Frankreich: 1. Rundbrief von Johannes Wiedemann

Salut!

Hier sitze ich nun 3 Monate nach meiner Anreise und lasse das Vergangene revuepassieren. Es ist bereits 6 Uhr abends an einem wunderschönen Tag im Februar und ich fange an zu schreiben. Die letzten Wochen waren von Ereignissen nur so überhäuft und ich hatte sehr viel zum Nachdenken und auch zum Erleben. Das Leben hier wirft mich oft in eine neue, unbekannte Situation. Es ist einfach eine super Möglichkeit, sich Herausforderungen zu stellen.

Meine Abreise

Ganz im Gegenteil zu den letzten Tagen vor meiner Abreise, die von viel Stress, leider nur kurzen Verabschiedungen, der ständigen Frage, ob das hier wirklich richtig ist, und schließlich dem hektischen Koffer-Packen am Abend zuvor, geprägt waren, verlief die Zugfahrt hierher reibungslos. Unterbrochen durch lediglich zwei Umstiege, einer in Saarbrücken und der andere in Paris, brachte die Anreise sehr viel Entspannung, durch die der Stress der letzten Tage verflog, und sogar etwas Romantik mit sich, durch den morgendlichen Sonnenschein und einem zweiten Frühstück mit Blick auf den Pariser Gare de L’Est und Kuchen von der Oma.

Die Arche, eine von vielen weltweit, zeichnet sich durch all das aus, was eine Gemeinschaft mit sich bringt. Die Assistenten leben hier nicht für die Personen mit Handicap, sondern wirklich mit ihnen zusammen. Aufgeteilt ist die Arche in die Wohnhäuser „foyers de vie“ (nebenan im Bild zu sehen), und die „foyers d’hébergement“, die Ateliers, in denen nachmittags getanzt, gebastelt, gemalt, kreiert, hergestellt, repariert, gepflanzt wird und vieles mehr und ESAT (etablissement et service d‘aide par el travail), eine Einrichtung, in der den Menschen mit Behinderung ein Arbeitsplatz geschaffen wird oder diese im Arbeitsleben außerhalb unterstützt werden (https://www.arche-aigrefoin.org/). Ich lebe in einem der “foyers de vie” mit hauptsächlich älteren Personen zusammen. Meine Aufgaben sind daher relativ selbsterklärend, einfach da ich in einem Haushalt lebe. Der Tag beginnt damit das Frühstück vorzubereiten und mit den Bewohnern gemeinsam zu essen, weiter geht’s mit Staubsaugen, Zimmer aufräumen, Toiletten putzen, Desinfizieren, Duschen, Kochen, usw. . Die Zeit, in der diese Arbeit gemacht ist, verbringe ich mit den Bewohnern und rede, singe oder spiele mit ihnen, wenn wir zum Beispiel auf das Mittagessen warten. Nachmittags geht es entweder in ein Atelier oder wir bleiben im Foyer und es finden ganz verschiedene Aktivitäten statt, tanzen, backen, spielen, malen oder auch Dekoration für anstehende Feste und Geburtstage vorbereiten. Der Abend beginnt um 5 Uhr mit einem Goûtée (Kaffee und Kuchen), danach folgen einige Accompagnements, Assistenten begleiten die Bewohner beim Duschen, und es wird gekocht, bis das Abendessen dann mit einem gemeinsamen Gebet eingeläutet wird, bei dem jeder Zeit bekommt den Tag kurz zu reflektieren und/oder zu beten für wen oder was er will. Ganz beeindruckend hierbei ist immer, wenn die Bewohner an die Angehörigen der anderen denken und diese in ihre Gebete miteinschließen. Nach dem Abendessen räumen wir die Küche auf, während die Bewohner entweder schlafen gehen oder den restlichen Abend bis 21h30 vor dem Fernseher verbringen.

Die ersten Wochen vergingen wie im Flug. Jeden Tag passierte etwas Neues, jeden Tag lernte ich gefühlt eine neue Person kennen, die mich sofort mit einem “Salut Johannes” begrüßte, während ich mir nicht einmal annähernd alle Namen merken konnte. Was mir direkt zu Anfang im Gedächtnis blieb, war ein Gespräch an meinem ersten Tag mit einer der Bewohner mit Handicap, die mich nach den Namen meiner Schwestern und ihrem Alter fragte (was ich natürlich erst mit Hilfe verstand) und es dann eine Woche später noch wusste, womit ich gar nicht gerechnet hatte. Das war der erste von vielen Momenten, in dem mir bewusstwurde, dass der Unterschied zwischen uns und den eingeschränkten Personen doch gar nicht so groß ist.

So schön und aufregend die ersten Wochen auch waren, gab es dennoch schwierigere Momente für mich. Durch die Sprachbarriere war ich es dem am Anfang am meisten geholfen werden musste und deshalb brauchte ich relativ lange, bis ich meinen Platz hier gefunden hatte. Viele Gespräche waren leider nur oberflächlicher Natur und auch mit den behinderten Personen war es schwer eine Beziehung aufzubauen, da ich nicht verstand, falls sie mir etwas sagen wollten. Das ist jetzt aber glücklicherweise vorbei und ich kann mich mittlerweile relativ gut verständigen. Hilfreich war es da auch, dass ich direkt am zweiten Tag zwei gute Freundinnen, auch deutsche Freiwillige, kennenlernte, die mir den Einstieg erheblich erleichterten.

