Indien: 2. Rundbrief von Sara Faß

Ihr Lieben,

Jetzt habe ich das Verfassen meines 2. Rundbriefs ganz schön lange vor mir hergeschoben. Mittlerweile sind bereits 10 Monate um und es ist verrückt wie schnell, aber auch intensiv die Zeit vergeht. Mir fällt es sehr schwer, diesen Rundbrief zu verfassen, da ich die Realität nicht in Worte fassen kann und bei Euch kein festes Bild im Kopf hinterlassen möchte, nach dem Motto „Ach so ist Indien also!“.

Daher lest meinen Rundbrief bitte kritisch und seid Euch bewusst, dass Indien vermutlich nichts von dem ist, wie ihr es Euch gerade vorstellt, aber gleichzeitig auch alles sein kann. Nun aber zu dem was bei mir kürzlich alles passiert ist.

Viele Menschen sind mir hier schon besonders ans Herz gewachsen. Da wäre einmal Sagaya Mary (Lehrerin an der High-School) und ihre Familie, die mich wahnsinnig liebevoll bei sich aufgenommen haben. Einige Male war ich dort schon zu Besuch und es ist jedes Mal so entspannt und locker, dass auch ein Mittagsschlaf gerne dazugehört.

Während den letzten Monaten habe ich mich auch mit den Sisters immer besser verstanden, sodass ich die beiden Konvents in der Umgebung schon mehrmals besuchen war. In dem einen leben noch ca. 30 Mädchen in einer Boardingschool und in dem anderen einige Frauen, die sozial benachteiligt sind. Bei den Besuchen wird immer super viel gelacht und ich fühle mich dort sehr wohl. Die Sisters sind unglaublich fürsorglich, haben oft nochmal eine andere Perspektive auf die Dinge und heißen mich bei sich immer herzlich willkommen.
Dadurch, dass die meisten zudem gutes Englisch sprechen, fällt es mir leichter mich zu unterhalten, da die Gespräche nicht so sehr von meinen Tamil-Kenntnissen abhängen.

Im Boarding-Konvent mit Sr. Maria. Gerade sind wir dabei, Tamarinde zu bearbeiten, die hier als Grundlage für das Sambar dient. Sambar ist eine Art Gemüse-Soße die hier typischerweise zu weißem Reis gegessen wird.

Am meisten habe ich hier während der Schulzeit jedoch mit den Lehrerinnen der English Medium School zu tun. Fast alle von ihnen war ich auch schon zu Hause besuchen, was immer sehr schön ist, da ich so auch ihre Familie kennenlernen durfte und dadurch natürlich noch einmal mehr mit ihnen zusammenwachse. Besonders mit der Lehrerin im LKG, Julie, habe ich schon so einige stressige Stunden zusammengestanden, was sehr verbindet.

Während den Ferien kam mich dann meine Mitfreiwillige Hanna besuchen und wir wurden von zwei Lehrerinnen zu Hochzeiten mitgenommen. Nach der Trauung in der Kirche sind wir mit zum Festzelt gefahren, wo es für mehrere hundert Leute Essen gab. Anschließend wurde noch viel gequatscht und jeder Gast machte ein Bild mit dem Brautpaar auf der dekorierten Bühne. Dort traf ich auch wieder einige bekannte Gesichter aus dem Dorf, der Schule oder der Kirche und merke somit, wie ich mich hier Tag für Tag mehr einlebe.

Gemeinsames Gruppenbild mit dem Brautpaar
Bild mit Hanna im Frock (festliches Kleid, das vor allem von unverheirateten Mädchen zu Functions, anstatt Saree, angezogen wird.

Allgemein würde ich gerne noch zu Besuchen sagen, dass es einfach super locker und entspannt ist. Der Satz „Fühl dich wie Zuhause“ wird hier tatsächlich in die Tat umgesetzt. Meistens verbringe ich auch den ganzen Tag von morgens an bei der Familie und fahre erst abends wieder zurück nach Cowdalli. Ich werde einfach als weiteres Familienmitglied in den Alltag mit aufgenommen.

