Brasilien: 1. Rundbrief von Teresa Gilla

Liebe Familie, Freund*innen und Unterstützer*innen,

nach meinen ersten Monaten hier in Brasilien ist es endlich Zeit, dass ich mich bei
euch melde und euch Bericht erstatte was hier, mehr als 9.000 Kilometer Luftlinie
von Zuhause, in der letzten Zeit so passiert ist und ich kann euch sagen: Es war
Einiges. Man bedenke, dass ich nicht nur mein gewohntes Umfeld inklusive meiner
liebsten Menschen und meinen Alltag hinter mir gelassen habe, sondern hier auch
neue Menschen, neue Lebensweisen und noch so viel mehr kennenlernen und
miterleben durfte.

Ich will mich auch für eure Unterstützung, ob ideel oder materiell, bedanken, die ich im Laufe meiner Zeit hier erhalten habe. Die vielen Nachrichten haben mich sehr gefreut. Ich bin glücklich und genieße meine Zeit hier in vollen Zügen.

Bevor ich euch aber alles erzähle stelle ich mich noch kurz vor. Vielleicht liest das
hier jemand, der mich noch nicht kennt:
Hallo, mein Name ist Teresa Gilla, ich bin 19 Jahre alt und komme aus Hüttigweiler
im schönen Saarland. Nachdem ich mein Abitur in diesem Jahr bestanden habe, bin
ich Anfang August 2023 ins Flugzeug nach Brasilien gestiegen um 12 Monate lang
hier in Pedro II (gesprochen: Segundo) zu leben und zu arbeiten.

Pedro II ist eine Kleinstadt und zugleich ein Landkreis mit ca. 24.000 Einwohnern
und liegt im Nordosten Brasiliens in der Halbtrockenzone. Das heißt, dass die
Temperaturen hier täglich zwischen 28-36 °C liegen und es durch die auf 2-3 Monate
begrenzte Regenzeit den Rest des Jahres sehr trocken ist. Landwirtschaft und
Viehzucht stellen hier wichtige Wirtschaftszweige da, was aufgrund der
vorherrschenden Wasserknappheit zu Schwierigkeiten führen kann und eine
dauerhafte Anpassung nötig macht.

Dieses Jahr sind wir zwei SoFiA-Freiwillige hier im Projekt. Hannah, so heißt meine
Mitfreiwillige, und ich sind zusammen angereist. Für die nächsten 12 Monate werden
wir zusammen arbeiten und gemeinsam wohnen.

Untergebracht sind wir im Haus von Maria, einer der Mitbegründerin von Mandacaru,
unserer Partnerorganisation hier vor Ort. Maria selbst ist vor knapp 40 Jahren nach
Pedro II gekommen und stammt aus Deutschland.
Im Haus wohnt auch noch Lucia, die aus dem Umland von Pedro II stammt und als
junge Frau hier nach Pedro II kam, um die Schule zu besuchen, da es in ihrem
ursprünglichen Dorf keine Möglichkeit dazu gab. Maria hat sie dann aufgenommen
und bei sich wohnen lassen. Nach Lucias Abschluss blieb sie weiterhin hier wohnen
und arbeitete schließlich bis zu ihrer Pensionierung als Kindergärtnerin bei
Mandacaru.
Meistens frühstücken wir in unserer „WG“, wie ich sie liebevoll nenne, zusammen
und auch zu Abend gegessen wird oft gemeinsam. Ansonsten nehmen uns die
beiden auch viel mit, wenn Dinge wie Ausflüge zusammen mit ihrer gemeinsamen
Familie anstehen.
Zur engsten Familie gehören Marlene, die als Erzieherin bei Mandacaru arbeitet, ihr
Ehemann Devan und ihre Söhne Felipe und Thomas.