Basteln des Adventskalenders

Die Adventszeit begann schön, als ich mit einem anderen Freiwilligen den Adventskalender mit kleinen täglichen Geschenken und Gebäck für mein Foyer vorbereitete und eine Woche später, als ich den Bewohnern meines Foyers das Nikolausfest wie zuhause mit Mandarinen und Schokolade in den Schuhen als kleine Überraschung am Nikolausmorgen näherbrachte. Es war ein super tolles Gefühl, als die Bewohner morgens ganz aufgeregt von den kleinen Geschenken berichteten und als ich sah, dass ich sie mit einer solch kleinen Geste so erfreuen konnte. Der Weihnachtsbaum stand schon Ende November und ab da wurden jeden Tag im Foyer französische Weihnachtslieder rauf und runter gesungen und es war eine tolle, gelassene Stimmung, die durch kleine Geschenke, über die ganze Adventszeit hinweg, des “ami secret”, des “geheimen Freundes” (wir haben gewichtelt) bestärkt wurde. In diesem Heiligabend fanden die Wochen vorher auch ein würdiges Ende. Nachmittags nach einem Gottesdienst, in dem zum ersten Mal wieder die ganze Arche zusammen singen konnte, dem glücklichen und lauten Essen im Foyer und dem Geschenkeüberreichen verabschiedeten sich die meisten in die Ferien und es war auf einmal ungewöhnlich ruhig. Am Ende fanden sich die Übriggebliebenen, viele die ich noch gar nicht kannte aus den Foyers d’herbergement und sogar welche aus anderen Archen, zu einem spontanen Abendessen zusammen und es wurde auch durch das ein oder andere Glas französischen Weißweins ein ganz anderes und echt schönes Weihnachtsfest.

Die Weihnachtsferien verbrachte ich in Deutschland, weil in meinem Projekt die Foyers geschlossen waren und ich leider zu spät ankam, um mich für den Urlaub mit einer Gruppe aus der Arche anzumelden, was ich zum Glück im April nachholen kann. Die zehn Tage “Unterbrechung” machten sich entgegen kleiner Sorge nicht bemerkbar, als ich Anfang Januar wieder zurückfuhr.

Die letzten beiden Monate vergingen gefühlt noch schneller als der Anfang. Mitte/Ende Januar verbrachte ich drei Tage in zwei Wohnhäusern neben einem Kloster, als wir Freiwilligen, von denen es hier glücklicherweise etwas mehr als 15 gibt (hauptsächlich französische, aber auch 6 deutsche, eine aus Madagaskar und einer aus Taiwan), in einem Seminar Themen mit anderen Archen zusammen besprochen hatten. Durch die teils schlechte Audioqualität und meine Kompetenzen in der französischen Sprache nahm ich von dem Seminar an sich nicht sehr viel mit, sondern viel wichtiger vom Kontakt mit den anderen Freiwilligen, als wir nach gemeinsamem Kochen den Abend mit Musik und Bier zusammen verbrachten. Dieses Seminar initiierte Treffen und Verbindungen zwischen den Freiwilligen aus den relativ stark getrennten verschiedenen Foyers, wodurch ich dann in den donnerstags stattfindenden zweistündigen Weiterbildungen nicht mehr mit Fremden im Raum saß.

Ende Januar verließ uns unsere Chefin des Hauses, die vorher fast zwei Jahre da gewesen war. In den Wochen danach merkte man in Momenten größerer Gereiztheit bei den Bewohnern, was dieser Verlust einer Bezugsperson, obwohl nicht viel darüber gesprochen wurde, an Emotionen auslösen kann, die leider oft nicht sprachlich kommuniziert wurden. Ich fand mich plötzlich in komplett neuen Situationen wieder, Herausforderungen wegen derer ich aber echt froh bin, dass ich hierherkommen konnte.

Sonntags über einer Autobahn

Eine kleine Auszeit und ein echt spannendes Erlebnis waren für mich, als ich freitags vor meinem freien Wochenende auf Anregung einer Freundin beschloss, am Samstag mit Rucksack, Schlafsack und Isomatte loszuziehen und abends irgendwo zu schlafen, was ich mir den Tag über überlegen sollte. Nachdem ich mit Pausen und allem so 7 Stunden gewandert bin, kam ich an einem Platz mit mehreren Wohnwagen vorbei und nach kurzem Gespräch mit ein paar Männern, die da gerade am grillen waren, wurde mir ein Schlafplatz in einem Transporter angeboten. Das Angebot dankend angenommen blieb ich also den Abend da und grillte, feierte und tanzte am Ende ein bisschen mit einer echt gastfreundlichen, interessierten und großen Familie. Der Sonntag danach war auch richtig schön, nach einem kurzen Mittagsschlaf an einem Feldweg, kam ich dann abends völlig kaputt wieder in der Arche an.

Ich hoffe euch einen kleinen Einblick in meine bisherigen Erlebnisse gegeben haben zu können. Ich bin echt dankbar in einer Zeit, wie dieser, solch einen Freiwilligendienst machen zu können und will hier nochmal SoFiA e.V. riesigen Dank sagen, für diese doch relativ kurzfristige Alternative.

Ich freue mich auf alles, was ihr von euch hören lasst, ob Fragen, Tipps oder selber Erfahrungen.

 

À bientôt, bis dann!

Johannes