhr 12 Mal um sein Haus.
Anschließend wird dann ein Gericht mit Schweinefleisch gegessen.
Da Schweine mit ihrer Nase am Boden voran laufen, steht dies für die Motivation und Antrieb im Leben.
Alles hat seine Bedeutung, was ich persönlich sehr schön finde.

 

 

Sonstiges

Während der Schulzeit machten wir mit der gesamten Grundschule einen Lehrerausflug nach Chile.
Diesen hatten wir ganz besonders genossen, da wir an den Strand fuhren und mal so richtig entspannen konnten.

Desweiteren wurden zu Beginn des neuen Jahres meine Kindergartenkinder in die Primaria (Grundschule) eingeschult, sodass wir neue Kinder bekamen.
Nun arbeite ich mit 3 und 4 Jährigen, die zuckersüß sind.
Allerdings ist die Arbeit jetzt auch anstrengender als vorher, da man den Kleinen alles von vorne beibringen muss. Wie hält man einen Stift, wie geht man auf die Toilette etc.
Trotzdem macht es mir sehr viel Spaß, den Mädchen zu helfen und ihnen beim Lernen zu zuschauen.

 

Ich hoffen, ich konnte euch einen kleinen Einblick geben. Wie immer, stehe ich für Fragen oder Anregungen immer zur Verfügung.

 

Liebe Grüße und bis bald!

Eure Chantal

P.S: Da mir leider mein Handy geklaut wurde, fehlen mir einige Bilder, die ich gerne mit Euch geteilt hätte.