Sonnenuntergang am Aussichtspunkt „Mirante do Gritador“; Ausflug mit der Familie

Die Organisation, bei der wir hier vor Ort arbeiten, heißt „Centro de Formação
Mandacaru“ und wurde im Jahr 1991 gegründet. Ihr Ziel ist es die Einwohner der
Halbtrockenzone, in der sich Pedro II, befindet in ökonomischen, sozialen und
religiösen Bereichen zu unterstützen und auszubilden.Die einzelnen Bereiche der Organisation sind die Ökoschule „Thomas à Kempis“, der
Kindergarten „Asa Branca“, die „Escola Biblica“ und die „Agricultura Familiar“.
Momentan arbeiten um die 30 Mitarbeiter*innen in diesen unterschiedlichen
Bereichen, die wir auch schon alle zum jetzigen Zeitpunkt kennenlernen und bei ihrer
Arbeit begleiten durften.

Mitglieder von Mandacaru bei unserer ersten Vollversammlung, bei der wir auch offiziell vorgestellt wurden

Im Moment verbringe ich die meisten Vormittage im Kindergarten „Asa Branca“ und die Nachmittage in der Ökoschule „Thomas à Kempis“, wo es für uns auch immer zusammen mit den Lehrer*innen und Schüler*innen Mittagessen gibt.

Im Kindergarten „Asa Branca“ rotiere ich momentan wochenweise durch die 5 unterschiedlichen Gruppen, die es morgens gibt. Dabei muss ich kurz erklären, dass die Kinder in Brasilien den Kindergarten allgemein in zwei „Schichten“ besuchen: eine „Schicht“ ist morgens, bei uns von ca.7:30 – 11:00 Uhr, da und eine Andere mittags, hier von 13:30 – 17:00 Uhr. (Dieses Konzept der Teilung gibt es auch in den Schulen; Ganztagesschulen wie z.B. die Ökoschule sind die Ausnahmen).

Die Kinder, die den Kindergarten besuchen sind zwischen 3-6 Jahre alt und ihrem Alter entsprechend in verschiedene Gruppen eingeteilt. Den Altersunterschieden entsprechend sind die Inhalte der jeweiligen Wochen unterschiedlich, was immer zu Abwechselung führt, denn eines gibt es im Kindergarten nie: Langeweile.

Die älteren Kinder werden jetzt auch bald zu Beginn des nächsten Jahres in die Grundschule wechseln, die hier von der 1. Klasse bis zur 5. Klasse reicht. Das heißt, ich muss bald den ersten Kindern hier schon Tschüss sagen, was bestimmt nicht ganz so leicht wird.

Im Kindergarten selbst wurde ich sehr freundlich und liebevoll durch die Erzieher*innen aufgenommen. Selbst an Tagen, an denen die Kinder besonders viel Energie haben und dementsprechend etwas lauter und eventuell auch etwas anstrengender sind, haben diese immer ein Lächeln für mich bereit. Sie haben mich auch schon das ein oder andere Mal aufgemuntert, wenn es mal nicht so lief wie ich es wollte oder ich nichts verstanden habe, was in den ersten Monaten hier regelmäßig geschehen ist. Das Portugiesisch der Kinder ist eben doch noch etwas schwieriger zu verstehen als das von schon älteren Personen. Und trotzdem bin ich jetzt an einem Punkt, an dem ich mich selbst mit den Allerkleinsten unterhalten kann, wenn sie mir zeigen, wie toll sie Türme aus Bausteinen bauen können.

In der ganztägigen Ökoschule, wo ich die meisten meiner Nachmittage (und teilweise auch Vormittage) verbringen, unterstütze ich die Köchinnen beim Zubereiten der drei Mahlzeiten, die es über den Tag verteilt gibt. Dabei geht es unter anderem darum den Salat vorzubereiten, Hühnchen (hier: „frango“) zu zerlegen oder Brot zu backen, was eine meiner Lieblingsaktivitäten ist. Die Schule ist nämlich unter anderem dafür bekannt, das beste Brot in ganz Pedro II zu backen, welches sie auch auf dem Markt in der Stadt verkauft.

