Burkina Faso: 3. Rundbrief von Judith Steinmetz

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,

so farbenfroh wie dieser Stapel Stoffe gestalteten sich auch meine letzten fünf Monate. Es war eine bunte Mischung aus Arbeit und Freizeit, Stadt und Dorf, Ankunft und Abschied, Schuljahr und Ferienbeginn, Wohlvertrautem und Neuentdecktem. Na dann mal los…

Von Pubertät und Schwangerschaft…

Beginnen möchte ich mit einem häufig erwähnten, aber nie näher erläuterten Thema, das in der Schulzeit vor allem im zweiten Trimester einen großen Teil meines Alltags ausmachte: dem Aufklärungsunterricht oder wie hier genannt, der Sensibilisierungsarbeit. Gemeinsam mit Sœur Pélagie, die ausgebildete Krankenschwester ist, und einer Hebamme fuhr ich dazu an verschiedene weiterführende Schulen, teils in der Stadt, aber hauptsächlich in Dörfern der Umgebung. Dort befassten wir uns gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern mit Themen wie Pubertät, Liebe, Schwangerschaften in der Schule und AIDS. So boten wir den Jugendlichen eine einzigartige Möglichkeit, darüber Wissen zu erlangen und ohne Scham Fragen zu stellen, da die sexuelle Aufklärung in der burkinischen Gesellschaft oft als Tabuthema betrachtet wird. Je nach Klassenstufe und Interesse der Schülerinnen und Schüler setzten wir unterschiedliche Schwerpunkte, arbeiteten mit Bildern sowie Filmausschnitten und es war jedes Mal wieder von Neuem interessant zu sehen, wie sie reagierten und mitarbeiteten. Mal war mehr, mal weniger Vorwissen vorhanden, mal wurde eine gezeigte Binde als Kondom identifiziert. Mindestens in diesem Punkt konnten wir Abhilfe schaffen, wenn auch sonst sehr unsicher bleibt, inwiefern wir etwas beeinflusst haben. Dass im Verlaufe eines Schuljahres mindestens ein Mädchen an einer Schule schwanger wird, ist hier die Regel. Damit gestaltet sich die weitere schulische Laufbahn dieser jungen Frau jedoch schwierig. Konnten wir ein solches Schicksal verhindern? Ich weiß es nicht. Besonders fraglich bleibt dies für mich, da wir zwar über Verhütungsmittel sprachen, aber sie nicht empfahlen. Die Logik dahinter: Die Jugendlichen sollen sich zunächst auf ihre Schullaufbahn statt auf ihre Sexualität konzentrieren. Was erklärt und vor allem, was verteilt wird, muss natürlich von einem jungen, neugierigen Menschen möglichst rasch ausprobiert werden. Bei anderen Projekten werden Kondome verschenkt und es besteht die Gefahr, dass sie aus oben genanntem Grund auch ohne jede Notwendigkeit und Sachkenntnis angewandt werden. Somit predigten wir stets Abstinenz als beste Verhütungsmethode und Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten. In den unteren Klassenstufen kann ich das durchaus unterstützen, aber Sechzehn- bis Zwanzigjährigen, die ihren Äußerungen zufolge eindeutig schon das erste Mal hinter sich hatten, zu empfehlen, bis zum Abitur oder gar der Hochzeit nun keinen Geschlechtsverkehr mehr zu haben? Ich habe meine Zweifel, dass dies viele Früchte trägt. Aber vielleicht ist es ja schon ein kleiner Erfolg, wenn jetzt ein Mädchen mehr bei seiner ersten Menstruation weiß, was geschieht und was zu tun ist. Wenn ein Junge mehr sich bewusst ist, dass er ab seinen ersten „feuchten Träumen“ ein Mädchen schwängern kann. Wir doch den einen oder die andere zum Nachdenken und so zur Zurückhaltung anregen konnten. Ich hoffe, dass wir wenigstens das erreichen konnten.

Sœur Pélagie vor einer Klasse, die aufmerksam einen Filmausschnitt betrachtet.

