Bolivien: 2. Rundbrief von Katharina Conrad

Hola Und eine Portion Sonnenschein aus Santa Cruz de la Sierra, Bolivien ?

Liebe Leser meines Rundbriefes,

ich freue mich, euch wieder ein kleines Stückchen Bolivien zu präsentieren. Schon ist wieder einiges an Zeit vergangen, in der ich viel erlebt, gelernt und erfahren habe. Das alles möchte ich natürlich auch mit euch teilen und hoffe, euch durch meine Erzählungen und Berichte ein wenig an meinem doch sehr anderen Leben hier in Bolivien teilhaben lassen zu können.

Paro cívico – und damit fast schon ein weiterer Lockdown

Nachdem ich nur 3 Wochen in meinem Projekt gearbeitet hatte und gerade anfing, mich richtig einzufinden und selbstständiger zu arbeiten, machte mir die sich zuspitzende politische Situation hier in Santa Cruz einen Strich durch die Rechnung. Schon ein paar Tage vorher wurde auf meiner Arbeit und auch in einer Gastfamilie die ganze Zeit vom für den 22.10. angekündigten „Paro Civico“ geredet und weil ich natürlich nicht wirklich wusste, was genau das ist, habe ich nachgefragt und mir wurde erklärt, dass dies ein Streik der Bürger ist, um ihre Forderung gegenüber der Regierung durchzusetzen, in diesem Fall die Volkszählung fürs Jahr 2024. Aber in welchem Ausmaße dieser Streik stattfinden würde und wie lange er dauern würde, hätte ich mir niemals vorstellen können. Meine Gastfamilie hatte mir schon vorher geraten, die Zeit während des Paros bei ihnen zu verbringen, vor allem auch deshalb, weil dieser Paro ein sogenannter „Paro Indefinido“ ist, also ein Streik ohne vorher festgelegtes Enddatum. Schon an dem Freitag vor Beginn des Paros, als ich mich auf den Weg zu meiner Gastfamilie gemacht habe, herrschte ganz schöner Trubel in der Stadt. Einer der Hauptstraßen war gesperrt, weil Proteste stattfanden und auch um die Straßen drum herum waren Absperrungen und eine Menge Polizisten im Einsatz. Am nächsten Tag begann dann der eigentliche Streik, was bedeutete, dass alle Straßen, Kreisel und Kreuzungen von Zivilisten blockiert wurden und außer Fußgängern und Fahrradfahrern niemand durchgelassen wurde. Das machte ein Arbeiten der öffentlichen Verkehrsmittel und generell des ganz normalen Straßenverkehrs unmöglich. Alle Straßen waren während des Paros so gut wie leer gefegt, da es schwierig wenn nicht sogar unmöglich war, einen Weg um all diese Blockaden herum zu finden. Alle Geschäfte abgesehen von Supermärkten oder Apotheken waren geschlossen. So gut wie niemand außer Angestellten in systemrelevanten Einrichtungen wie Krankenhäusern, Ämtern oder Banken ging arbeiten. Da man also so gut wie nirgends hin kam, hieß es für die nächsten Wochen: zu Hause bleiben und sich so gut es geht die Zeit vertreiben. Zusammen in der Familie haben wir dann so gut wie jeden Abend zusammen gesessen und Karten gespielt, Karaoke gesungen oder uns andere lustige Sachen ausgedacht. Einmal zum Beispiel haben wir selbst Pizza gemacht und ein anderes Mal haben wir eine Fahrradtour unternommen. Es war wirklich ganz ungewohnt, die sonst so viel befahrene dreispurige Avenida komplett ohne Autos und Lkws zu sehen und in Ruhe nebeneinander Fahrrad fahren und sich unterhalten zu können. Besonders schön während dem Paro und eine gute Ablenkung während den manchmal doch sehr langweiligen Tagen war es, endlich wieder Fußball zu spielen. Fast jeden Abend haben wir uns auf dem Bolzplatz in der Nachbarschaft getroffen, um ein wenig zu kicken. Bis dahin war es mir noch nicht wirklich aufgefallen, aber Fußball hatte mir wirklich sehr gefehlt und ich war richtig glücklich, wieder ein bisschen spielen zu können. Hier einen Verein zu finden, in dem ich regelmäßig trainieren könnte, hat sich als ziemlich schwierig herausgestellt, da die Möglichkeiten für Frauen oder Mädchenfußball hier eher begrenzt sind.

