2. Rundbrief Brasilien, Florian Bömer

 

Liebe Freunde und Bekannte,

ich sitze gerade im Wohnzimmer im Haus meiner Gastfamilie und blicke auf eine der zahlreichen Gottesmuttern die im Haus stehen und den leuchtenden Weihnachtsbaum. Im Hintergrund höre ich die relativ laute brasilianische Musik aus dem Zimmer meines Gastbruders. Währenddessen trommelt starker Sturzregen auf das Dach und schnell bilden sich kleine Bäche auf der Straße, denn seit kurzem hat die Regenzeit begonnen, in der es ab und zu einen heftigen Schauer gibt. Die perfekte Atmosphäre um den zweiten Rundbrief zu schreiben, denn es ist einiges geschehen in den letzten Monaten.

Heute ist der 28. Dezember und in den letzten Tagen habe ich das Weihnachtsfest hier in Brasilien erlebt. Nach Telefonaten mit meiner Familie in Deutschland ist mir aufgefallen, dass Weihnachten bei den Brasilianern in kleinerem Rahmen gefeiert wird, als in Deutschland. So kündigte während der Adventszeit neben der festlichen Beleuchtung auf den verschiedenen Plätzen der Stadt nur Weniges das Fest an. Als meine Gastfamilie zwei Tage vor Weihnachten anfing das ganze Haus bis in die Letzte kleine Ritze zu putzen, es mit Weihnachtsschmuck schmückte und ganz viele Nachtische und andere Speisen vorbereitete, wusste ich, dass Weihnachten vor der Tür stand. Auch ich versuchte mein Bäckerglück und backte zahlreiche Plätzchen, etwas, was die Menschen hier noch nie gegessen haben. Am Heiligenabend gingen wir gemeinsam in die große Kirche, die Igreja São Sebastiao,  in der eine sehr lange Messe über drei Stunden gefeiert wurde.  Danach gab es eine kleine Bescherung und ein Festessen zu Hause. Als wir am nächsten Tag an den Strand fuhren, musste ich innerlich lachen, als das Lied „White Christmas“  im Radio gespielt wurde, denn es waren weit mehr als 30 Grad.

Da von Beginn des Monats Dezember bis Anfang Februar Ferien in meinen Projekten sind, hatte ich viel Zeit andere Dinge zu unternehmen.

So half ich zum Beispiel bei der Aktion „Natal sem Fome“ mit, bei der in jeder Gemeinde Parnaibas Lebensmittel gesammelt werden, die dann in Paketen gleichmäßig verpackt werden und an Weihnachten den Bedürftigen Familien und Menschen geschenkt werden.

Auf Einladung einiger Freunde aus der Kirchengemeinde meiner Gastfamilie, nahm ich an der Reise der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach Fortaleza teil. Dort steht die erste Kirche der katholischen  Gemeinde „Face de Christo“.  Die Familien der Gemeinde kommen zum Großteil aus einer wohlhabenden Gesellschaftsschicht und die Religiosität der Menschen ist enorm. Wir kamen in Fortaleza mit ungefähr 30 Jugendlichen aus Parnaiba an und trafen auf zahlreiche weitere Gläubige aus anderen Gemeinden. Während des gesamten Wochenendes wurde sehr viel gebetet, gesungen, es gab Vorträge zu religiösen Themen und auch das Zungenreden war ein Teil der Gebete. Alles fand mit sehr großer Motivation und viel Emotionalität statt, so hielten manche Gebete vor einer Marienstatue mehr als eine Stunde an, die jungen Leute weinten, umarmten sich und spürten eine sehr nahe Gotteserfahrung. Für mich erschien einiges sehr gefühlsgeleitet und ich spürte einen großen Kulturunterschied. Außerhalb der Kirche ähneln die Jugendlichen deutschen Jugendlichen, jedoch verzichten die meisten auf jegliche Drogen und die Eltern haben oft einen sehr großen Einfluss auf ihre Kinder.  Die Religiosität hat in Brasilien, der größten katholischen Nation, einen sehr großen Stellenwert und findet stetige Anwesenheit im Alltag. So findet man beispielsweise auf Whatsapp täglich etliche Bilder, in welchen Gott gedankt wird.  Selbst der Kauf eines Autos wird von vielen Menschen als Geschenk Gottes gesehen. Für mich war dieser Einblick sehr interessant und hat mir klar gezeigt, dass hier weitaus mehr junge Menschen von der Kirche angesprochen werden, als in Deutschland.

Auch in meinem Alltag spielt die Kirche eine größere Rolle als in Deutschland. Eine andere Auffassung und Umsetzung  dieser, als die der Gemeinde meiner Gastfamilie, hat Padre Heinrich Hegemann. Er selbst ist Priester aus Deutschland und arbeitet hier im Nordosten Brasiliens schon mehr als 20 Jahre seines Lebens. In dieser Zeit hat er in seinen Gemeinden etliche Projekte umgesetzt, wie beispielsweise der  Bau zahlreicher Brunnen oder ein Webstuhlprojekt, dass im Moment gestartet wird. Fast jeden Sonntag begleite ich ihn in die Messe auf der „ Ilha Grande“ oder auf andere Inseln des Flussdeltas, die teilweise nur per Boot zu erreichen sind. Sehr interessant finde ich auch, dass er wöchentlich nach den Messen zahlreiche Taufen durchführt. So sind es manchmal 15 oder mehr auf einmal.  Für mich ist es immer sehr spannend ihn zu begleiten. Ich erfahre einiges über die Kultur und Geschichte der Menschen und bekomme einen Einblick, der mir sonst verwehrt bliebe.