Sofern wir in Dörfern arbeiteten, die aufgrund des Straßenzustands oder der Entfernung von Banfora aus etwas umständlich zu erreichen waren, blieben wir auch über Nacht dort. Sei es, dass wir unsere Moskitonetze im Lehrerzimmer oder im Innenhof einiger Lehrerwohnungen aufschlugen, für mich war es jedes Mal ein Erlebnis. Da der mehrstündige Austausch mit den Schülerinnen und Schülern mitunter recht anstrengend war, verlief die freie Zeit auf dem Dorf eher entspannt. So verbrachten wir sie vor allem mit Kochen, Spazieren, dem Besuch von Bekannten im Ort oder den Einkäufen für das nächste Essen. Ich genoss es besonders, einfach mal dem Trubel Banforas und der Communauté zu entkommen.

Von Fremden und Freunden…

Dass ich mich auf dem Dorf so wohl fühlte, war mein Glück, denn ausgerechnet auf meinen Geburtstag sollten wir uns mal wieder mehrere Tage zu einem solchen Einsatz dort aufhalten. Ob mein Geburtstag also etwas besonderes war? Allerdings! Ich habe ihn jedenfalls noch nie damit verbracht, morgens mit Jugendlichen über ihre ersten Achselhaare zu sprechen, nachmittags dann im nächstgrößeren Ort einzukaufen und abends mit mir fremden Menschen ein Festessen abzuhalten. Das klingt jetzt möglicherweise etwas bizarr, aber dank Soeur Pélagie hatte ich eine gelungene Feier. Zum Gesang von „Joyeux anniversaire“ schnitt ich mein „Geburtstagsgebäck“ an und so wurden wenigstens für diesen Abend aus Fremden einfach Freunde. Unsere „Mitbewohner“ konnten an meinem Freudentag teilhaben und ich an ihrem Leben, immerhin teilten wir uns einen Hof; einer der Lehrer hatte extra für uns sein Haus geräumt und uns bei sich aufgenommen. Irgendwie war es ein besonderes, gelungenes Fest, wenn mich auch die vielen Glückwünsche aus der Heimat zu Tränen rührten.

Wieder zurück in der Communauté wurde dann tatsächlich noch einmal nachgefeiert, mit Gesang, Tanz, Attieké (Erklärung folgt!) und Geburtstagskuchen. Auch dies war eine wundervolle Feier und der vorherige Unmut, meinen Geburtstag nicht einmal in meinem neuen „Zuhause“ begehen zu können, vollkommen umsonst: So feierte ich sogar zweimal.

Gemeinsam mit Sœur Véronique, Sœur Céline, Sœur Cécile und den anderen habe ich einen schönen Abend.
Von Krokodil und Osterei…

Bald schon stand mit Ostern ein weiteres großes Fest vor der Tür. Dies geriet für mich aber ziemlich in den Hintergrund, denn gleichzeitig kündigte sich Besuch aus der Heimat an: Meine Eltern sollten fast drei Wochen mit mir hier verbringen. Vorherige Sorgen, ob ich dieser Herausforderung, nach so langer Abwesenheit, so viel Zeit so dicht beieinander und mit ständigen Erklärungen und Übersetzungen beschäftigt, gewachsen war, erwiesen sich glücklicherweise als vollkommen unbegründet. Zu dritt verbrachten wir schöne gemeinsame Tage, vor allem in Banfora. Hier konnte ich meinen Eltern endlich selbst die Menschen vorstellen, von denen sie gehört hatten, und die Orte zeigen, von denen ich erzählt hatte. Wir gingen gemeinsam mit den Schwestern an Gründonnerstag in die Messe, in die Karfreitagsandacht, in der die Jugendlichen der Pfarrei eindrucksvoll die Passion nachspielten, und zur Osternacht mit Osterfeuer. Sonntags feierten wir dann in der Communauté, wozu wir sogar Eier färbten. Natürlich unternahmen wir zu dritt auch viele Ausflüge in und um Banfora, in die Großstädte Bobo-Dioulasso, Ouagadougou sowie Umgebung mit dem Skulpturenpark Laongo und den heiligen Krokodilen von Bazoulé. Zudem fuhren wir auf die Ranch Nazinga, wo sich die Hoffnung, Elefanten in freier Wildbahn zu erleben, leider nicht erfüllte. Unterwegs dorthin machten wir im Dorf Tiébélé Halt, in dem die Dorfbewohnerinnen ihre Häuser traditionell aufwendig bemalen. Meine Eltern ließen mich vieles wieder mit anderen Augen sehen, Dinge die mir am Anfang noch aufgefallen und jetzt zu Alltäglichkeiten geworden waren, sei es einfach nur das Straßenbild oder das Klima, bemerkte ich nochmal neu. Mir wurde bewusst, wie sehr ich mich doch hier eingelebt habe. Insgesamt verbrachten wir eine wundervolle, für alle bereichernde Zeit zusammen. Meine Eltern hatten die Chance, meine neue Lebenswelt sowie meine neue Lebenswelt die Chance, meine Eltern kennen zu lernen. Und selbstverständlich genossen wir es, uns nach so langer Zeit wieder in die Arme zu schließen.