Für mich sehr interessant mitzuerleben war der „Día de los Muertos“, der anders als in Deutschland Allerheiligen nicht am 1. November, sondern einen Tag später, am 2. November gefeiert wird. Normalerweise geht man zu diesem Anlass auf den Friedhof, wo seine Verwandten begraben sind, aber aufgrund des Paros war das für meine Gastfamilie dieses Jahr leider nicht möglich. Stattdessen haben wir diesen Gedenktag zu Hause verbracht, wo ein kleiner Alter mit den Bildern verstorbener Angehöriger errichtet wurde, welcher dann mit Lichtern und bunten Blumen geschmückt wurde. Diese bunten Blumen werden aus dünnen Plastikplanen verschiedener Farben gemacht, die in Streifen geschnitten und dann zu Blumen zusammengelegt werden. Schon in den Tagen vorher haben wir die Abende damit verbracht, diese bunten Blumen anzufertigen. Am Tag selbst haben wir uns dann um den Altar versammelt, es wurden Kerzen angezündet, einige Gebete gesprochen sowie Texte aus der Bibel vorgelesen. Danach gab es noch ein gemeinsames Abendessen und verschiedene für diesen Tag typische Gebäckstücke.

Altar mit Blumen am „Día de los Muertos“

Nach langen (und ein wenig faulen) Tagen, die ich oft lesend in der Hängematte, mit Musik hören oder anderen Aktivitäten verbracht habe, wurde für den 26.11. endlich das lang ersehnte Ende des Paros angekündigt.

Freiwilligentreffen und Arbeit im Projekt

Schon am darauffolgenden Wochenende stand dann eine Reise für mich an und zwar nach Tarija, auch bekannt als die Weinstadt Boliviens, zum 20-jährigen Jubiläum des Freiwilligendienstes der Hermandad, unserer Organisation hier in Bolivien und auch verantwortlich für die bolivianischen Freiwilligen, die nach Deutschland gehen. Zusammen mit anderen Freiwilligen und meiner Gastschwester sind wir schon einen Tag früher angereist, um Tarija ein wenig kennenzulernen. Dort haben wir eine Weintour mitgemacht, durch die wir die Chance hatten, viele Weingüter Tarijas zu besuchen und natürlich der beste Part: auch verschiedene Weine probieren zu dürfen (die wirklich exzellent waren). Am nächsten Tag begann dann das Seminar, auf dem wir an verschiedenen Workshops teilgenommen haben und uns Vorträge zu interessanten Themen anhören durften. Besonders toll war es für mich, all die ehemaligen und aktuellen bolivianischen Freiwilligen kennenzulernen, mit ihnen zu plaudern und sich auszutauschen. Geendet hat das ganze Seminar mit einer kleinen Pilgerung und anschließender Messe in einer wirklich sehr schönen Kirche, bevor wir alle in unsere Städte und Projekte zurückfuhren.

Freiwillige vor der Kirche in Chaguaya

Zurück in meinem Projekt bin ich wieder voll in die Arbeit eingetaucht, die mir nun auch immer mehr Spaß macht, da die Bindung zu den Kindern langsam enger geworden ist und es mit der Zeit einfacher wurde, mich ohne größere Probleme zu verständigen. Da es so langsam auf Weihnachten zuging, hatte ich meiner Chefin vorgeschlagen, dass ich mit den Kindern an einem Nachmittag doch mal Plätzchen backen könnte. Natürlich bin ich in Bolivien, um hier die landestypischen Tradition und Bräuche kennenzulernen, aber ich dachte mir, es ist vielleicht auch mal ganz schön, wenn ich ein Stück von Deutschland und von meiner Kultur nach Bolivien bringe, da mein Freiwilligendienst eben auch als interkultureller Austausch gedacht ist. Also habe ich auf dem Markt Plätzchenausstecher (die tatsächlich viel schwieriger zu finden waren als gedacht) sowie Verzierung und Kuvertüre gekauft. Danach konnte es dann endlich ans Backen gehen. Nachdem jedes der Kinder seine Teigration erhalten hatte, haben alle voller Eifer ausgerollt, ausgestochen und die fertig gebackenen Plätzchen auch später verziert. Mir hat es super viel Freude bereitet, mit welchem Spaß die Kinder Plätzchen gebacken haben und dieser Nachmittag wird auf jeden Fall immer eine schöne Erinnerung bleiben.

Plätzchenbacken mit den Kindern im Projekt

Am letzten Tag vor den Sommerferien (in Deutschland dann natürlich die Winterferien) gab es im Kindergarten eine kleine, aber doch feine Weihnachtsfeier mit einigen Reden und die Kinder haben ein kleines Theater der Weihnachtsgeschichte aufgeführt. Jedes der Kinder und sogar wir Mitarbeiter haben dann einen kleinen Präsentkorb bekommen, für die Kinder gefüllt mit Süßigkeiten und Snacks und für uns Erzieherin gefüllt mit Dingen wie Nudeln, Mehl, Öl und einigem mehr.