Durch die Besuche komme ich auch mit meiner Wohnsituation besser klar (eigenes Zimmer auf dem Schulgelände, Priester Santhosh und seine Eltern wohnen nebenan), da ich so die Chance bekomme, den Alltag in der Familie ein wenig kennenzulernen, aber gleichzeitig auch meine Privatsphäre mehr wertschätze (darauf wird hier üblicherweise weniger Wert gelegt).

Der Himmel über Cowdalli.

Nun zu einem weniger erfreulichen Ereignis, das mich in den letzten Monaten begleitet hat. Kurz vor Ostern ist der Vater einer Lehrerin gestorben, deren Familie ich schon sehr oft besucht habe und die mir hier sehr wichtig geworden ist. So nahm ich also auch an einer Beerdigung teil, was ich gerne mit euch teilen würde.

Bereits kurz nach dem Tod machten sich viele Verwandte und Bekannte auf, um die Familie noch am selben Tag zu besuchen und gemeinsam zu trauern. Einen Tag später fand auch schon die Beerdigung in Cowdalli statt. Dazu wurde der Leichnam auf einem mit Blumen geschmückten Anhänger zur Kirche gebracht. Begleitet von Angehörigen und Blaskapelle/ Trommeln. Nach der Messe gingen alle gemeinsam in einer Prozession zum Friedhof, wo das Begräbnis stattfand. Anschließend kam ich noch mit nach Hause, wo ein großes Zelt aufgebaut war und einige Stühle bereit standen, denn andauernd kamen neue Leute vorbei, um ihr Beileid auszudrücken und zu trauern. Dafür wurde auch ein kleiner Altar mit Bild, Räucherstäbchen und Kerzen aufgebaut. Es war ein sehr intensiver und trauriger Tag für mich, dennoch bin ich dankbar, auch solche Erfahrungen teilen zu dürfen. Nach 40 Tagen fand nochmal eine Messe statt und anschließend kamen alle Familienangehörigen und Bekannten zusammen, um gemeinsam zu essen und Zeit zu verbringen. Es war während dieser Zeit sehr ungewohnt für mich, die Lehrerin so trauernd zu sehen, da ich normalerweise diejenige bin, die ihr von Sorgen erzählt oder um Rat fragt, denn sie ist eine sehr strake und bewundernswerte Person. Gleichzeitig hatte ich dadurch aber auch ein wertvolles Gespräch mit ihr über ihren Vater, das ich wahrscheinlich nie wieder vergessen werde.

So wie zu diesem Freiwilligen-Jahr schöne Erlebnisse wie Hochzeiten oder Geburten gehören, gibt es nunmal auch traurige Erlebnisse wie diese. Dadurch bin ich nicht nur mit der Familie ein Stück mehr zusammengerückt, sondern habe wieder einmal mehr erkannt, dass egal welche Sprache man spricht, egal welche Traditionen oder welche Herkunft, wir doch alle gleich sind. Die selben Emotionen teilen und gar nicht so unterschiedlich sind, wie es manchmal auf den ersten Blick scheinen mag.

Tagesausflug nach Vailankanni, ein sowohl christlicher als auch hinduistischer Pilgerort. Auf dem Bild ist zudem ein 1500m langer Sandweg zu sehen, den jeden Tag mehrere PilgerInnen auf den Knien bis zur Marienbasilika entlang laufen.

Anfang März fand in Trichy das einwöchige Zwischenseminar für ca. 25 Freiwillige statt. Dies war auch meine erste größere Reise, abgesehen von der High-School-Tour im Dezember. Die Woche verbrachten wir vor allem mit viel Austausch, Reflexion über das letzte halbe Jahr und Ausblick auf das, was uns noch bevorsteht. Die Einsatzstellen der Freiwilligen befanden sich komplett von Norden bis Süden verteilt und so war es besonders spannend sich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu unterhalten. Unter anderem was Kleidung anging waren die Unterschiede groß. Während wir Freiwilligen aus dem Süden hauptsächlich Churidar in unserem Alltag tragen, hatten die meisten im Norden ihren deutschen Stil nur etwas angepasst, trugen aber weiterhin Jeans und T-Shirt. Auch in größeren Städten wie Bangalore sieht man immer weniger Saree, Churidar oder Lungi und dafür mehr Kleidung, die wir auch im Westen tragen würden.