Natürlich ging in den letzten Monaten auch das Leben bei den Mädchen im Foyer weiter. Sofern nicht vom Aufklärungsunterricht oder dem Besuch meiner Eltern verhindert, setzte ich meine allabendliche Unterstützung bei den Hausaufgaben sowie den Computerunterricht fort, ab und an blieb zudem Zeit zum Basteln und einfach nur Unterhalten. Auch im Foyer gab es immer wieder einen Grund zum Feiern: So hielten wir etwa am 8. März, dem Internationalen Tag der Frau, in Burkina Faso ein Feiertag, einen großen Kochwettbewerb ab. Jede stürzte sich in die Arbeit und wir hatten viel Spaß zusammen.

Victorine serviert die Postulantin Alice, Mitglied der Jury des Kochwettbewerbs, einige „Baignées d’Aubergine“, frittierte Auberginenscheiben.
Von Okraschote und Maisbrei

… und dann waren auch schon wieder Ferien. Aber spielten sich nicht schon die Ereignisse meines ersten Rundbriefs ausschließlich in den Ferien ab? Hier also eine kurze Erklärung:
In Burkina Faso dauern die „Sommerferien“ etwa 3 Monate von Ende Juni bis Ende September. Natürlich ist dies nicht dem Sommer, sondern der Regenzeit (wobei wir auf den Regen gerade verzweifelt warten) geschuldet. Viele Schüler helfen in dieser Periode ihren Eltern bei der Feldarbeit, die das restliche Jahr über nicht möglich ist. Fast ausschließlich in dieser kurzen Zeit werden unter anderem Mais, Hirse, Erdnüsse, Maniok, Reis und Baumwolle angebaut. Den Rest des Jahres beschränkt sich die landwirtschaftliche Arbeit auf den aufwendigen Bewässerungsfeldbau mit Tomaten, Paprika, Gurken, Piment, Zucchini und vielem anderen.