Wenn ich nicht in der Küche helfe und mich mit den Frauen dort unterhalte, arbeite ich in der Landwirtschaft der Schule mit. Das heißt ich versorge die knapp 140 Hühner, kümmere mich gemeinsam mit den Schüler*innen um die drei Schweine und gefühlt 45 Ziegen oder helfe in den Beeten des Gartens mit. Dort bauen die Schüler*innen im Unterrichtsfach „Agricultura pratica“, das neben den allgemeinen Fächern wie Mathematik, Portugiesisch etc. unterrichtet wird, Gemüse und Kräuter an und lernen dabei wichtige Grundlagen der Agrikultur. Dabei werden sie von mehreren Agrikulturlehrer*innen unterstützt. Angebaut werden unter anderem Salat, Rote Bete, Karotten, Zwiebeln, Knoblauch, Koriander, Schnittlauch, Kartoffeln und Ruccola.

 Teil der Gartenbeete der Schule auf denen verschiedene Gemüsearten angebaut werden; überdacht durch spezielles Gewebe, das Schatten spendet
Überblick über den Heilkräutergarten der Schule; hier lernen die Kinder den Gebrauch von versch. Pflanzen zur Linderung von z.B. Kopfschmerzen
Die drei hauseigenen Schweine der Ökoschule, die mir sehr ans Herz gewachsen sind

Erst gestern hat uns einer der Lehrer gezeigt, wie das Futter für die Ziegen gemacht wird und nach einer knappen halben Stunde Schreddern von Mais etc. waren wir vom Staub so weiß, dass wir aussahen wie ältere Damen. Hat auch auf jeden Fall für den einen oder anderen Lacher gesorgt.

Manchmal fehlen Lehrer*innen krankheitsbedingt und in diesen Stunden helfe ich  aus und mache dann vertretungsweise English- oder Sportunterricht mit den Schüler*innen, wobei sich dass durch die Sprachbarrieren öfters als etwas schwierig erweist. Im Sportunterricht gibt es aber auch nur eine Sache, die die Kinder wollen: Fußball spielen. Der Sport hat hier sehr großen Einfluss, denn auch in der Freizeit wird unglaublich viel gespielt. Auch wenn meine Fußballfähigkeiten noch ausbaufähig sind.

Fun Fact: In dem Kontext werde ich auch oft auf das 7:1 von Deutschland gegen Brasilien im Finale der Weltmeisterschaft 2014 angesprochen. Auch wenn es schon fast 10 Jahre her ist; den Menschen kommt es direkt in den Sinn, wenn man sagt, dass man aus Deutschland kommt.

Die Familie von Maria hat mich jetzt auch schon zum ein oder anderen Spiel von Mannschaften aus Pedro II mitgenommen, da auch Felipe und Devan selbst Fußball spielen und ich muss sagen, die Atmosphäre währenddessen (viele Leute, Sonne, Staub, Fangesänge, Brüllen, etc.) macht das Ganze jedes Mal zu einem besonderen Event. Es gibt hier auch fast keine Rasenplätze (natürlich oder künstlich), sondern gespielt wird auf Erd- oder Sandboden, was das Laufen gelegentlich anstrengend macht und falls es doch mal regnen sollte, das Spiel zu einer regelrechten Schlammschlacht werden lässt. Hab ich mir sagen lassen, es hat in meiner Zeit hier noch nicht viel geregnet.

Bilder von zwei Spielen auf unterschiedlichen Plätzen; meistens wird erst gegen Nachmittag gespielt, da die Sonnen dann nicht mehr so stark ist

Wie bereits erwähnt essen wir zusammen mit den Schüler*innen und Lehrer*innen gemeinsam in der Ökoschule zu Mittag. Das Mittagessen hier im Nordosten besteht generell oft aus den gleichen Bestandteilen, die dann immer neu kombiniert werden. Das typischste Essen hier ist Reis mit Bohnen, Salat und Fleisch, was Hühnchen, Rind, Schwein oder selten sogar Ziege sein kann. Generell gibt es hier über den Tag verteilt 5 Mahlzeiten: Frühstück, Lanche, Mittagessen, Lanche und Abendessen. Bei den so genannten Lanchees handelt es sich um kleine Essenspausen, die es während der Schul- bzw. Kindergartenzeit gibt, einmal um 9 Uhr und einmal um 15 Uhr. Währenddessen werden Snacks wie Brot, Früchte, Kekse, Tapioka-Fladen, Pfannkuchen oder Couscous ausgegeben, wozu es Fruchtsäfte, Kakao oder je nach Alter Cafe gibt.