Das Seminar war eine tolle Chance wieder neuen Schwung und Ideen für die kommende Zeit zu erlangen und Vergangenes aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Besonders hat mir ein Vormittag gefallen, bei dem wir uns mit StudentInnen frei austauschen und diskutieren konnten. Dabei stellte ich fest, dass Missverständnisse oft darauf beruhen, dass Personen einfach andere Prioritäten setzen. Beispielsweise sind einige Menschen in Indien eher bereit, ihre Freiheiten für mehr Sicherheit einzuschränken oder setzten den Stellenwert der Familie höher, als es viele Menschen in Deutschland tun würden. Dadurch ist es mir anschließend auch leichter gefallen, für Situationen und Gegebenheiten mehr Verständnis zu erlangen, als ich es zuvor hatte.
Dabei fallen Euch sicherlich auch einige Vorurteile über Indien ein, für die man hinter diesem Hintergrund mehr Verständnis aufbringen kann.

Anschließend an das Seminar bekam ich für 2 Wochen Besuch von Magda, die als Freiwillige 2015/16 in Cowdalli lebte. Da sich seitdem schon wieder einiges verändert hat, war es sehr schön, sich auszutauschen und von Magda den ein oder anderen Tipp mitzubekommen. Wir besuchten währenddessen einige FreundInnen und nahmen an der Abschluss-Function der 10. Klasse teil, sodass die gemeinsamen Tage sehr schnell wieder vorbei waren.

Auf einem Ausflug zum „Gundal Dam“ mit Magda, Anitha und ein paar anderen Lehrern.
Während der „Send-off“-Feier der 10. Klasse mit den LehrerInnen der High-School.

Langsam neigte sich im März das Schuljahr dem Ende zu und ich dachte viel darüber nach, was seit August alles passiert ist und was ich gerne noch ändern würde. Rückblickend gab es einige Höhen und Tiefen, schwierige Situationen, in denen ich nicht immer richtig handeln konnte oder mich überfordert fühlte. Aber gleichzeitig auch so viele wunderbare Momente, in denen ich es einfach genießen konnte, hier sein zu dürfen. Es ist spannend zu sehen, wie sich Freundschaften entwickelt haben, was zur Normalität wurde und was nun unwichtig geworden ist, obwohl es am Anfang noch so ungewohnt für mich war.

Mit am meisten wird mich sicherlich auch prägen, dass ich hier viel Zeit zum Nachdenken und Tagebuch schreiben habe. Dadurch nehme ich mein Umfeld und Situationen im Nachhinein wieder anders war und kann mich mehr damit beschäftigen, wieso es mir gerade besonders gut oder schlecht geht.

Beispielsweise denke ich, dass es für mich unmöglich ist, komplett in Indien anzukommen und ich mich stattdessen ständig in einer Art Spannung befinde. Denn meine Familie, FreundInnen und deutsche Prägung kann ich nicht auf einmal vergessen und mich komplett anpassen. Als Folge dessen entstehen sicherlich viele Missverständnisse, aber auch die Möglichkeit davon einen Teil in meinen Alltag hier in Cowdalli zu integrieren und etwas Neues zu schaffen. Sei es in dem Umgang mit den Kids im L.K.G., meinem Kleidungsstil (Churidar gepaart mit Kapuzenpulli) oder bei der Weihnachts- Tanzaufführung zu „Last Christmas“. Ich verzweifle insgesamt also öfters mal an so manchen Situationen, bin dafür aber bei kleineren Erfolgen gefühlt doppelt so glücklich.

Wie Ihr merkt, geht es mir hier in Cowdalli sehr gut und ich freue mich schon auf das neue Schuljahr und neue Herausforderungen in der St. Anthony’s School.

Bis zum nächsten Rundbrief!

Eure Sara

Da ich in meinem Rundbrief nicht alles abdecken kann und will, könnt ihr mich auch gerne persönlich zu Themen fragen, die Euch interessieren.
Natürlich kann ich dabei nur mit meiner eigenen Meinung dienen oder Leute aus meinem Bekanntenkreis in Cowdalli fragen.

Schickt also bei jeglichen Fragen, Anregungen oder Kritik gerne eine E-Mail an:    sarafass@web.de.