Ein weiteres Abenteuer, eines so wie es im Bilderbuch steht, konnte ich Dank eines Kontaktes von Padre Henrique erleben. Einer seiner Diakone besitzt auf einer weitestgehend unbewohnten Insel des riesigen Flussdeltas, der Ilha do Bananau ein kleines Stück Land. Mit einem Kanu, dass einen kleinen Motor hat, fuhren wir, der Diakon, sein Sohn, Lucas, ein Freund von mir und ich, mehr als eineinhalb Stunden durch die vielen Flussverzweigungen und die wunderschöne Natur bis zu unserem Ziel. Auf der Insel gibt es zahlreiche tropische Früchte, Mangos, Bananen, Kokosnüsse, Acerola, Zuckerrohr, Maniok und vieles mehr. Wir schliefen dort fünf Tage in Hängematten unter freiem Himmel mit gigantischem Sternenhimmel.  Neben Hunden, Hühnern und Kühen, die verstreut auf der Insel  als Nutztiere leben, ist es sonst sehr einsam dort und weit entfernt von Zivilisation und Handyempfang. Mit dem Sonnenaufgang standen wir auf und fingen früh an zu arbeiten. Das Kanu ist das einzige Verkehrsmittel und mit diesem fuhren wir an andere Stellen der Insel,  um zu arbeiten. An einem Tag holten wir Feuerholz aus dem dichten Unterholz des Waldes und an einem anderen Tag füllten wir40 Kilogramm schwere Säcke mit „Bagana“, einem Naturdünger der Carnaubapalme, auf und transportierten ihn bis zur „Horta“, dem Nutzgarten. Selbst die große Zuckerrohrpresse wurde durch langes im Kreis gehen durch Muskelkraft angetrieben. Die Arbeit über viele Stunden ohne viele Hilfsmittel in der tropischen Hitze war sehr anstrengend, aber eine spannende Erfahrung.

 

 

In der freien Zeit gingen wir Fischen, immer mit Erfolg,  da die Deltalandschaft voll von Krebsen, Garnelen, zahlreichen Fischarten und Muscheln ist. Auch konnten wir an manchen Stellen schwimmen, jedoch musste man immer auf Wasserschlangen, Krokodile und Rochen aufpassen, die auch ein Teil des Ökosystems sind. Das Essen dort ist wunderbar, da man nur das isst, was es auf der Insel gibt. Nach fünf Tagen, war ich traurig, dass das Abenteuer schon vorbei war und als wir in der Zivilisation ankamen, erschienen etliche Nachrichten auf dem Smartphone, etwas, dass ich in der Zeit überhaupt nicht vermisst hatte.

Als letztes Thema wollte ich die Präsidentschaftswahl Brasiliens und meinen Eindruck, was die Menschen hier bewegt, mit euch teilen. Jetzt am 1. Januar  wird Jair Bolsonaro das Amt des brasilianischen Präsidenten antreten, da er mehrheitlich gewählt wurde. Bolsonaro vertritt  rechtskonservative und neoliberale Positionen und erlangte im Wahlkampf große Aufmerksamkeit durch sexistische, homophobe, rassistische und die brasilianische Militärdiktatur verteidigenden Äußerungen. Sie waren ständiges Thema in den Medien (Wikipedia 28.12), die er als „Fakenews“ bezeichnete.

In der Region des Nordostens, in der ich hier lebe und die wirtschaftlich schwächer ist als der Rest Brasiliens, ging er als klarer Wahlverlierer hervor. Jedoch waren viele Menschen von den Korruptionsskandalen und dem Kandidaten der Arbeiterpartei nicht überzeugt, da er für viele als Marionette Lula da Silvas erschien, der nicht erneut zur Wahl antreten konnte. Viele Menschen, mit denen ich hier gesprochen habe, sind vor allem mit der Sicherheitslage unzufrieden und sahen Bolsonaro, der radikale Veränderungen anstrebt, in diesem Punkt als vertrauenswürdiger für Veränderungen.

In den deutschen Medien habe ich oft gesehen, dass Ausnahmezustände und krasser Hass der beiden politischen Seiten während des Wahlkampfs  dargestellt wurden. Diesen Eindruck, der gespaltenen Gesellschaft, habe ich hier in Parnaiba nicht bekommen und ich würde die Lage nicht als sehr angespannt beschreiben. Im Gegenteil, viele Menschen hier, mit denen ich gesprochen habe, zeigten geringes Interesse an Politik und haben den Eindruck, dass ihre Stimme bei der Wahl so gut wie nichts bewirkt. Sie  gingen nur wählen, weil Wahlpflicht besteht. Mir ist durch die Wahl hier sehr stark aufgefallen, wie unterschiedlich die Politik hier in Brasilien im Vergleich zu Deutschland ist und dass andere Faktoren eine Wahlen entscheiden. Ich bin auf jeden Fall gespannt, was sich in der kommenden Zeit verändert.

Herzlichen Dank für das Lesen meines Rundbriefes und dafür, dass ihr mir diesen spannende Zeit in Brasilien durch eure Unterstützung mit ermöglicht. Ich wünsche allen einen guten Start ins Neue Jahr und bis bald!

Euer Florian