Weihnachtsfeier im Kindergarten

Weihnachten und Silvester (bei über 30° und Sonnenschein)

Bevor ich mich versah stand auch schon Weihnachten vor der Tür. Das Wetter war warm wie immer. Es war sehr ungewohnt für mich, Weihnachten zu feiern, während das Thermometer über 30 Grad Celsius anzeigt, aber auch das gehört zu meinem Leben hier in Santa Cruz dazu. In den letzten Tagen sind noch die letzten Vorbereitungen für das Weihnachtsfest abgeschlossen worden. So hat eine meiner Gastschwester eine schöne Krippe aufgebaut und den Weihnachtsbaum geschmückt (der bei meiner Gastfamilie übrigens aus Metall ist) und der letzte Einkauf für das große Weihnachtsessen wurde erledigt. Dann haben wir alle das Haus geputzt und den Tisch schön gedeckt und dann konnte der Heilige Abend auch schon beginnen… beziehungsweise erstmal das Warten. Anders als in Deutschland beginnt Weihnachten in Bolivien nämlich nicht am Vorabend, sondern um Punkt 00:00 Uhr. Davor durfte ich aber meiner Gastmutter bei einer sehr tollen Aktion helfen, die sie jedes Jahr macht. Sie kocht nämlich um die 50 Portionen und besorgt noch etwas Kleines zu trinken und verteilt dies dann an Bedürftige und Obdachlose in der Stadt. Als wir das Essen ausgeteilten, hat es mich richtig berührt zu sehen, wie sehr Menschen sich über etwas für uns so Selbstverständliches wie ein richtiges Essen zu Weihnachten freuen. Das hat mir in Erinnerung gerufen, dass wir alle etwas Einfaches tun können, um anderen Menschen ein bisschen Freude zu schenken insbesondere an Tagen wie diesen. Zurück zu Hause haben wir uns dann kurz vor 00:00 Uhr alle um die Krippe versammelt, gebetet und um Punkt 00:00 Uhr fing Weihnachten dann richtig an, was mit einer Umarmung und einem „Feliz Navidad“ also „Frohe Weihnachten“ besiegelt wurde. Danach ging es dann auf zum guten Weihnachts-Familienessen an den schön gedeckten Tisch, wo wir einen geselligen Abend beziehungsweise eine gesellige Nacht zusammen verbracht haben.

Krippe mit Weihnachtsbaum im Haus meiner Gastfamilie

Genau eine Woche später fand das nächste große Fest im Haus meiner Gastfamilie statt, dazu wie immer eine Menge Verwandte eingeladen wird und das neue Jahr angemessen begrüßt wird. Dazu gab es wieder ein super leckeres Abendessen, nämlich bolivianisches Grillgut („churrasco“) mit jeder Menge Beilagen, alle waren schick angezogen und bereit, den Beginn des neuen Jahres zu feiern. Pünktlich zum Countdown haben wir uns alle draußen eingefunden (jeder mit seinem blinke Krönchen auf dem Kopf), haben gemeinsam heruntergezählt und dann das neue Jahr mit Feuerwerk und Gejubel willkommen geheißen. Danach ging dann die Party los, auf der wie immer viel getanzt und gelacht wurde und in dieser Nacht ist glaube ich niemand vor dem Morgengrauen ins Bett gegangen.

Schon ist es 2023 und die letzten paar Monate, die ich hier in Bolivien verbracht habe, sind unglaublich schnell vorübergezogen. Sie waren gefüllt mit so vielen Dingen, dass ich sie gar nicht alle hier aufschreiben kann, auch wenn ich gerne wollte. Wenn ich jetzt auf das zurückblicke, was ich allein in 2022 schon alles in meinem Freiwilligendienst hier in Bolivien erfahren, gesehen und gelernt habe, kann ich mir gar nicht vorstellen, was im nächsten Jahr und in meinen verbleibenden achteinhalb Monaten noch auf mich zukommen wird. Aber schon jetzt blicke ich voller Vorfreude und Spannung in die Zukunft und kann all das, was mich hier noch an tollen und lehrreichen Erfahrungen erwartet, kaum abwarten. Auch euch allen, liebe Leser, davon zu berichten und euch dieses facettenreiche Land näherzubringen, darauf freue ich mich schon sehr.