Daraus lassen sich nun auch ein bisschen meine hiesigen Essgewohnheiten ablesen, die eben jene der Schwestern sind, da ich mit ihnen gemeinsam esse: Zum Frühstück gibt es Baguette – hier ist nur Weißbrot erhältlich – mit Butter, Marmelade, Erdnussaufstrich oder ähnlichem. Da Brot vergleichsweise teuer ist, ist es üblich, zweimal am Tag warm zu essen, wobei abends das Mittagessen aufgewärmt wird. Dreimal die Woche gibt es in der Communauté Tô mit unterschiedlichen Soßen. Bei diesem „Nationalgericht“ Burkina Fasos handelt es sich um ein über dem Feuer hergestelltes Gemisch aus Maismehl und Wasser, das eine puddingartige Konsistenz und nicht viel Eigengeschmack hat. Die Frage: „Schmeckt das denn?“ lässt sich daher nur mit „Das hängt von der Sauce ab“ beantworten. Diese besteht in der Regel aus Blättern, deren Namen ich mir oft leider nicht merken kann, aus Kohlblättern, Okraschoten oder den Blättern des Baobab, des Affenbrotbaums. Ich habe dabei einige echt leckere Varianten kennengelernt, die ich in Deutschland sicher vermissen werde. Ansonsten gibt es häufig Reis mit Gemüse- oder Erdnusssauce, auch mal Nudeln, Couscous, Süßkartoffeln, Bohnen oder Yams. Eines meiner Lieblingsgerichte hier ist Attieké, das aus Maniok hergestellt wird und Ähnlichkeiten mit Couscous hat, mit Alloko, frittierten Kochbananenscheiben. Außerdem mag ich „riz gras au soumbala“ echt gerne, bereits in der Sauce gekochter und mit einem speziellen Gewürz versetzter Reis. Fisch und Fleisch sind teuer und entsprechend hoch geschätzt, doch in der Communauté gibt es zu fast jedem Essen für jede mindestens ein kleines Stück davon. Ich kann mittlerweile gut nachvollziehen, warum hier niemand versteht, weshalb bei uns freiwillig Menschen auf diese Lebensmittel verzichten. Hier sind sie ein wirklicher Luxus und jeder schätzt sich froh, wenn er etwas davon hat. An Essen außerdem zu erwähnen ist die für uns herrliche Auswahl an Obst: Gerade geht leider die Mangosaison zu Ende, bei der es in dieser Region wirklich Unmengen dieser super leckeren Früchte gibt. Dafür nimmt aber die Anzahl an Bananen und Papayas an den Straßenständen wieder zu. Auch hier gibt es, trotz der fehlenden Jahreszeiten, natürlich Saisons, etwa für Orangen, Ananas, Melonen, Avocados oder Zitronen. Aber auch für uns exotisch anmutende Früchte wie das Fruchtfleisch um die Kariténuss (aus der dann die bei uns beliebte Sheabutter hergestellt wird) oder Cherimoya habe ich probiert und für sehr schmackhaft befunden.

Alloko, Attieké und Gemüse
Von Abschied und Examen…

Ferien bedeutet aber auch Abschied nehmen. Die Zeit nach den Abschlussarbeiten nutzten die Mädchen und ich für Bastelarbeiten und Filmprojektionen, zum Reden, Lachen und für Fotoshootings. Kurz vor dem großen Abschied konnten wir dann dank zahlreichen Unterstützern aus Deutschland einen Tagesausflug in die nächste Großstadt Bobo-Dioulasso unternehmen. Mit einem Reisebus voller Mädchen, Schwestern und Postulantinnen ging es morgens los und schon auf der Fahrt herrschte eine ausgelassene Stimmung, die mich an Klassenfahrten erinnerte. In der Stadt angekommen, besichtigten wir ein Museum mit zeitgenössischer burkinischer Kunst, traditionellen Ausstellungsstücken sowie heiligen Kois, die allerdings eher besichtigunsscheu waren. Für alle war es der erste Besuch in einem Museum, für manche selbst der erste in der zwei Stunden von Banfora entfernten Stadt. Mittags speisten wir gut in einem Restaurant, in dem der Inhaber persönlich den Mädchen noch einige Ratschläge mit auf den Weg gab. Anschließend hatten wir eine Führung in der Alten Moschee, dem Wahrzeichen der Stadt, bei dem sich keine die Chance nehmen ließ, noch ein Erinnerungsfoto zu schießen, und dann ging es auch schon wieder zurück nach Banfora.

Es war ein spannender, schöner Tag, der mich schon wehmütig auf die Abschiedsfeier am Folgetag blicken ließ. Zu diesem Anlass gab es eine Messe in der Kapelle und ein gemeinsames Abendessen im entsprechend dekorierten Lernsaal. Nach einigen Tanzvorführungen wurde die Tanzfläche dann für alle frei gegeben. Ausgelassen gaben wir uns so bis spät in die Nacht der Musik hin. Ein letztes Mal amüsierte ich mich mit „meinen Mädchen“ bevor sie während der nächsten Tage und Wochen nach und nach das Foyer verließen – mit Ausnahme der Examensklassen.