Mittagessen in der Schule: Reis mit Bohnen, gekochter Roter Beete und  gebratener Ziege aus schuleigener Haltung
Tapiokafladen als Lanche in der Schule; auch mit Margarine sehr lecker

Des Weiteren habe ich jeden Dienstag und Donnerstag Portugiesisch-Unterricht. Der hilft wirklich sehr, denn wo ich am Anfang vor ca. drei Monaten nur „Oi!“ (=Hallo!) und „Obrigada!“ (= „Danke“) nuscheln konnte, kann ich jetzt  Konversationen führen und schaue nicht mehr ganz so doof aus der Wäsche, wenn man im normalen Sprechtempo (was mir übrigens sehr schnell vorkommt) mit mir spricht. Das hat aber auch zur Folge, dass ich in den Pausen am Lehrertisch scheinbar aus dem Nichts heraus frage, welcher Teil von Harry Potter in der Runde bevorzugt wird, denn ich muss ja meine Sprachkenntnisse testen und ausbauen.  Dafür habe ich schon den ein oder anderen erstaunten und überraschten Blick kassiert. Und nachfolgend die Antwort auf Portugiesisch: „Die Bücher hab ich nicht gelesen, die Filme sind aber alle ganz ok.“

In der letzten Zeit gab es hier sehr viele Feiertage, unter anderem den „Dia do Piauí“ (Feiertag des Bundesstaates Piauí, in dem Pedro II liegt) und den „Dia das Criancas“, also den nationalen Kindertag, der natürlich im Kindergarten groß gefeiert wurde. Dafür wurde der Kindergarten festlich und passend zum diesjährigen Thema „Feen“ geschmückt. Die Kindergärtner*innen haben sich natürlich passend dazu auch als Feen verkleidet und uns gleich mit ausgestattet, weswegen wir mit Flügeln, passendem Zauberstab, Haarschmuck und bunten Röcken mit den Kindern tanzten und spielten, was mir sehr viel Spaß gemacht hat.

An einem anderen Feiertag, an dem keine Schule war, bin ich mit Hannah, einigen Schülern der Oberstufe und weiteren Bekannten zu einem  Wasserfall names „Cachoeira do Ururbu Rei“ nicht weit weg von hier gewandert. Der Weg von ca. 2h war bei knapp 34 °C gut anstrengend, aber weil wir schon um 7 Uhr losgelaufen sind, waren wir die ersten Personen am Wasserfall und das Wasser nach der Wanderung eine tolle Abkühlung. Das frühe Aufstehen hat sich also auf jeden Fall sehr gelohnt.

Wasserfall „Cachoeria do Urubu Rei“
Foto nach gelungener Wanderung; v. l. nach r.: Hannah, Tays, Samilly, ich, Max  &  Raylson

Seit Anfang unseres Dienstes hier wurden wir auch schon mehrfach eingeladen, mit den Familien der Mitglieder von Mandacaru zu Mittag zu essen und so ihre Familien kennenzulernen. Dabei fällt mir auf, dass Brasilianer*innen sehr gastfreundlich sind und egal wo man hinkommt, man mit offenen Armen empfangen wird. Und direkt umarmt, denn das gehört hier genauso dazu wie alles andere. Ich mag es sehr.

So liebe Leute, das war es für’s Erste von mir. Natürlich könnte ich sehr viel mehr erzählen; euch alles der letzten 3 Monate, die ich schon hier bin bis ins Kleinste auflisten und euch damit genauso überrumpelt zurücklassen, wie ich es hier die ersten Tage im August war, aber das wollen wir ja nicht. Denn obwohl es toll war, war es doch auch teilweise sehr anstrengend. Deswegen sage ich hiermit jetzt Tschüss und bis zum nächsten Rundbrief in drei Monaten.

Liebe und sonnige Grüße!

Tchau e até mais!

Teresa