Examensklassen heißt in diesem Fall, die Schülerinnen der zehnten und dreizehnten Klasse. Im hiesigen Schulsystem gibt es nämlich am Ende dieser beiden sowie am Ende der sechsjährigen Grundschule ein Examen zu bestehen. Wer dies nicht schafft, muss die Klasse wiederholen, um die Prüfung dann eben nochmals zu schreiben. Das Bestehen hängt dabei aber leider nicht nur von der eigenen Leistung, sondern zu einem Großteil auch von der besuchten Schule ab. So ist weithin bekannt, dass an bestimmten, vorrangig katholischen, Privatschulen immer (fast) alle bestehen, während es durchaus normal ist, dass es an den öffentlichen Schulen viele nicht auf Anhieb schaffen. Da die Examen in ganz Burkina Faso einheitlich sind, lässt sich daran deutlich das Niveau der einzelnen Schule ablesen: In den teuren Privatschulen – Schulgebühren fallen überall an – sind die Klassen kleiner, sie werden weniger bestreikt, sind besser ausgestattet, haben teilweise sogar Aufnahmetests und nehmen den Unterricht insgesamt ernster. Durch den häufigen Unterrichtsausfall sowie die großen Klassen an öffentlichen Schulen erklärt sich teilweise, warum viele Schüler Klassen wiederholen müssen, erst recht, wenn sie sich keinen Nachhilfeunterricht leisten können, in dem im Unterricht nur angerissene Themen von einem Lehrer näher erläutert werden.

So gaben diese Schülerinnen hier im Foyer also noch einmal ihr Bestes. Zunächst legten die Zehntklässlerinnen ihre Prüfungen zur Mittleren Reife ab und verabschiedeten sich daraufhin. Die Freude war riesig, als einige Wochen darauf auch tatsächlich alle fünf Abiturientinnen ihr Abitur in den Händen hielten. Ihre Zukunftspläne machten mir bewusst, wie glücklich ich mich schätzen kann, einfach nach meinen Interessen einen Studiengang zu wählen, in dem Vertrauen, damit (wenn auch nicht unbedingt auf Anhieb) eine Arbeit zu finden. Hier jedoch steht die Frage, womit sich eine der wenigen gesicherten Anstellungen finden lässt an erster Stelle, womit viele ihre Interessen in den Hintergrund stellen und ins Schul- oder Gesundheitswesen gehen. Schließlich starb das Foyer ganz aus, keine Gespräche und Lachen sind mehr zwischen den Schlafsälen zu hören, nicht ein Mädchen sitzt mehr mit ihren Schulheften in einer Ecke, niemand lässt sich mehr in einem Hangar die Haare flechten. Ein komisches Gefühl, wie bei meiner Ankunft liegen die Gebäude verlassen da und es wird immer schwerer sich vorzustellen, welch ein Leben dort während des Schuljahres herrscht.

Ich wünsche allen Mädchen für ihren weiteren Lebensweg wirklich nur das Beste! Auch wenn es mir nicht immer leicht mit ihnen fiel, fehlen sie mir doch jetzt schon und ich hoffe, dass ich wenigstens einige eines Tages wieder sehen werde.

Von Zuckerrohr und Gelübde…

Das heißt aber nicht, dass ich jetzt vollkommen arbeitslos oder gelangweilt wäre. Es gab beispielsweise konkrete Vorbereitungen für meine Rückkehr zu treffen, den Flug zu buchen, Studienbewerbungen zu schreiben, auch wenn das alles doch noch so weit weg erscheint. Dabei kommt bei mir immer mal wieder eine leichte Torschlusspanik hoch: Die knapp zwei Monate, die mir hier noch bleiben, was ist das schon? Ich will doch noch so viel kennenlernen, erleben, machen,… Sicherlich, dreizehn Monate erscheinen auf den ersten Blick wie eine lange Zeit, doch das reicht natürlich niemals aus, um wirklich einzutauchen in diese neue Lebenswelt. Wenn ich mich auch schon an so vieles gewöhnt habe, verstehe ich doch noch eine Menge nicht richtig, es bleibt so vieles zu entdecken und vor allem an Beziehungen zu vertiefen. Diese Panik versuche ich aber weitestgehend zu verdrängen und stattdessen noch vieles in mich aufzusaugen.

Da wären zum Beispiel die Besuche auf dem Feld der Communauté auf dem Dorf. Ein großes Gelände, dass ich zunächst wegen der vielen Bäume und Unebenheiten, sogar einen Bach gibt es, nie als Feld identifiziert hätte. Aber die Arbeiter haben schon die ersten Vorarbeiten geleistet und demnächst werden hier unter anderem Reis, Erdnüsse und Bohnen wachsen und gedeihen, die wir dann später selbst verzehren werden.

Außerdem lässt sich der Besuch der Rohrzuckerfabrik „sosuco“ hier in der Nähe mit Josiane anführen. Warum hält sich bei uns hartnäckig das Bild eines „technikarmen Afrikas“? Der Rundgang in der modernen Fabrik war sehr interessant, und die einzelnen Schritte vom Zuckerrohr zum Rohrzuckerwürfel gut nachvollziehbar, wenn die Maschinen auch leider saisonbedingt nicht in Betrieb waren. Was mich ärgerte, waren die riesigen, mit Planen abgedeckten Berge Zuckersäcke im Hof. Das Unternehmen wird sie einfach nicht los, da sich unser importierter, weißer Zucker besser verkauft. Ein Mitarbeiter erklärte das mit der Bestechlichkeit der Verantwortlichen beim Zoll. Der Staat hätte eigentlich ein Gesetz erlassen, nach dem importierter nicht günstiger als heimischer Zucker sein dürfe. Wie soll denn da die Industrie ein „Motor für die Entwicklung Afrikas“ sein?

Eine weitere Tätigkeit, die ich hier schätzen gelernt habe, ist das Kochen. Zum einen ist es einfach schön, zusammen zu sitzen, sich zu unterhalten, zu lachen und das Gemüse für die nächste Mahlzeit klein zu schneiden. Zum anderen habe ich aber auch die Freude am Kuchen backen entdeckt. Den gibt es eigentlich nur zu besonderen Anlässen, aber so kommt es vor, dass ich für den Geburtstag einer Schwester, einen kirchlichen Feiertag oder um die Mädchen für die Abiturarbeiten zu ermutigen, einfach ein Backwerk herstelle. Besonders gut gelingt dies jetzt dank der Unterstützung Zahlreicher mit einem neuen Backofen. Mit diesem arbeite aber natürlich nicht nur ich, sondern werden unter anderem auch von einer Schwester auf Bestellung Geburtstags- sowie Hochzeitskuchen gebacken und anschließend aufwendig mit Buttercreme verziert.

Zudem steht in der Communauté gerade Großes an: Im Juli legt Soeur Pélagie ihr Ewiges Gelübde und Marceline ihr Erstes Gelübde ab. Damit beendet letztere ihr Noviziat und erstere tritt einige Jahre nach ihrem Ersten Gelübde nun endgültig in die Ordensgemeinschaft ein. Dazu gibt es natürlich einen Festgottesdienst und eine große Feier in der Communauté. Vorher ist viel zu tun, Einladungskarten werden verteilt, Stühle geschleppt, Geschirr gezählt, Liedhefte gestaltet und vieles mehr. Dabei bin auch ich immer mal wieder eingespannt und freue mich natürlich schon sehr auf dieses große Ereignis.

Von Steinformationen und Segenswünschen…

Und so geht das Leben hier weiter, kein Tag gleicht dem andern, es gibt Highlights und Alltäglichkeiten. Daher wird die mir in Burkina Faso verbleibende Zeit wie im Fluge vergehen und ich sehe dem Abschied von all dem hier schon jetzt mit einem weinenden, dem Wiedersehen in Deutschland mit einem lachenden Auge entgegen.

Ich versuche natürlich, weiter mit offenen Augen und etwas Fantasie durch die Welt zu gehen und mich so immer wieder aufs Neue verzaubern zu lassen, was ich bei einem Ausflug in die Pics de Sindou nochmals erleben durfte.

Steinformation? Kobra? Frau mit Kind?

Zum Schluss möchte ich mich gerne mit hier so oft bei Verabschiedungen gesprochenen Segensworten auf Djula verabschieden:
Ala m’an dèmè! Ala k’a tile hèèrè!
Auf dass Gott uns helfe und er euch einen friedvollen Tag schenke!
Amina! Amen! So sei es!

Mit einem lieben Gruß

Judith Steinmetz